Strafrecht

5 StR 125/22

Aktenzeichen  5 StR 125/22

Datum:
11.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:110522B5STR125.22.0
Normen:
§ 20 StGB
§ 63 StGB
Spruchkörper:
5. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Dresden, 17. Dezember 2021, Az: 16 KLs 386 Js 23299/21

Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 17. Dezember 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer versetzte der Beschuldigte am 6. April 2021 mit einem Taschenmesser dem Geschädigten G.     in einem Übergangswohnheim einen potentiell lebensgefährlichen Schnitt am Hals, der genäht werden musste. Er glaubte, seinen Spitznamen „M.    A.    B.   “ gehört zu haben, und fühlte sich durch die vermeintliche Ansprache bedroht.
3
Nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, dem die Strafkammer gefolgt ist, war beim Beschuldigten bei Tatbegehung aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „die Steuerungsfähigkeit mindestens erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 21 StGB und seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben im Sinne des § 20 StGB“. Der Beschuldigte habe im Tatzeitpunkt unter dem Einfluss folgender psychischer Erkrankungen gehandelt, die allesamt als krankhafte seelische Störung einzuordnen seien: Polytoxikomanie (Cannabis, Amphetamin, Kokain, Pilze, Nikotin), psychotische Störung (drogeninduzierte Psychose), Paranoide Schizophrenie, Residualzustand bei kombiniertem Substanzgebrauch (Persönlichkeitsdepravation, Wesensveränderung), Psychische Verhaltensstörung durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom, Entwicklungsstörung schulischer Fähigkeiten (leichte Intelligenzminderung).
4
In den Urteilsgründen heißt es unter anderem: „Dieses Krankheitsbild habe tat- und tatzeitbezogen zu einer mindestens schwer beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit und einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit geführt. Der teilweise psychotische Beschuldigte habe vor der Tat offensichtlich Stimmen gehört und auf dieser falschen ‚Tatsachengrundlage‘ gehandelt. Angesichts des Krankheitsbildes müsse man davon ausgehen, dass bei ihm die freie Willensbildung im Tatzeitpunkt aufgehoben gewesen sei. (…) Der Sachverständige hat tatsituativ und aktuell eine chronifizierte psychotische Störung (drogeninduzierte Psychose gemäß ICD-10-GM 2021: F 19.5) sowie eine ausgeprägte Wesens- und Persönlichkeitsänderung (sogenannter ‚Residualzustand‘ infolge Polytoxikomanie, gemäß ICD-10-GM 2021: F 19.7) diagnostiziert, die jeweils allein und im Zusammenwirken die vom Gesetzgeber geforderten Kriterien einer krankhaften seelischen Störung erfüllen, wobei die überdauernden paranoid-halluzinatorischen, kognitiv-mnestischen und affektiven Störungen, vor allem auch der Impulskontrolle, eine tatsituativ nahezu aufgehobene Kritik- und Urteilsfähigkeit und Fähigkeit zur freien Willensbildung begründen, was mindestens die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bedeute. Darüber hinaus sei eine psychotisch bedingte Aufhebung der Einsichtsfähigkeit aufgrund der im Rahmen der Beweisaufnahme nachgewiesenen akuten Einflüsse einer paranoid-halluzinatorischen Symptomatik gegeben.“ Wegen dieses Krankheitsbildes bestehe eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Beschuldigte in Zukunft weitere gleichgelagerte rechtswidrige Taten begehe.
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2. Diese Ausführungen ermöglichen dem Revisionsgericht keine ausreichende Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB zutreffend angenommen worden sind.
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a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Dabei muss es sich um einen länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekt handeln, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 15. März 2022 – 4 StR 60/22 mwN). Schließt sich das Gericht bei Beurteilung der Schuldfähigkeit – wie hier – den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen dessen wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 4 StR 300/20 mwN). Die Urteilsgründe müssen zudem die notwendige Differenzierung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und eine eindeutige Bewertung des psychischen Zustands der Beschuldigten erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 2 StR 533/19, StV 2021, 239 mwN).
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b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Strafkammer nicht gerecht.
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aa) Zum einen fehlt es an einer nachvollziehbaren eindeutigen Bewertung eines überdauernden Krankheitszustandes des Beschuldigten. Die Aufzählung mehrerer Diagnosen, die jeweils das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung belegt und sich bei Tatbegehung ausgewirkt haben sollen, deren Bedeutung für die Schuldfähigkeit aber offensichtlich unterschiedlich relevant ist (etwa „Entwicklungsstörung schulischer Fähigkeiten“), erfüllt diese Voraussetzungen nicht. An späterer Stelle des Urteils wird bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit zudem nicht auf den eingangs genannten Kanon von Krankheitsbildern, sondern lediglich auf einige wenige davon abgestellt, ohne dass klar wird, worauf dieser Unterschied beruht.
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bb) Die dem Gutachten zugrundeliegenden Anknüpfungspunkte werden im Urteil nicht genannt. Die bloße Wiedergabe von Diagnosen reicht jedoch regelmäßig nicht aus, um dem Revisionsgericht die Überprüfung eines Unterbringungsurteils auf Rechtsfehler zu ermöglichen. Vielmehr sind hierfür auch die Anknüpfungs- und Befundtatsachen mitzuteilen.
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cc) Hinzu kommt, dass das Landgericht bei den Auswirkungen der beschriebenen Krankheitsbilder nicht ausreichend zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit differenziert hat, sondern von einer Aufhebung der Einsichtsfähigkeit bei gleichzeitig erheblicher Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist. Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist jedoch grundsätzlich erst dann zu prüfen, wenn der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 – 5 StR 449/18, NStZ 2019, 78 mwN).
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3. Die Sache bedarf deshalb – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Cirener   
      
RiBGH Gericke istim Urlaub und kannnicht unterschreiben.
      
   Mosbacher
      
      
Cirener.
      
      
      
Resch   
      
   Werner
      


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