Strafrecht

AK 18/22

Aktenzeichen  AK 18/22

Datum:
21.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:210422BAK18.22.0
Normen:
§ 129 Abs 2 StGB
§ 129a StGB
§ 129b StGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Tenor

Der Haftbefehl des Oberlandesgerichts München vom 22. Mai 2020 (OGs 69/20) wird aufgehoben.
Die Beschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe

I.
1
Die Beschuldigte ist am 7. Oktober 2021 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts München vom 22. Mai 2020 (OGs 69/20) festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Beschuldigte habe sich durch zwei selbständige Handlungen von April 2015 bis 2017 oder 2018 in Syrien als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung “Islamischer Staat” (IS) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zu begehen, davon in einem Fall zugleich ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht gegenüber drei Personen unter 16 Jahren gröblich verletzt und dadurch die Schutzbefohlenen in die Gefahr gebracht, in ihrer körperlichen und psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden und einen kriminellen Lebenswandel zu führen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 171, 52, 53 StGB. Die Beschuldigte habe sich aufgrund eigenen Entschlusses gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern von Deutschland aus in das syrische Bürgerkriegsgebiet begeben, sich dort dem IS angeschlossen, sich seiner Befehlsgewalt unterworfen und in die Organisation eingegliedert, die Kinder im Sinne der Ideologie des IS erzogen, den Haushalt geführt, während sich ihr Mann nach Erhalt einer militärischen Ausbildung bei einer technischen Einheit des IS betätigt habe, und damit insgesamt aktiv die Ziele des IS gefördert.
II.
3
Die Prüfung, ob die Untersuchungshaft fortdauern darf, führt zur Aufhebung des Haftbefehls. Die Beschuldigte ist nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen der ihr vorgeworfenen mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nicht dringend verdächtig im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO, ebenso wenig der Unterstützung einer solchen Vereinigung. Die damit verbleibende geringere Straferwartung wegen des dringenden Verdachts der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht trägt den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) nicht. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht gleichwohl ein die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und damit – nach Abgabe des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt wegen minderer Bedeutung (§ 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG) – der Generalstaatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts begründender Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB (§ 142a Abs. 1 Satz 1 und 2, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG). Im Einzelnen:
4
1. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung setzt zum einen eine gewisse einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation (die Mitgliedschaft) und zum anderen eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlungen) voraus. Es gilt:
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a) Die erforderliche Eingliederung des Täters in die Vereinigung kommt nur in Betracht, wenn er sie von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein die Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19, juris Rn. 28; vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 35 mwN).
6
Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt auf der Grundlage der seit dem 22. Juli 2017 geltenden Legaldefinition der Vereinigung (§ 129 Abs. 2 StGB) nicht voraus, dass sich der Täter in ihr Verbandsleben integriert (s. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2018 – StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207 mwN; vom 24. Februar 2021 – AK 9/21, juris Rn. 18; Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21, NJW 2021, 2813 Rn. 20). Für die Eingliederung in die Organisation ist somit nicht mehr erforderlich, dass seine Förderungshandlungen von einem einvernehmlichen Willen zur fortdauernden Teilnahme an diesem Verbandsleben getragen sind. Bestehen jedoch bei der zu beurteilenden Vereinigung – wie dem IS – eine ausgeprägte Organisation und ein verbindlicher Gruppenwille, ist auch nach der aktuellen Gesetzeslage dieses von der bisherigen Rechtsprechung verlangte Kriterium von Bedeutung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1979 – StB 52/79, BGHSt 29, 114, 120 ff.; Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 128); die Eingliederung in die auf diese Weise strukturierte Personenmehrheit geht typischerweise mit dem einvernehmlichen Willen zur Teilnahme am Verbandsleben einher (s. MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 82). Im Übrigen genügt nach neuem Recht insoweit jedenfalls ein entsprechender Wille zur auf Dauer oder zumindest längere Zeit angelegten Mitwirkung an den Aktivitäten oder an der Verfolgung der Ziele der Vereinigung (vgl. LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 97; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, 2. Aufl., § 129 Rn. 21; ferner SK-StGB/Stein/Greco, 9. Aufl., § 129 Rn. 43).
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b) Eine Beteiligungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht. In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt (BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, BGHR StGB § 129a Abs. 1 Mitgliedschaft 5 Rn. 24 mwN; vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 37).
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2. Gemessen daran belegen die bislang ermittelten Tatsachen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die dargelegten Voraussetzungen für eine Eingliederung der Beschuldigten in den IS und eine aktive Tätigkeit für dessen Zwecke.
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a) Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
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Die Beschuldigte ist mit dem marokkanischen Staatsangehörigen      C.     verheiratet. Aus der Ehe stammen zwei in den Jahren 2011 und 2014 geborene Kinder. Die Familie lebte gemeinsam mit einem weiteren, im Jahr 2004 geborenen Sohn der Beschuldigten in M.    . Beide Eheleute waren Anhänger einer extremistisch-islamistischen Ideologie.
11
Im April 2015 reiste die Familie über die Türkei in das damalige Herrschaftsgebiet des IS in Syrien aus. Die Beschuldigte verbrachte einen Monat in “Frauenhäusern” des IS, während ihr Mann eine religiöse und militärische Ausbildung erhielt. Anschließend zog die Familie nach Raqqa. Dort lebte sie bis März 2017 in einer Mietwohnung. Die Beschuldigte kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Im Februar 2016 gebar sie ein weiteres Kind. Ihr Mann war derweil für eine technische Einheit des IS tätig. Die Familie war in Raqqa Bombardierungen ausgesetzt und floh deshalb Ende März 2017 nach Mayadin. Als auch diese Stadt einige Monate später unter Beschuss stand, begaben sich die Familienmitglieder erneut auf die Flucht. Im Dezember 2017 gerieten sie in kurdische Gefangenschaft. Die kommenden nahezu vier Jahre verbrachte die Beschuldigte in einem Lager in Nordsyrien, bis sie am 6. Oktober 2021 mit ihren vier Kindern nach Deutschland zurückgeführt wurde.
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b) Für den der Beschuldigten darüber hinaus vorgeworfenen Sachverhalt, sie habe sich in Syrien einvernehmlich in den IS eingegliedert und diesen von innen heraus gefördert, etwa indem sie ihren Ehemann bei seiner Tätigkeit für die Organisation aktiv unterstützte und die Kinder im Sinne der IS-Ideologie erzog, besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen keine hohe Wahrscheinlichkeit.
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aa) Die Beschuldigte hat bestritten, eine eigene Rolle im IS gespielt zu haben. Sie sei nur auf Druck ihres “Drecks-Mannes” in diesen “Scheiß-Staat” ausgereist. Er habe damit gedroht, ihr die Kinder wegzunehmen, wenn sie nicht mitkomme. Im IS-Frauenhaus habe sie angegeben, dass sie nur ihrer Familie wegen nach Syrien gekommen sei, nicht für die Organisation arbeiten wolle und weder Geld noch eine Behausung von dieser annehmen werde. Die Wohnung in Raqqa habe sie gegen eine geringe Zahlung direkt vom Eigentümer angemietet. Fortan habe sie strenge Vorgaben von ihrem Mann erhalten und kaum jemals das Haus verlassen dürfen, was er mit körperlicher Gewalt durchgesetzt habe. Er habe ihre elektronische Kommunikation überwacht und teilweise selbst geführt. Die Kinder habe sie nicht nach der IS-Ideologie erzogen, sondern privat von syrischen Nachbarn unterrichten lassen, die dem IS nicht genehm gewesen seien. Die IS-Täter seien psychisch kranke Menschen.
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bb) Aus sonstigen Beweismitteln gehen eine Eingliederung der Beschuldigten in den IS und ein vereinigungsbezogenes Verhalten ihrer Person ebenfalls nicht mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad hervor:
15
Interviews, welche sie während ihres Aufenthalts im kurdischen Gefangenenlager deutschen Journalisten gab, belegen, dass sie das Leben in Syrien zu Beginn ihres Aufenthalts “eigentlich schön” fand und dachte, “man könne dort nach dem Islam leben”. Sie sei allerdings nur Hausfrau gewesen, habe nicht rausgehen dürfen und betrachte ihre Ausreise heute als Fehler.
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Die Auswertung von Kommunikationsdaten hat ergeben, dass die Beschuldigte sich aus freien Stücken in Syrien aufhielt, wobei zum Teil nicht bekannt ist, ob sie es war, die kommunizierte, oder ihr Ehemann, der im Internet unter ihrem Namen auftrat. Das gilt für einen der Beschuldigten zugeschriebenen Facebook-Account, einen Telegram-Chat und WhatsApp-Nachrichten, die im September 2015 an die Schwester der Beschuldigten nach Deutschland verschickt wurden. Keine der versandten Mitteilungen verhielt sich ausdrücklich zum IS.
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Zeugenvernehmungen sind bisher unergiebig gewesen. Die in Deutschland verbliebene Schwester hat zu Tätigkeiten der Beschuldigten in Syrien nichts bekunden können. Ein wegen Mitgliedschaft im IS verurteilter Zeuge, der die Familie in Raqqa besucht hatte, hat ausgesagt, die Beschuldigte sei stets mit allen Kindern zu Hause gewesen. Er, der Zeuge, habe die Frau bei den Besuchen nicht zu Gesicht bekommen (“Ganz normal. Also Frau sieht man ja sowieso nicht …”).
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Vom FBI übersandte Unterlagen schließlich betreffen allein den Ehemann der Beschuldigten und thematisieren ihre Rolle nicht.
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c) Nach allem ergibt sich zwar, dass die Beschuldigte während ihres Aufenthalts in Syrien keine Distanz zur IS-Herrschaft erkennen ließ und zu keiner Zeit gegenüber Dritten äußerte, nicht aus freien Stücken dorthin gegangen zu sein. Sie hatte als Islamistin auch ein Motiv für die Ausreise nach Syrien. Nach vorläufiger Würdigung ist ihre anderslautende Einlassung unglaubhaft.
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Anhaltspunkte dafür, dass der IS nicht nur den Ehemann, sondern auch die Beschuldigte als der Vereinigung angehörig betrachtete, sind dagegen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad festzustellen. Hinweise darauf hätten etwa die religiöse Unterweisung ihrer Person, die vom IS vermittelte Hochzeit mit einem Mitglied, die Überlassung einer von der Organisation besetzten Wohnung und an bzw. für die Beschuldigte von der Vereinigung geleistete Zahlungen bieten können. Derartiges haben die bisherigen Ermittlungen jedoch nicht zutage gebracht. Der Umstand, dass der IS sie für einen kurzen Zeitraum nach ihrer Ankunft in Syrien in “Frauenhäusern” wohnen ließ, vermag allein den einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben bzw. zur Mitwirkung an den Aktivitäten oder der Verfolgung der Ziele der Vereinigung nicht hinreichend zu belegen.
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Beteiligungshandlungen von Seiten der Beschuldigten sind ebenfalls nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht hochwahrscheinlich. Hierauf können wie bei anderen Rückkehrerinnen aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet des IS etwa die eigenständige und intrinsisch motivierte Ausreise nach Syrien, die Heirat von ihnen seitens der Organisation zugeführten Mitgliedern, indoktrinative Kindererziehung mit dem Ziel, den Nachwuchs seinerseits zu Mitgliedern oder Unterstützern der Vereinigung zu formen, das Bewerben der Organisation im Internet, der Versuch, andere Deutsche zur Ausreise zum IS zu bewegen, die Beherbergung von IS-Angehörigen, die häusliche Pflege von verwundeten Kämpfern, die Ausbeutung von Jesidinnen, der Besuch von IS-Frauentreffs und Scharia-Unterricht oder das Tragen einer Kalaschnikow in der Öffentlichkeit hinweisen. Insoweit bestehen in Bezug auf die Beschuldigte keine Erkenntnisse.
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Damit erschöpfte sich ihr Verhalten nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen in einem alltäglichen Leben im Herrschaftsgebiet des IS sowie im Gebären und Aufziehen der eigenen Kinder. Diese Betätigungen müssen für sich gesehen noch keine Beteiligungsakte darstellen (s. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2018 – StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207; vom 23. Juni 2020 – StB 19/20 und 20/20, nicht veröffentlicht; vom 21. April 2022 – AK 14/22; ferner SSW-StGB/Lohse, 5. Aufl., § 129 Rn. 38), wenngleich auch solche neutralen Handlungen, wenn sie bewusst auf die Förderung der Ziele des IS angelegt sind, einen Vereinigungsbezug aufweisen können. Dafür, dass die Beschuldigte ihre alltäglichen Verrichtungen mit der entsprechenden Willensrichtung besorgte, fehlt es vorliegend jedoch an Anknüpfungstatsachen. Auch der polizeiliche Ermittlungsführer hat Ende März 2022 zur Akte vermerkt, es sei unbekannt, ob und wie die Beschuldigte den IS unterstützt habe. Gleiches gelte für die Indoktrinierung und religiöse Einflussnahme auf die Kinder, über die ebenfalls keine Erkenntnisse bestünden.
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3. Nach dem derzeit zugrunde zu legenden Sachverhalt hat sich die Beschuldigte auch nicht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) strafbar gemacht. Konkrete, die Vereinigung objektiv und subjektiv fördernde Tätigkeiten haben sich, wie dargelegt, bislang nicht ergeben (zum Begriff des Unterstützens s. etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2018 – AK 37/18, juris Rn. 14 ff.; vom 28. April 2020 – StB 13/20, juris Rn. 22 f., jeweils mwN).
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4. Damit bleibt es, was den dringenden Tatverdacht betrifft, (nur) bei der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht im Sinne des § 171 StGB in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 52 StGB).
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Die hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung folgt insoweit nach der derzeitigen Beweislage zum einen daraus, dass die Beschuldigte ihre drei kleinen Kinder vorsätzlich aus der Bundesrepublik Deutschland in ein Kriegsgebiet verbrachte, in dem Gefahr für deren gesunde körperliche und psychische Entwicklung bestand. Diese Gefahr wird, abgesehen von der allgemeinen Lage vor Ort im Tatzeitraum, unter anderem dadurch deutlich, dass die Familie in Raqqa Bombenangriffen ausgesetzt war und der älteste Sohn hochwahrscheinlich körperliche Misshandlungen erlitt – er hat kreisrunde Brandmale an den Beinen, die augenscheinlich vom Ausdrücken brennender Zigaretten stammen. Zum anderen lief jedenfalls dieser Junge aufgrund seines im Vergleich zu den Geschwistern höheren Alters Gefahr, im Herrschaftsgebiet des IS dessen Ziele sowie Vorgehensweisen zu übernehmen und durch Handlungen in dessen Sinne einen kriminellen Lebenswandel zu führen.
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Die äußeren Umstände lassen derzeit den Schluss auf den subjektiven Tatbestand zu (BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19, juris Rn. 42 ff., und StB 26/19, BGHR StGB § 171 Krimineller Lebenswandel 1 mwN; vom 4. März 2020 – StB 7/20 Rn. 40, nicht veröffentlicht; vom 3. März 2021 – AK 10/21, juris Rn. 36; zum erforderlichen Vorsatz BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020 – 4 StR 339/20, NStZ-RR 2020, 372), auf den ebenso wie auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens Bedacht zu nehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 – StB 26/19, juris Rn. 26 mwN zum Gefahrbegriff).
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Deutsches Strafrecht ist nach §§ 3, 9 Abs. 1 StGB schon deshalb anwendbar, weil die Beschuldigte die mutmaßliche Tatausführung spätestens mit der Ausreise und damit in Deutschland begann (s. ausführlich BGH, Beschluss vom 3. März 2021 – AK 10/21, juris Rn. 42 mwN).
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5. Für die Verfolgung der Straftat nach § 171 StGB verbleibt es bei der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts. Angesichts der islamistischen Orientierung der Beschuldigten, ihrer letztlich freiwilligen Ausreise mit den Kindern, ihres langjährigen Aufenthalts im Herrschaftsgebiet des IS und der Eingliederung ihres Ehemanns in die Organisation besteht nach wie vor ein Anfangsverdacht für ein Vereinigungsdelikt nach den §§ 129a, 129b StGB.
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6. Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls und der weitere Vollzug der nunmehr bereits knapp sieben Monate andauernden Untersuchungshaft scheiden aus. Es besteht kein Haftgrund mehr.
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Mit dem Wegfall des dringenden Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland entfällt der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO.
31
Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), auf den der Haftbefehl vom 22. Mai 2020 gestützt ist, setzt voraus, dass es bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände wahrscheinlicher ist, dass sich die Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm zur Verfügung halten werde. Dies ist angesichts des um die Vereinigungsdelikte reduzierten dringenden Tatverdachts nicht mehr der Fall. Die Straferwartung ist dadurch erheblich geringer. Hinzu kommt, dass die bisherige Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die gegebenenfalls zu verhängende Strafe anzurechnen wäre. Die derzeit zu erwartende Sanktion und der von ihr noch zu verbüßende Teil sind deshalb nicht so hoch, dass sie geeignet erscheinen, einen bedeutsamen Fluchtanreiz auszuüben.
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Zudem hat die Beschuldigte nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen eine enge Bindung zu ihren Kindern. Da für diese eine Vormundschaft eingerichtet ist, wird sie mit den Behörden kooperieren müssen, wenn sie die Kinder sehen will. Zum IS, der sein Herrschaftsgebiet verloren hat, wird die Beschuldigte ohnehin nicht zurückkehren können. Kontakt zu ihrem Ehemann, der sich offenbar weiterhin in kurdischer Gefangenschaft befindet, besteht ebenfalls seit Jahren nicht mehr. Insgesamt überwiegen deshalb nicht die Umstände, die dafür sprechen, dass sie sich dem weiteren Verfahren entziehen wird.
Schäfer                      Berg                      Erbguth


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