Strafrecht

Aberkennung einer polnischen Fahrerlaubnis – Folgen verweigerter Fristverlängerungen im Verwaltungsverfahren

Aktenzeichen  11 B 17.1080

Datum:
20.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2
FeV FeV § 11 Abs. 3 Nr. 6, Abs. 6 und 8, § 14 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5, Nr. 9.1 und 9.2.2 der Anlage 4

 

Leitsatz

1 Bei einer Verlängerung behördlicher Fristen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die an Stelle der bei gesetzlichen Fristen allein möglichen Wiedereinsetzung tritt. Die Voraussetzungen, unter denen eine Fristverlängerung erfolgt, dürfen daher nicht strenger sein als bei der Wiedereinsetzung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine zu Unrecht verweigerte Fristverlängerung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen, wenn feststeht, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses seine Fahreignung nicht wiedergewonnen hatte. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 8 K 16.1064 2017-03-21 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die zulässige Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO). Die Berufung hat keinen Erfolg, da der Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), denn er hat das zu Recht angeforderte Gutachten nicht vorgelegt. Es steht daher nach § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV fest, dass er zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war und seine Eignung nicht wiedergewonnen hatte.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 5 FeV die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach § 14 Abs. 1 FeV anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt.
Bringt der Betreffende das Gutachten nicht fristgerecht bei, kann nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Ungeeignetheit geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78).
2. Im vorliegenden Fall ist das medizinisch-psychologische Gutachten nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zu Recht angeordnet worden, denn der Kläger hat nach seinen eigenen Einlassungen bis Anfang 2014 harte Drogen konsumiert. Diese Einlassungen im ärztlichen Gutachten vom 14. November 2014 waren auch verwertbar, obwohl das Landratsamt entgegen der empfohlenen Fragestellung (vgl. Kapitel 1 der Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP]/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Auflage 2013, S. 60) nur nach der aktuellen Einnahme von Betäubungsmitteln gefragt und das Gutachten entsprechend Nr. 1.a) Satz 2 Anlage 4a zur FeV auch nur diese Frage beantwortet und verneint hat.
Eine Verwertung dieser Angaben für weitere Aufklärungsmaßnahmen ist nicht unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich, denn das Landratsamt hätte bei der Anordnung des ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV auch nach dem Drogenkonsum in der (näheren) Vergangenheit fragen dürfen. Der Kläger musste daher grundsätzlich mit einer solchen Frage rechnen. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV ist nicht so auszulegen, dass nur danach gefragt werden dürfte, ob ganz aktuell Drogen eingenommen werden, denn damit kann nicht zuverlässig beurteilt werden, ob ggf. noch weitere Aufklärungsmaßnahmen erforderlich sind. Es ist dafür auch notwendig, dass die Behörde sich Kenntnis darüber verschafft, ob der Betreffende in der (näheren) Vergangenheit Drogen konsumiert hat und ggf. die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV angeordnet werden muss, wenn aus dem früheren Konsum noch Gefahren für den Straßenverkehr resultieren können.
Darüber hinaus wäre die Alternative, ein weiteres ärztliches Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV anzuordnen, um zu erfragen, ob der Kläger in der (näheren) Vergangenheit Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes außer Cannabis konsumiert hat, unverhältnismäßig gewesen und wäre bei dem Kläger gewiss auf Unverständnis gestoßen, denn diese Frage war mit seinen Ausführungen schon beantwortet.
Im Übrigen hat das Landratsamt dem Kläger aufgrund seiner Angaben im ärztlichen Gutachten vom 14. November 2014 auch nicht unmittelbar die Fahrerlaubnis entzogen, sondern hat diese Angaben zum Anlass genommen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es hat als wesentlich weniger einschneidende Maßnahme nur die Durchführung eines Drogenabstinenzkontrollprogramms mit anschließendem medizinisch-psychologischen Gutachten angeordnet und dem Kläger die Fahrerlaubnis während dieser Zeit belassen.
Der letzte Konsum von Betäubungsmitteln durch den Kläger lag zum Zeitpunkt der Anordnung zur Gutachtensbeibringung auch noch nicht so lange zurück, dass ohne weitere Überprüfungen davon ausgegangen werden musste, er sei wieder fahrgeeignet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Zusammenhang mit der Frage, unter welchen Umständen weiterhin ein Gefahrenverdacht besteht, der Untersuchungsanordnungen der Fahrerlaubnisbehörde rechtfertigt, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht an die Einhaltung einer festen Frist nach dem letzten erwiesenen Betäubungsmittelmissbrauch gebunden (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081). Es kommt vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere nach Art, Umfang und Dauer des Drogenkonsums darauf an, ob noch hinreichende Anhaltspunkte zur Begründung eines Gefahrenverdachts bestehen. Angesichts des langjährigen Drogenkonsums des Klägers konnte nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Gefahren für den Straßenverkehr mehr bestehen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 11 CS 16.1726 – juris). Für einen Ausnahmefall nach Nr. 3 Satz 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV ist nichts ersichtlich.
Die Fragestellung war auch zulässig i.S.d. § 11 Abs. 6 FeV, denn es war zu klären, ob der Kläger weiterhin Betäubungsmittel nimmt (vgl. Kapitel 1 der Beurteilungskriterien, S. 63). Es war nicht erforderlich, die Fragestellung auf bestimmte Betäubungsmittel einzugrenzen, denn aus der Gutachtensanordnung ging hinreichend klar hervor, dass die Frage sich nur auf Drogen i.S.d. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV bezog. Auf welche Substanzen sich das Drogenscreening beziehen sollte, war nicht genannt und es oblag dem Kläger, im Hinblick auf die Fragestellung in Absprache mit der Begutachtungsstelle einen geeigneten Umfang festzulegen und eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen.
3. Es kann offen bleiben, ob dem Kläger nach Art. 31 Abs. 7 Satz 1 BayVwVfG eine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens hätte gewährt werden müssen.
Bei einer Verlängerung behördlicher Fristen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 51; Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 31 Rn 26), die an Stelle der bei gesetzlichen Fristen allein möglichen Wiedereinsetzung tritt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 31 Rn. 39a). Die Voraussetzungen, unter denen eine Fristverlängerung erfolgt, dürfen daher nicht strenger sein als bei der Wiedereinsetzung nach Art. 32 BayVwVfG (Pautsch/Hoffmann a.a.O. Rn. 26). Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere zu berücksichtigen, ob es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretene Rechtsfolge bestehen zu lassen.
Im vorliegenden Fall wäre wohl zu erwägen gewesen, dass der Abbruch des Drogenabstinenzkontrollprogramms nicht vom Kläger alleine verschuldet war. Obwohl die Gutachtensanordnung nur auf Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV gestützt war, hat die Begutachtungsstelle dem Kläger weder ein auf harte Drogen beschränktes Drogenkontrollprogramm noch eine Weiterführung des Programms trotz des Nachweises von Cannabisabbauprodukten angeboten. Eine solche Vorgehensweise wäre aber durchaus vorstellbar gewesen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass der Kläger nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV wegen mangelnden Trennungsvermögens ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sein könnte. Zwar hat auch der Kläger selbst nicht nach einem solchen beschränkten Drogenkontrollprogramm gefragt, obwohl ihm aus dem überreichten Merkblatt bekannt sein musste, dass bei den Urinuntersuchungen auch nach Cannabis und dessen Abbauprodukten untersucht wird. Es kann ihm aber nicht alleine angelastet werden, dass er aus dem Merkblatt offenbar nicht die richtigen Schlüsse gezogen hat, da es durchaus möglich gewesen wäre, angesichts der nur auf Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV gestützten Gutachtensanordnung die positiven Cannabiswerte nicht zu berücksichtigen.
Darüber hinaus hat er unmittelbar nach Abbruch des Programms durch die Begutachtungsstelle für Fahreignung und noch vor Erlass des Entziehungsbescheids einen neuen Vertrag für ein Drogenabstinenzkontrollprogramm abgeschlossen, bei dem die Urinkontrollen bis 22. April 2017, mithin noch innerhalb der gesetzten Frist, durchgeführt worden wären. Er hat dies dem Landratsamt auch umgehend mitgeteilt und die Urinkontrollen ordnungsgemäß und mit negativem Ergebnis durchgeführt. Es wäre damit nur eine geringfügige Verzögerung eingetreten und eine Fristverlängerung von einem Monat hätte voraussichtlich ausgereicht.
4. Selbst eine zu Unrecht verweigerte Fristverlängerung würde aber nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen, denn es steht nunmehr fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses seine Fahreignung nicht wiedergewonnen hat.
Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.). Daher kann ein auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützter Bescheid, der einem Betroffenen die Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines angeordneten Gutachtens entzieht, auf einer anderen Rechtsgrundlage rechtmäßig und daher aufrechtzuerhalten sein, wenn die Nichteignung des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt feststeht (vgl. zu § 11 Abs. 7 FeV: BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris, Rn. 24 f.).
Hier lag den Aufklärungsmaßnahmen zugrunde, dass sich der Kläger wegen seines Drogenkonsums nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte. Mit dem angeordneten Drogenabstinenzprogramm sollte geklärt werden, ob er seine Eignung wiedergewonnen hat. Da er das zu Recht geforderte Gutachten bis zum heutigen Zeitpunkt nicht vorgelegt hat, ist der Schluss nach § 11 Abs. 8 FeV gerechtfertigt, dass er auch zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses und in der Folgezeit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war und seine Eignung nicht wiedergewonnen hatte. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses war ihm die Fahrerlaubnis daher nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu entziehen.
5. Die Berufung war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.


Ähnliche Artikel


Nach oben