Strafrecht

Dienstaufsichtliche Maßnahme gegen einen Richter in Sachsen: Zweckentfremdung eines Strafurteils für die persönliche politische Auffassung

Aktenzeichen  RiZ (R) 4/20

Datum:
27.10.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:271020URIZ.R.4.20.0
Normen:
Art 97 Abs 1 GG
§ 26 Abs 2 DRiG
§ 45 Abs 2 DRiG
§ 80 Abs 1 S 1 DRiG
§ 80 Abs 2 DRiG
§ 4 DG SN
§ 130 Abs 1 Nr 1 StGB
§ 198 GVG
Spruchkörper:
Dienstgericht des Bundes

Verfahrensgang

vorgehend LG Leipzig, 17. März 2020, Az: 66 DG 2/17

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Dienstgerichts für Richter beim Landgericht Leipzig vom 17. März 2020 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Antragsteller ist Richter am Amtsgericht Z.    . Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch einen Bescheid des Präsidenten des Landgerichts G.     (im Folgenden: Präsident des Landgerichts) vom 10. Mai 2017, mit dem dieser eine Passage in einem Urteil des Antragstellers als eine mit den Dienstpflichten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung bezeichnete, in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt wird.
2
Der Antragsteller war im Jahr 2016 am Amtsgericht Z.     tätig und mit Straf-, Jugend- und Bußgeldsachen befasst. Mit Urteil vom 14. Juni 2016 sprach er eine Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Nach Darstellung des gegenüber der Angeklagten mit Strafbefehl erhobenen Vorwurfs der Volksverhetzung teilte das Urteil zunächst das Ergebnis – Freispruch aus tatsächlichen Gründen -, die Einlassung der Angeklagten und die nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen mit. Danach hatte sich die Angeklagte auf einer der Partei NPD zuzurechnenden Seite in dem sozialen Netzwerk Facebook mit einem Kommentar an einer virtuellen Diskussion beteiligt, in der verschiedene Nutzer unter der Überschrift: “Flüchtlingsunterkünfte: 36 Fertighäuser für Flüchtlinge in Berlin” auf eine Meldung von der Errichtung von Fertighäusern als Flüchtlingsunterkünften in Berlin reagiert hatten. Die Kommentare gingen unter anderem dahin, dass Deutschen vergleichbare Unterkünfte auch gefallen würden, “wir […] überrannt” würden und man auf den Tag warte, “an dem es richtig knallt” bzw. sich fragte, wann “wir Deutschen” endlich aufwachten. Ein Nutzer schrieb sodann: “Ich spende das Benzin!” Auf diesen Kommentar antworteten drei Nutzer, unter ihnen die Angeklagte, die schrieb: “Ich bring den Brandbeschleuniger mit.”
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen verneinte der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil weder aus der Überschrift noch aus der Meldung oder dem Verlauf der Kommentare ersichtlich sei, dass gegen eine der in der Vorschrift genannten Gruppen, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der Gruppen oder einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt bzw. zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werde. Dabei sei schon nicht zu erkennen, gegen welche Gruppe sich die Kommentare richten sollten, die dahin zu verstehen seien, dass die Nutzer mit der politischen Entscheidung, Fertighäuser für Flüchtlinge errichten zu lassen, nicht einverstanden gewesen seien. Der Kommentar “Ich spende das Benzin!” sei ohne ersichtliche Bezugnahme gepostet worden; aus dem Verlauf ergebe sich nicht, wofür dieses Benzin sein solle.
4
Sodann heißt es in den Urteilsgründen:
“Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Kommentar der Angeklagten geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei dem Merkmal der Eignung zur Friedensstörung um ein abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt (vgl. BGH 46, 212 ff. m.w.N.).
Für die Eignung zur Friedensstörung genügt es danach, dass berechtigte, – mithin konkrete Gründe – für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern.
Allerdings vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit durch den Diskussionsbeitrag der Angeklagten erschüttert wird, oder werden soll.
In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung der Bundeskanzlerin, eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, als der facebook-Kommentar der Angeklagten […].
Allerdings verstößt diese Entscheidung der Kanzlerin nicht gegen § 130 StGB.
Des Weiteren müssen auch Kommentare, die sich kritisch mit bestimmten Entscheidungen von Regierung und Verwaltung auseinandersetzen, unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 5 Grundgesetz betrachtet werden, wobei eine diesbezügliche Betrachtung nach Ansicht des Gerichts nicht mehr erforderlich ist, da bereits der Tatbestand nicht erfüllt wird.”
5
Unter dem 10. Mai 2017 erließ der Präsident des Landgerichts den angefochtenen Bescheid, in dem er zu der Passage
“In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung der Bundeskanzlerin, eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, als der facebook-Kommentar der Angeklagten S. …
Allerdings verstößt diese Entscheidung der Kanzlerin nicht gegen § 130 StGB.”
die Auffassung vertrat, “dass es sich hierbei um eine mit den Dienstpflichten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung” handele und darum bat, dass der Antragsteller solche Äußerungen im Rahmen der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit künftig unterlasse. Die Formulierung finde sich zwar in einem Strafurteil, weise aber keinen rechtlichen Zusammenhang mehr mit der Begründung der Entscheidung auf; sie stelle sich vielmehr als von den Entscheidungsgründen losgelöstes Statement zu lediglich inhaltlich mit dem Verfahrensgegenstand verbundenen politischen Fragen dar. Es sei zwar auch Richtern gestattet, sich zu politischen Fragen zu äußern, die vom Antragsteller gewählte Stelle in den Urteilsgründen sei jedoch geeignet, das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz zu beeinträchtigen.
7
Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, den er damit begründete, der Bescheid verletze ihn in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Die vom Bundesgerichtshof gezogenen Grenzen für ein Eingreifen im Rahmen der Dienstaufsicht seien nicht überschritten.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2017 wies der Präsident des Oberlandesgerichts D.      (im Folgenden: Präsident des Oberlandesgerichts) den Widerspruch mit der Maßgabe zurück, dass der vorletzte Absatz des Ausgangsbescheids (“Ich bitte deshalb darum, dass Sie solche Äußerungen im Rahmen der Ausübung Ihrer richterlichen Tätigkeit künftig unterlassen.”) entfalle. Zur Begründung führte er aus, der Vorhalt als zulässige Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne von § 26 Abs. 2 DRiG beeinträchtige den Antragsteller nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Zwar betreffe der Vorhalt eine Passage in den schriftlichen Gründen eines Urteils; er sei gleichwohl zulässig, weil die beanstandete Formulierung “gänzlich ungeeignet [sei], den sachlichen Inhalt der Entscheidung auch nur denkmöglich mitbestimmen zu können und der Widerspruchsführer einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung […] auch nicht herzustellen” versuche. Die in der Äußerung liegende Bewertung sei inhaltlich ohne jeden inneren Bezug zu der getroffenen Entscheidung. Es handele sich um eine von der Entscheidungsfindung evident losgelöste Meinungsäußerung des Antragstellers, der das Urteil dazu nutze, seinen politischen Standpunkt öffentlichkeitswirksam mitzuteilen. Die Urteilspassage lasse sich deshalb ohne Weiteres vom Inhalt der Entscheidung lösen, so dass der Präsident des Landgerichts hiergegen dienstaufsichtlich habe einschreiten können.
9
Der Antragsteller hat daraufhin bei dem Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig (im Folgenden: Dienstgericht) die Durchführung eines Prüfungsverfahrens beantragt. Durch den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides werde in unzulässiger Weise in seine richterliche Unabhängigkeit eingegriffen. Die beanstandete Passage finde sich in den Gründen eines Strafrichterurteils und unterliege, weil Urteile zum Kernbereich der richterlichen Tätigkeiten gehörten, nur unter engen Einschränkungen überhaupt der Dienstaufsicht. Es sei nicht richtig, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Urteilspassage um ein von den Entscheidungsgründen losgelöstes politisches Statement ohne Zusammenhang mit der Begründung der getroffenen Entscheidung handele. Die vorgehaltene Formulierung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, ohne die Einbettung in die erforderlichen Ausführungen zur Strafbarkeit zu berücksichtigen. Für den Tatbestand des § 130 StGB sei es unter anderem erforderlich, dass die Tathandlung in einer Weise geschehen sei, die den öffentlichen Frieden stören könne. Mit dem Merkmal der Eignung zur Friedensstörung habe sich “das Gericht” ausführlich auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang sei die zitierte Formulierung erforderlich gewesen um aufzuzeigen, welche Handlungen geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören, und um klar zu machen, dass die Verwirklichung einzelner Merkmale des § 130 StGB keine Strafbarkeit begründe.
10
Der Antragsteller hat beantragt,
festzustellen, dass der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts G.    vom 10. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichts D.     vom 7. Juli 2017 unzulässig ist und aufzuheben ist.
11
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
12
Das Dienstgericht hat den Prüfungsantrag des Antragstellers mit Urteil vom 17. März 2020 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts in der maßgeblichen Fassung des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichts stelle keinen unzulässigen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers dar.
13
Die dem Antragsteller vorgehaltene Äußerung finde sich zwar in den Urteilsgründen, die grundsätzlich der Dienstaufsicht entzogen seien; sie hebe sich aber bei objektiver Betrachtung ihrem Inhalt nach derart deutlich von den die Entscheidung tragenden Gründen ab, dass sie dem äußeren Ordnungsbereich der richterlichen Tätigkeit zugewiesen werden könne und folglich der Dienstaufsicht unterliege.
14
Die schemagemäße Tatbestandsprüfung sei bereits abgeschlossen gewesen, als die vorgehaltene Passage gefolgt sei; diese stelle ihrerseits keine Tatbestandsprüfung dar, weil die Entscheidungsgründe mit der sprachlichen Überleitung: “In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts” eine inhaltliche Zäsur insoweit erfahren hätten, als dass nicht mehr die Tatbestandmäßigkeit des Handelns der Angeklagten behandelt, sondern eine Ansicht des Gerichts dargestellt worden sei. Da sich diese Ansicht auf eine politische “Entscheidung der Bundeskanzlerin” bezogen habe, handele es sich um eine politische Ansicht des entscheidenden Richters, die schon ihrem Wesen nach in einem Rechtsstaat kein taugliches Instrument zur rechtlichen und tatsächlichen Aufarbeitung eines konkret zu entscheidenden Falles darstellen könne. Die Bezugnahme auf die politische Entscheidung der Bundeskanzlerin sei offensichtlich nicht dazu geeignet, die fehlende Tatbestandsmäßigkeit des Kommentars der Angeklagten zu begründen, weil es sich bei der Volksverhetzung um ein Äußerungsdelikt handele; für die Eignung zur Friedensstörung einer Äußerung sei die Frage, ob eine politische Entscheidung den öffentlichen Frieden gefährden könne, ohne Bedeutung. Der Hinweis auf die Entscheidung der Bundeskanzlerin stelle sich daher als ein in die Begründung des Urteils “eingebautes” politisches Statement des Antragstellers dar, das nicht (mehr) von der richterlichen Unabhängigkeit erfasst und der Dienstaufsicht daher nicht entzogen sei.
15
Das dienstaufsichtliche Einschreiten sei hier auch unter dem Gesichtspunkt eines offensichtlichen, jedem Zweifel entrückten unvertretbaren Fehlgriffs zulässig. Ein Richter habe sich mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und seine Grundpflicht zur unparteiischen und gerechten Dienstausübung in einem Strafurteil regelmäßig jeglicher Kritik an politischen Entscheidungen der Exekutive zu enthalten, soweit diese Entscheidungen nicht unmittelbar selbst zur gerichtlichen Überprüfung gestellt seien. Dies gelte in gesteigertem Maße, wenn der Kritik des Richters – wie hier – im Rahmen einer rein politischen Meinungsäußerung ein unverhohlen verunglimpfender Charakter zukomme. Der vom Antragsteller letztlich angestellte Vergleich, die Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Aufnahme von Flüchtlingen sei viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören als die Äußerung der Angeklagten auf einer Facebook-Seite der NPD, stelle sich als ein offensichtlich und unter jeder Betrachtungsweise unvertretbarer Fehlgriff im Sinne einer beabsichtigten Herabwürdigung dar.
16
Gegen das Urteil des Dienstgerichts wendet sich die Revision des Antragstellers. Er vertritt die Auffassung, das Dienstgericht habe nicht darauf abstellen dürfen, dass die Tatbestandsprüfung bereits vor der vorgehaltenen Passage abgeschlossen gewesen sei. Die Prüfung hätte jedenfalls nicht zwingend nach Verneinung des ersten Tatbestandsmerkmals abgebrochen werden müssen; vielmehr gehöre es zum Kernbereich der Unabhängigkeit, die Urteilsbegründung auch auf weitere Tatbestandsmerkmale, die nach Auffassung des Antragstellers nicht gegeben gewesen seien, zu erstrecken. Es habe sich bei der vorgehaltenen Passage nicht um ein losgelöstes politisches Statement gehandelt; vielmehr habe der Staatsanwaltschaft durch ein Beispiel verdeutlicht werden sollen, dass nicht jedes Verhalten zur Friedensstörung geeignet sei. Eine Wertung des Verhaltens der Bundeskanzlerin in Form einer Kritik sei darin nicht zu sehen, sondern lediglich die sachliche Feststellung, dass ihr Verhalten geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.
17
Im Übrigen sei in eklatanter Weise gegen § 4 des Sächsischen Disziplinargesetzes verstoßen worden, weil das erstinstanzliche Urteil fast vier Jahre nach dem Urteil ergangen sei, das Gegenstand des angefochtenen Bescheids vom 10. Mai 2017 gewesen sei; allein beim Dienstgericht habe das Verfahren fast drei Jahre gedauert. Eine derart lange Verfahrensdauer mache die Entscheidung verfassungswidrig, weil sie unverhältnismäßig sei und dem erzieherischen Zweck des Disziplinarverfahrens zuwiderlaufe.
18
Der Antragsteller beantragt,
1. das Urteil des Landgerichts Leipzig – Dienstgericht für Richter – vom 17. März 2020 (Az. 66 DG 2/17) aufzuheben und festzustellen, dass der Vorhalt des Präsidenten des Landgerichts G.    vom 10. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichts D.     vom 7. Juli 2017 unzulässig sei;
2. hilfsweise, das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen.
19
Der Antragsgegner beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
20
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).


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