Steuerrecht

Wiedereinsetzung in Ausschlussfrist für Beihilfeantrag

Aktenzeichen  M 17 K 18.3585

Datum:
25.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41819
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 32
BBhV § 54 Abs. 1

 

Leitsatz

Gesundheitliche Gründe rechtfertigen die Wiedereinsetzung in die materielle Ausschlussfrist für einen Beihilfeantrag von einem Jahr nur, wenn der Betroffene weder selbst handeln noch einen Dritten beauftragen konnte. Dabei gilt ein strenger Maßstab (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 24. September 2020 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 80 Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) i.V.m. mit der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) in der seit 14. Februar 2009 geltenden Fassung (BGBl I S. 326) auf Gewährung von Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Entsprechend seines Klageantrags begehrt der Kläger die Gewährung von Beihilfeleistungen für die mit Beihilfeantrag vom … 2018 eingereichten Rechnungen vom … 2016 in Höhe von 10.335,38 €.
2.1. Der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen der streitgegenständlichen Aufwendungen ist wegen Versäumung der Jahresfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV erloschen.
Die Jahresfrist endete für die Rechnungen vom … 2016 gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des … 2017 um 24.00 Uhr. Der Beihilfeantrag ging bei der Beihilfestelle jedoch erst am … 2018 ein. Demnach ist der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen der streitgegenständlichen Aufwendungen wegen Versäumung der Jahresfrist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV erloschen.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist bestehen keine Bedenken (BVerwG, U.v. 28.6.1965 – VIII C 334.63 – juris). Wird sie versäumt, ist der möglicherweise dem Grunde nach gegebene Anspruch auf Beihilfe vernichtet. Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist sie jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (vgl. BayVGH, U.v. 5.4.1990 – 3 B 89.2831 – juris Rn. 14 – zu § 17 Abs. 9 BhV; VG München, U.v. 4.3.2010 – M 17 K 08.5515).
2.2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Obgleich es sich bei der Jahresfrist nach § 54 BBhV um eine materielle Ausschlussfrist handelt, ist nach Ziffer 54.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur BBhV bei Versäumnis der Antragsfrist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, sofern die Voraussetzungen des § 32 VwVfG vorliegen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 6).
Hinsichtlich der Rechnungen vom … 2016 kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, da der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert war, die Jahresfrist des § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV einzuhalten.
Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BayVGH, B.v. 15.9.2010 – 14 ZB 10.1096 – juris Rn. 6 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 28.4.1967 – IV C 100.66 – BVerwGE 27, 36-39; BVerwG, B.v. 6.6.1995 – 6 C 13/93 – juris; BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 38/95 – juris). Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumnis grundsätzlich nicht entschuldigen. Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei ihm nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat einholen (zum insoweit wortgleichen § 60 VwGO vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO, 15. Auflage 2018, § 60 Rn. 6; BVerwG, U.v. 13.1.1989 – NVwZ-RR 1989, 519 – juris Rn. 4).
Eine Erkrankung kann eine Fristversäumung hierbei nur dann entschuldigen, wenn sie so schwer war, dass der Betroffene weder selbst handeln konnte, noch im Stande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 29; VG München, U.v. 13.11.2019 – M 17 K 18.2550). Die diesbezüglichen Tatsachen sind vom Wiedereinsetzung Begehrenden glaubhaft zu machen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Bei einer Ausschlussfrist, auf die die Wiedereinsetzungsregeln ohnehin nur ausnahmsweise Anwendung finden (vgl. oben), sind diese restriktiv zu handhaben, so dass an eine Entschuldigung der Fristversäumnis erhöhte Anforderungen gestellt werden dürfen (BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 14 ZB 17.1841). Es kommt darauf an, ob dem Beteiligten nach den Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 21). Der klägerische Vortrag ergibt nicht, dass dieser seine ihm zumutbare Sorgfalt hat walten lassen, um eine rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Vorkehrungen ist hier ein strenger Maßstab anzulegen, da es sich um eine ohnehin schon sehr großzügig bemessene Frist handelt (vgl. VG München U.v. 11.4.2013 – M 17 K 12.2893).
Es ist nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund der Erkrankung seiner Ehefrau körperlich und psychisch stark belastet war. Es ergibt sich daraus jedoch nicht, dass er deshalb nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig Beihilfe zu beantragen. Der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, dass er gerade im Hinblick auf die konkrete familiäre und gesundheitliche Situation durch Treffen von organisatorischen Maßnahmen die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um den Beihilfeantrag rechtzeitig stellen zu können (VG Bayreuth, GB.v. 25.1.2011 – B 5 K 10.259 – juris Rn. 29). Der Verweis auf die hochbelastende Ausnahmesituation aufgrund der Sorge um seine Ehefrau und die psychischen und physischen Belastungen ist menschlich verständlich, genügt aber nicht, um den Kläger von seinen organisatorischen Pflichten vollumfänglich zu befreien. Als sich abzeichnete, dass die Bewältigung des Alltags den Kläger über einen nicht absehbaren Zeitraum über das gewöhnliche Maß hinaus beanspruchen würde, hätte er entsprechend, gegebenenfalls auch durch Beauftragung Dritter, reagieren müssen. Bei derartig unwägbaren Hinderungsgründen erfordert es die auch in eigenem Interesse aufzubringende Sorgfalt, sich um Abhilfe zu bemühen und nicht lediglich zuzuwarten (VG München, U.v. 10.12.2015 – M 17 K 15.402).
Der Umstand, dass der Kläger nach der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für innere Medizin … … vom … 2018 in der Zeit von Juli 2017 bis Februar 2018 eine schwere Belastungsreaktion mit Schwäche- und Kollapszuständen, Schlafstörungen, Konzentrationund Gedächtnisschwäche und Kreislaufstörungen sowie Herzschmerzen entwickelte, stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Aus diesen Erkrankungen folgt ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände nicht ohne weiteres, dass der Kläger zur Stellung eines Beihilfeantrages nicht in der Lage war. Es ist nicht ersichtlich, dass es dem Kläger aufgrund seiner Erkrankung während der gesamten einjährigen Antragsfrist ununterbrochen unmöglich gewesen wäre, einen Beihilfeantrag zu stellen oder einen Dritten hiermit zu beauftragen. Nach eigenen Angaben hat er seine Ehefrau regelmäßig besucht und betreut. Es ist davon auszugehen, dass es zumindest immer wieder Zeiträume gegeben hat, in denen er ohne übermäßig großen Aufwand in der Lage gewesen wäre, bei der Festsetzungsbehörde die ärztlichen Rechnungen einzureichen. Es fehlt es an hinreichend substantiierten Ausführungen zu Dauer und Intensität der psychischen Erkrankung, die es dem Kläger unmöglich gemacht hätte, innerhalb eines Jahres einen Beihilfeantrag zu stellen. Vorliegend hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass er bis zum Ablauf der Ausschlussfrist so schwer erkrankt war, dass er außer Stande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.
Auch die Zweifel des Klägers bezüglich der Richtigkeit der streitgegenständlichen Rechnungen stellen keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Selbst wenn Rechnungen Gegenstand eines zivilrechtlichen Rechtsstreits sind, obliegt es dem Beihilfeberechtigten, geeignete Maßnahmen zur Wahrung der Jahresfrist zu treffen (vgl. VG Hannover, U.v. 15.4.2010 – 2 A 5202/08; BGH, U.v. 13.10.2011 – III ZR 231/10)
2.3. Im Übrigen wurden die Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis über die Fristversäumung geltend gemacht. Nach § 32 Abs. 2 VwVfG ist nicht nur der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, sondern sind auch die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags mit dem Antrag oder jedenfalls innerhalb der Zwei-Wochen-Frist vorzubringen (BVerwG, B.v. 9.7.1975 – VI C 18.75 – juris; Kopp/Ramsauer; VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 45 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.11.2012 – 14 ZB 11.2592). Nur dann kann die Unsicherheit darüber, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in den vom Prinzip der Rechtssicherheit geforderten Grenzen gehalten werden. Nach Ablauf der Frist sind nur noch bloße Verdeutlichungen und Ergänzungen zum Sachvortrag zulässig, soweit dieser die wesentlichen Punkte bereits anspricht.
Spätestens mit Zugang des ablehnenden Beihilfebescheids vom 14. März 2018 war dem Kläger die Versäumung der Jahresfrist des § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV bekannt. Die Beihilfestelle hat den Antrag des Klägers auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgelegt und Wiedereinsetzungsgründe geprüft, insbesondere die schwierigen persönlichen Verhältnisse des Klägers aufgrund der Erkrankung seiner Ehefrau. Anhaltspunkte für eine längerfristige schwere Krankheit des Antragstellers hatte sie jedoch nicht (Seite 2 des Widerspruchsbescheids, Bl. … BA). Erst in der Klagebegründung vom … 2018 wurde der gesundheitliche Zustand des Klägers als Wiedereinsetzungsgrund genannt. Bei diesem Vortrag handelt es sich damit um eine nachträgliche Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs, welche nicht mehr berücksichtigt werden kann.
2.4. Schließlich wurde weder vorgetragen noch liegen Umstände dafür vor, dass die Beklagte die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert hat und sie sich ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB nicht auf das Versäumnis einer die Rechtsverfolgung hindernden oder die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen darf (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 38.95 – NJW 1997, 2966 m.w.N.).
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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