Aktenzeichen 6 B 74/09
§ 13 Abs 1 Nr 1 PolG SL
§ 13 Abs 1 Nr 2 PolG SL
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 2. Juli 2009, Az: 3 A 217/08, Urteil
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil leidet an einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und beruht auf ihm. Das Oberverwaltungsgericht hat sich seine im Berufungsurteil niedergelegte Überzeugung in verfahrensfehlerhafter Weise gebildet. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
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1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Vorschrift des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, wonach es aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehören insbesondere die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, der Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Rahmen einer Beweiserhebung getroffenen tatsächlichen Feststellungen, unbeschadet der Befugnis des Gerichts, die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, den Inhalt beigezogener Akten sowie das Ergebnis einer Beweisaufnahme frei zu würdigen. Das Gericht verstößt gegen das Gebot, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde zu legen, wenn es von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Überzeugungsbildung und zugleich für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie die allgemeinen Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (vgl. Urteile vom 28. April 1983 – BVerwG 2 C 89.81 – Buchholz 237.6 § 39 LBG ND Nr. 1, vom 2. Februar 1984 – BVerwG 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338 = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36, vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 201 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 27 und vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 19.06 – Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 28, insoweit in BVerwGE 126, 149 nicht abgedruckt; Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 108 Rn. 29).
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Das Oberverwaltungsgericht geht in seinem Urteil – anders als das Verwaltungsgericht – davon aus, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers ausschließlich auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG – als Sicherungs- oder Präventivgewahrsam – erfolgt sei und nicht auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 1 SPolG zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben. Es hat festgestellt, dass der Sicherungsgewahrsam gegen den Kläger angeordnet worden ist zur Beseitigung einer eingetretenen Störung sowie zur Verhinderung einer konkret befürchteten weiteren Störung und einer eventuellen Begehung strafrechtlich relevanter Taten. Hierzu hat sich das Oberverwaltungsgericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Überzeugung gebildet, dass der Kläger am Abend des 28. November 2003 das “Event-Haus” … in … betreten hatte, des Hauses verwiesen worden war, deswegen vor dem “Event-Haus” lautstark seinen Unmut bekundete und dass er – trotz des ausgesprochenen Verweises – nachhaltig versuchte, dorthin zurückzukehren.
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Diese Beweiswürdigung, die im Wesentlichen auf der in der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts protokollierten Zeugenaussage des Polizeibeamten H. beruht, wird den Anforderungen, die der Überzeugungsgrundsatz stellt, nicht in vollem Umfang gerecht. Sie blendet den Umstand aus, dass diese Aussage aktenkundigen früheren Äußerungen des Zeugen erkennbar widerspricht. So heißt es bereits in dem polizeilichen Bericht vom 28. November 2003, der Kläger sei “zum Zwecke der Ausnüchterung” zur Dienststelle verbracht worden, weil er offensichtlich erheblich alkoholisiert gewesen sei und “in diesem Zustand nicht sich selbst überlassen werden konnte”. In einem weiteren Bericht vom 27. Februar 2004 hat der Zeuge H. ebenfalls festgehalten, der Kläger habe ersichtlich “unter alkoholischer Beeinflussung” gestanden und die Ingewahrsamnahme sei das gelindeste Mittel gewesen, da er nicht in die Obhut eines Angehörigen übergeben oder sich selbst habe überlassen werden können. Vor allem aber hat sich der Zeuge H. in einem dienstlichen Vermerk vom 11. November 2005 darauf festgelegt, dass die seinerzeitige Alkoholisierung des Klägers, verbunden mit dessen Ablehnung des Angebots, ihn nach Hause zu fahren, der “alleinige Grund für seine Ingewahrsamnahme” gewesen sei, die nichts mit dem Verweis aus dem “Event-Haus” und auch nichts mit einer möglichen Belästigung anderer Gäste zu tun gehabt habe. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht dem Zeugen den Inhalt dieses Vermerks bei der Vernehmung vorgehalten. Im Rahmen der Beweiswürdigung hätte das Gericht es insoweit aber nicht mit der Erläuterung des Zeugen bewenden lassen dürfen, er “sehe den Hinweis auf die Alkoholisierung im Zusammenhang mit der Störung, zu der es vor dem Event-Haus gekommen war”. Denn dieser Erklärungsversuch des Zeugen ist, da die eine Version die andere denknotwendig ausschließt, offensichtlich nicht geeignet, den Widerspruch zwischen seiner damaligen Äußerung und seiner späteren Zeugenaussage aufzulösen.
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Dies wiegt umso schwerer, als der vom Oberverwaltungsgericht als feststehend angenommene Sachverhalt seinerzeit von der Polizei aus den im Vermerk des Zeugen H. vom 11. November 2005 angegebenen Gründen nicht im Einzelnen ermittelt worden ist, durch die Aussage des vom Oberverwaltungsgericht gleichfalls vernommenen Zeugen S. in wesentlichen Teilen nicht gestützt und durch den Kläger selbst in Abrede gestellt wird. Der Kläger hat von Anfang an bestritten, sich am fraglichen Abend im “Event-Haus” aufgehalten zu haben und somit überhaupt für die angeblichen Vorfälle in dem Etablissement verantwortlich gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang ist die eidesstattliche Versicherung seiner Mutter von Bedeutung, die indirekt seine Version stützt. Sie ist weder als Zeugin vernommen worden, noch sind die Polizeibeamten, die den Kläger in Gewahrsam genommen haben, zu der Behauptung der Mutter des Klägers befragt worden, sie habe ihren Sohn am Morgen nach dem umstrittenen Vorfall auf der Polizeidienststelle abgeholt und dabei beobachtet, dass der Kläger dort seine unversehrte Eintrittskarte für das “Event-Haus” und seine ungestempelten Handrücken und Unterarme vorgezeigt habe, um zu belegen, dass er am Vorabend nicht im “Event-Haus” gewesen sei.
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Die genannten den eigenen Schlussfolgerungen entgegenstehenden Umstände hat das Berufungsgericht zwar weitgehend in seinem Urteil angeführt, hat sie aber in seiner Beweiswürdigung nicht verarbeitet. Insbesondere erscheint es keineswegs als naheliegend oder gar zwingend, die mehr als fünf Jahre nach dem streitgegenständlichen Ereignis abgegebenen Äußerungen des Zeugen H. für gewichtiger zu halten als seine näher am Vorfallszeitpunkt in Form von Vermerken festgehaltenen gegenteiligen Bekundungen, zumal diese in die hier angegriffenen behördlichen Entscheidungen über die streitgegenständliche Gebührenforderung eingeflossen sind. Ohne eine entsprechende Abwägung der einander widersprechenden Umstände wird der Maßgabe des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Überzeugung unter Beachtung des “Gesamtergebnisses” zu bilden, nicht genügt. Dies muss zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht.
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Denn das Urteil ist – wie erwähnt – auf die Annahmen gestützt, dass die Maßnahme gegen den Kläger von den Polizeibeamten nicht auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 1 SPolG als Schutzgewahrsam, sondern auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG als Sicherungsgewahrsam angeordnet worden ist und dass die Voraussetzungen des Sicherungsgewahrsams in der Person des Klägers erfüllt waren. Sollte am Ende einer vollständigen Beweiswürdigung weder in Bezug auf den Sicherungsgewahrsam noch in Bezug auf den Schutzgewahrsam zweifelsfrei feststehen, dass die jeweils einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen und das polizeiliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde, fehlte es nach dem eigenen rechtlichen Ansatz des Oberverwaltungsgerichts an einer Tatbestandsvoraussetzung für den Kostenbescheid, und dieser wäre aufzuheben.
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2. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.