Strafrecht

Aussetzungsentscheidung nach Abgabe der Vollstreckung einer Jugendstrafe

Aktenzeichen  6 St 3/12, 6 St 1/19

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38396
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
JGG § 82 Abs. 1, § 85 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 6 S. 2, § 88 Abs. 2, § 89a, § 105, § 110
StGB § 57
StPO § 331,, § 358 Abs. 2, § 373 Abs. 2, §§ 449 ff., § 454 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe nach § 57 StGB ist  erst zulässig, wenn er auf den Zeitpunkt bezogen ist, zu dem jedenfalls die Hälfte der verhängten Strafe verbüßt ist. (Rn. 21 und 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle einer bindenden Abgabe der Vollstreckung einer Jugendstrafe gem. § 85 Abs. 6 JGG ist eine Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB und nicht nach § 88 JGG zu treffen. (Rn. 25 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 St 3/12 2018-07-11 Urt OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die weitere Vollstreckung der gegen ihn verhängten Jugendstrafe von drei Jahren nach Verbüßung eines Drittels der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.





Der für die Vollstreckung der vom Oberlandesgericht München verhängten Jugendstrafe zuständige Jugendrichter ordnete mit Beschluss vom 04. April 2019 hinsichtlich des Verurteilten die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug gemäß § 89b Abs. 2 JGG an und gab die Strafvollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 JGG an den Generalbundesanwalt ab (Bl. 21 RS des VH).
Der Verurteilte befindet sich seit dem Ein Drittel der Jugendstrafe wird am nannte Halbstrafentermin wird am im Strafvollzug (Bl. 18 des VH). verbüßt sein. Der sogeerreicht sein (Bl. 23 des VH).
Mit Schriftsatz vom 11. September 2019 (Bl. 1/12 Sonderheft Vollstreckung = SH) und vom 12. November 2019 (Bl. 27/32 SH) beantragte der Verurteilte die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe nach Verbüßung eines Drittels der Strafe gemäß § 88 Abs. 2 JGG zur Bewährung auszusetzen.
Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Reststrafe zum jetzigen Zeitpunkt seien gegeben. Die Regelung des § 88 Abs. 2 JGG sei auch dann anwendbar, wenn – wie hier – der Verurteilte aus dem Jugendstrafvollzug ausgenommen und die Vollstreckung der Jugendstrafe der Staatsanwaltschaft übertragen worden sei. Zur Begründung seiner Auffassung verwies er auf die hierzu ergangene Rechtsprechung und führte aus, er halte die Auffassung, § 88 Abs. 2 JGG bleibe auch in der vorliegenden Konstellation anwendbar, für zutreffend.
Die „Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug und Abgabe der weiteren Vollstreckung“ an die Staatsanwaltschaft erfolge wegen einer „(ungünstigen)“ Entwicklung der Persönlichkeit eines Verurteilten. Dies sei hier gerade nicht der Fall. Die Vollstreckung sei nur deshalb abgegeben worden, weil der Verurteilte inzwischen 39 Jahre alt sei.
Gegen die Anwendbarkeit von § 57 StGB im vorliegenden Fall spreche, dass diese zu „Zufälligkeiten“ führen würde. Wäre die Tat des Verurteilten bereits kurz nach ihrer Begehung im Jahr 2000 aufgedeckt und verurteilt worden, wäre § 88 JGG zur Anwendung gekommen. Nur durch die Zufälligkeit der späten Verurteilung stelle sich nun die Streitfrage der Anwendung von § 88 JGG oder § 57 StGB.
Zudem gelte, dass derjenige, der zu einer Freiheitsstrafe nach §§ 46 StGB verurteilt worden ist, „materiellrechtlich“ der für Erwachsene geltenden Aussetzungsvorschrift des § 57 StGB unterstellt wurde. Werde jemand – wie hier – zu einer Jugendstrafe verurteilt, sei er damit hinsichtlich der Aussetzung einer Reststrafe dem § 88 JGG unterstellt.
Die „schematische Anwendung“ von § 57 StGB verschließe zudem den Weg zu einer Entlassung zum Drittelzeitpunkt, was § 88 JGG erlaube.
Der Generalbundesanwalt trug mit Schreiben vom 11. September 2019 (Bl. 15/17 SH), mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 (Bl. 20/25 SH) und mit Schreiben vom 15. November 2019 (Bl. 35/38 SH) zusammengefasst vor, der Antrag auf Aussetzung der Jugendstrafe nach Verbüßung nur eines Drittels der verhängten Jugendstrafe sei im vorliegenden Fall verfrüht und daher unzulässig.
Im vorliegenden Vollstreckungsverfahren sei hinsichtlich der Reststrafenaussetzung nicht § 88 JGG, sondern ausschließlich § 57 StGB anzuwenden.
Für die Anwendbarkeit des § 57 StGB spreche, dass durch die Abgabe der Vollstreckung der Grundgedanke der erzieherischen Einwirkung nach Jugendstrafrecht nicht mehr fortgelten würde.
Ein Verbot der Schlechterstellung – im Vergleich § 88 JGG zu § 57 StGB – sei gesetzlich nicht normiert.
Den Gesetzesmaterialien sei nicht zu entnehmen, dass für einen nach Jugendstrafrecht verurteilten Erwachsenen § 88 JGG in den Fällen der Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft fortgelten würde.
Auch die Auslegung des Wortlauts des § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG lasse die Anwendung von § 57 StGB zu Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Schriftsätze des Antragstellers und des Generalbundesanwalts.
II.
Der Antrag des Verurteilten, die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe nach Verbüßung eines Drittels der Strafe gemäß § 88 Abs. 2 JGG zur Bewährung auszusetzen, wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag ist verfrüht, da sich die Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ausschließlich nach § 57 StGB beurteilt. Der Antrag kann daher zulässig noch nicht gestellt werden, weil – wie hier – lediglich ein Drittel der verhängten Strafe verbüßt ist.
1) Der Senat ist für die Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gemäß § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG in Verbindung mit § 462a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 StPO zuständig, da das Urteil vom erkennenden Senat des Oberlandesgerichts München im ersten Rechtszug erlassen worden ist.
2) Der vorliegende Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ist verfrüht und daher unzulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 454 Rdn. 3).
Im vorliegenden Fall ist nach § 57 StGB ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe erst zulässig, wenn er auf den Zeitpunkt bezogen ist, zu dem jedenfalls die Hälfte der verhängten Strafe verbüßt ist. Der hier gegenständliche Antrag wurde bezogen auf den 11. Dezember 2019 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt wird erst ein Drittel der verhängten Strafe verbüßt sein. Ein derartiger Antrag ist nach § 57 StGB derzeit noch unzulässig. § 88 JGG ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
a) In der vorliegenden Fallkonstellation ist für die Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ausschließlich § 57 StGB anwendbar:
i) Der Senat hat auf den Antragsteller, der zum Tatzeitpunkt im Jahr 2000 Heranwachsender war, gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewandt und ihn zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt.
ii) Gemäß § 110 JGG gelten, soweit der Richter, wie hier, Jugendstrafrecht angewendet (§ 105 JGG) und nach dem Jugendgerichtsgesetz Jugendstrafe verhängt hat, § 82 Abs. 1, §§ 83 bis 93a JGG für Heranwachsende entsprechend. Somit gelten im hier vorliegenden Vollstreckungsverfahren die in § 110 JGG genannten Normen des Jugendgerichtsgesetz. Diese Regelungen des Jugendgerichtsgesetz befinden sich nach der Gesetzesgliederung im „Dritten Hauptstück. Vollstreckung und Vollzug“ und dort wiederum im „Ersten Abschnitt. Vollstreckung“. Dieser Abschnitt gliedert sich wiederum, soweit hier von Interesse, in den „Ersten Unterabschnitt. Verfassung der Vollstreckung und Zuständigkeit“ mit den §§ 82 bis 85 JGG. Es folgt der „Zweite Unterabschnitt: Jugendarrest“ mit den §§ 86 und 87 JGG und der „Dritte Unterabschnitt. Jugendstrafe“ mit den §§ 88 bis 89b JGG.
iii) Aus dem vom Gesetzgeber gewählten Aufbau folgt, dass zunächst die vorangestellten Regelungen der §§ 82 bis 85 JGG zur „Verfassung der Vollstreckung und Zuständigkeit“ zur Anwendung kommen und sich nach den dort getroffenen Regelungen die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit der nachgestellten §§ 86 bis 89b JGG bemisst.
(1) Im vorliegenden Fall hat der inzwischen 39-jährige Verurteilte das vierundzwanzigste Lebensjahr seit langem vollendet. Der nach § 85 Abs. 2 und Abs. 3 JGG zuständige Vollstreckungsleiter hat die Vollstreckung der gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe an die nach den allgemeinen Vorschiften zuständige Vollstreckungsbehörde, nämlich den Generalbundesanwalt, abgegeben. Bei der Abgabe war zu prognostizieren, dass der Vollzug der Strafe noch länger dauern würde. Der zuständige Vollstreckungsleiter hat in seinem Beschluss vom 04. April 2019 ausführlich begründet, dass die besonderen Grundgedanken des Jugendstrafrechts unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Verurteilten für die weiteren Entscheidungen nicht mehr maßgebend sind. Damit wurde die Vollstreckung der gegen den Antragsteller rechtskräftig verhängten Jugendstrafe bindend gemäß § 85 Abs. 6 Satz 1 JGG abgegeben.
(2) Gemäß § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG hat die Abgabe zur Folge, dass „die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung anzuwenden“ sind.
(a) Diese im § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG getroffene Sonderregelung für den Fall der Abgabe der Vollstreckung verweist nun aber zunächst ausschließlich auf die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung. Sie verweist aber gerade nicht auf die Vorschriften über die Vollstreckung im Jugendgerichtsgesetz. Die gemäß § 110 JGG grundsätzliche Anwendbarkeit von § 88 JGG bei der Vollstreckung einer gegen einen Heranwaschsenden verhängten Jugendstrafe ist demnach durch die speziellere Regelung des § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG im Fall der Abgabe der Vollstreckung ausgeschlossen.
(b) Mit dem von § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG angeordneten Verweis auf die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Vollstreckung werden die Vollstreckungsvorschriften der Strafprozessordnung, also die §§ 449 ff StPO, im vorliegenden Fall anwendbar. In § 454 Abs. 1 Satz 1 StPO wird u.a. normiert, dass „die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches)“ durch das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu treffen ist. Mit der in dieser Norm angesprochenen Aussetzungsentscheidung sind aufgrund der engen sachlichen Verzahnung der Vollstreckungsvorschriften der Strafprozessordnung mit den Vorschriften zur Bewährung des Strafgesetzbuches lediglich Entscheidungen nach § 57 StGB bis § 59 StGB gemeint. Dies wird durch den Klammerzusatz in § 454 Abs. 1 Satz 1 StPO, in dem ausdrücklich auf die „§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches“ verwiesen wird, klargestellt. Zudem ergibt die Zusammenschau mit § 85 Abs. 6 Satz 1 JGG, bei dessen Anwendung – wie hier – die weitere Heranziehung der besonderen Grundgedanken des Jugendstrafrechts für die weiteren Entscheidungen als nicht mehr maßgebend qualifiziert wurden, die „substantielle gesetzgeberische Entscheidung gegen die weitere Anwendbarkeit“ von § 88 JGG und somit die inhaltliche Rechtfertigung einer mittelbaren Verweisung auf § 57 StGB (OLG München, StraFo 2009, 125, 127). Die Ansicht, dass trotz dieser Verweiskette auf § 57 StGB gleichwohl § 88 JGG anwendbar bleibt, überzeugt aus mehreren Gründen nicht:
(i) Hätte der Gesetzgeber in Fällen der Abgabe der Vollstreckung weiterhin die Anwendung des § 88 JGG gewollt, wäre es nahe gelegen, dass er bei der bestehenden indirekten Verweisung auf § 57 StGB ausdrücklich geregelt hätte, dass § 88 JGG trotz dieser Verweisung anzuwenden sei (Heinrich, NStZ 2002, 182, 185). Dass sich der Gesetzgeber bewusst war, dass nach dem Strafgesetzbuch andere Aussetzungszeitpunkte normiert sind als nach dem Jugendgerichtsgesetz ergibt sich aus den Materialen zu § 89a JGG (BT-Drucks. 11/5829, Nr. 38 zu § 89a).
(ii) Der Umstand, dass die Anwendung von § 57 StGB für den Verurteilten nachteilig sein kann und dass deshalb die Anwendung des § 88 JGG dem „Verbot der Verschlechterung“ entspreche (vgl. OLG Hamm, StV 1996, 277, 278), spricht nicht für die Anwendung von § 88 JGG im vorliegenden Fall, weil das Vollstreckungsverfahren ein derartiges Verbot nicht kennt. Das Verschlechterungsverbot gemäß §§ 331, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf Urteile und ist keine zwingende Folge des Rechtsstaatsprinzips (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 331 Rdn. 1). Eine Normierung des Verschlechterungsverbotes im Vollstreckungsverfahren existiert weder im Jugendgerichtsgesetz noch in der Strafprozessordnung.
(iii) Die Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber in Fällen der Abgabe der Vollstreckung nach § 85 Abs. 6 JGG gewollt hätte, dass die Aussetzungsentscheidung gemäß § 88 JGG zu treffen sei (so aber Kühn, NStZ 1992, 526, 527). Die Materialien befassen sich vielmehr weder in den Ausführungen zu § 85 JGG (BT-Drucks. 11/5829, Nr. 33 zu § 85) noch in denen zu § 88 JGG (BT-Drucks. 11/5829, Nr. 35 zu § 88) damit, dass die Aussetzungsentscheidung auch in den Fällen der Abgabe der Vollstreckung nach § 88 JGG zu treffen sei. Allerdings belegen die Materialen zu § 89a JGG (BT- Drucks. 11/5829, Nr. 38 zu § 89a), dass zumindest in der dortigen Konstellation des Zusammentreffens von Jugendstrafe und Freiheitstrafe der Gesetzgeber davon ausging, dass nach der Abgabe der Vollstreckung nach § 85 Abs. 6 JGG „besondere Gesichtspunkte der jugendlichen Entwicklungsphase in die Entscheidung“ nicht mehr eingebracht werden können und damit Jugendrecht nicht mehr zu Anwendung kommt (Heinrich, NStZ 2002, 182, 186).
(c) Für die Anwendbarkeit des § 57 StGB im vorliegenden Fall sprechen zusätzlich auch systematische und materielle Gründe:
(i) Gemäß § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG sind mit der Abgabe der Vollstreckung die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung anzuwenden. Es wäre dann aber systemwidrig, wenn man entgegen dieser gesetzlichen Anordnung der Anwendung von Vorschriften der StPO und des GVG für die Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung wieder eine Vorschrift des Jugendgerichtsgesetzes anwenden würde (OLG Düsseldorf, StV 1998, 348, 349).
(ii) Die Anwendung von § 57 StGB führt dazu, dass die Strafvollstreckung „anhand nahtlos ineinandergreifender Regelungen im Rahmen eines einheitlichen, in sich geschlossenen Regelungssystems“ durchgeführt werden kann (Heinrich, NStZ 2002, 182, 187).
(iii) Die Anwendung von § 57 StGB ist im Hinblick auf die Entscheidung des Jugendrichters auch materiell sachgerecht. Der Jugendrichter führte in seinem Beschluss vom 04. April 2019 u.a. aus, der Verurteilte sei deutlich über 24 Jahre alt und dem Jugendrecht völlig entwachsen. Im Hinblick auf das Alter des Verurteilten und unter Berücksichtigung der bekanntgewordenen Persönlichkeit des Verurteilten erschienen jetzt die besonderen Grundgedanken des Jugendstrafrechts für die weiter zu treffenden Entscheidungen nicht mehr maßgebend (Bl. 14 des VH). Dieser aufgrund Jugendrechts getroffenen Entscheidung würde die Anwendung von § 88 JGG im Vollstreckungsverfahren widersprechen, da dann gerade wieder Aspekte der „Entwicklung des Jugendlichen“, also Grundgedanken des Jugendstrafrechts, relevant werden würden (OLG München, StraFo 2009, 125, 126, KG, StraFo 2011, 372, 373, OLG Düsseldorf, StraFo 2012, 470). Der Einwand des Antragstellers, seine Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug und die Abgabe der weiteren Vollstreckung an den Generalbundesanwalt beruhe gerade nicht auf einer ungünstigen Entwicklung seiner Persönlichkeit, sondern lediglich auf seinem Alter, mag zwar zutreffen. Gerade sein Alter trägt aber die Entscheidung des Jugendrichters, dass die besonderen Grundgedanken des Jugendstrafrechts unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit für die weiteren Entscheidungen nicht mehr maßgebend sind. Die vom Antragsteller angeführte ungünstige Entwicklung eines Verurteilten oder dessen negativ verfestigte Persönlichkeit ist für die Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug und die Abgabe der weiteren Vollstreckung nicht erforderlich.
(d) Der vom Antragsteller vorgebrachte Umstand, dass er erst Jahre nach der Tat verurteilt wurde, hat keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit einzelner Normen. Dass aufgrund Zeitablaufs zufällig, wie der Antragsteller meint, andere Normen des Jugendrechts zur Anwendung kommen, liegt in der Natur der Sache, da der Antragsteller inzwischen das Alter eines Heranwachsenden weit hinter sich gelassen hat.
(e) Der Einwand des Antragstellers, er sei zu einer Jugendstrafe verurteilt worden und er sei dadurch hinsichtlich der Frage der Aussetzung einer Reststrafe der Regelung des § 88 JGG unterstellt worden, verfängt ebenfalls nicht. Eine Verknüpfung der Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit der ausnahmslosen Anwendung von Jugendrecht besteht nämlich nicht. Dies ergibt sich beispielsweise schon aus der Regelung des § 89b JGG, der trotz der Verurteilung zu einer Jugendstrafe die Anwendung der Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene zulässt.
(f) Der Antragsteller wünscht für sich eine Entlassung zum Drittelzeitpunkt. Hieraus ergibt sich aber weder ein Argument gegen die vom Antragsteller so bezeichnete „schematische Anwendung“ von § 57 StGB noch ein Argument für die Anwendbarkeit des § 88 JGG, der eine Entlassung zu dem vom Verurteilten gewünschten Zeitpunkt zulassen würde.
(g) Der Antragsteller wendet gegen die Anwendung von § 57 StGB weiter ein, dass dem Jugendrichter bei seiner Entscheidung am 04. April 2019 die schriftlichen Urteilsgründe nicht vorgelegen hätten. Zudem sei wie im Verfahren nach dem JGG das erkennende Gericht gleichzeitig für die Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren zuständig. Alle diesen Umständen kommt aber keine Bedeutung im Hinblick darauf zu, nach welcher Norm die Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu beurteilen ist.
b) Gemäß § 57 Abs. 2 StGB ist ein Antrag Aussetzung des Strafrestes einer zeitigen Freiheitsstrafe erst dann zulässig, wenn die Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens aber 6 Monate, verbüßt sind. Diese Voraussetzung ist im gegenständlichen Vollstreckungsfall nicht gegeben. Zwar hat der Verurteilte schon mehr als 6 Monate Freiheitsstrafe verbüßt. Der Halbstrafen-Zeitpunkt wird aber erst am 12. Juni 2020 erreicht sein.
3) Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten konnte gemäß § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2a StPO abgesehen werden. Es ist nicht zu erwarten, dass eine mündliche Anhörung des Verurteilten bei der gegebenen Sachlage zu einer Förderung des Verfahrens führen würde, so dass seine mündliche Anhörung als reine Formalie für die Entscheidung ohne Bedeutung sein würde.


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