Strafrecht

2 WD 16/20

Aktenzeichen  2 WD 16/20

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:040521U2WD16.20.0
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat

Leitsatz

Ein unerlaubtes Fernbleiben eines Soldaten vom Dienst an fünf teilweise zusammenhängenden Tagen ist im Regelfall mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden.

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 13. Februar 2020, Az: S 3 VL 41/16, Urteil

Tenor

Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 13. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Tatbestand

1
Das disziplinargerichtliche Berufungsverfahren betrifft Vorwürfe des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst, des Erwerbs, Besitzes und Konsums von Drogen sowie des Fahrens dienstlicher und privater Fahrzeuge ohne Fahrerlaubnis.
2
1. Der 1986 geborene frühere Soldat wurde 2010 Zeitsoldat und zuletzt 2013 zum Oberstabsgefreiten befördert. Er gehörte der … an, wo er zum Materialbewirtschaftungssoldaten ausgebildet und als Kraftfahrer und Truppführer des Fahrzeugtrupps im Materialzug eingesetzt wurde. 2011 wurden ihm eine Leistungsprämie und die Schützenschnur Stufe III (Gold) verliehen. Für zwei Auslandseinsätze in Afghanistan erhielt er 2012 und 2014 Einsatzmedaillen der Bundeswehr und der NATO. Mit Verfügung vom 28. Januar 2016 wurden ihm die Dienstausübung und das Uniformtragen untersagt. Beide Verbote wurden mit Verfügung vom 27. März 2017 aufgehoben. Seine Dienstzeit endete mit Ablauf des 30. September 2017. Er bezog bis Mitte Juni 2019 Übergangsgebührnisse. Eine Übergangsbeihilfe von 14 938,38 € wurde einbehalten.
3
2. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 1. Juli 2015 verhängte das Amtsgericht … gegen den früheren Soldaten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts … vom 22. März 2016 wurde er wegen 16 Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der vorgenannten Strafe zu einer viermonatigen Gesamtfreiheitsstrafe auf Bewährung und wegen zwei Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer weiteren viermonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts … vom 4. September 2017 wurde gegen ihn wegen erneuten vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine dreimonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung verhängt. Am 6. April 2017 erging gegen ihn wegen des wiederholten unerlaubten Fernbleibens vom Dienst eine Disziplinarbuße von 600 €.
4
3. In dem im Februar 2016 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 26. August 2016 zur Last gelegt:
“1. Der Soldat konsumierte am 14. Dezember 2013 an einem nicht näher bestimmbaren Ort Betäubungsmittel des Wirkstoffs Amphetamin/Methamphetamin (Ecstasy), obwohl er aufgrund der Belehrung vom 1. Oktober 2008 wusste, zumindest aber hätte wissen müssen und können, dass der Konsum von Betäubungsmitteln für Soldaten nach der Zentralen Dienstvorschrift 10/5, Nummer 404, Absatz 4, nunmehr überführt in Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2, Ziffer 5.1.1, Nummer 503 in und außerhalb des Dienstes verboten ist.
2. Der Soldat war am 14. Dezember 2013 auf der BAB … und der Anschlussstelle … in Richtung München in …, um 21:40 Uhr, im Besitz zweier Tabletten des Wirkstoffs Amphetamin/Methamphetamin (Ecstasy), obwohl er aufgrund der Belehrung vom 1. Oktober 2008 wusste, zumindest aber hätte wissen müssen und können, dass der Besitz von Betäubungsmitteln für Soldaten nach der Zentralen Dienstvorschrift 10/5, Nummer 404, Absatz 4, nunmehr überführt in Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2, Ziffer 5.1.1, Nummer 503 in und außerhalb des Dienstes verboten ist.
3. Der Soldat gab seine Dienstfahrerlaubnis nicht zurück und meldete seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten nicht, dass ihm durch die Fahrerlaubnisbehörde …, mit dem seit dem 3. September 2014 bestandskräftigen Bescheid, Aktenzeichen …, ihm zugestellt am 2. August 2014, die zivile Fahrerlaubnis entzogen wurde, obwohl er aufgrund der Belehrung vom 1. Oktober 2008 wusste, zumindest aber hätte wissen müssen und können, dass dies gemäß Zentralerlass B-1050/3, Nummer 505, 6. Variante, (nunmehr Zentrale Dienstvorschrift A-1050/11, Ziffer 2.5, Nummer 217, 6. Variante) ein meldepflichtiges Ereignis darstellt.
4. Der Soldat befuhr am Sonntag, den 16. November 2014 gegen 18.29 Uhr, mit dem LKW (Abschleppfahrzeug) der Firma …, mit dem amtlichen Kennzeichen …, die Bundesautobahn …, obwohl er aufgrund des Bescheids der Fahrerlaubnisbehörde …, bestandskräftig seit dem 3. September 2014, Aktenzeichen … wusste, zumindest hätte wissen müssen und können, dass er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war.
5. […]
6. Der Soldat erwarb an einem nicht näher bestimmbaren Tag vor oder am 2. August 2015 von einem unbekannt gebliebenen Verkäufer mindestens 1 Gramm Amphetamin und führte am 2. August 2015 um 02:25 Uhr am Haupteingang des Geländes der ehemaligen …basis …, im Rahmen der Techno-Veranstaltung ‘…’, 0,4 Gramm Amphetamin in seiner Geldbörse mit, obwohl er aufgrund der Belehrung vom 1. Oktober 2008 wusste, zumindest aber hätte wissen müssen und können, dass der Besitz von Betäubungsmitteln für Soldaten nach Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2, Ziffer 5.1.1, Nummer 503 in und außerhalb des Dienstes verboten ist.
7. Der Soldat konsumierte zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt am 2. August 2015 an einem nicht mehr feststellbaren Ort in …, im Rahmen der Techno-Veranstaltung ‘…’ mindestens 0,6 Gramm Amphetamin, obwohl er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass der Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln für Soldaten nach Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2, Ziffer 5.1.1, Nummer 503 in und außerhalb des Dienstes verboten ist.”
5
In einer ersten Nachtragsanschuldigungsschrift vom 20. September 2016 wurde der Anschuldigungspunkt 5 wie folgt neu gefasst:
“Der Soldat fuhr im Zeitraum 3. September 2014 bis 15. September 2015 ohne im Besitz der hierfür erforderlichen zivilen Fahrerlaubnis und gültigen Dienstfahrerlaubnis zu sein, obwohl er aufgrund des Bescheids der Fahrerlaubnisbehörde …, bestandskräftig seit dem 3. September 2014, Aktenzeichen … wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass er nicht mehr im Besitz der hierfür erforderlichen zivilen Fahrerlaubnis war und der Entzug seiner zivilen Fahrerlaubnis gemäß Zentralerlass B-1050/2, Ziffer 4.3.2, Nummer 409, 1. Variante, nunmehr überführt in Zentralrichtlinie A 2-1050/10-0-20 Ziffer 8.2.4, Nummer 810, 1. Variante, auch unmittelbar zum Erlöschen seiner Dienstfahrerlaubnis führt,
a) in den im Ermittlungsergebnis unter II., Anschuldigungspunkt Nr. 5 a) näher bestimmten 18 Fällen mit den dort näher bestimmten fahrerlaubnispflichtigen Bundeswehrkraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr auf den unter vorbenanntem Ermittlungsergebnis II., Anschuldigungspunkt Nr. 5 a) näher bezeichneten Strecken,
b) in den im Ermittlungsergebnis unter II., Anschuldigungspunkt Nr. 5 b) näher bestimmten 95 Fällen mit den dort näher bestimmten fahrerlaubnispflichtigen Bundeswehrkraftfahrzeugen sowohl im Standortbereich … als auch im öffentlichen Straßenverkehr auf den unter vorbenanntem Ermittlungsergebnis II., Anschuldigungspunkt Nr. 5 b) näher bezeichneten Strecken.
Der Soldat legte hierbei eine Gesamtstrecke von 6.439 Kilometer mit Bundeswehrkraftfahrzeugen zurück.”
6
Mit einer zweiten Nachtragsanschuldigungsschrift vom 26. Juni 2019 wurde dem früheren Soldaten ergänzend zur Last gelegt:
“1. Der frühere Soldat fuhr am 11. Januar 2017 gegen 14:40 Uhr mit dem Pkw…, auf der …, Ortsteil …, bis zu seiner Wohnanschrift, …, obwohl er aufgrund des Bescheids der Fahrerlaubnisbehörde …, bestandskräftig seit dem 3. September 2014, Aktenzeichen …, wusste, zumindest hätte wissen müssen und können, dass er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war.
2. Der frühere Soldat erschien am 5. Juli 2017 nicht, wie durch den ihm bekannten Dienstplan seines damaligen Kompaniechefs in Vertretung, Hauptmann S…, für den Zeitraum vom 3. Juli 2017 bis 9. Juli 2017 befohlen, um 7:00 Uhr zum Dienst in seiner Einheit, …, sondern blieb dieser bis zu seiner eigenständigen Rückkehr am 6. Juli 2017 um 7:00 Uhr unerlaubt fern.
3. Der frühere Soldat erschien am 10. Juli 2017 nicht, wie durch den ihm bekannten Dienstplan seines damaligen Kompaniechefs, Hauptmann (nunmehr Major) …, für den Zeitraum vom 10. Juli 2017 bis 16. Juli 2017 befohlen, um 7:00 Uhr zum Dienst in seiner Einheit, …, sondern blieb dieser bis einschließlich 11. Juli 2017 unerlaubt fern.
4. Der frühere Soldat erschien am 19. Juli 2017 nicht, wie durch den ihm bekannten Dienstplan seines damaligen Kompaniechefs, Hauptmann (nunmehr Major) …, für den Zeitraum vom 17. Juli 2017 bis zum 23. Juli 2017 befohlen, um 7:00 Uhr zum Dienst in seiner Einheit, …, sondern blieb dieser bis zu seiner eigenständigen Rückkehr am 21. Juli 2017 gegen 9:20 Uhr unerlaubt fern.
5. Der frühere Soldat konsumierte zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum zwischen dem 21. August 2017 und dem 27. August 2017 an einem nicht näher bestimmbaren Ort, jedenfalls aber außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen Marihuana in einer nicht mehr genau feststellbaren Menge, jedenfalls aber mindestens einen Joint pro Tag, obwohl der frühere Soldat aufgrund der Belehrung vom 1. Oktober 2008 wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass ihm der Konsum von Betäubungsmitteln nach der Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2 ‘Leben in der militärischen Gemeinschaft’, Ziffer 172 verboten ist.”
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4. Das Truppendienstgericht hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom 13. Februar 2020 das Ruhegehalt aberkannt. Es hat hinsichtlich des Vorwurfs 5 in der Fassung der ersten Nachtragsanschuldigungsschrift 13 Fahrten ausgeklammert. Alle weiteren Vorwürfe hat es als erwiesen angesehen, wobei es ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst nur am 5., 10., 11., 19. und 20. Juli 2017, nicht hingegen am 21. Juli 2017, angenommen hat. Der frühere Soldat habe mit dem erwiesenen Verhalten – ganz überwiegend vorsätzlich und teilweise fahrlässig – seine Pflichten zum treuen Dienen und zum inner- bzw. außerdienstlichen Wohlverhalten verletzt. Das Dienstvergehen wiege außerordentlich schwer und sei mit der Höchstmaßnahme zu ahnden.
8
5. Der frühere Soldat macht mit seiner unbeschränkten Berufung geltend, er sei vom Vorwurf 5 in der Fassung der ersten Nachtragsanschuldigungsschrift auch insoweit freizustellen, als er Fahrten mit der selbstfahrenden Arbeitsmaschine der Firma “Ahlmann” durchgeführt habe, da es dazu keiner Fahrerlaubnis bedurft habe. Zu berücksichtigen sei ferner, dass er mit den Dienstfahrzeugen keinen Unfall verursacht habe. Soweit ihm vorgeworfen werde, unerlaubt dem Dienst ferngeblieben zu sein, sei er an zahlreichen Tagen dienstunfähig krank gewesen. Mit seiner Drogenproblematik sei er vom Dienstherrn allein gelassen worden.
9
6. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.


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