Strafrecht

6 StR 11/22

Aktenzeichen  6 StR 11/22

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:080222B6STR11.22.0
Normen:
§ 64 StGB
Spruchkörper:
6. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Würzburg, 11. Oktober 2021, Az: 8 KLs 822 Js 568/21

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 11. Oktober 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wir die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Schuld- und Strafausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom      24. Januar 2022). Jedoch begegnet die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen leidet der wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorgeahndete Angeklagte unter der psychischen Erkrankung Trichotillomanie. Im Rahmen der bis September 2013 vollstreckten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde er diesbezüglich mit dem Medikament „Lyrica“ behandelt. Dieses setzte er nach seiner Entlassung ab und konsumierte, um seine Impulskontrolle zu steuern, stattdessen Cannabis, zuletzt täglich vier bis sechs Konsumeinheiten.
4
b) Das Landgericht hat von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen, weil keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB vorlägen. Der durch eine Haaranalyse belegte regelmäßige Cannabiskonsum sei nicht aus Suchtdruck erfolgt, sondern um die Symptome der psychischen Erkrankung zu heilen; der Konsum von Kokain sei nur sehr sporadisch.
5
c) Diese knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat. Für einen Hang genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder berauschende Mittel zu sich zu nehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 2011 – 2 StR 543/11; vom 19. Oktober 2021 – 1 StR 327/21). Dabei schließt der Konsum eines Betäubungsmittels zum Zweck der „Selbstmedikation“ physischer oder psychischer Leiden die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 2011 – 2 StR 543/11 Rn. 5; vom 28. Juni 2016 – 1 StR 613/15 Rn. 29). Vielmehr kann gerade für das Bestehen eines solchen sprechen, dass der Betroffene die Notwendigkeit einer professionellen Behandlung der psychischen Grunderkrankung offenbar nicht verinnerlicht hat (MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl. 2020, § 64 Rn. 29). Das Landgericht hätte sich hiermit und zudem näher mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte bereits mehrfach Betäubungsmitteldelikte begangen hat.
6
d) Nach den Feststellungen sind auch die weiteren Voraussetzungen der Maßregel nicht von vornherein zu verneinen. Das neue Tatgericht wird sich allerdings – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – für die Beurteilung der Erfolgsaussicht mit Verlauf und etwaigen Ergebnissen der ersten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auseinanderzusetzen haben.
7
2. Da der Senat ausschließen kann, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung gemäß § 64 StGB eine niedrigere Strafe verhängt hätte, kann der Strafausspruch bestehen bleiben.
3. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 7. Februar 2022 hat bei der Beratung vorgelegen.
Sander     
      
König     
      
Tiemann
      
Fritsche     
      
von Schmettau     
      


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