Strafrecht

Entfernung eines Polizeioberrates aus dem Dienst wegen wiederholter Körperverletzung eines Gefangenen

Aktenzeichen  16a D 15.368

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG BayDG Art. 11, Art. 14
StGB StGB § 340 Abs. 1
BeamtStG BeamtStG § 47 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bei Übergriffen von Polizeibeamten auf sich im Gewahrsam befindende Personen ist angesichts der staatlichen Schutzpflicht zur Wahrung der körperlichen Integrität im Regelfall die Entfernung des Beamten aus dem Dienst erforderlich. Ein Polizeibeamter, der in Ausübung seines Dienstes vorsätzlich eine Körperverletzung begeht, verstößt in grober Weise gegen seinen gesetzlichen Auftrag und verletzt den Kernbereich seiner Dienstpflichten. (Rn. 52 und 53) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Verurteilung wegen dreifacher Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung wegen wiederholter Schläge eines Polizeioberrates und Dienststellenleiters gegen einen widerstandsunfähigen minderjährigen Gefangenen führt zum endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherren und zu einer massiven Schädigung des Ansehens der Polizei in der Öffentlichkeit, so dass die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt ist. (Rn. 42, 54 und 61) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Milderungsgrund eines einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblicksversagens greift nicht ein, wenn der Polizeibeamte den Geschädigten wiederholt misshandelt hat und dies im Nachhinein gegenüber Kollegen zu relativieren versucht. (Rn. 59 und 62) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19 DK 14.3163 2014-12-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt.
I.
Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche sind vom Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht worden.
II.
1. Der dem Beklagten zur Last gelegte Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts T … vom 27. November 2012 (Az. 2 KLs 580 Js 25447/11) zugrunde liegt, steht gemäß Art. 25, 55, 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG für den Senat bindend fest. Danach hat der Beklagte am 3. September 2011 drei tatmehrheitliche Fälle der Körperverletzung im Amt begangen, als er in drei jeweils durch zeitliche Zäsuren getrennten Komplexen dem Geschädigten jeweils auf neuen Tatentschlüssen beruhende (teilweise) erhebliche Verletzungen zugefügt hat. Beim Abführen zur Wiesnwache hat er ihm mindestens sechs Stöße mit dem Knie in den Gesäßbereich gegeben, die zu zwei bis drei Tage andauernden, ziehenden Schmerzen, insbesondere beim Liegen, mit Ausstrahlungen in den Lenden- und Nierenbereich geführt haben. Zudem versetzte er dem Geschädigten zwei heftige schmerzende Ohrfeigen, nachdem er sich durch das Verhalten des Geschädigten zunehmend provoziert gefühlt und seinerseits von diesem mit den Worten „was ist los Du Irrer“ und „Psycho“ konfrontiert worden war. Diese Körperverletzungshandlungen hat der Beklagte begangen, obwohl sich der Geschädigte, der gefesselt war, nach Aussage des beim Abführen beteiligten Kollegen B … in keiner Weise widersetzt hatte. Auf der Wiesnwache hat der Beklagte den Geschädigten am Kopf oder Nacken gepackt und mindestens zweimal gegen die Wand gestoßen, wodurch bei diesem ein Teil des linken oberen Schneidezahns abbrach und zwei blutende Quetsch-Risswunden an der Unterlippe entstanden, von denen eine 1 cm tief und 0,5 cm breit gewesen war. Ferner wurden vier Zähne gelockert. Daraufhin verließ der Angeklagte den Teil des Wachraums. Nachdem er einige Zeit darauf wieder zurückgekommen war, begann der Geschädigte, der inzwischen auf der Sitzbank saß, sofort wieder, ihn zu beleidigen und zu beschimpfen und in seine Richtung zu spucken, ohne den Beklagten zu treffen. Auch versuchte er, den Beklagten zu treten. Daraufhin versetzte der Beklagte dem mittlerweile stark blutenden Geschädigten eine weitere heftige Ohrfeige in die linke Gesichtshälfte.
Der Senat hat keinen Anlass, sich aufgrund des Vorbringens des Beklagten von den Feststellungen des Strafgerichts zu lösen (Art. 55 2. Halbsatz i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Die Disziplinargerichte sind nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils i.S.d. Art. 25 Abs. 1 BayDG zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn diese offenkundig unrichtig sind und sie daher „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen im Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen, aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig oder in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Darüber hinaus kommt eine Lösung in Betracht, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen dessen Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen (BVerwG, B.v. 15.5.2013 – 2 B 20/12 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 21.1.2015 – 16a D 13.1904 – juris Rn. 60). Wird das Vorliegen einer dieser Voraussetzungen geltend gemacht, so sind die Disziplinargerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach Art. 55 2. Halbsatz BayDG zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit i.S.d. Art. 55 Halbsatz 2 BayDG ergeben kann (BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 14.991 – juris Rn. 40; U.v. 12.3.2013 – 16a D 11.624 – juris Rn. 38 m.w.N.). Anhaltspunkte hierfür sind allerdings nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Das Landgericht hat sich über mehrere Verhandlungstage hinweg durch eine Einvernahme zahlreicher Zeugen, sachverständiger Zeugen und Heranziehung mehrerer Gutachten und Ergänzungsgutachten mit dem Tatgeschehen beschäftigt und ist auf dieser Grundlage nachvollziehbar zu den vorliegenden tatsächlichen Feststellungen gelangt. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat es die nicht unerhebliche Alkoholisierung des Geschädigten berücksichtigt, jedoch detailliert dargelegt, warum es diesen gleichwohl für glaubwürdig hält und dessen Angaben – im Gegensatz zur Version des Beklagten – im Einklang mit den objektiven Befunden gesehen. Ein Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen wurde nicht aufgezeigt. Auch der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 4. Februar 2013 ausdrücklich die Beweiswürdigung des Landgerichts T … bestätigt und die Revision des Beklagten verworfen.
III.
Mit seinem Verhalten hat der Beklagte ein einheitliches schweres Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtStG verwirklicht, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat. Der Beklagte hat durch drei tatmehrheitlich begangene Körperverletzungen im Amt gegen seine Pflicht zu ordnungsgemäßer Dienstausübung (§ 34 Satz 1 BeamtStG), zur Achtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 340 Abs. 1 StGB) und gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.
IV.
Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BayDG. Es hat – auch unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbilds des Beklagten und seines bisherigen dienstlichen Verhaltens – darüber hinaus die Folge, dass der Beklagte das Vertrauen sowohl des Dienstherrn als auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Unter diesen Voraussetzungen ist nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme zu erkennen.
Der Senat folgt hinsichtlich der Zumessungskriterien des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 29.5.2008 – 2 C-59/07 – juris) zu § 13 BDG (BayVGH U.v. 23.9.2009 – 16a D 07.2355 – juris; U.v. 15.2.2012 – 16a D 10.1974; U.v. 21.1.2015 – 16a D 13.1904, Rn. 81; U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540, Rn. 61; U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.1992 – jeweils in juris).
1. Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung, wobei Beamte, die durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren haben, gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG regelmäßig aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen sind. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung haben die Gerichte zunächst im Einzelfall bemessungsrelevante Tatsachen zu ermitteln und sie mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Dieses Erfordernis beruht letztlich auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastender und entlastender Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2014 – 2 B 37/12 – juris Rn. 18).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, B.v. 10.12.2015 – 2 C-6/14 – juris Rn. 16; B.v. 11.2.2014 – 2 B 37/12 – juris Rn. 20; B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).
Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Dies erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder es – etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder gar einer psychischen Ausnahmesituation – davon abweicht (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 14).
Der Gesichtspunkt der „Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ verlangt eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf ihren allgemeinen Status, ihren Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und ihre konkret ausgeübte Funktion (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 15).
Bei der Anwendung des Bemessungskriteriums „Schwere des Dienstvergehens“ ist das festgestellte Dienstvergehen nach seinem Gewicht einer der im Gesetz aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 20).
2. Dem Beklagten fallen drei Körperverletzungen im Amt gemäß § 340 Abs. 1 StGB zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 11 BayDG). Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gut zu machende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (grundlegend BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04; U.v. 24.5.2007 – 2 C 28.06 – jeweils in juris.) Das Beamtenverhältnis wird auf Lebenszeit begründet und kann vom Dienstherrn nicht einseitig aufgelöst werden. Pflichtverletzungen des Beamten machen daher Reaktions-und Einwirkungsmöglichkeiten des Dienstherrn erforderlich. Das Disziplinarrecht stellt hierfür Maßnahmen zur Verfügung, um den Beamten im Falle des Dienstvergehens zur Pflichterfüllung anzuhalten oder ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn das notwendige Vertrauen endgültig verloren ist. Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C-6/14 – juris Rn. 13). Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 14.991 – juris Rn. 53).
3. Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, hat das Bundesverwaltungsgericht, nachdem es zunächst nur bei außerdienstlichen Dienstvergehen auf den Strafrahmen zurückgegriffen hat (BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 2 C 5.10 – juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 31), nunmehr in seinem Urteil vom 10. Dezember 2015 (a.a.O. Rn. 19) ausdrücklich klargestellt, dass auch bei innerdienstlich begangenen Dienstvergehen die Ausrichtung der grundsätzlichen Zuordnung eines Dienstvergehens zu einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen am gesetzlich bestimmten Strafrahmen geboten sei. Auch bei diesen Dienstvergehen gewährleiste die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen.
Im Hinblick auf die vom Beklagten verwirklichten Delikte ist vorliegend grundsätzlich die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnisses wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten. Das Strafgericht hat den Beklagten wegen dreifacher tatmehrheitlicher Körperverletzung im Amt nach § 340 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt. Bei diesen Delikten reicht der Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren – hier sind es sogar bis zu fünf Jahre – vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht deshalb von der Höchstmaßnahme, also der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gemäß Art. 11 BayDG, ausgegangen. Auch der Senat hält grundsätzlich in schwerwiegenden Fällen, vor allem bei Übergriffen auf sich in (polizeilichem) Gewahrsam befindenden Personen angesichts der Tatsache, dass aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine staatliche Schutzpflicht abzuleiten ist, die körperliche Integrität jeder Person in staatlichem Gewahrsam zu wahren und zu schützen, im Regelfall die Dienstentfernung für erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.1992 – juris Rn. 50; U.v. 5.3.2008 – 16a D 07.1368 – juris Rn. 25; U.v. 25.5.1983 VGH n.F. 36, 47/48 f. m.w.N.; vgl. auch: OVG NRW vom 10.3.1999 DÖD 2000, 39/40; VGH BW 10.11.2006 – DL 16 S 22/06 – juris Rn. 50; Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Oktober 2007, MatR/II RdNr. 438).
Ein Polizeivollzugsbeamter, der in Ausübung seines Dienstes eine oder mehrere vorsätzliche Körperverletzungen begeht, ohne dass ein Fall der Notwehr oder Putativnotwehr vorliegt, verstößt in grober Weise gegen seinen gesetzlichen Auftrag zur Gefahrenabwehr und verletzt den Kernbereich seiner Dienstpflichten. Er missbraucht damit die ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben verliehenen Machtbefugnisse, erschüttert das in ihn vom Dienstherrn gesetzte Vertrauen in seine dienstliche Zuverlässigkeit und beeinträchtigt in erheblichem Maße das Ansehen der Polizei als staatlicher Institution, weil der Achtungsverlust des Beamten auf die Polizei insgesamt ausstrahlt. Denn die Allgemeinheit darf mit Recht erwarten, dass das allgemeine strafgesetzliche Verbot, andere körperlich zu verletzen, gerade von Polizeibeamten befolgt wird, die kraft ihrer Dienstpflicht die Einhaltung dieses Verbots zu überwachen und Verstöße hiergegen zu unterbinden und zu verfolgen haben. Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) besitzt einen besonders hohen Rang (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 5.3.2008 – 16a D 07.1368 – juris Rn. 25; U.v. 18.1.2017 a.a.O.).
Zu Lasten des Beklagten ist vorliegend zu berücksichtigen, dass er den bereits gefesselten und damit widerstandsunfähigen, minderjährigen Geschädigten zunächst auf dem Weg zur Wiesnwache mit Kniestößen traktierte, ohne dass dieses Verhalten notwendig gewesen wäre, um den Geschädigten zum Weitergehen anzuhalten. Nach Aussage des Kollegen B … verhielt dieser sich weder aggressiv noch widersetzte er sich dem Abführen. Erst das Verhalten des Beklagten veranlasste den Geschädigten zu verbalen Ausfälligkeiten, welchen der Beklagte mit einer sehr heftigen Ohrfeige begegnete. Vor der Wiesnwache ohrfeigte er den Geschädigten nochmals, wenn auch weniger heftig. Der Senat geht insofern davon aus, dass die Provokationen, auf die sich der Beklagte stets entschuldigend berufen hat, letztendlich von ihm selbst ausgingen bzw. auf seinem Verhalten beruhten und deshalb nicht geeignet sind, das Dienstvergehen in einem milderem Licht erscheinen zu lassen.
Auch auf der Wiesnwache suchte der Beklagte immer wieder die Konfrontation mit dem sich zunehmend durch das Verhalten des Beklagten provoziert fühlenden Geschädigten, der sich nach Aussage der zugleich auf der Wache Dienst habenden Kollegen des Beklagten den anderen Polizeibeamten gegenüber höflich und zuvorkommend verhielt. Der Beklagte hätte ohne Probleme weiteren Konfrontationen mit dem Geschädigten aus dem Weg gehen können. Dass er dies im weiteren Verlauf unterließ, wertet der Senat zu seinen Lasten. Auch bei der dritten Körperverletzung im Amt – einer Ohrfeige, die er dem bereits stark aus dem Mund blutenden Jugendlichen ins Gesicht versetzte – suchte er erneut den Kontakt zum Geschädigten, nachdem er zunächst den Bereich, in dem sich dieser aufhielt, verlassen hatte. Nach den bindenden Feststellungen im Strafurteil trat der Beklagte jedoch erneut in das Zimmer ein, in dem sich der mittlerweile auf der Bank sitzende Geschädigte befand. Dieser zeigte sich aufgrund des erneuten Erscheinens des Beklagten höchst aggressiv, beschimpfte ihn und versuchte, ihn zu treten und zu bespucken. Daraufhin ohrfeigte der Beklagte den bereits stark aus dem Mund blutenden Jugendlichen erneut.
Mit seinem Einwand, die dritte Ohrfeige habe sich unmittelbar an die Kopfstöße angeschlossen und sei deshalb nicht als tatmehrheitliche Körperverletzung im Amt zu werten, kann der Beklagte deshalb nicht durchdringen. Für eine zeitliche Zäsur zwischen der dritten Ohrfeige und den Kopfstößen spricht im Übrigen auch, dass der Geschädigte mittlerweile (wieder) auf der Bank saß und nach Zeugenaussagen bereits stark blutete.
Selbst wenn die Kopfstöße nicht mit besonderer Wucht ausgeführt wurden, sprechen die Umstände der Tat vorliegend für eine brutale Vorgehensweise, die der Senat ebenfalls zu Lasten des Beklagten wertet. Aufgrund der Handschellen und der vor der Wand befindlichen Bank auf Schienbeinhöhe war es dem Geschädigten nämlich nicht möglich, die Stöße des Beklagten anders als mit dem Kopf abzufangen. Dies führte beim Geschädigten zu erheblichen Verletzungen.
Zu Lasten des Beklagten wirkt auch, dass es sich vorliegend um eine absolute Routinesituation beim Umgang mit alkoholisierten Jugendlichen auf einem Volksfest gehandelt hat, bei der die Reaktionen des Beklagten völlig außer Verhältnis standen und nach Auffassung des Senats der reinen Machtdemonstration dienten. Zu seinen Lasten ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte über jahrzehntelange Dienst-erfahrung verfügte und als Dienststellenleiter der Polizeiinspektion R … eine Vorbildfunktion innehatte.
Gegen den Beklagten spricht des Weiteren sein Nachtatverhalten. Zu Recht hat die Disziplinarkammer es als erschwerend gewertet, dass der Beamte versucht hat, durch Abfassung der E-Mail vom 4. September 2011 sein vorangegangenes strafbares innerdienstliches Verhalten gegenüber den Kollegen zu relativieren und diese möglicherweise so in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen (vgl. VGH BW, U.v. 4.11.2008 – DL 16 S 616/08 – Rn. 37). Sein Vorbringen, bei dieser mit E-Mail vom 4. September 2011 versandten Stellungnahme zum Tatgeschehen, handele es sich um eine absolut übliche Vorgehensweise im Hinblick auf Kollegen, die man nicht alle Tage treffe und sei im Rahmen seiner Anzeige gegen den Geschädigten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfolgt, hält der Senat für eine Schutzbehauptung. Zum einen erschließt sich nicht, inwieweit eine Absprache von Gedächtnisprotokollen überhaupt der Wahrheitsfindung dienen soll, zum anderen hegt der Senat Zweifel an der Üblichkeit einer solchen Vorgehensweise. Diese hat auch der in der mündlichen Verhandlung zum Persönlichkeitsbild des Beklagten befragte frühere Dienstvorgesetzte des Beklagten und nunmehrige Präsident des Landeskriminalamts H … nicht bestätigt. Auffällig in diesem Zusammenhang ist zudem, dass eine solche Stellungnahme allein vom Beklagten verfasst und an die ihm unterstellten Kollegen versandt wurde. Zudem ist in den inhaltlichen Ausführungen keine einzige der vom Beklagten später eingeräumten Körperverletzungshandlungen gegenüber dem Geschädigten enthalten.
Soweit das Verwaltungsgericht zu Lasten des Beklagten berücksichtigt hat, dass von ihm weder im Strafverfahren noch in seiner vom Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht verlesenen Stellungnahme vom 14. Dezember 2014 echte Reue und Einsicht zum Ausdruck kam, so ist auch dies rechtlich nicht zu beanstanden. Bereits das Strafgericht hat die Anwendbarkeit des § 46a Abs. 1 StGB beim Beklagten im Hinblick auf eine mögliche Strafmilderung verneint. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof zeigte der Beklagte lediglich Bedauern im Hinblick auf die Folgen der Taten für seine eigene Person, nicht jedoch im Hinblick auf den Geschädigten.
Schließlich ist zu Lasten des Beklagten auch zu berücksichtigen, dass das Dienstvergehen infolge der Presseberichterstattung zu einer massiven Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums und der Polizei in der Öffentlichkeit geführt hat.
Anerkannte oder in ihrem Gewicht vergleichbare Milderungsgründe, die zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen würden, vermag der Senat vorliegend nicht zu erkennen. Insbesondere liegt kein einmaliges, persönlichkeitsfremdes Augenblicksversagen vor (vgl. zu diesem für die Zugriffsdelikte entwickelten Milderungsgrund etwa BVerwG, U.v. 26.02.1997 – 1 D 16.96 – juris; VGH BW U.v. 4.11.2008 – DL 16 S 616/08 – juris Rn. 39). Denn die Anwendung dieses Milderungsgrunds setzt voraus, dass der Beamte einmal spontan ohne hinreichende Überlegung quasi kurzschlussartig gehandelt hat (s. BayVGH, U.v. 5.3.2008 a.a.O. Rn. 33), weil nur dann davon ausgegangen werden kann, dass das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn nicht völlig zerstört ist und wiederhergestellt werden kann. Der Beamte hat hier nicht nur einmalig versagt, sondern sich immer wieder zu Körperverletzungshandlungen gegenüber dem Geschädigten hinreißen lassen, die er im Nachhinein bei den Kollegen zu relativieren suchte.
Mildernd zugunsten des Beklagten ist durchaus seine angeschlagene Gesundheit zum Tatzeitpunkt aufgrund der Belastung durch den Tinnitus zu berücksichtigen, wenngleich die diesbezügliche Behandlung bereits mehrere Wochen vor dem gegenständlichen Vorfall abgeschlossen war und in diesem Zusammenhang keinerlei krankheitsbedingte Abwesenheiten des Beklagten festzustellen sind. Auch der Zeuge H … erklärte in dieser Hinsicht, dass er sich an gesundheitliche Beeinträchtigungen des Beklagten im Sommer 2011 nicht erinnern könne und für ihn in Bezug auf das R … Herbstfest die gesundheitliche Eignung des Beklagten nicht in Zweifel gestanden habe.
Auch die dienstlichen Belastungen aufgrund der angespannten Personalsituation sind zu Gunsten des Beklagten heranzuziehen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass nach Aussage des Zeugen H … zwar die Personalstärke bei der Polizeiinspektion R … mit einer Abweichung der Istvon der Sollstärke um 20 Prozent als angespannt zu bezeichnen war, eine solche Abweichung um 15 – 20 Prozent aber damals fast alle Dienststellen getroffen habe. Zudem sei R … Sitz der operativen Ergänzungsdienste, so dass dort Unterstützung erfolgen könne, die andere Dienststellen so nicht hätten. Ein Einsatz von 25 Tagen am Stück, wie vom Beklagten geleistet, sei deshalb nicht gefordert gewesen und hätte bei entsprechenden Planungen ohne weiteres verhindert werden können. Der Senat vermag vorliegend deshalb auch keine psychische Ausnahmesituation zu Gunsten des Beklagten zu erkennen. Eine solche wurde auch im Strafurteil nicht festgestellt.
Zwar sprechen die guten Beurteilungen und das Persönlichkeitsbild, das vom damaligen Vorgesetzten H … in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten gezeichnet wurde, durchaus zu Gunsten des Beklagten, wenngleich dies nach Ansicht des Senats auch deutliche Anhaltspunkte für ein gelegentlich übermotiviertes Verhalten enthielt.
Auch wenn der Beklagte disziplinarisch nicht vorbelastet ist, erscheint angesichts des Umfangs und der Nachdrücklichkeit seines Versagens das notwendige Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn endgültig zerstört. Der Ansehens- und Vertrauensverlust wird auch durch die beanstandungsfreie, langjährige Tätigkeit des Beamten, seine guten Beurteilungen und die Schmerzensgeldzahlung nicht derart relativiert, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte.
Die Würdigung aller Umstände führt bei prognostischer Beurteilung zu der Bewertung des Senats, dass der Dienstherr und die Allgemeinheit dem Beklagten nach dem von ihm begangenen schweren Dienstvergehen kein Vertrauen mehr in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können, weil die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gut zu machen ist. Die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist angemessen und geboten. Sie ist auch nicht unverhältnismäßig. Die dem Beklagten staatlicherseits auferlegte Belastung ist geeignet und erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Sie steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von den Betroffenen hinzunehmenden Einbußen.
Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels Milderungsgründen das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis wie hier gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem daher als für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 D 2.03 – juris; BayVGH, U.v. 28.9.2016 – 16a D 14.991 – juris Rn. 63).
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. 154 Abs. 2 VwGO.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i.V.m. § 116 Abs. 1 VwGO).


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