Strafrecht

Abgrenzung von Verstößen gegen beschilderte Infrastruktureinrichtungen

Aktenzeichen  201 Ob OWi 2752/19

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5748
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 25 Abs. 1, Abs. 2 lit. a
StVO § 41 Abs. 1,  § 43 Abs. 1, Abs. 3, § 49 Abs. 3 Nr. 4, Nr. 6
BkatV BKat Nr. 142, Nr. 250a

 

Leitsatz

1. Unmittelbar an einer Infrastruktureinrichtung durch Schilder angebrachte rot-weiße Markierungen stellen keine über die – hier durch eine niedrige Brücke – ohnehin gegebene Beschränkung des Durchfahrtverkehrs, etwa eine Absperrschranke i.S.v. Anlage 4 zu § 43 Abs. 3 StVO lfd. Nr. 1 [Zeichen 600] hinausgehende Beschränkung dar. Vielmehr handelt es sich lediglich um ein sog. Leitmal i.S.v. Anlage 4 zu § 43 Abs. 3 StVO lfd. Nr. 10 [Zeichen 627] und damit um eine Einrichtung zur Kennzeichnung von dauerhaften Hindernissen oder sonst gefährlichen Stellen an Bauwerken, Bauteilen und Gerüsten i.S.v. § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 39 [Zeichen 265], welche im Falle der Zuwiderhandlung über § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO bußgeldbewehrt ist. (Rn. 6)
2. Dem von lfd. Nr. 250a BKat erfassten Tatbestand liegt demgegenüber zugrunde, dass die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen, nämlich Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde gekennzeichnet ist (Anschluss an OLG Köln, Beschluss vom 01.02.2019 – 1 RBs 28/19 bei juris). (Rn. 6)

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 05.09.2019 dahingehend abgeändert, dass der Betroffene wegen vorsätzlicher Missachtung der zulässigen Höhe des von ihm geführten Fahrzeugs zu einer Geldbuße von 40 Euro verurteilt wird und das angeordnete Fahrverbot in Wegfall gerät.
II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Angewandte Vorschriften:
§§ 49 Abs. 3 Nr. 4, 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 39 StVO; § 24 StVG; Nr. 142 BKat

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 05.09.2019 -entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 21.05.2019 – schuldig gesprochen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 43 Abs. 3, 49 StVO (Missachtung des durch Zeichen 265 angeordneten Verkehrsverbotes, obwohl die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet war) und gegen ihn eine Geldbuße von 500 EUR sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich die mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts und die Verhängung einer Geldbuße von lediglich 20 EUR beantragt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 10.12.2019 beantragt, das Urteil des Amtsgerichts vom 05.09.2019 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Diesem Antrag hat sich die Verteidigung unter dem 20.01.2020 angeschlossen. Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 20.01.2020 die Sache zur Fortbildung des Rechts dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war das Urteil des Amtsgerichts im Schuldspruch und hinsichtlich der verhängten Rechtsfolgen dahingehend abzuändern, dass der Betroffene wegen vorsätzlicher Missachtung der zulässigen Höhe des von ihm geführten Fahrzeugs zu einer Geldbuße von 40 Euro zu verurteilen war.
1. Nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 17.04.2019 mit einem LKW mit Containeranhänger den G-Weg in O. vom Hafen kommend in Richtung F. Gegen 16:34 Uhr befand er sich nach der Abzweigung zur M-Straße in Richtung G. auf dem im Urteil näher bezeichneten Teilstück. Dort befinden sich drei Brücken, die in Richtung G. durchfahren werden müssen. Die zulässige Höhe ist für Fahrzeuge durch das mehrfach angebrachte Zeichen 265 auf 3,9 Meter beschränkt. Die Container auf dem Anhänger des vom Betroffenen geführten LKW-Gespannes wiesen bei der Durchfahrt unter der gegenständlichen Brücke eine Höhe von 3,98 Meter am hinteren Container und von 3,95 Meter am vorderen Container auf, was der Betroffene zumindest billigend in Kauf nahm. An der zweiten und dritten Brücke dieses Teilstückes ist jeweils erneut das Zeichen 265 mit der Beschränkung auf 3,9 Meter befestigt sowie links und rechts von diesem Zeichen zusätzlich „über beide nach G. führenden Spuren reichend die Verkehrseinrichtung Zeichen 600 im Sinne von Anlage 4 Nr. 1 zu § 43 Abs. 3 StVO angebracht“. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Beschilderung und der Markierung hat das Amtsgericht insoweit ausdrücklich die Bilder Nrn. 13, 15 – 16 sowie 17 – 18 auf Blatt 42 bis 45 der Akten benannt und am Ende der Aufzählung wegen der weiteren Einzelheiten auf diese Lichtbilder verwiesen.
2. Die sorgfältigen Feststellungen des Amtsgerichts sind rechtsfehlerfrei getroffen. Dies gilt auch, soweit der Tatrichter von einer vorsätzlichen Tatbegehung ausgeht. Der Tatrichter hat hier auch in zulässiger Weise auf die benannten Lichtbilder Blatt 43 bis 45 der Akte Bezug genommen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28.01.2016 – 3 StR 425/15 = StraFo 2016, 155 = NStZ-RR 2016, 178 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 3 Verweisung 5 = StV 2016, 778), sodass diese Lichtbilder dem Rechtsbeschwerdegericht als Anschauungsobjekt zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich, dass vor den genannten Brücken, die der Betroffene durchfahren musste, kein Hindernis im Bereich der Fahrbahn angebracht war, sondern unmittelbar an der Unterseite der zweiten und dritten Brücke in Fahrtrichtung G. außer dem mittig angebrachten Zeichen 265 links und rechts davon sich auf Verkehrszeichen angebrachte rot-weiße Markierungen über die Fahrbahnbreite erstrecken, deren Höhe geringer ist als die des Verkehrszeichens Nr. 265. Die Zeichen ragten nicht über den Baukörper der Brücke hinaus.
3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen weder den vom Amtsgericht vorgenommenen Schuldspruch noch die verhängte Rechtsfolge. Der Senat ist insoweit aber zu einer abweichenden eigenen Sachentscheidung befugt und in der Lage.
a) Der Betroffene hat demnach keine Zuwiderhandlung gegen § 49 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO begangen. Nach den Urteilsfeststellungen i.V.m. den Lichtbildern, auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in wirksamer Weise Bezug genommen worden ist, ergibt sich, dass der Betroffene hier nicht, wie es Nummer 250a BKat verlangt, eine durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 laufender Nummer 1 – 4 zu § 43 Abs. 3 StVO gekennzeichnete Straßenfläche befahren hat. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO untersagt es, die durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 Nrn. 1 bis 7 gekennzeichneten Straßenflächen zu befahren. Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach das an der Unterseite des quer zur Fahrbahn des Betroffenen verlaufenden Brücke angebrachte Warnzeichen eine Absperrschranke (Zeichen 600) nach Anlage 4 zur StVO darstellt, vermag der Senat nicht zu teilen. Dies legt bereits der Wortlaut der Straßenverkehrsordnung nahe. Das Zeichen 600 ist mit dem Begriff „Absperrschranke“ bezeichnet. Der Begriff Absperrschranke setzt voraus, dass das Verkehrszeichen die Funktion hat, einen Straßenbereich – wie durch eine Schranke – abzusperren. Diese Auslegung wird insbesondere auch gestützt durch die Ausführungen, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am 12.07.2017 über das Bundeskanzleramt dem Bundesrat mit der Bitte um Zustimmung übersandt haben. Zur Begründung führt der Verordnungsgeber an, dass derzeit eine Vielzahl von Brücken auf ihre Standfestigkeit hin überprüft werde und deshalb vermehrt Geschwindigkeits- und Gewichtsbeschränkungen, teilweise auch in Verbindung mit Höhenbeschränkungen, angeordnet seien, um große und schwere LKW von den Brücken fernzuhalten (BR-Drs. 556/17, Seite 3). Der Verordnungsgeber wollte deshalb mit der Neuschaffung von Nummer 250a BKat durch eine erhebliche Anhebung der Geldbuße und die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes sicherstellen, dass derartige Verbote beachtet werden. In diesem Zusammenhang verweist der Verordnungsgeber darauf, dass Orientierungspunkt bei der Höhe der Bebußung die Missachtung einer geschlossenen Schranke bei Bahnübergängen sei (BR-Drs. 556/17, Seite 37). Hinweise auf derartige Verbote zum Schutz von Infrastruktureinrichtungen würden mehrfach angekündigt und gleichwohl zur Vermeidung von Umwegen bewusst missachtet. Soweit die entsprechenden Beschränkungen mit weiteren Verkehrseinrichtungen begleitet werden, die zu einer Verengung der Fahrstreifen oder einer Höhenbeschränkung führen, um auch rein tatsächlich durch Schaffung derartiger körperlicher Hindernisse ein Befahren von großen und damit auch meist schweren LKW zu verhindern, komme dies einer baulichen Hürde wie einer Schranke gleich, die mechanisch bereits das Befahren der Straße kaum möglich mache (BR-Drs. 556/17 Seite 37/38). Der Verordnungsgeber wollte demnach die Nichtbeachtung oder das Überfahren von körperlichen Hindernissen durch eine deutliche Erhöhung der Geldbuße verhindern. Dies bedeutet, dass – wie vorliegend – unmittelbar an der Infrastruktureinrichtung durch Schilder angebrachte rot-weiße Markierungen keine über die durch eine niedrige Brücke ohnedies gegebene Beschränkung des Durchfahrtverkehrs darstellen. Diese Markierungen stellen damit keine Absperrschranke im Sinne von Zeichen 600 der StVO dar. Vielmehr handelt es sich bei einer solchen Markierung lediglich um ein sogenanntes Leitmal (Zeichen 627) und damit um eine Einrichtung zur Kennzeichnung von dauerhaften Hindernissen oder sonst gefährlichen Stellen. Nach den Erläuterungen zu Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO kennzeichnen Leitmale in der Regel den Verkehr einschränkende Gegenstände. Ihre Ausführung richtet sich nach der senkrechten (VzKat Nr. 627-10 und Nr. 627-20), waagrechten (VzKat Nr. 627-30) oder gewölbten bzw. gebogenen Anbringung (VzKat Nr. 627-50) beispielsweise an Bauwerken, Bauteilen und Gerüsten. Auch wenn das unter Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO abgebildete Leitmal gebogen ist, steht aufgrund der hierzu angegebenen Erläuterung eindeutig fest, dass ein Leitmal – wie hier – auch dann gegeben ist, wenn es waagrecht an einer quer zur Fahrbahn verlaufenden Brücke angebracht ist. Demgegenüber liegt dem Tatbestand von lfd. Nr. 250a BKat zugrunde, dass die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet ist, wobei Verkehrseinrichtungen in diesem Sinne Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde sind (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 01.02.2019 – 1 RBs 28/19 bei juris). Derartige Absperreinrichtungen sind hier aber nicht vorhanden.
b) Der Betroffene hat damit vorsätzlich gegen § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 39 (Zeichen 265) verstoßen und damit eine Zuwiderhandlung nach § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO begangen. Der Schuldspruch des Urteils des Amtsgerichts war daher dahingehend abzuändern. § 265 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG steht dem nicht entgegen, da Gegenstand der dem Betroffenen zur Last liegenden Ordnungswidrigkeit bereits die Missachtung der Höhenbeschränkung (Zeichen Nr. 265) war.
c) Aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen des Amtsgerichts kann der Senat auch hinsichtlich der Rechtsfolgen in der Sache selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG). Der Bußgeldkatalog sieht für den – wie hier – nicht vorgeahndeten Betroffenen bei fahrlässiger Tatbegehung in Nr. 142 eine Regelgeldbuße von 20 Euro vor. Auch wenn angesichts dieses geringen Regelsatzes die Bestimmung des § 3 Abs. 4a BKatV nicht unmittelbar zur Anwendung gelangt, steht dies vorliegend der Verdoppelung der Regelgeldbuße nicht entgegen. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Betroffene nicht nur vorsätzlich gehandelt, sondern es stand auch die Beschädigung einer Brücke und damit einer wichtigen Infrastruktureinrichtung zu befürchten. Dies rechtfertigt die Erhöhung auf 40 Euro.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Da davon auszugehen ist, dass der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt hätte, wenn bereits das Amtsgericht in gleicher Weise entschieden hätte, erscheint es unbillig, ihm die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die ihm im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. 473 Rn. 26).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 OWiG.


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