Strafrecht

Ausweisung aus dem Bundesgebiet

Aktenzeichen  M 10 K 18.4743

Datum:
20.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27768
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 84 Abs. 2 S. 1
VwGO § 101 Abs. 2, § 117 Abs. 5, § 124, § 124a Abs. 4
BZRG § 47 Abs. 3, § 51 Abs. 1, § 63 Abs. 1, Abs.4

 

Leitsatz

1. Bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind (Anschluss an VGH München BeckRS 2012, 59963 Rn. 38) (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein relevanter Verstoß gegen das das Verwertungsverbot des Bundeszentralregistergesetzes hinsichtlich getilgter Eintragungen liegt nicht vor, wenn nicht zu verwertende Eintragungen in einem Ausweisungsbescheid nur im Sachverhalt aufgeführt, in der rechtlichen Würdigung aber nicht mehr berücksichtigt werden. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierauf für den Fall, dass keine Einigung zu Stande kommt, verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
2. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 10. September 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 117 Abs. 5 VwGO.
Ergänzend wird zum Klagevorbringen ausgeführt:
2.1 Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Maßstäbe, die der rechtlichen Beurteilung einer Ausweisungsverfügung zugrunde zu legen sind, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22. Februar 2017 geklärt (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325 Rn. 20 ff.) und in der Folge bestätigt (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15 ff.). Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Absatz 1) oder als „schwerwiegend“ (Absatz 2). Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG festgestellt, da der Kläger wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt worden ist. Vorliegend wurde der Kläger zuletzt vom Landgericht München II mit Urteil vom 12. Mai 2017 wegen schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen, in allen Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, sowie des Diebstahls in Mittäterschaft in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und 10 Monaten verurteilt.
Die vom Gesetzgeber normativ in § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund des hohen Strafmaßes prognostizierte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung besteht auch weiter.
Bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – BeckRS 2012, 59963).
Es müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass auch in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 – BeckRS 2016, 50099). Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U. v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Diese Gefahr beruht auch gerade auf der strafgerichtlichen Verurteilung, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang gegeben ist.
In dem im Strafverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 27. August 2018 kam die Gutachterin unter anderem zum Ergebnis, dass der Kläger zwar dissoziale und kränkbare Persönlichkeitszüge zeige. Seine Persönlichkeitsentwicklung sei jedoch auch und das nicht unerheblich durch seinen Drogenkonsum mitgeprägt und nicht wie sonst üblich durch die altersübliche Bewältigung von Anforderungen des Alltags-, Berufs- und persönlichen Lebens. Mittlerweile habe der Kläger einen Schulabschluss geschafft. Inwieweit er sich ins Berufsleben integrieren werde und ob er eine Ausbildung zu Ende bringen werde, müsse erst der weitere Lebensverlauf zeigen, somit auch, ob seine Verhaltensmuster anhalten werden und seine soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit gestört bleiben werde. Eine kriminogene Motivation sei beim Kläger durchaus erkennbar. Er zeige auch eher instabile Beziehungsmuster; überwiegend habe er sehr kurze, eher sexuelle Verhältnisse zur Frauen gehabt. Arbeitsverhältnisse habe er bisher nie längere Zeit aufrechterhalten können und letzten Endes zuletzt auch nicht mehr danach gesucht. Sein Cannabiskonsum zeige eine Toleranzentwicklung über die Jahre sowie einen Kontrollverlust bei starkem Wunsch, Marihuana zu konsumieren. Auflagen in Form von Sozialstunden habe er nicht geleistet und somit wiederholt verlängerten Jugendarrest erhalten. Auch sein familiäres Umfeld weise dementsprechende Vorstrafen auf, insbesondere die Mutter. Ein Bruder sei derzeit wegen einer Schlägerei inhaftiert. Dieses kriminelle Umfeld, in das der Kläger zurückkehren wolle, begünstige die Prognose in keinster Weise. Was seine Persönlichkeitsentwicklung betreffe, sehe er bei sich kein Drogenproblem mehr und sei zu einer Therapie jetzt nicht mehr motiviert. Seine frühere Motivation habe auch nur darin gelegen, eine Verkürzung der Haftzeit zu erreichen, wie er selbst zugegeben habe. Mit seiner Delinquenz gehe er nur teilweise selbstkritisch um. Es werde eine ambulante Drogentherapie direkt im Anschluss an die Entlassung vorgeschlagen. Es müsse auch ein geregeltes Einkommen sicher gestellt sein und eine geeignete Wohnform gefunden werden. Nur wenn der Kläger bereit sei, diese Auflagen zu akzeptieren und an der Therapie mitzuwirken und sie durchzuhalten, sei aus forensisch-psychiatrisches Sicht dann noch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von eine günstigen Sozial- und Legalprognose auszugehen.
Im Führungsbericht der JVA … vom 10. September 2018 wird zunächst ausgeführt, der Kläger verhalte sich ruhig, gesetzt, verträglich, nüchtern und besonnen. Gegenüber den Bediensteten verhalte er sich anständig, gefällig und erkenne Autoritäten an. Auch den Mitgefangenen gegenüber zeige er sich verträglich, zurückhaltend und friedliebend. Allerdings habe sich der Kläger für die Arbeit in der Gefängnisverwaltung als nicht geeignet gezeigt und sei abgelöst worden. Es sei eine Suchtproblematik unbekannten Ausmaßes vorhanden. Im Bericht vom 26. März 2019 wird ausgeführt, das Verhalten des Klägers sei nicht beanstandungsfrei gewesen. Er habe 7 Tage Arrest erhalten, weil er synthetische Cannabinoide (Spice) konsumiert habe. Es liege ein kontrollierter Substanzkonsum vor. Aufgrund des doch eher kontrollierten Konsums werde die Anbindung an eine Drogenberatungsstelle für sinnvoll erachtet, um den riskanten Konsum zu thematisieren. Dies könne gegebenenfalls in eine ambulante Therapie münden. Da der Kläger es bisher nicht geschafft habe, sich altersgemäß unabhängig von elterlicher oder anderweitiger Unterstützung einen legalen Broterwerb aufzubauen, als auch wegen des strafrechtlichen Erscheinungsbildes erscheine die Führungsaufsicht notwendig. Diese sollte bei Vollverbüßung der Freiheitsstrafe eintreten und auf 5 Jahre festgesetzt werden. Verschiedene strafbewehrte Weisungen wurden vorgeschlagen. Der Kläger wurde erst nach vollständiger Strafverbüßung entlassen.
Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht … vom 7. Juni 2019 wurde gegenüber dem Kläger unter anderem angeordnet, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt und ihre Höchstdauer nicht abgekürzt wird. Sein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis lasse erneute Straftaten befürchten, da er auch dafür Geld beschaffen müsse. Seine Entlassungssituation stelle sich weiterhin nicht günstig dar, eine positive Sozialprognose können nicht mehr gestellt werden. Er wurde der zuständigen Bewährungshilfe- und Führungsaufsichtsstelle unterstellt.
Seit seiner Entlassung am 10. September 2019 wohnt der Kläger wieder bei seiner Mutter. Nach der vom Kläger vorgelegten Arbeitsbestätigung war er seit dem 1. Oktober 2019 als Aushilfe in der Abteilung Transport fall- und bedarfsweise beim … am … beschäftigt. Wie eine Nachfrage der Beklagten ergab, sollte das befristete Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2020 enden. Bereits seit April 2020 war er aufgrund der Coronasituation tatsächlich nicht mehr beschäftigt, sondern wegen des Notbetriebs freigestellt. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er mittlerweile eine andere Anstellung oder sonstige Beschäftigung zur Einkommenserzielung hat. Er hat offenbar auch entgegen seiner ursprünglichen Planung keine eigene Wohnung.
Der Kläger hat nach einer vorgelegten Bestätigung der Suchtberatungsstelle … vom 5. Februar 2020 bisher 5 Beratungsgespräche in Anspruch genommen. Er nehme die Angebote der Beratung offen und motiviert war. Vereinbarungen und Termine würden zuverlässig eingehalten. Es sei ein weiterer Termin vereinbart. Eine aussichtsreiche Fortführung, geschweige einen erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie sowie eine längerfristige Drogenfreiheit hat der Kläger damit aber nicht nachgewiesen.
Auch wenn der Kläger mit der Aufnahme einer Tätigkeit kurz nach Haftentlassung sowie mit den Beratungsgesprächen zu seiner Suchtproblematik gute erste Schritte hin zu einem künftigen straffreien Leben unternommen hat, reicht dies doch nicht aus, die sich in den begangenen Straftaten manifestierte und im psychologischen Gutachten grundlegend festgestellte Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten auszuräumen, zumal es ihm bisher auch nicht gelungen ist, seine soziale und wirtschaftliche Situation grundlegend zu verändern. Es ist derzeit von einer erheblichen Gefahr der Begehung erneuter Straftaten auszugehen.
2.2 Soweit die Beklagte im angefochtenen Ausweisungsbescheid auch frühere strafrechtliche Entscheidungen, überwiegend aufgrund des Jugendgerichtsgesetzes aufzählt, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung.
Ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 63 Abs. 1 und 4 BZRG bestand zwar für Eintragungen im Erziehungsregister. Danach dürfen Eintragungen von Verurteilungen bzw. Entscheidungen und Anordnungen, die getilgt worden oder tilgungsreif sind, dem Betroffenen im Rechtsverkehr, wozu auch das Ausländer- bzw. Aufenthaltsrecht gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 1984, Az. 1 C 57.81, NVwZ 1984, 653), nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Maßgeblich für die Tilgung oder Tilgungsreife ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Hinsichtlich der Eintragungen im Erziehungsregister hat bereits das Landgericht München II im Urteil vom 12. Mai 2017 festgestellt, dass diese aus dem Erziehungsregister zu entfernen waren und nicht mehr berücksichtigt werden durften.
Dagegen war die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen durch das Amtsgericht München mit Urteil vom 20. März 2014 sowohl im Strafverfahren vor dem Landgericht München II wie auch im ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren noch verwertbar. Insoweit lag bereits eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht vor. Nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG beträgt die Tilgungsfrist bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen 5 Jahre. Allerdings ist nach § 47 Abs. 3 BZRG die Tilgungsfrist gehemmt. Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG gilt aber für die letzte Verurteilung vom 12. Mai 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 10 Monaten eine Tilgungsfrist von 15 Jahren; diese ist ersichtlich nicht abgelaufen.
Die nicht zu verwertenden Eintragungen im Erziehungsregister wurden von der Beklagten im Bescheid aber nur im Sachverhalt (unter I.) unter „Strafrechtliches Erscheinungsbild“ aufgeführt. In der „Rechtlichen Würdigung“ (unter II.) wurden die zuvor aufgeführten Eintragungen nicht mehr berücksichtigt, vielmehr stellte die Beklagte weitestgehend nur auf die zuletzt gemäß Urteil vom 12. Dezember 2017 begangenen Straftaten ab. Damit liegt kein vom Klägerbevollmächtigten gerügter relevanter Verstoß gegen das Verwertungsverbot des Bundeszentralregistergesetzes vor.
2.3 Die Beklagte hat auch zutreffend das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich schon seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, gesehen und in ihre Abwägung eingestellt. Der Kläger hält sich seit 1999 im Bundesgebiet auf und hat sein Herkunftsland bereits im Alter von sieben Jahren zusammen mit seiner Familie verlassen. Auch die Eltern und Geschwister des Klägers leben seitdem in der Bundesrepublik.
Unter Berücksichtigung der weiteren relevanten Umstände fällt die Abwägung im Rahmen einer Gesamtwürdigung letztlich zulasten des Klägers aus.
Dabei sind insbesondere, aber nicht ausschließlich die in den §§ 54 f. AufenthG aufgezählten Ausweisungs- bzw. Bleibeinteressen in die Abwägung einzubeziehen. Daneben können weitere Umstände im Einzelfall eine andere Bewertung rechtfertigen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49), insbesondere die vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) genannten Kriterien sind zu berücksichtigen. Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie das Maß der Schwierigkeiten, denen die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (EGMR, U.v. 18.10.2006 – 46410/99 – juris).
Der Kläger hat im Bundesgebiet erhebliche Straftaten begangen, die zu dem besonders schweren Ausweisungsinteresse führen. Der Kläger ist im Bundesgebiet trotz seines langjährigen Aufenthalts augenscheinlich nicht sonderlich integriert. Er hat zwar mittlerweile in Haft den mittleren Schulabschluss nachgeholt, er hat jedoch keine berufliche Ausbildung und derzeit auch keine Arbeit, mit der er seinen Lebensunterhalt finanzieren könnte. Er hat bisher außer einigen Beratungsgesprächen nicht nachgewiesen, dass er sich grundlegend mit seiner latenten Drogenproblematik auseinandergesetzt und davon Abstand gefunden hat. Er hat keine eigene Wohnung, sondern wohnt seit Haftentlassung wieder bei seiner Mutter, die bei einzelnen seiner Straftaten als Hehlerin beteiligt war. Auch ein Bruder war wegen abgeurteilter Straftaten in Haft. Der mittlerweile 28-jährige Kläger ist anders als ein Minderjähriger nicht wesentlich auf den Beistand seiner Familienangehörigen im Bundesgebiet angewiesen. Er hat selbst keine Kinder oder eine Ehefrau. Ihm ist zuzumuten, in sein Herkunftsland zurückzukehren und dort ein eigenständiges Leben aufzubauen. Er kann sich in seinem Herkunftsland auch durchaus verständigen, er hat selbst angegeben, zumindest gebrochen serbisch zu sprechen. Seine Chancen, sich dort eine soziale und wirtschaftliche Existenz aufzubauen, sind nicht wesentlich schlechter als im Bundesgebiet.
3. Auch die weiteren Anordnungen der Beklagten in den Nummern 2 und 3 des angefochtenen Bescheids sind rechtmäßig.
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG in Nr. 2 des Bescheids auf sechs Jahre unter der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit, ansonsten acht Jahre ist verhältnismäßig. Die Frist berücksichtigt die Anforderungen des § 11 Abs. 5 AufenthG, da sie zehn Jahre nicht übersteigt. Angesichts der wiederholten Straffälligkeit des Klägers ist sie auch angemessen.
Auch die Androhung der Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist rechtlich nicht zu beanstanden, hat sich aber mittlerweile infolge der Haftentlassung des Klägers erledigt. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung für den Fall, dass die Abschiebung während der Haft nicht durchgeführt werden kann, sind ebenfalls rechtmäßig im Sinne des § 59 AufenthG. Der Kläger ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig; durch die Ausweisung ist sein Aufenthaltstitel erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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