Strafrecht

Aberkennung des Rechts, von einer EU-Fahrerlaubnis im Inland, Gebrauch zu machen, wegen mangelnder Trennungsfähigkeit, gewohnheitsmäßiger Cannabiskonsum, eingeräumter Kokainkonsum, keine Wiedererlangung der Fahreignung durch nicht nachgewiesenen, Drogenverzicht

Aktenzeichen  11 CS 21.701

Datum:
3.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10959
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1 und 2
FeV § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
FeV Nr. 9.1, 9.2.1, 9.2.2 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 7 S 20.2685 2021-02-11 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Aberkennung des Rechts, von der ihm am 14. Oktober 2002 in Italien erteilten Fahrerlaubnis der Klasse B im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.
Im Januar 2020 wurde dem Landratsamt Augsburg bekannt, dass die Polizei bei einer Verkehrskontrolle am 11. Dezember 2019 um 23:00 Uhr beim Antragsteller starken Marihuanageruch wahrgenommen und er auf Nachfrage einen Joint ausgehändigt sowie angegeben hatte, vor zwei Tagen einen halben Joint konsumiert zu haben. Die am 12. Dezember 2019 um 00:19 Uhr entnommene Blutprobe enthielt nach dem rechtsmedizinischen Gutachten der Forensisch-Toxikologisches Centrum GmbH vom 18. Dezember 2019 10,1 ng/ml THC, 4,9 ng/ml HO-THC und 45,3 ng/ml THC-COOH. Die Konzentrationen sprächen für eine akute Wirkung zum Zeitpunkt der Blutabnahme. Nach dem Polizeibericht habe der Antragsteller eingeräumt, ein Bier, einen Joint und 500 mg Paracetamol konsumiert zu haben; nach dem ärztlichen Bericht seien es ein bis zwei Joints gewesen.
Mit rechtskräftigem Bescheid vom 20. Februar 2020 verhängte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt ein einmonatiges Fahrverbot wegen eines Verstoßes gegen § 24a StVG gegen den Antragsteller.
Mit Schreiben vom 2. März 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis 2. Mai 2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung beizubringen.
Im Rahmen der Anhörung zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis trug der Antragsteller mit Schreiben vom 27. Mai 2020 vor, er habe sich an dem besagten Abend mit einem Freund aus Italien getroffen, der ihm zum ersten und einzigen Mal Marihuana zum Rauchen angeboten habe. Auf dem Heimweg sei er in eine allgemeine Verkehrskontrolle geraten. Falls der Antragsgegner an seiner Beibringungsaufforderung festhalte, solle die Begutachtung durch den TÜV SÜD Life Service Augsburg erfolgen.
Daraufhin übersandte das Landratsamt die Akten an die Begutachtungsstelle und verlängerte die Beibringungsfrist bis 30. September 2020.
Mitte Oktober 2020 legte der Antragsteller ein am 24. September 2020 an ihn übersandtes Fahreignungsgutachten vor, wonach er gewohnheitsmäßig, phasenweise regelmäßig Cannabis konsumiert habe und eine ausgeprägte Drogengefährdung vorliege. Es könne nicht von der Fähigkeit zur Trennung von Konsum und Verkehrsteilnahme ausgegangen werden. In den ärztlichen und psychologischen Untersuchungsgesprächen, die mittels einer Dolmetscherin geführt wurden, hatte der Antragsteller angegeben, nach dem Erstkonsum im Jahr 2003 maximal viermal pro Woche (bis zu 3 g), zuletzt im Mai/Juni 2020 Cannabis genommen zu haben. Es sei auch mal vorgekommen, dass er täglich konsumiert habe. Kokain habe er dreimal probiert, zuletzt letztes Jahr. Das habe ihm nicht gefallen. Vielleicht habe er mal ein Bier dazu getrunken. Er habe die beiden Drogen auch kombiniert konsumiert, ansonsten keine.
Mit Bescheid vom 3. November 2020 erkannte das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis ab und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein zur Anbringung eines Sperrvermerks unverzüglich bzw. innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Weiter wurde die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen angeordnet.
Am 16. November 2020 legte der Antragsteller gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Am 28. November 2020 stellte die Polizei den Führerschein wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes und Fahrens ohne Fahrerlaubnis sicher.
Am 11. Dezember 2020 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen und den polizeilich beschlagnahmten Führerschein unverzüglich an den Antragsteller zurückzugeben. Beigefügt waren eine Bescheinigung seines gegenwärtigen Arbeitgebers, wonach er beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei, sowie ein Zeugnis seines vormaligen Arbeitgebers, das seine guten Leistungen und Einsatzbereitschaft hervorhob.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom 11. Februar 2021 als unbegründet ab. Der Antrag sei dahin auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids begehre. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Der Widerspruch habe keine Aussicht auf Erfolg. Einem Fahrerlaubnisinhaber, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise, sei die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis habe die Entziehung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 46 Abs. 5 FeV die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Nachdem das medizinisch-psychologische Gutachten vorgelegt worden sei, komme es nicht darauf an, ob es zu Recht angeordnet worden sei. Dies sei hier allerdings der Fall. Das vorgelegte TÜV-Gutachten spreche dem Antragsteller die Trennungsfähigkeit ab. Daraus folge, dass ihm die Fahreignung fehle. Der Einwand, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, gehe ins Leere, da die Begutachtung unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erfolgt sei. Entgegen seiner Auffassung werde mit dem negativen polytoxikologischen Drogenscreening und der gutachterlichen Feststellung, ein derzeitiger Drogenkonsum sei nicht nachweisbar, nur ein aktueller Konsum ausgeschlossen, aber kein Drogenverzicht nachgewiesen. Die körperliche Untersuchung habe keine von der Norm abweichenden Befunde ergeben. Die Überprüfung der Leistungsmöglichkeiten habe ebenfalls keine verkehrsbedeutsamen Beeinträchtigungen erbracht. Es sei von einer Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik im Sinne der Hypothese D 3 der Beurteilungskriterien für die Fahreignungsbegutachtung auszugehen. Die Trennungsfähigkeit spiele nur bei der Hypothese D 4 (ausschließlich gelegentlicher Cannabiskonsum) eine Rolle, nicht jedoch für die Hypothesen D1 (Drogenabhängigkeit), D 2 (fortgeschrittene Drogenproblematik) und D 3 (Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik), wo nur die Erfüllung der jeweiligen Kriterien für eine stabile bzw. ausreichende Drogenabstinenz zu einer positiven Prognose führen könne. Auch bei nur gelegentlichem Cannabiskonsum müsse jemand, der behaupte, kein Cannabis mehr konsumieren zu wollen, die Stabilität dieser Verhaltensänderung unter sinngemäßer Anwendung der Kriterien D 3.3 und 3.5 nachweisen. Hiermit stehe das TÜV-Gutachten in Einklang, auch wenn die Begründung sehr spärlich sei. Nach den Angaben des Antragstellers zu seinem Konsumverhalten scheide die Hypothese D 4 offensichtlich aus. Die gutachterliche Einordnung als „ausgeprägte Drogengefährdung“ und die Angaben des Antragstellers, er habe insgesamt lediglich dreimal Kokain in Kombination mit Cannabis konsumiert und den Drogenkonsum nicht als Mittel zur Problembewältigung eingesetzt, sprächen für eine Zuordnung zur Hypothese D 3, die die Erfüllung der Kriterien D 3.1 und 3.2 voraussetze. Danach könne die Fahreignung nur bejaht werden, wenn ein nachvollziehbarer Einsichtsprozess zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt habe. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Nach dem Gutachten bedürfe die Drogengefährdung des Antragstellers einer ausreichend erprobten Distanzierung von Drogen, basierend auf einem angemessenen Problembewusstsein und einer gefestigten Änderungsmotivation. Er nehme jedoch die Ursachen des früheren Drogenkonsums noch nicht ausreichend differenziert wahr. Im Hinblick auf das festgestellte Konsummuster und eine eher schwach ausgeprägte Motivation sei auch die Dauer des Drogenverzichts noch nicht ausreichend lang, um die erforderliche Stabilität der Verhaltensänderung zu gewährleisten. Hiermit werde nachvollziehbar und schlüssig begründet, dass der Antragsteller aufgrund einer Drogengefährdung nicht fahrgeeignet sei, was die Eignungszweifel der Fahrerlaubnisbehörde bestätige. In dem streitgegenständlichen Bescheid würden die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die behördliche Entscheidung dargestellt. Unschädlich sei, dass die Fahrerlaubnis in vollem Umfang aberkannt werde. Sowohl aus Nummer 2 des Tenors als auch aus der Begründung des Bescheids ergebe sich eindeutig, dass sich die Aberkennung nur auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beziehen solle. Ein Ermessen habe dem Antragsgegner nicht zugestanden. Eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen führe ebenfalls zu dem Ergebnis, dass dem öffentlichen Interesse, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr weiterhin zu unterbinden, ein größeres Gewicht einzuräumen sei, als dem Interesse des Antragstellers, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, wendet sich der Antragsteller gegen die formelhaften Ausführungen, mit denen das Verwaltungsgericht auf Seite 9 und 10 des angefochtenen Beschlusses die Anordnung der sofortigen Vollziehung billige. Demgegenüber habe es auf Seite 15 festgestellt, die Ausführungen des TÜV-Gutachtens seien „sehr spärlich“. Es halte das Fahreignungsgutachten für nachvollziehbar und schlüssig, führe jedoch weiter aus, das polytoxische Drogenscreening sei negativ verlaufen und ein derzeitiger Drogenkonsum aus medizinischer Sicht nicht nachweisbar. Die körperliche Untersuchung habe keine normabweichenden Befunde und die Überprüfung der Leistungsmöglichkeit keine verkehrsbedeutsamen Beeinträchtigungen ergeben. Das Gutachten, auf welches hinsichtlich des Kokainkonsums Bezug genommen werde, gebe auf Seite 5 zu Kokain „keine Jahresangabe“ an, auf Seite 10 hingegen „zuletzt letztes Jahr“. Diese Abweichung sei als erhebliche Ungenauigkeit und Widerspruch zu werden. Auch die Zugrundelegung eines Kokainkonsums im Jahr 2019 stehe der Annahme eines nur gelegentlichen Cannabiskonsums zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht entgegen. Nachdem der Antragsteller erhebliche Probleme mit der deutschen Sprache habe und sich die Negativprognose auf das Gespräch stütze, wäre die Richtigkeit der Übersetzung zumindest weiter zu thematisieren gewesen. Auch setze sich das Verwaltungsgericht nicht mit der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Antragstellers auseinander. Insbesondere im Hinblick auf die Mängel des Gutachtens hätte es sich nicht lediglich darauf berufen dürfen, dass die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage im Verhältnis zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht maßgeblich sei. Ferner habe sich das Gericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Antragsteller nach dem Zeugnis seines bisherigen Arbeitgebers eine rasche Auffassungsgabe und die Fähigkeit besitze, sich schnell einzuarbeiten. Eine unter ständigem Drogeneinfluss stehende Person könne nicht „selbstständig, verantwortungsvoll und zuverlässig voll eingesetzt werden“. Stets sehr gute Leistungen, Einsatz, Hilfsbereitschaft und Pünktlichkeit seien gewohnheitsmäßigen Drogenkonsumenten auch grundsätzlich wesensfremd. Demzufolge hätte Anlass zu einer weiteren Gutachtensanforderung bestanden, was im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als milderes Mittel vorrangig gewesen wäre.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 2020 (BGBl I S. 2667), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. November 2020 (BGBl I S. 2704), in Kraft getreten zum 1. April 2021, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 5 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Kokain (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2021 – 11 CS 21.390 – juris Rn. 15; B.v. 13.3.2020 – 11 ZB 20.1 – juris Rn. 11; B.v. 4.6.2019 – 11 CS 19.669 – juris Rn. 11; B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – Blutalkohol 55, 264 = juris Rn. 10 jeweils m.w.N.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2021 a.a.O. Rn. 15 f.; B.v. 13.3.2020 a.a.O. Rn. 11 ff. jeweils m.w.N.). Wer regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiert, ist nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ebenfalls regelmäßig nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden (vgl. Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl S. 110] in der Fassung vom 28.10.2019 [Vkbl S. 775]). Im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung gegeben, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt.
Da der Antragsteller bei seiner Begutachtung am 1. September 2020 eingeräumt hat, mehrmals – zuletzt im Jahr 2019 – Kokain konsumiert zu haben, fehlt ihm bereits nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung. An der sowohl gegenüber dem Arzt als auch der Psychologin gemachten Angabe muss sich der Antragsteller festhalten lassen. Denn es ist kein Grund ersichtlich, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Die Gutachter haben den Vortrag des Antragstellers zu seinen Konsumgewohnheiten zu Recht für „weitgehend in sich stimmig“ gehalten. Soweit er gegenüber dem Arzt weniger weitreichende Angaben zu seinem Betäubungsmittelkonsum gemacht hat als gegenüber der Psychologin (Seite 5, 10), u.a. den Zeitpunkt der letzten Kokaineinnahme nicht genannt hat, lässt dies entgegen seiner Meinung nicht den Schluss zu, dass das Gutachten widersprüchlich, ungenau oder nicht nachvollziehbar ist, sondern allenfalls, dass er es mit seinen Mitwirkungspflichten gegenüber dem Arzt nicht so genau genommen oder sich erst bei näherer Befragung durch die Psychologin an weitere Einzelheiten erinnert hat. Die jeweiligen Angaben zum Konsum von Cannabis und Kokain widersprechen sich nicht, sondern sind im Kern gleich; die Angaben gegenüber der psychologischen Gutachterin gehen lediglich etwas weiter. Auch hat der Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht vorgetragen, dass die im Gutachten festgehaltenen Aussagen zu seinem Drogenkonsum falsch seien. Ohne jeden Anlass war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, die Richtigkeit der Übersetzung durch eine – im Übrigen beeidigte oder öffentlich bestellte und vereidigte (vgl. Nr. 2.4. der Anlage 4a zur FeV) – Dolmetscherin zu „thematisieren“ bzw. anzuzweifeln. Es ist nicht dargelegt worden, dass und ggf. was die Dolmetscherin fehlerhaft übersetzt haben soll. Schließlich sind auch die aus dem Zeugnis seines vormaligen Arbeitgebers gezogenen Rückschlüsse völlig ungeeignet, die eigenen Angaben des Antragstellers zu widerlegen. Die Gutachter haben auch nicht festgestellt, dass er ständig unter Drogeneinfluss stand, was nach Nr. 9.1 und 9.2 der Anlage 4 zur FeV ohnehin nicht die Voraussetzung für den durch Betäubungsmittelkonsum bedingten Wegfall der Fahreignung ist.
Keine Rolle spielt insoweit, dass das Landratsamt auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers gegenüber der Polizei und im Verwaltungsverfahren lediglich eine Begutachtung wegen angenommenen gelegentlichen Cannabiskonsums angeordnet hatte und die Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nur auf die gutachtlich festgestellte fehlende Trennungsfähigkeit und nicht den zutage getretenen Konsum harter Drogen gestützt hat. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich – sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts anderes vorgibt – nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu rechtfertigen. Erweist sich dieser aus anderen als den von der Behörde angeführten Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass an dem Spruch etwas Wesentliches geändert zu werden braucht, dann ist der Verwaltungsakt (wenn sonst keine Rechtsfehler vorliegen) im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (vgl. BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96 = juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23; vgl. auch Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 39 Rn. 22 f. zum Auswechseln der Begründung und der Rechtsgrundlage).
Daher kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob der Antragsteller auch nach Nr. 9.2.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht fahrgeeignet ist, was allerdings der Fall ist. Nachdem die Fahreignungsgutachter den geschilderten Cannabiskonsum für nicht mehr gelegentlich im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV hielten, ist dieser unter die eine Fahreignung ausschließende Konsumform gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV (regelmäßige Cannabiseinnahme) einzuordnen. Nach den insoweit maßgeblichen (BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 3 C 1.08 – BVerwGE 133, 186 = juris Rn. 16) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung wird als regelmäßige Einnahme von Cannabis, die für sich genommen die Fahreignung entfallen lässt, der tägliche oder gewohnheitsmäßige Konsum bezeichnet (Nr. 3.14.1). Hieran gemessen ist die gutachterliche Einschätzung nachvollziehbar, denn nach seiner Einlassung hat der Antragsteller seit dem Jahr 2003 Cannabis konsumiert, bis Mai/Juni 2020 maximal viermal pro Woche (bis zu 3 g), phasenweise („mal“) auch täglich. Damit ist eine Fahreignung ungeachtet der Fähigkeit, zwischen dem Cannabiskonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen, nicht gegeben. Da das Fahreignungsgutachten dem Antragsteller aber auch die Trennungsfähigkeit abgesprochen hat, wäre die Fahreignung auch nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht gegeben, wenn also sein Cannabiskonsum als nur gelegentlich einzuordnen wäre.
Das Ergebnis des Fahreignungsgutachtens lässt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht mit dem Einwand in Zweifel ziehen, das polytoxikologische Screening im Rahmen der Begutachtung habe keinen Hinweis auf einen aktuellen Drogenkonsum erbracht und es seien keine normabweichenden Befunde und keine verkehrsbedeutsamen Beeinträchtigungen der psychophysischen Leistungsfähigkeit festgestellt worden. Die Betäubungsmittelabstinenz, das Fehlen fahreignungsrelevanter körperlicher Mängel und eine ausreichende psychophysische Leistungsfähigkeit sind zwar notwendige, aber keine hinreichenden Voraussetzungen der Fahreignung. Im Falle eines die Fahreignung ausschließenden Cannabiskonsums im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig eine Abstinenz von einem Jahr und ein stabiler, motivational gefestigter Einstellungswandel nachzuweisen, um annehmen zu können, dass der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung wiedererlangt hat (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2016 – 11 ZB 16.1124 – juris Rn. 14 f.; B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2267 – juris Rn. 3; B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl 2006, 18 = juris Rn. 22 jeweils m.w.N.; vgl. auch Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien). Diese Nachweise hat der Antragsteller noch zu erbringen, ungeachtet dessen, ob bei ihm nach den Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27.1.2014 [VkBl 2014, 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt; abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 301 f.) eine Drogengefährdung ohne Anzeichen einer fortgeschrittenen Drogenproblematik (Hypothese D 3) oder eine fortgeschrittene Drogenproblematik (Hypothese D 2) besteht, wie sie das Verwaltungsgericht in Betracht gezogen hat. Hat – wie hier – der Drogenkonsum über einen langen Zeitraum angehalten (z.B. über Jahre regelmäßiger Cannabiskonsum) ist nach Nr. 2 des Kriteriums D 3.4 N (Hypothese D 3) erst durch einen längeren Abstinenzzeitraum (mehr als sechs Monate) eine günstige Voraussetzung für die Stabilität der Verhaltensänderung gegeben. Nach Nr. 4 des Kriteriums D 2.4 N (S. 184) der Hypothese D 2 ist regelmäßig erst nach einem Jahr nachgewiesener Drogenabstinenz und weiteren Voraussetzungen eine positive Begutachtung zu erwarten. Dieses Jahr ist bis heute noch nicht abgelaufen. Nachweise über die Einhaltung einer Abstinenz während der letzten zwölf Monate liegen nicht vor. Das punktuell auf den Zeitpunkt der Begutachtung bezogene Drogenscreening ist nicht geeignet, eine Aussage über die Einhaltung einer Abstinenz während eines längeren Zeitraums zu treffen. In den Empfehlungen des Gutachtens (S. 13) ist näher ausgeführt, wie ein entsprechender geeigneter Nachweis zu erbringen ist. Zudem ist ein stabiler, motivational gefestigter Einstellungswandel nicht plausibel. Auch diese Einschätzung ist gemessen an den Angaben des Antragstellers gegenüber der psychologischen Gutachterin nicht zu beanstanden. Die Annahme der Fahreignung setzt nach den Beurteilungskriterien u.a. entweder einen ausreichend nachvollziehbaren Einsichtsprozess voraus, der zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt hat (Hypothese D 3, S. 187), oder eine problemangemessene Aufarbeitung der Drogenproblematik und eine ausreichend lange und stabile Drogenabstinenz (Hypothese D 2, S. 181). Aus dem Gutachten geht indes schlüssig hervor, dass ein angemessenes Problembewusstsein fehlt und eine gefestigte Änderungsmotivation nicht nachvollziehbar dargestellt worden ist. Mängel sind insoweit nicht ersichtlich.
Steht fest, dass einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahreignung fehlt, ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend; für Verhältnismäßigkeitserwägungen bleibt dann kein Raum. Abgesehen davon ist die Entziehung der Fahrerlaubnis angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen auch unter Berücksichtigung einschneidender persönlicher, familiärer und beruflicher Folgen für den Betroffenen nicht unverhältnismäßig (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2019 – 11 CS 19.1432 – juris Rn. 12; BVerfG, B.v. 20.7.2002 – 1 BvR 2062/96 – juris Rn. 50 ff.).
Schließlich genügt auch – wie der Antragsgegner zutreffend ausführt hat – die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Diese Bestimmung normiert lediglich eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sodass es auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung des Sofortvollzugs nicht ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2021 – 11 CS 20.2979 – juris Rn. 23; B.v. 16.10.2019 – 11 CS 19.1434 – juris Rn. 20 jeweils m.w.N.). Insoweit ist das Verwaltungsgericht auf Seite 10 des Beschlusses im Rahmen seiner Ausführungen zu der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden gerichtlichen Interessenabwägung (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 89 ff.) zutreffend davon ausgegangen, dass es die behördliche Begründung nicht materiell zu prüfen habe. Im Zusammenhang mit den Anforderungen, die § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO an die Begründung des Sofortvollzugs stellt, kam es somit auch nicht auf die materielle Frage an, ob das Verwaltungsgericht die Begründung des Fahreignungsgutachtens für „spärlich“ bzw. ausreichend und schlüssig gehalten hat. Maßgeblich ist, dass aus den Gründen des angefochtenen Bescheids (Seite 4 f.) deutlich hervorgeht, aus welchen Gründen das Landratsamt eine Anordnung des Sofortvollzugs im Fall des Antragstellers für geboten erachtet hat. Dazu hat es im Wesentlichen angeführt, dass ein umgehender Ausschluss des Antragstellers von der Verkehrsteilnahme angesichts der durch das aktuelle Verkehrsgeschehen geforderten hohen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Kraftfahrer und des erforderlichen Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer vor nicht fahrgeeigneten Kraftfahrern notwendig sei, nachdem er nach gutachterlicher Einschätzung nicht in der Lage sei, den Betäubungsmittelkonsum und das Fahren zu trennen. Die umgehende Ablieferung des Führerscheins – bzw. hier dessen Vorlage zur Anbringung eines Sperrvermerks – hat es zur Beseitigung des durch den Besitz dieses Dokuments vermittelten Rechtsscheins für notwendig erachtet. Hiermit ist der Funktion des Begründungserfordernisses genügt (vgl. Hoppe a.a.O. Rn. 54 ff.). Nicht zu beanstanden ist, dass das besondere öffentliche Interesse für die Anordnung des Sofortvollzugs hier nicht über das Interesse hinausgeht, das die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Vorlage des Führerscheins rechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2021 a.a.O. m.w.N.). Bei dieser häufig wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltung, der eine typische Interessenlage zugrunde liegt, reicht es aus, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2018 – 11 CS 18.1271 – juris Rn. 15 m.w.N.). Es ist unschädlich, dass die gegebene Begründung auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis verwendet werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2018 a.a.O. m.w.N.).
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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