Strafrecht

AK 50/20

Aktenzeichen  AK 50/20

Datum:
3.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:030221BAK50.20.0
Normen:
§ 7 Abs 1 Nr 5 VStGB
§ 121 Abs 1 StPO
§ 223 StGB
§ 226 StGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Tenor

Eine Haftprüfung durch den Senat nach den §§ 121, 122 StPO ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe

I.
1
Der Beschuldigte wurde am 19. Juni 2020 festgenommen und befand sich zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag wegen des dringenden Verdachts eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Untersuchungshaft. Dem Beschuldigten wurde hierin vorgeworfen, im November 2011 als Arzt im Gefängnis des syrischen Geheimdienstes in H.   einen der syrischen Opposition zugerechneten Gefangenen, der einen epileptischen Anfall erlitten hatte, an zwei Tagen mit einem Plastikrohr bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen sowie getreten zu haben. Der Gefangene sei in der Folge verstorben, ohne dass der Grund hierfür habe festgestellt werden können.
2
Am 16. Dezember 2020 erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen neuen Haftbefehl. Gegenstand dieses Haftbefehls sind neben den Anschuldigungen im Haftbefehl vom 19. Juni 2020 die Vorwürfe des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Mord, schwerer und gefährlicher Körperverletzung sowie schwerer Freiheitsberaubung. Danach soll der Beschuldigte als Arzt des Militärkrankenhauses in H.   im Sommer 2011 das Geschlechtsteil eines 14- bis 15-jährigen inhaftierten Jungen angezündet und damit den Verlust der Zeugungsfähigkeit billigend in Kauf genommen haben; im Juli/August 2012 soll er an mindestens zehn Tagen einen anderen Gefangenen – unter anderem mit einem Plastikrohr – geschlagen und schließlich unter Zuhilfenahme eines Brandbeschleunigers dessen Hand angezündet haben; im Sommer 2012 soll er einem Gefangenen mit dem verschmutzten Schuh in eine entzündete Wunde getreten und diese sowie den Unterarm schließlich angezündet, danach dem auf dem Boden liegenden Gefangenen mit dem beschuhten Fuß drei Zähne ausgetreten und ihn mit einem Schlagstock bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen haben; schließlich soll er einige Tage später einen weiteren Gefangenen, der sich gegen seine Schläge und Tritte gewehrt hatte, mittels einer in einer Spritze enthaltenen Substanz getötet haben. Dieser erweiterte Haftbefehl wurde dem Beschuldigten am 16. Dezember 2020 verkündet.
3
Der Generalbundesanwalt beantragt festzustellen, dass eine Haftprüfung durch den Senat noch nicht ansteht.
II.
4
Eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO ist derzeit nicht veranlasst. Der Beschuldigte befindet sich zwar mittlerweile seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft. Im Hinblick auf die weiteren Vorwürfe im Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 ist jedoch eine neue Sechsmonatsfrist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO in Gang gesetzt worden, deren Lauf am 17. Oktober 2020 begonnen hat und deren Ablauf somit noch nicht bevorsteht.
5
Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug der Untersuchungshaft “wegen derselben Tat” vor dem Erlass eines Urteils nur unter besonderen Voraussetzungen länger als sechs Monate aufrechterhalten werden. Der Begriff derselben Tat nach § 121 StPO ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm, die das Beschleunigungsgebot in Haftsachen durchsetzen soll, weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 6; vom 7. September 2017 – AK 42/17, NStZ-RR 2018, 10, 11; vom 16. Januar 2018 – AK 78/17, juris Rn. 11; s. auch KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn. 10 mwN) erfasst er alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, zu dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Somit löst es keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus, wenn vor Ablauf der Frist ein neuer Haftbefehl erlassen wird, der lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt. Für den Fristbeginn ist dann der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat, der neue bzw. erweiterte Haftbefehl mithin hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Dabei ist regelmäßig der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 8; vom 25. Juli 2019 – AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 8).
6
Danach hat der Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 eine neue Sechsmonatsfrist eröffnet, deren Lauf an dem Tag begonnen hat, an welchem ein erweiterter Haftbefehl hätte erlassen werden können. Dieser hat neue selbständige Taten zum Gegenstand, die noch nicht Gegenstand des vorangegangenen Haftbefehls waren (unten 1.), erst im Laufe der nachfolgenden Ermittlungen bekannt geworden sind (unten 2.) und für sich genommen den Haftbefehlserlass rechtfertigen (unten 3.); zu einem dringenden Tatverdacht haben sich diese Vorwürfe erst am 16. Oktober 2020 verdichtet (unten 4.).
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1. Der Beschuldigte ist – über die Vorwürfe des ursprünglichen Haftbefehls hinaus – des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Mord und in drei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, hiervon wiederum in einem Fall in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung dringend verdächtig. Diese Taten sind im Verhältnis zu dem den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2020 tragenden Vorwurf als andere Taten im Sinne des § 121 StPO zu werten. Dies folgt daraus, dass sie entgegen der im Haftbefehl vorgenommenen konkurrenzrechtlichen Bewertung materiellrechtlich zu dieser Tat im Verhältnis der Tatmehrheit stehen, so dass der Grundsatz Gültigkeit beansprucht, wonach sachlich-rechtlich selbständige Taten auch prozessual selbständig sind (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, juris Rn. 47, in BGHSt 60, 308 ff. nicht abgedruckt). Diese Regel, von der abzuweichen vorliegend kein Anlass besteht, führt dazu, dass die Tatvorwürfe in den beiden Haftbefehlen hier auch als eigenständige Taten im Sinne des § 121 StPO zu bewerten sind. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, inwieweit sich der Begriff derselben Tat nach § 121 StPO vom materiellrechtlichen Begriff der Tateinheit und von dem der prozessualen Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO unterscheidet. Insbesondere kann hier offenbleiben, ob immer dann, wenn materiellrechtlich eine Tat vorliegt, dieselbe Tat im Sinne des § 121 StPO gegeben ist. Im Einzelnen:
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a) Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
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aa) Die Proteste aus der Bevölkerung, denen sich das Regime des syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad im Rahmen des sog. Arabischen Frühlings seit Februar 2011 ausgesetzt sah, versuchten die syrischen Sicherheitskräfte spätestens ab März 2011 zunehmend gewaltsam zu unterdrücken. Um ihre Beendigung zu erzwingen, wurde die sog. “Zentrale Stelle für Krisenmanagement” (Central Crisis Management Cell – CCMC) gegründet, an deren Spitze der Präsident selbst stand und zu der neben dem Verteidigungsminister auch die Leiter der Geheimdienste zählten. Diese Stelle hatte die Aufgabe, die Auflösung von Demonstrationen und die Unterdrückung der Proteste mit militärischen Mitteln zu organisieren. Aufgrund zentraler Anordnung der CCMC versuchten die syrischen Sicherheitsbehörden spätestens seit Ende April 2011 die Protestbewegung gewaltsam im Keim zu ersticken, um eine drohende Destabilisierung der Regierung und deren etwaigen Sturz zu unterbinden. In der Folgezeit wurden überall im Land tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle und Regimekritiker verhaftet, misshandelt, gefoltert und teilweise sogar getötet. Zugleich wurden landesweit Demonstrationszüge – teilweise unter Einsatz scharfer Schusswaffen gegen friedlich Protestierende – angegriffen und aufgelöst. Die Sicherheitskräfte verfolgten vor der Gewalt fliehende Demonstranten und nahmen eine Vielzahl fest. Bisweilen wurden auch gänzlich Unbeteiligte inhaftiert und gequält. Ziel der Folterungen und Misshandlungen durch die Sicherheitsbehörden war es, einerseits Informationen über weitere Oppositionelle zu gewinnen, andererseits die Bevölkerung einzuschüchtern und hierdurch künftige Protestaktionen zu verhindern.
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Bei der Unterdrückung der Protestbewegung kam den Geheimdiensten eine entscheidende Rolle zu. Teilweise beteiligten sich ihre Mitglieder selbst an der Auflösung von Demonstrationen und den Festnahmen. Auch verfügten sie über eigene Hafteinrichtungen, die regelmäßig in ihre Gebäude integriert waren, und in denen die Gefangenen misshandelt und gefoltert wurden. Dabei bedienten sich die Beteiligten unterschiedlicher Methoden, unter anderem der Verstümmelung von Genitalien, des Anzündens von Körperteilen und der Schläge mit Gegenständen. Zunehmend wurde nicht nur in Gefängnissen, sondern ebenso an Kontrollstellen, in Polizeiwachen und in Militärkrankenhäusern gefoltert. Die Festgenommenen wurden systematisch von der Außenwelt isoliert. Eine große Anzahl Gefangener verstarb infolge der Misshandlungen und mangelnder – auch medizinischer – Versorgung.
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Der dem Verteidigungsministerium unterstellte militärische Geheimdienst nahm in diesem Zusammenhang eine bedeutende Stellung ein. Er verfügte neben einer zentralen Organisationseinheit über regionale Abteilungen, die darauf ausgerichtet waren, oppositionelle Zivilisten zu inhaftieren, zu foltern und gegebenenfalls zu töten. Auch in der Stadt H.   befand sich eine Zweigstelle des militärischen Geheimdienstes, in dessen Gebäuden gefoltert wurde.
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Die Stadt beherbergte zudem ein Militärkrankenhaus. Dieses war – wie andere Militärkrankenhäuser in Syrien – seit Beginn der Proteste im Frühjahr 2011 neben der Erfüllung seiner traditionellen Aufgabe der Behandlung von Militärangehörigen und ihrer Familien zunehmend mit der Aufnahme verletzter Demonstranten und anderer Oppositioneller befasst. Die Sicherheitskräfte nutzten die Einlieferung von Verletzten, um diese zu identifizieren und zu inhaftieren. Medizinische Behandlungen der gefangenen Patienten dienten nicht der Gesundheitsfürsorge, sondern dem Zweck, sie für weitere Vernehmungen und Folterungen am Leben zu erhalten. Die der Opposition zugerechneten Gefangenen, die in das Militärkrankenhaus in H.   verbracht wurden, wurden während ihres Verbleibs im Krankenhaus misshandelt. Sie wurden regelmäßig gefesselt, mussten nur in Unterwäsche bekleidet auf dem kalten Fußboden schlafen und wurden unzureichend versorgt.
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bb) Der Beschuldigte, der dem Regime zustimmend gegenüberstand und dessen Vorgehen gegen die oppositionelle Bevölkerung befürwortete, war in den Jahren 2011 und 2012 als Assistenzarzt im Militärkrankenhaus in H.   beschäftigt. Dabei beteiligte er sich im Rahmen der durch die Regierung vorgegebenen Bekämpfung der Opposition an den schweren Misshandlungen, Demütigungen und Folterungen von Gefangenen. Im Einzelnen kam es zu folgenden Taten:
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(1) An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Sommer 2011 lieferten Militärangehörige einen 14 oder 15 Jahre alten Jungen in das Militärkrankenhaus ein. Diesen beschimpfte der Beschuldigte, während zwei Militärangehörige ihn an den Händen festhielten und gegen die Wand drückten. Mit den Worten, dass er schauen wolle, ob der Junge “ein Mann” sei, entblößte er dessen Geschlechtsteil, begoss es mit Alkohol und zündete es an. Dabei nahm er einen Verlust der Zeugungsfähigkeit des Geschädigten in Kauf. Dieser schrie und weinte vor Schmerzen.
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(2) Im Juli/August 2012 verlegten die Kräfte des Geheimdienstes in H.   einen Zeugen, den sie der Oppositionsbewegung zurechneten, nach einer Gefängnisrevolte aus dem Zentralgefängnis in H.   in das dortige Militärkrankenhaus, wo er in einer Zelle im Untergeschoss festgehalten wurde. Wenige Stunden später erschien dort der Beschuldigte und misshandelte den Zeugen zusammen mit zwei weiteren Bediensteten mit Händen, Fäusten und Tritten am ganzen Körper. Der Zeuge wurde zudem an der Decke aufgehängt und mit einem grünen Plastikstock geschlagen. Solche Misshandlungen unter Beteiligung des Beschuldigten wiederholten sich an mindestens zehn Tagen. Anlässlich eines weiteren Vorfalls goss der Beschuldigte eine entzündliche Flüssigkeit auf die Hand des am Boden liegenden Zeugen und setzte diese in Brand. Alsdann forderte er einen Begleiter auf, das Feuer wieder zu löschen. Der Geschädigte erlitt hierdurch Brandverletzungen.
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(3) Ein weiterer Zeuge wurde im Juli 2012 in das Gefängnis des militärischen Geheimdienstes verlegt. Da er an mehreren entzündeten Wunden an Armen und Beinen litt, bat er um ärztliche Behandlung und wurde in das Militärkrankenhaus eingeliefert. Nach wenigen Tagen betrat der Beschuldigte zusammen mit zwei Pflegern die Zelle. Zunächst beschimpfte er die dort untergebrachten Gefangenen und schlug sie mit einem Stock. Dann ließ er sich von dem Zeugen dessen Wunden zeigen. Er führte ihn auf den vor der Zelle gelegenen Flur und forderte den nur mit einer Unterhose bekleideten Zeugen auf, sich auf den Boden zu legen. Mit den Worten, dass er ihm zeigen wolle, wie man solche Wunden behandele, trat er mit seinem verschmutzten Schuh in die entzündeten Wunden. Dann begoss er sie mit einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel und setzte eine Wunde am Unterarm in Brand. Auf seine Aufforderung trat einer der Krankenpfleger schließlich den Brand aus, stellt sich aber auf den rechten Arm des am Boden Liegenden, während ein weiterer Begleiter des Beschuldigten den linken Arm festhielt. Dieser versetzte nunmehr dem Zeugen einen Tritt ins Gesicht, so dass drei Schneidezähne so stark beschädigt wurden, dass sie später durch eine Prothese ersetzt werden mussten. Weiter malträtierte er ihn mit einem Schlagstock am ganzen Körper, bis er das Bewusstsein verlor.
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(4) Wenige Tage später suchte der Beschuldigte wieder die Gefängniszelle auf, in der die beiden vorgenannten Zeugen (vgl. oben (2) und (3)) gemeinsam mit mehr als 20 weiteren Insassen festgehalten wurden. Unter Beschimpfungen schlug er auf die an den Händen gefesselten Gefangenen ein. Als einer von ihnen sich mit Tritten wehrte, griff er diesen mit einem Stock an und fixierte ihn mit Hilfe eines Krankenpflegers am Boden. Alsdann besorgte er sich eine mit einer unbekannten Substanz befüllte Spritze, die er in den Oberarm des Gefangenen setzte, um diesen zu töten. Damit wollte er vor den Mitgefangenen seine Macht demonstrieren und zeigen, dass selbst dieser körperlich starke Häftling ihm hilflos ausgeliefert sei. So wollte er dazu beitragen, die syrische Opposition zu schwächen. Nach Verabreichung der Spritze setzte er einen Fuß auf den Kopf des sehr geschwächt wirkenden Gefangenen und verkündete, dieser werde bald bei den “Mädchen im Himmel” sein. Dann verließ er den Raum. Der Gefangene, der sich noch erbrach und anschließend an Schüttelfrost litt, verstarb alsbald.
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(5) Am 24. Oktober 2011 erlitt ein weiterer Gefangener, der zusammen mit seinem Bruder und einem Verwandten festgenommen worden war, im Gefängnis des militärischen Geheimdienstes in H.  , wo er unter anderem mit einem Plastikrohr geschlagen worden war, einen epileptischen Anfall. Daraufhin wurde der Beschuldigte, der in seiner Eigenschaft als Arzt den Gefängnistrakt des Geheimdienstes regelmäßig aufsuchte, benachrichtigt. Er veranlasste den Angehörigen des Gefangenen, diesen zum Eingang des Zellenbereichs zu bringen. Dort schlug er auf das Gesicht des Kranken ein, bis dieser zu Boden ging. Sodann versetzte er ihm sowie seinem Verwandten mit einem grünen Plastikschlauch weitere Schläge. Schließlich trat er gegen den Kopf des Patienten und äußerte: “Hier hast du Dein Medikament”. Als der Beschuldigte am nächsten Tag erneut zu dem Kranken, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte, gerufen wurde, schlug er diesen sowie dessen Angehörigen wieder heftig mit dem Schlauch. Schließlich ließ er sich den Gefangenen einen Tag später nochmals vorführen und verabreichte ihm eine Tablette, worauf dieser wenig später keine Reaktion mehr zeigte. Der Beschuldigte ließ zwei Stunden später den reglosen Körper wegbringen. Der Gefangene verstarb noch an diesem Tag.
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Diese Handlungen waren bereits Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2020.
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b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) beruht auf Folgendem:
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aa) Hinsichtlich des Geschehens in Syrien seit Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings im Frühjahr 2011, insbesondere des gewaltsamen Vorgehens des Regimes des Präsidenten al-Assad gegen Oppositionelle, der Organisation der Geheimdienste und der durch diese sowie andere Sicherheitsdienste durchgeführten Foltermaßnahmen und Tötungen von Zivilpersonen liegen das Gutachten der Sachverständigen T.      vom 1. Juni 2019, ein Sachstandsbericht des Bundeskriminalamts zu Erkenntnissen über Foltermethoden in syrischen staatlichen Einrichtungen vom 16. November 2017 sowie ein weiterer zu den Strukturermittlungen des Bundeskriminalamts zum Auswertungskomplex “CAESAR” vom 10. August 2020 vor. Die Verhältnisse im Militärkrankenhaus in H.   sowie die “Betreuung” von Patienten durch Ärzte dieses Krankenhauses im Militärgefängnis hat ein Zeuge geschildert.
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bb) Der Beschuldigte hat sich bei seiner Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 10. Dezember 2020 nicht zu den einzelnen Vorwürfen eingelassen. Er hat aber sinngemäß geltend gemacht, auf Betreiben eines ihm feindlich gesinnten syrischen Arztes wegen angeblicher Foltervorwürfe in den Medien vorgeführt und persönlich bedroht zu werden. Er sei 2012 gar nicht in H.   gewesen.
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Der dringende Verdacht der oben aufgeführten Straftaten gründet sich indes insbesondere auf den Aussagen mehrerer Zeugen.
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(1) Ein Zeuge, der am 3. Juni 2020 im Wege der Rechtshilfe in Frankreich vernommen wurde, hat die unter 1. a) bb) (5) genannten Vorwürfe geschildert. Seine Angaben werden durch einen am 5. August 2020 vom Bundeskriminalamt in Dänemark vernommenen weiteren Zeugen bestätigt. Geringfügige Abweichungen in der Schilderung des Geschehens vermögen den dringenden Verdacht, dass der Beschuldigte den später Verstorbenen, der an epileptischen Anfällen litt, schlug und ihn dann mit einem Medikament ruhigstellte, das möglicherweise den Tod herbeiführte, nicht zu entkräften. Diesen steht nämlich eine Reihe bemerkenswerter Übereinstimmungen bei den Bekundungen des Anlasses und des Umfelds des Geschehens gegenüber. Zudem hat ein weiterer Zeuge, der selbst zeitweise im Militärkrankenhaus in H.   beschäftigt war, bei seiner Vernehmung am 7. Oktober 2020 bestätigt, dass der Beschuldigte nicht nur im Militärkrankenhaus in H.  , sondern auch im dortigen Gefängnis des Militärgeheimdienstes, und zwar im Eingangsbereich zum Zellentrakt, tätig gewesen sei.
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(2) Der letztgenannte Zeuge hat zudem Angaben zu dem Tatgeschehen unter 1. a) bb) (1) zum Nachteil des 14- bis 15-jährigen Jungen in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses gemacht. Die detaillierten und von großer Betroffenheit des Zeugen begleiteten Angaben sprechen bei vorläufiger Beurteilung der Aussage für deren Richtigkeit.
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(3) Der dringende Verdacht der unter 1. a) bb) (2) – (4) dargelegten Taten folgt insbesondere aus den Aussagen der betroffenen Zeugen. Einer dieser Zeugen hat in seiner Vernehmung vom 2. Juli 2020 ausführlich und detailreich die zu seinem Nachteil begangenen körperlichen Attacken durch den Beschuldigten sowie die Tötung des sich gegen die Schläge zur Wehr setzenden Mitgefangenen geschildert. Die erst am 5. August 2020 vorgenommene gerichtsmedizinische Untersuchung des Zeugen hat ergeben, dass die noch immer sichtbaren Narben von den geschilderten Übergriffen herrühren können. Die Angaben des Zeugen finden zudem Bestätigung durch die im Wege der Rechtshilfe am 16. Oktober 2020 durch die griechische Polizei durchgeführte Vernehmung des weiteren von der Tat betroffenen Zeugen, der von den zu seinem Nachteil, aber auch von den zum Nachteil des vorgenannten Zeugen begangenen Taten berichtet hat. Diese Schilderungen belegen zudem die Tötung des sich wehrenden Gefangenen.
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Der Senat verkennt bei der vorläufigen Bewertung dieser Aussagen nicht, dass die Zeugen bereits vor ihren Vernehmungen über Menschenrechtsaktivisten, Berichterstattungen in sozialen Medien und/oder eine Dokumentation im Sender Al Jazeera über Foltervorwürfe gegen den Beschuldigten informiert gewesen waren und teilweise schon in diesen Zusammenhängen Fotos des Beschuldigten, den sie später bei den Lichtbildvorlagen identifiziert haben, gesehen hatten. Angesichts der detailreichen und in einer Vielzahl von Besonderheiten – auch zum Randgeschehen – übereinstimmenden Angaben gegenüber verschiedenen Vernehmungsbeamten in mehreren europäischen Ländern vermögen diese Umstände den dringenden Verdacht jedoch nicht zu entkräften. Insoweit nimmt der Senat nach eigener Prüfung ergänzend Bezug auf die ausführliche Bewertung der Zeugenaussagen durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in dem Haftbefehl vom 16. Dezember 2020.
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Den Angaben der vorgenannten wie weiterer Zeugen kann zudem entnommen werden, dass der Beschuldigte im Tatzeitraum mit großer Wahrscheinlichkeit im Militärkrankenhaus in H.   tätig war. Das sichergestellte Wehrdienstbuch des Beschuldigten bescheinigt seine Zurückstellung vom Wehrdienst von Herbst 2011 bis Spätsommer 2012 wegen seiner Beschäftigung in H.  . Die von ihm vorgelegten Dokumente, die das Gegenteil belegen sollen, sowie die entsprechenden Aussagen der vom Ermittlungsrichter vernommenen Zeugen vermögen die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Taten in H.   aufhielt, nicht zu entkräften. Insoweit ist ebenfalls auf die Ausführungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs im Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 zu verweisen. Dies gilt auch für die Gründe, aus denen dieser die Behauptung, die die Vorwürfe betreffenden Zeugenaussagen seien insgesamt von einem feindlich gesinnten syrischen Arzt veranlasst worden, als wenig plausibel angesehen hat.
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c) Danach hat sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mordes sowie gefährlicher und versuchter schwerer Körperverletzung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 VStGB, § 211, § 224 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, § 226 Abs. 1 Nr. 1, § 22 StGB strafbar gemacht. Im Einzelnen:
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aa) Die dargelegten Taten sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 VStGB zu werten.
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(1) Das Vorgehen des syrischen Regimes gegen die Opposition während des sog. Arabischen Frühlings erfüllt spätestens ab Ende April 2011 und damit im Tatzeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 VStGB. Seit diesem Zeitpunkt lag ein ausgedehnter und systematischer Angriff des syrischen Staates gegen die eigene Bevölkerung vor.
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(a) Bei einer Zivilbevölkerung handelt es sich um eine größere Gruppe von Menschen, die über gemeinsame Unterscheidungsmerkmale (etwa das gemeinsame Bewohnen eines geografischen Gebiets oder eine gemeinsame politische Willensrichtung) verfügen, aufgrund derer sie angegriffen werden. Kennzeichnend ist, dass die Maßnahmen auf die einzelnen Tatopfer nicht in erster Linie als individuelle Persönlichkeiten, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe zielen. Nicht notwendig ist hingegen, dass sich der Angriff gegen die gesamte – in einem Gebiet ansässige – Bevölkerung richtet. Vielmehr ist ausreichend, dass gegen eine erhebliche Anzahl von Einzelpersonen vorgegangen wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 164; MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 15, 21 mwN). Für eine Staatsmacht kann auch die eigene Zivilbevölkerung taugliches Tatobjekt sein; außerhalb bewaffneter Konflikte sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelmäßig von einem derartigen einseitigen Vorgehen geprägt (s. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 22). Unter einem ausgedehnten Angriff ist – in Anlehnung an die Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte (s. die Nachweise bei MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 26) – ein in großem Maßstab durchgeführtes Vorgehen mit einer hohen Anzahl von Opfern zu verstehen. Als systematisch ist der Angriff zu beurteilen, wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird.
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(b) Das Vorgehen des Assad-Regimes gegen die Opposition in Syrien während des sog. Arabischen Frühlings erfüllt – nach hinreichend gesicherten Erkenntnissen – diese tatbestandlichen Voraussetzungen spätestens mit dem gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten und andere – auch vermeintliche – Oppositionelle jedenfalls ab Ende April 2011. Ab diesem Zeitpunkt und in der Folgezeit griff das Regime die eigene Zivilbevölkerung an, indem es planmäßig und organisiert mit massiver Gewalt gegen Demonstranten sowie (tatsächliche oder vermeintliche) Oppositionelle vorging, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Diese Mitglieder der Zivilgesellschaft wurden zur Erreichung des Ziels, die Aufstände zu beenden, verfolgt, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die durch die Sicherheitskräfte, namentlich die Geheimdienste, plan- und regelmäßig ausgeübte Gewalt diente der Einschüchterung der Bürger, um künftige Protestaktionen zu unterbinden.
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Der Angriff war auch ausgedehnt und systematisch. Dies belegt die Vielzahl der tatbestandsmäßigen Gewalttaten, die von Seiten der Staatsmacht über einen ganz erheblichen Zeitraum hinweg verübt wurden, sowie die hohe Anzahl der Opfer. Die zentrale Befehligung und Organisation des Vorgehens der Sicherheitskräfte durch die obersten politischen und militärischen Verantwortlichen um den Staatspräsidenten begründen außerdem den systematischen Charakter des Angriffs (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 56 ff.).
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Ob das Tatbestandsmerkmal des gegen die Bevölkerung gerichteten Angriffs im Sinne des § 7 Abs. 1 VStGB zusätzlich ein “Politikelement” enthält, wonach ein Angriff voraussetzt, dass er in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation vorgenommen wird, die einen solchen Angriff zum Ziel hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – AK 3/10, BGHSt 55, 157 Rn. 26; Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 168), kann hier – erneut – dahinstehen. Denn ein solches versteht sich vorliegend von selbst.
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(2) Die Gewalthandlungen des Beschuldigten waren als Teil dieses vorsätzlich durchgeführten, ausgedehnten Angriffs auf die Zivilbevölkerung zu qualifizieren und somit in die von § 7 Abs. 1 VStGB vorausgesetzte Gesamttat eingebunden. Im Einzelnen erfüllen sie damit folgende Straftatbestände:
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(a) Das Verhalten des Beschuldigten in den Fällen 1. a) bb) (1) – (3) und (5) ist als Folter im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB zu werten.
38
Diese Tatbestandsvariante verwirklicht, wer im Rahmen der Gesamttat einen Menschen foltert, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind. Der in der gesetzlichen Vorschrift ausdrücklich geregelte Begriff der Erheblichkeit verlangt ein hinreichend großes Maß der durch die Tathandlung verursachten Beeinträchtigung und dient nicht allein dazu, Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich auszuscheiden (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 5. September 2019 – AK 47/19, juris Rn. 38; vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 63). Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes (s. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2018 – StB 40/18, juris Rn. 22; vom 17. November 2016 – AK 54/16, juris Rn. 27). Eine bleibende Gesundheitsschädigung oder Schmerzen extremen Ausmaßes sind jedoch nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 63 mwN). Insbesondere liegen die Anforderungen an die Erheblichkeit nicht so hoch wie bei dem mit § 226 StGB zu vergleichenden Schweregrad (im Einzelnen vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – 3 StR 564/19).
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Die schweren Misshandlungen des im Fall 1. a) bb) (2) betroffenen Geschädigten, die der Beschuldigte zusammen mit zwei weiteren Bediensteten an elf Tagen ausführte, erfüllen die Anforderungen an die Erheblichkeit. Dem – teilweise an der Decke aufgehängten – Zeugen wurden durch Schläge mit Fäusten und Tritten, den Einsatz eines Plastikstocks sowie durch Anzünden der Hand erhebliche Schmerzen zugefügt. Gleiches gilt für die mittels eines Schlagstocks ausgeführten Schläge, die Tritte mit dem Schuh in eine entzündete Wunde und ins Gesicht sowie das Anzünden der Wunde und des Unterarms des im Fall 1. a) bb) (3) verletzten Zeugen. Ebenso stellt sich das Verhalten des Beschuldigten unter 1. a) bb) (5), bei dem er an zwei Tagen zwei Zeugen und dem später Verstorbenen durch Schläge, insbesondere auch mit einem Plastikschlauch, erhebliche Schmerzen zufügte, als Folter dar. Dagegen rechtfertigt das bisherige Ermittlungsergebnis in diesem Fall bisher keinen dringenden Tatverdacht nach § 7 Abs. 3 VStGB. Eine mögliche Ursache für den Tod des vorerkrankten Verstorbenen konnte bislang nicht festgestellt werden. Auch der Haftbefehl geht offensichtlich nicht davon aus, dass die Einnahme des von dem Beschuldigten verabreichten Medikaments todesursächlich war. Dafür, dass der Tod als Folge der vorangegangenen Schläge eintrat, liegen ebenfalls keine Anhaltspunkte vor. Schließlich erfüllt die schwere Misshandlung des 14- bis 15-jährigen Jungen in Fall 1. a) bb) (1), die der Beschuldigte in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses vornahm und die ersichtlich mit großen Schmerzen verbunden war, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, zudem aber auch des § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, indem der Beschuldigte versuchte, den Jungen seiner Fortpflanzungsfähigkeit zu berauben.
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(b) Die Handlungen des Beschuldigten gegenüber dem später Verstorbenen in Fall 1. a) bb) (4) stellen jedenfalls ein Verbrechen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB dar. Denn der Beschuldigte tötete den Gefangenen im Rahmen des genannten ausgedehnten und systematischen Angriffs auf Teile der syrischen Bevölkerung. Im Hinblick auf die Schwere des Vorwurfs kann offenbleiben, ob die Schläge des Beschuldigten gegen den muskulösen und sich wehrenden Gefangenen die Erheblichkeitsschwelle des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB überschritten und deshalb als Folter zu werten sind.
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bb) Tateinheitlich zu den Menschlichkeitsverbrechen hat der Beschuldigte in den Fällen 1. a) bb) (1) – (3) und (5) jeweils eine gefährliche Körperverletzung begangen, und zwar in den Fällen 1. a) bb) (2), (3) und (5) in der Tatbestandsvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs, in den Fällen 1. a) bb) (1) – (3) wegen des gemeinsamen Vorgehens mit zwei weiteren Bediensteten zudem nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB. In den Fällen 1. a) bb) (1) und (3) erfüllt das Vorgehen des Beschuldigten des weiteren den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil er durch das Übergießen des Penis des Jungen bzw. der Hand des Geschädigten mit einer brandbeschleunigenden Flüssigkeit und das anschließende Inbrandsetzen der Körperteile die Körperverletzung mittels eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 StGB verwirklichte (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2018 – 4 StR 81/18, NStZ-RR 2018, 209). Schließlich versuchte er in Fall 1. a) bb) (1) eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB, die nach seiner Vorstellung den Verlust der Fortpflanzungstätigkeit zur Folge haben konnte (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 18 Rn. 10, 11). Ob der Verlust von drei Schneidezähnen des in Fall 1. a) bb) (3) Geschädigten, die zwischenzeitlich durch eine geklebte Prothese ersetzt wurden, diesen dauerhaft entstellte und der Beschuldigte damit auch die Tatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 8 VStGB, § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklichte, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen.
42
Im Fall 1. a) bb) (4) erfüllt das Verhalten des Beschuldigten tateinheitlich zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB den Straftatbestand des § 211 StGB, indem er sein Opfer aus niedrigen Beweggründen, nämlich zur Demonstration seiner Macht und als Beitrag zur Demoralisierung der syrischen Opposition, tötete. Ob die tatbestandlich verwirklichte gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hinter § 211 StGB zurücktritt, kann dahinstehen.
43
Offenbleiben kann vorläufig auch, ob sich der Beschuldigte, wie im Haftbefehl angenommen, jeweils wegen (schwerer) Freiheitsberaubung zum Nachteil aller Geschädigten nach § 239 Abs. 1, Abs. 3 und 4 StGB strafbar gemacht hat. Inwieweit der Beschuldigte, der Arzt des Militärkrankenhauses und in dieser Funktion zugleich mit der ambulanten Betreuung von Insassen des Gefängnisses des militärischen Geheimdienstes befasst war, sich an der Freiheitsentziehung der Betroffenen beteiligte, bedarf im hiesigen Zusammenhang keiner abschließenden Klärung.
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cc) Die Konkurrenzen sind dahin zu bewerten, dass der Beschuldigte des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in fünf Fällen, davon in einem Fall (1. a) bb) (4)) in Tateinheit mit Mord und in vier Fällen (Fälle 1. a) bb) (1) – (3) und (5)) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, davon in Fall 1. a) bb) (1) in weiterer Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung dringend verdächtig ist (§§ 52, 53 StGB, § 2 VStGB). Entgegen der im Haftbefehl vorgenommenen konkurrenzrechtlichen Bewertung stehen jedenfalls die dem Beschuldigten unter Fall 1. a) bb) (1) – (5) angelasteten Taten zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit:
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(1) Der Tatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB setzt voraus, dass der Täter im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine der im Katalog der Vorschrift genannten Einzeltaten begeht (MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 13). Die jeweilige einzelne Tat, die nicht nur die Voraussetzungen einer Katalogtat nach § 7 Abs. 1 VStGB, sondern regelmäßig auch einen Straftatbestand nach dem Strafgesetzbuch erfüllt, erhält durch ihren funktionalen Zusammenhang mit der Gesamttat des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung ihren besonderen Charakter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (BT-Drucks. 14/8524, S. 20). Gleichzeitig zeichnet sich der Tatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB dadurch aus, dass der dort aufgeführte Katalog der Einzeltaten unterschiedliche Tatbestandsvarianten der Begehung des Menschlichkeitsverbrechens nennt, denen der Gesetzgeber zudem mit abgestuften Strafrahmen einen differenzierten Unwertgehalt zuspricht. Schutzgut des § 7 VStGB ist außerdem regelmäßig nicht nur das Interesse der Völkergemeinschaft als Ganzes, sondern auch das jeweilige Individualrechtsgut des durch die Tat Geschädigten (MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 1).
46
(2) Diese doppelte Schutzrichtung und die besondere Struktur der Vorschrift führen in den Fällen, in denen derselbe Täter im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung mehrere Einzeltaten aus dem Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB begeht, zu folgender konkurrenzrechtlicher Bewertung:
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Im Grundsatz bedingt die Einbettung der Einzeltaten in die Gesamttat, dass diese zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit zusammengefasst werden (vgl. – mit Nachweisen aus der Rspr. der internationalen Strafgerichte – Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1120; MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 141), soweit zwischen den Einzeltaten ein sachlicher, zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 69). Verwirklicht der Täter indes im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung Einzeltaten, die sich nach ihrer Begehungsweise und ihrem Unrechtsgehalt unterscheiden, insbesondere verschiedene Tatbestände des Katalogs des § 7 Abs. 1 VStGB erfüllen, so ist grundsätzlich Tatmehrheit gegeben. Dies gilt in der Regel auch dann, wenn mehrere individuelle Rechtsgutsträger durch zu ihrem Nachteil begangene Taten verletzt werden. Etwas anderes kann allerdings in solchen Fällen anzunehmen sein, in denen der Täter in der ihm in dem Angriff gegen eine Zivilbevölkerung zugewiesenen Funktion in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang wiederholt – nach Tatbestandsvariante und Unrechtsgehalt – gleichartige Ausführungshandlungen begeht. Dann können auch Taten gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger eine Bewertungseinheit bilden (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 69).
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(3) Die Rechtsprechung des Senats zum Straftatbestand des Völkermordes, wonach die jeweiligen vom Täter begangenen Einzeltaten dann zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, wenn sich die tatbestandlichen Handlungen auf eine bestimmte, etwa durch ihren Lebensraum näher konkretisierte nationale, rassische, religiöse oder ethnische (Teil-)Gruppe beziehen und die mehreren Handlungen als ein einheitlicher örtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachverhalt erscheinen (BGH, Urteil vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 81 f., 88), steht dieser differenzierten konkurrenzrechtlichen Bewertung beim Menschlichkeitsverbrechen nicht entgegen. Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterscheidet sich insoweit maßgeblich vom Völkermord. Denn kennzeichnend für das Verbrechen des Genozids ist, dass der einzelne zwar als Tatobjekt, jedoch nicht in seiner Individualität, sondern in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Gruppe angegriffen oder verletzt wird, deren soziale Existenz zu zerstören der Täter beabsichtigt. Schutzgut des Verbrechens des Völkermordes sind deshalb nicht die Individualrechtsgüter der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen, sondern ist die Existenz der Gruppe als solche. Die verschiedenen Begehungsweisen des § 220a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB aF bzw. § 6 VStGB stellen innerhalb der Vorschrift keine selbständigen Tatbestände, sondern Tatmodalitäten desselben von der Völkermordabsicht des Täters geprägten Verbrechens dar. Demgegenüber werden die vom Täter begangenen Einzeltaten beim Menschlichkeitsverbrechen in den meisten Tatbestandsvarianten nicht von einer einheitlichen Absicht umspannt und geprägt, eine bestimmte Gruppe zu vernichten, sondern setzen in subjektiver Hinsicht insoweit allein das Wissen des Täters darum voraus, dass sie möglicherweise Teil eines systematischen oder ausgedehnten Angriffs auf die Bevölkerung sind. Insbesondere dienen die Einzeltatbestände des § 7 VStGB – wie dargelegt – zumindest auch dem Individualrechtsgüterschutz.
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Anders als bei Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 VStGB) können beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber auch die allgemeinen Regeln für Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter nicht ohne Einschränkung Anwendung finden. In den Fällen des § 8 VStGB vermag der Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt die Einzeltaten nicht zu einer Gesamttat im Rechtssinne zu verbinden (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2019 – AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 25; vgl. auch MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., Vor §§ 8 ff. VStGB Rn. 46; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1550). Demgegenüber reicht beim Menschlichkeitsverbrechen der schlichte Zusammenhang zwischen der den Tatbestand einer Katalogtat nach § 7 Abs. 1 VStGB erfüllenden Handlung und dem Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht aus. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 VStGB, der – anders als bei § 8 Abs. 1 VStGB – nicht auf einen Zusammenhang mit dem Angriff auf die Zivilbevölkerung abstellt, sondern erfordert, dass sich die jeweilige Katalogtat in den Rahmen des ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einfügt. Die Einzeltat muss – um den Tatbestand des Menschlichkeitsverbrechens zu erfüllen – ein Teilakt dieses Angriffs sein. Insoweit stellt der Angriff gegen die Zivilbevölkerung eine Gesamttat dar, in die der Täter seinen Tatbeitrag funktional einstellt.
50
(4) Danach handelt es sich nach vorläufiger Bewertung bei den Fällen 1. a) bb) (1) – (5) jedenfalls um fünf tatmehrheitlich (§ 53 StGB) begangene Delikte. Zwar hat der Beschuldigte alle Taten in einer Zeit begangen, während der er im Militärkrankenhaus in H.   als Assistenzarzt eingesetzt war, was einen sachlichen Zusammenhang der Taten begründet. Doch erstreckt sich deren Begehung über den erheblichen Zeitraum von einem Jahr, wobei zwischen den Einzeltaten teils längere Zeiträume lagen. Zudem fanden die Übergriffe nicht nur im Militärkrankenhaus, sondern auch im Militärgefängnis statt. Insbesondere handelt es sich um Taten mit verschiedenen Begehungsweisen und von unterschiedlichem Unrechtsgehalt gegen mehrere individuelle Rechtsgutsträger. Wie das Konkurrenzverhältnis der Einzelakte innerhalb dieser Taten zueinander zu bewerten ist, kann der Senat deshalb vorliegend offenlassen.
51
d) Deutsches Strafrecht ist nach dem in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzip anwendbar. Das ergibt sich für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit unmittelbar aus dieser Vorschrift. Für die Tötung sowie die Körperverletzungen folgt die Geltung des Weltrechtsprinzips aus einer Annexkompetenz: Die Annahme, § 1 Satz 1 VStGB erfasse auch tateinheitlich mit dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5 und Nr. 6 VStGB begangene Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikte nach §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB, rechtfertigt sich daraus, dass – wegen der weitgehenden Identität der Tatbestandsmerkmale – der Sachverhalt, der für eine Verurteilung wegen des Menschlichkeitsverbrechens ermittelt und festgestellt werden muss, auch eine Verurteilung wegen Mordes bzw. Körperverletzung trägt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 70; vgl. Urteil vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 69 f. für § 6 Nr. 1 StGB aF im Verhältnis von Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF zu tateinheitlich begangenen Verbrechen nach §§ 211, 212 StGB).
52
2. Der dringende Verdacht der im Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 neu hinzugetretenen Vorwürfe (Taten 1. a) bb) (1) – (4)) hat sich erst nach Erlass des ursprünglichen Haftbefehls vom 19. Juni 2020 ergeben. Hinsichtlich der Inbrandsetzung des Geschlechtsteils des 14 bis 15 Jahre alten Jungen (Tat 1. a) bb) (1)) ist der dringende Tatverdacht durch die Vernehmungen eines Zeugen am 7. und 8. Oktober 2020 begründet worden. Der Verdacht der unter 1. a) bb) (2) – (3) aufgeführten Taten folgt aus den Aussagen der Zeugen am 2. Juli 2020 und am 16. Oktober 2020. Diese beiden Aussagen belegen auch den dringenden Verdacht der Tötung des sich gegen die Schläge des Beschuldigten zur Wehr setzenden Gefangenen (Tat 1. a) bb) (4)).
53
3. Die Taten 1. a) bb) (1) – (4) rechtfertigen für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls.
54
a) Beim Beschuldigten bestehen, selbst wenn nur die neu hinzugetretenen Tatvorwürfe Berücksichtigung finden, die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) sowie darüber hinaus der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit langen Freiheitsstrafen, im Hinblick auf die Tötung des Gefangenen bei der Tat 1. a) bb) (4) nunmehr sogar mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden erheblichen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Er ist syrischer Staatsangehöriger. Zwar lebt er mit seiner Familie schon seit einigen Jahren in Deutschland, wo er als Arzt gearbeitet hat. Doch verfügt er weiterhin über familiäre Beziehungen nach Syrien. Von Seiten der syrischen Botschaft wurde ihm Unterstützung bei Ausreisebestrebungen zugesagt. Die Behauptung der Verteidigung, die angebotene Hilfe habe nur die Ehefrau des Beschuldigten betroffen, vermag angesichts des Inhalts des auf seinem Mobiltelefon gesichteten Chatverkehrs nicht zu überzeugen. Dieser ergibt zudem, dass der Beschuldigte dem syrischen Regime eher nahesteht und bei einer Rückkehr nach Syrien keine Repressalien zu befürchten hat. Danach sind – erst recht – Umstände gegeben, die die Gefahr begründen, dass ohne Inhaftierung des Beschuldigten zumindest die alsbaldige Ahndung der Tat gefährdet sein könnte (zur gebotenen restriktiven Handhabung des § 112 Abs. 3 StPO vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN). Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.
55
b) Schließlich steht die Anordnung der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der dem Beschuldigten nunmehr zur Last liegenden Taten nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
56
Insoweit hat der Senat auch berücksichtigt, dass dem in Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zukommen kann, falls sich – wie hier – die Haftdauer insgesamt verlängert, weil während des Vollzugs der Untersuchungshaft eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt worden ist und eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO deshalb nicht stattfindet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 37; vom 7. September 2017 – AK 42/17, juris Rn. 47). Dem steht jedoch das Gewicht der dem Beschuldigten angelasteten Taten sowie der Umfang und die Komplexität der teilweise auf Rechtshilfeersuchen angewiesenen Ermittlungen entgegen.
57
4. Der Ablauf der durch den Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 in Gang gesetzten Sechsmonatsfrist steht noch nicht bevor. Dieser wird erst mit dem 17. April 2021 eintreten. Nach dem oben Dargelegten ist für den Fristbeginn der Zeitpunkt maßgebend, zu dem sich die einen neuen Haftbefehl rechtfertigenden Ermittlungsergebnisse zu einem dringenden Tatverdacht verdichtet haben. Dieser Zeitpunkt ist nach den aufgezeigten Anforderungen der Rechtsprechung hier mit dem 17. Oktober 2020 gegeben. Am 16. Oktober 2020 wurde der im Fall 1. a) bb) (2) geschädigte Zeuge im Wege der Rechtshilfe in Griechenland vernommen. Dessen Aussagen haben den Verdacht zu den Fällen 1. a) bb) (2) – (4), der bereits durch die am 2. Juli 2020 von einem anderen Zeugen gemachten Angaben begründet worden war, zu einem dringenden verdichtet. Dass der Generalbundesanwalt nicht schon die Aussagen dieses ersten Zeugen zum Anlass genommen hat, einen neuen Haftbefehl zu beantragen, unterliegt keiner Beanstandung. Angesichts der geschilderten Besonderheiten der Zeugenaussagen ist es hinzunehmen, dass der Generalbundesanwalt von einem dringenden Tatverdacht der unter 1. a) bb) (2) – (4) geschilderten Taten erst nach der Bestätigung der genannten Angaben durch weitere Zeugen ausgegangen ist. Auch die Vernehmung des Zeugen, dessen Aussagen den Verdacht hinsichtlich der Tat 1. a) bb) (1) begründet und die Angaben der vorgenannten Zeugen teilweise bestätigt haben, hat erst am 7. und 8. Oktober 2020 stattgefunden.
Schäfer                     Spaniol                     Anstötz


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