Strafrecht

5 StR 14/21

Aktenzeichen  5 StR 14/21

Datum:
13.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:130421B5STR14.21.0
Normen:
§ 206a StPO
§ 260 Abs 1 StPO
§ 260 Abs 3 StPO
§ 78c Abs 1 Nr 10 StGB
§ 211 StGB
Spruchkörper:
5. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Chemnitz, 12. August 2020, Az: 1 Ks 210 Js 26130/95

Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12. August 2020 wird verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbenannte Urteil aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden, auch soweit sie durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursacht worden sind, der Staatskasse auferlegt.
4. Der Angeklagte ist für die am 13. August 2020 vollzogene Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die auf eine Verurteilung wegen Mordes abzielende und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg, während die Revision des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch führt.
2
1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet erfolglos die der Ablehnung von Mordmerkmalen zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts. Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten zeigt sie mit ihrer Revision nicht auf. Dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend ist das Rechtsmittel deshalb als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
3
2. Die Revision des Angeklagten hat dagegen Erfolg.
4
a) Wie das Landgericht in den Urteilsgründen selbst festgestellt hat, ist hinsichtlich der abgeurteilten Totschlagstaten Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist hierfür beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB 20 Jahre. Die Verjährung begann mit Tatbeendigung am 30. Juli 1995. Durch Erlass des Haftbefehls vom 11. August 1995 und eines Durchsuchungsbeschlusses am 14. September 1995 wurde die Verjährung zwar unterbrochen. Seitdem wurden aber bis September 2019 (Kenntnis vom Aufenthalt des bis dahin in Tschechien unter Alias-Personalien lebenden Angeklagten) keine weiteren verjährungsunterbrechenden Maßnahmen mehr getroffen. Weder die lediglich von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Einstellung des Verfahrens entsprechend § 205 StPO noch verschiedene Anordnungen zur Verlängerung der Ausschreibung zur Festnahme konnten die Verjährung unterbrechen, weil § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB die – hier nicht erfolgte – Erhebung der öffentlichen Klage voraussetzt und deshalb nur gerichtliche Einstellungen erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1995 – 3 StR 436/95, NStZ-RR 1996, 163). Mangels vorheriger Vernehmung oder Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens konnten auch verschiedene Sachverständigenbeauftragungen durch die Staatsanwaltschaft die Verjährung nicht nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB unterbrechen.
5
b) Rechtsfolge ist in dieser Konstellation nicht die Einstellung des Verfahrens wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses, sondern der Freispruch des Angeklagten, weil der angeklagte schwerer wiegende Tatvorwurf des (unverjährten) Mordes nicht erweislich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2013 – 5 StR 144/13, und vom 29. Januar 2013 – 2 StR 510/12; Urteil vom 16. Februar 2005 – 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 30). Diesen Freispruch nimmt der Senat nach § 354 Abs. 1 StPO selbst vor.
6
3. Dem Senat obliegt in dieser Konstellation nach § 8 StrEG auch die Entscheidung über Entschädigungsleistungen, weil er die verfahrensbeendende Entscheidung trifft und keine weiteren Feststellungen hierzu mehr erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 – 3 StR 378/07, StraFo 2008, 266; vom 26. Mai 2015 – 3 StR 437/12, StraFo 2015, 438, 439). Die Verfahrensbeteiligten sind durch den insoweit ausführlich begründeten Antrag des Generalbundesanwalts nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 3 StR 453/16) angehört worden, dem die Entscheidung des Senats entspricht.
7
Entschädigung ist gemäß § 2 Abs. 1 StrEG nur für den letzten Tag der Untersuchungshaft zu gewähren. Im Übrigen ist eine Entschädigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahmen durch die rechtsfehlerfrei festgestellte rechtswidrige und schuldhafte Tötung zweier Menschen sowie seine anschließende Flucht nach Tschechien vorsätzlich bzw. grob fahrlässig selbst verursacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1979 – 3 StR 396/79, BGHSt 29, 168, 171; vom 1. September 1998 – 4 StR 434/98, BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Fahrlässigkeit, grobe 6). Insoweit ist nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung, sondern darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt den Ermittlungsbehörden bzw. Gerichten im Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme dargestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 1983 – 1 StR 823/82, bei Holtz MDR 1983, 450; KG, Beschluss vom 11. Januar 2012 – 2 Ws 351/11, NStZ-RR 2013, 192 [LS]). Nach der im Urteil dargestellten Auffindesituation der beiden Leichen und den übrigen Umständen des Falls sind Staatsanwaltschaft und Gericht zunächst rechtsfehlerfrei vom dringenden Tatverdacht des Mordes in zwei Fällen ausgegangen, bis sich erst am Ende der Hauptverhandlung herausgestellt hat, dass Mordmerkmale aus Sicht der Schwurgerichtskammer nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können.
8
Etwas anderes gilt nur für den letzten Tag der bis zum 13. August 2020 dauernden Untersuchungshaft. Nachdem das Landgericht in der abschließenden Beratung keine Mordmerkmale feststellen konnte, hätte es den Angeklagten am 12. August 2020 freisprechen und den Untersuchungshaftbefehl sogleich aufheben anstatt aufrechterhalten müssen. Diese – bei sorgfältiger Prüfung zu diesem Zeitpunkt ohne weiteres erkennbare – rechtsfehlerhafte Sachbehandlung hat zur Folge, dass für diesen einen Tag Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 3 StR 453/16, NStZ-RR 2017, 264). Eine Versagung der Entschädigung nach dem insoweit nachrangigen § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG kommt in dieser Konstellation nicht in Betracht (vgl. BGH, aaO).
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