Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis bei regelmäßigem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  M 26 S 16.389

Datum:
24.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 46 Abs. 1 S. 1
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die regelmäßige Einnahme von Cannabis führt zum Verlust der Fahreignung (vgl. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV). Für die Annahme von regelmäßigen Cannabiskonsum ist die eigene Angabe des Betroffenen, seit einem halben Jahr nahezu täglich Cannabis zu konsumieren, ausreichend.   (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Gegensatz zum Strafverfahren ist der Betroffene im Fahrerlaubnisverfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Die Mitwirkungsverpflichtung schließt auch Angaben zum Konsum von Stoffen, die die Fahreignung infrage stellen können, ein. Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, obwohl ihm das ohne Weiteres möglich und zumutbar ist und er sich der Erheblichkeit der in Rede stehenden Umstände bewusst sein muss, ist es zulässig, dieses Verhalten bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerpartei wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L.
Mit Bescheid vom … August 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerpartei die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die sofortige Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 und 3) sowie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4).
Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom … November 2015 zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 erhob die Antragstellerpartei Klage. Mit Schriftsatz vom … Januar 2016 beantragte sie durch ihren Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs betreffend die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wiederherzustellen.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die vom Antragsteller in seiner polizeilichen Vernehmung am … April 2015 gemachten Angaben zu seinem Drogenkonsumverhalten in der Vergangenheit dürften nicht zugrunde gelegt werden. Sie seien unzutreffend. Der Antragsteller habe sich in einem psychisch angespannten Zustand befunden. Er sei im Zusammenhang mit dem Vorfall, zu dem er vernommen worden sei, wegen einer akuten psychotischen Störung stationär in einer Klinik für Suchtmedizin aufgenommen worden. Dort sei ein Drogenscreening durchgeführt worden, das insgesamt negativ ausgefallen sei. Demgegenüber gehe der polizeiliche Aktenvermerk über die oben genannte Beschuldigtenvernehmung davon aus, dass das Drogenscreening laut fernmündlicher Auskunft der Klinik positiv ausgefallen sei. Der Antragsteller sei, wie eine Haaranalyse belege, vom … Juni 2015 bis zum … Dezember 2015 drogenfrei.
Die Antragsgegnerpartei beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom … März 2016 wurde die Verwaltungsstreitsache auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Danach bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Entziehungsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung entspricht den an sie gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die der Klage und dem Widerspruch grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43). Hier hat der Antragsgegner einzelfallbezogen und nachvollziehbar dargelegt, dass vom Antragsteller Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgehen, so dass die Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins nicht durch die Einlegung eines Hauptsacherechtsbehelfs gehemmt werden durfte.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Der Antragsteller hat bei der fraglichen Vernehmung wörtlich angegeben: „Ich rauche/rauchte nur Marihuana/Haschisch. Die Drogen konsumierte ich aber auch nicht durchgehend. In der letzten Zeit (die letzten Jahre, eine genaue Angabe diesbezüglich ist mir nicht möglich) rauche ich jeden Tag eine Tüte.“ (…) Ich mache aber ganz normal meine Arbeit, als A… (hauptsächlich A…) in der … Schule und abends nach Feierabend rauche ich meine Tüte.“
Die regelmäßige Einnahme von Cannabis führt zum Verlust der Fahreignung (vgl. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV). Für die Annahme von regelmäßigen Cannabiskonsum ist die eigene Angabe des Betroffenen, seit einem halben Jahr nahezu täglich Cannabis zu konsumieren, ausreichend (Münchner Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, Bd. 1, 2016, § 3 StVG, Rn. 28 m. w. N.). Ausweislich des polizeilichen Vermerks über die fragliche Vernehmung, an dessen Richtigkeit kein Anlass zu Zweifeln besteht, hat der Antragsteller zugegeben, im Wesentlichen in den letzten Jahren jeden Abend Cannabis konsumiert zu haben. Später haben der Antragsteller bzw. sein Bevollmächtigter versucht, diese Angaben zu relativieren. Hierfür reicht jedoch nicht eine bloße gegenteilige Äußerung, sondern es müssten Einzelheiten geschildert und dargetan werden, warum er entgegen seiner Äußerung in der polizeilichen Vernehmung in der Vergangenheit nicht regelmäßig Cannabis konsumiert hat. Im Gegensatz zum Strafverfahren ist der Betroffene im Fahrerlaubnisverfahren zur Mitwirkung verpflichtet, wie die Regelungen in Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG und § 11 Abs. 8 FeV zeigen. Die Mitwirkungsverpflichtung schließt auch Angaben zum Konsum von Stoffen, die die Fahreignung infrage stellen können, ein (BayVGH, B.v. 27.3.2013 – 11 CS 13.548 – Rn. 8). Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, obwohl ihm das ohne weiteres möglich und zumutbar ist und er sich der Erheblichkeit der in Rede stehenden Umstände bewusst sein muss, ist es zulässig, dieses Verhalten bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten zu berücksichtigen (vgl. OVG NW, B.v. 12.3.2012 – 16 B 1294/11 – DAR 2012, 275). Hier mag es zwar sein, dass sich der Antragsteller beim anlassgebenden Vorfall in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Warum sich diese negativ auf die Richtigkeit seiner Angaben zu seinem Drogenkonsum in der Vergangenheit ausgewirkt haben soll, der mit dem anlassgebenden Vorfall in keinerlei Zusammenhang steht, ist weder ersichtlich noch wird dies vom Antragsteller nachvollziehbar erklärt. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass in einer psychischen Ausnahmesituation gemachte Angaben unzutreffend sind. Der Antragsteller hat also weder Ansatzpunkte dafür aufgezeigt, warum seine bei der fraglichen Vernehmung gemachten Angaben unzutreffend sein sollen noch Erklärungen zu seinem behaupteten tatsächlichen Konsumverhalten abgegeben, sondern nur die Richtigkeit der früheren Angaben pauschal bestritten. Damit ist von der Richtigkeit der vom Antragsteller bei der fraglichen Vernehmung getätigten Aussagen auszugehen. Vor diesem Hintergrund kommt der vorgelegten Bescheinigung des …Klinikums, Abteilung Suchtmedizin, vom … Juni 2015, wonach beim Antragsteller in Zusammenhang mit seiner dortigen Aufnahme ein Drogenscreening durchgeführt worden sei, das insgesamt negativ ausgefallen sei, ohne konkrete Angaben zu Untersuchungsmethoden und untersuchten Stoffen keinerlei Beweiswert zu. Der anlassgebende Vorfall ereignete sich am frühen Nachmittag, während der Antragsteller angegeben hat, immer nur abends Drogen zu konsumieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass bei einer möglicherweise nur beschränkten Untersuchung keine Drogenabbaustoffe im Körper des Antragstellers nachgewiesen werden konnten.
Die Frage, ob die Fahreignung wieder erlangt wurde, muss die Behörde in einem Entziehungsverfahren nur dann prüfen, wenn der Betroffene eine Verhaltensänderung plausibel behauptet und belegt oder unabhängig hiervon gewichtige und belastbare Anhaltspunkte vorliegen (Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblatt, § 46 FeV, S. 113q2 m. w. N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also im Fall der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens der Erlass des Widerspruchsbescheids, ansonsten der Erlass des Entziehungsbescheids selbst (Jagow, a. a. O., § 46, Rn. 113t m. w. N.). Hier datiert der Widerspruchsbescheid vom … November 2015. Im Fall der regelmäßigen Einnahme von Cannabis wird in entsprechender Anwendung von Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV ein einjähriger Abstinenzzeitraum vorausgesetzt, damit die Fahreignung wieder erlangt werden kann. Eine Drogenfreiheit weist der Antragsteller jedoch frühestens ab dem … Juni 2015 nach. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Antragsteller nach dem Anlass gebenden Vorfall im April 2015 keine Drogen mehr konsumiert hat, wäre der einjährige Abstinenzzeitraum im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids ebenfalls nicht erfüllt.
Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Fahreignung gegeben sind, ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, Teil 8/2.4.12.1, S. 1).
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


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