Strafrecht

1 Ws 235/21

Aktenzeichen  1 Ws 235/21

Datum:
11.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt 1. Strafsenat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OLGNAUM:2022:0211.1WS235.21.00
Normen:
§ 411 Abs 3 S 1 StPO
§ 71 Abs 1 OWiG
Spruchkörper:
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Leitsatz

Die Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich. Später kann eine Zurücknahme auch dann noch wirksam erklärt werden, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz in Gänze aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird; nicht jedoch, wenn die Aufhebung des Urteils in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur den Rechtsfolgenausspruch erfasst. In diesem Fall muss das Amtsgericht erneut entscheiden.

Verfahrensgang

vorgehend AG Schönebeck, 15. November 2021, 66 OWi 373/21

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Schönebeck vom 15. November 2021 unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsbeschwerde im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufgehoben und zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Schönebeck zurückverwiesen.

Gründe

I.
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Betroffene wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage zu einer (erhöhten) Geldbuße von 480,00 Euro verurteilt. Von der Auferlegung eines einmonatigen Regelfahrverbots sah der Tatrichter in der Annahme eines Härtefalls ab.
Gegen das ihr am 23. November 2021 zugestellte Urteil hat die Staatsanwaltschaft unter dem 26. November 2021 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. November 2021 näher begründet, wobei sie ausschließlich die Nichtverhängung eines Fahrverbotes gerügt hat, ohne die Rechtsbeschwerde weitergehend zu beschränken. Sie strebt die Verhängung eines Fahrverbotes gegen den Betroffenen an und hält die Feststellungen für die Annahme eines Härtefalls für unzureichend.
Der Verteidiger des Betroffenen konnte auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft, die der Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft ergänzend beigetreten ist, Stellung nehmen. Er hat mit Schriftsatz vom 10. Januar 2022, bei dem Oberlandesgericht Naumburg am selben Tage eingegangen, den Einspruch vom 14. August 2021 gegen den Bußgeldbescheid vom 02. August 2021 zurückgenommen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch und in der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schönebeck. Im Übrigen ist die unbeschränkt erhobene Rechtsbeschwerde jedoch unbegründet.
1. Die vom Betroffenen erklärte Zurücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid hindert den weiteren Fortgang des Verfahrens nicht; sie ist jedenfalls im Verfahren über die Rechtsbeschwerde unzulässig.
Die Zurücknahme des Einspruchs ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich (§ 411 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG; vgl. Göhler OWiG 18. Aufl. § 71 Rn 6; KK OWiG/Ellbogen, 5. Aufl., § 67 Rn 100). Zwar kann die Zurücknahme auch dann noch rechtswirksam erklärt werden, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird. Voraussetzung hierfür ist aber, dass das Urteil in vollem Umfang aufgehoben wird und die Aufhebung nicht nur – wie hier – die Rechtsfolgenentscheidung erfasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Juli 1996, 2 ObOWi 513/96; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Oktober 1976, 2 Ss OWi 797/76 – beide zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 27. Februar 1987, Ss 744/86, NStZ 1987, 372; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. März 2009, 1 SsBs 9/09, NStZ 2010, 459; Göhler, a. a. O., § 71 Rn 6a a. E.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 411 Rn 9, § 302 Rn 6) möglich ist. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO, der gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren gilt. Wird nämlich im Rechtsbeschwerdeverfahren das amtsgerichtliche Urteil nicht in vollem Umfang aufgehoben, sondern im Schuldspruch bestätigt, so liegt weiterhin ein Urteil des ersten Rechtszuges vor (vgl. BayObLG, a. a. O.).
Soweit gemäß § 67 Abs. 2 OWiG in der seit dem 01. März 1998 geltenden Fassung (Gesetz vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 156) nunmehr auch eine Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch möglich ist (vgl. nur Göhler, a. a. O., § 67 Rn 34e) und sich die Rücknahme nach Eintritt der Rechtskraft des Schuldspruchs des erstinstanzlichen Urteils nur auf einen Teil des Bußgeldbescheides, nämlich den in ihm enthaltenen Rechtsfolgenausspruch beziehen würde, entspräche dies zwar dem Grundsatz, dass die Teilrücknahme eines Rechtsmittels/Rechtsbehelfs nur in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig ist wie die von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGH, Urteil vom 05. November 1984, AnwSt (R) 11/84, BGHSt 33, 59; BayObLG, a. a. O., m. w. N.). Allerdings würde die Zulassung einer sich nur auf den Rechtsfolgenausspruch auswirkenden Teilrücknahme des Einspruchs zu einer systemwidrigen Verquickung von Bußgeldbescheid und Urteil führen, indem sich der Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen aus einem gerichtlichen Urteil ergeben, während die Rechtsfolgenentscheidung, die auf dem Schuldspruch aufbaut, in einer bereits vor Erlass des Urteils ergangenen Entscheidung der Verwaltungsbehörde enthalten wäre; damit würde die vom Gesetz verlangte Einheit von Schuldspruch und Rechtsfolgenentscheidung zerstört (vgl. OLG Hamm; BayObLG jeweils a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 24. Juni 2015, 5 Ws 78/15 – zitiert nach juris).
2. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Schönebeck im Rechtsfolgenausspruch. Der Tatrichter hat die Voraussetzungen verkannt, unter denen ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots in Betracht kommen kann. Das festzustellen, ist zwar grundsätzlich seine Sache. Die tatsächlichen Feststellungen tragen die Absehensentscheidung jedoch nicht.
Eine besondere, über das gewöhnliche Maß hinausreichende Härte, die auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV isoliert tragen kann, stellt das Fahrverbot für den Betroffenen nur dar, wenn er dessen nachteilige Folgen für die berufliche Tätigkeit nicht unschwer abmildern oder gar gänzlich ausräumen kann (u.a. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Februar 2019, Az. 1 OWi 2 Ss Bs 84/18, Rn. 9 – zitiert nach juris).
Allgemeine berufliche oder wirtschaftliche Nachteile können eine besondere Härte in der Regel nicht begründen. Es liegt auf der Hand, dass mit einem Fahrverbot Nachteile dieser Art für Betroffene verbunden sind. Das hat der Gesetzgeber gesehen und sogar bezweckt. Diese sind daher in Kauf zu nehmen. Aus den in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen lassen sich Anhaltspunkte nicht dafür finden, dass durch das Fahrverbot eine Existenzvernichtung des Betroffenen ernsthaft droht. Ob es zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen kommt und um welche es sich hierbei handelt kann, ist nicht ersichtlich. Zwar soll dem Betroffenen eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Verhängung eines Fahrverbotes drohen. Eine konkrete Darlegung der Umstände und eine stichhaltige Begründung für eine solche Behauptung fehlen jedoch. Auch allein der Umstand, dass der Betroffene an verschiedenen Orten tätig wird und er hierfür vom Arbeitgeber ein Wohnmobil erhält, genügt für die Annahme einer unzumutbaren Härte nicht. Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ist bereits nicht ersichtlich, aus welchen Gründen etwa Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Übernachtungen in einem Hotel oder einer Pension nicht möglich sein sollen. Auch verhält sich das Urteil nicht dazu, in welchem Umfang überhaupt Fahrten zu den von dem Betroffenen zu betreuenden Standorten anfallen, jedenfalls teilt das Urteil die Einsatzorte im Einzelnen nicht mit. Auch eine Kombination aus Urlaub und Einschaltung Dritter, die als Fahrer für den Betroffenen handeln könnten, wurde nicht erwogen oder geprüft. Unbequemlichkeiten oder Mehrkosten (z.B. durch Nutzung Öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Taxis oder die Inanspruchnahme von Fahrdiensten von Privatpersonen) sind jedenfalls hinzunehmen. Darüber hinaus teilt das Amtsgericht auch nicht den Beginn des Arbeitsverhältnisses mit, so dass nicht überprüfbar ist, ob dem Betroffenen bei Vertragsschluss das drohende Fahrverbot bereits bewusst war.
Das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots kann danach keinen Bestand haben.
3. Zu einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat derzeit nicht in der Lage. Das Amtsgericht wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben, nachdem sich auf der Grundlage einer erneuten Beweisaufnahme die Pflicht zur Kostentragung endgültig klärt.


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