Steuerrecht

Zur Verfahrensaussetzung bei zweifelhafter Annahme einer typisch stillen Gesellschaft

Aktenzeichen  VIII R 46/18

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.120421.VIIIR46.18.0
Normen:
§ 74 FGO
§ 179 Abs 1 AO
§ 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO
§ 20 Abs 1 Nr 4 EStG 2009
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2009
§ 180 Abs 3 S 1 Nr 2 AO
§ 230 HGB
EStG VZ 2012
EStG VZ 2013
EStG VZ 2014
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Erscheint es möglich, dass Einnahmen aus einer Beteiligung an einem Handelsgewerbe als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt werden, muss das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides, in dem Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfasst sind, gemäß § 74 FGO aussetzen, bis durch einen –positiven oder negativen– Bescheid entschieden ist, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung geboten ist. Unterbleibt dies, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor.
2. Bleibt das Mitunternehmerrisiko eines stillen Gesellschafters hinter der Rechtsstellung zurück, die das HGB dem Kommanditisten zuweist, ist gleichwohl von einem atypisch stillen Gesellschaftsverhältnis auszugehen, wenn die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist. Diese Möglichkeit kann sich bei einer GmbH & Still auch aus der Stellung des stillen Gesellschafters als Geschäftsführer oder Prokurist der GmbH ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 13.07.2017 – IV R 41/14, BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133).

Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 22. Oktober 2018, Az: 6 K 49/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 22.10.2018 – 6 K 49/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beteiligte sich als stiller Gesellschafter an der A-GmbH (GmbH), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Vater des Klägers ist. Zuletzt belief sich seine Beteiligung auf 30.000 €, was 20 % des im Jahr 2004 auf 150.000 € erhöhten Stammkapitals der GmbH entsprach.
2
Nach dem Gesellschaftsvertrag vom …2001 war der Kläger zu 20 % am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt. Betragsmäßige Obergrenzen sah der Vertrag nicht vor (§ 8 Abs. 5 des Vertrages). An der Vermögenssubstanz und dem Firmenwert des Unternehmens war der Kläger nicht beteiligt (§ 1 Abs. 3 des Vertrages). Bei Beendigung der Gesellschaft stand ihm eine Abfindung zu, bei deren Ermittlung stille Reserven unberücksichtigt blieben (§ 12 Abs. 2 des Vertrages). Die Abfindung bestand aus der Rückzahlung der Einlage nach Saldierung mit einem bestehenden Verlustkonto und einem Anteil an den am Tag der Beendigung der Gesellschaft schwebenden Geschäften (§ 12 Abs. 3 des Vertrages). Die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft oblag allein dem Vater des Klägers (§ 4 des Vertrages). Dem Kläger standen die Rechte nach § 716 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu. Außerdem war er berechtigt, den Jahresabschluss des Geschäftsinhabers und die Buchführung durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen zu lassen (§ 5 des Vertrages).
3
Neben dem Kläger war –zu denselben Bedingungen– auch Herr B als stiller Gesellschafter an der GmbH beteiligt. Letzterer war wie der Kläger, dem im Jahr 2002 Einzelprokura erteilt wurde, leitender Angestellter der GmbH.
4
In den Streitjahren flossen dem Kläger aus der stillen Beteiligung Einnahmen in Höhe von 109.037 € (2012), von 120.985 € (2013) und von 184.709 € (2014) zu, die er bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen erklärte. Zudem beantragte er jeweils die Durchführung der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie die Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG und legte Steuerbescheinigungen der GmbH vor. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erfasste in den Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre die Zahlungen als dem tariflichen Steuersatz unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 166 mitgeteilten Gründen statt. Das FA habe zu Unrecht angenommen, dass die Einnahmen des Klägers aus dessen stiller Beteiligung an der GmbH dem tariflichen Einkommensteuersatz unterworfen seien. Die Anwendung des Steuersatzes von 25 % sei nicht ausgeschlossen, denn es bestehe kein Näheverhältnis zwischen dem Kläger und dessen Vater i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG.
6
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es mit der Verletzung materiellen Bundesrechts begründet.
7
Das FA beantragt sinngemäß,das angefochtene Urteil des FG vom 22.10.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Der Kläger beantragt sinngemäß,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.


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