Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Gelegentlicher Cannabiskonsum, erstmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot, Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Bindungswirkung eines Bußgeldbescheids, Zeitablauf, hinreichende Wahrscheinlichkeit für Cannabiskonsum oder Rückfallgefahr, Begründung der Ermessensausübung

Aktenzeichen  11 CS 21.730

Datum:
26.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12528
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 8,
StVG § 3 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 4 S. 2
FeV § 11 Abs. 6, Abs. 8, 14 Abs. 1 S. 3, 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Anlage 4 Nr. 9.2.2 der

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 8 S 20.2515 2021-02-19 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die erstinstanzliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Der Antragsteller ist seit dem 18. November 2014 Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L. Am 19. August 2016 um 8:45 Uhr wurde er als Fußgänger von der Polizei aufgegriffen und gab an, er sei mit seinem Fahrzeug im Kies steckengeblieben und kümmere sich jetzt um die Bergung. Im Polizeibericht wird ausgeführt, der Motor des in Augenschein genommenen Fahrzeugs sei noch warm gewesen. Der Antragsteller habe angegeben, er habe am Vorabend mit Freunden Marihuana und Alkohol konsumiert, im Auto übernachtet und nach dem Aufwachen erfolglos versucht, sein Fahrzeug aus dem Kies zu fahren. Bei der Kontrolle habe er Marihuana mit sich geführt; bei der anschließenden Wohnungsdurchsuchung sei ebenfalls Marihuana sichergestellt worden. Die Blutuntersuchung ergab folgende Werte: Tetrahydrocannabinol (THC) 1,3 ng/ml, Hydroxy-THC 1,1 ng/ml, THC-Carbonsäure 43,1 ng/ml.
Auf Anordnung der Führerscheinstelle des Landratsamts Deggendorf brachte der Antragsteller ein ärztliches Fahreignungsgutachten der BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH (Untersuchung am 12.1.2017, Versand am 8.2.2017) zur Klärung seines Konsumverhaltens bei. Das Gutachten führt aus, der Antragsteller habe angegeben, mit dem Konsum von Marihuana Anfang 2016 begonnen zu haben. Andere Drogen habe er nie probiert. Sein letzter Konsum sei am 18. August 2016 gewesen, seither lebe er drogenfrei. Dem Gutachten zufolge ergab eine Haaranalyse bei einer Haarlänge von 6 cm keine Hinweise auf den Konsum von Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen während eines Zeitraums von ca. sechs Monaten. Nach den Ergebnissen der Blutanalyse liege gelegentlicher Cannabiskonsum vor. Regelmäßiger Konsum von Cannabis könne durch die Höhe des THC-Carbonsäurewerts ausgeschlossen werden. Es sei „derzeit von Drogenfreiheit auszugehen.“
Mit Bescheid vom 8. März 2017 entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins. Als gelegentlicher Cannabiskonsument, der gegen das Trennungsgebot verstoßen habe, sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.
Mit Beschluss vom 6. Juli 2017 stellte das Verwaltungsgericht Regensburg die aufschiebende Wirkung der hiergegen erhobenen Klage wieder her. Daraufhin händigte das Landratsamt dem Antragsteller den Führerschein am 14. Juli 2017 wieder aus. Das Klageverfahren wurde im Hinblick auf die beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Revisionsverfahren hinsichtlich der Frage, ob die Fahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum und erstmaligem Verstoß gegen das Trennungsgebot ohne weitere Aufklärung entfällt oder ob dies durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten abzuklären ist, ruhend gestellt.
Mit Beschluss vom 10. Juli 2017 stellte das Amtsgericht Deggendorf das Bußgeldverfahren gegen den Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen § 24a StVG ein. Es hätten keine weiteren Feststellungen dazu getroffen werden können, ob der Antragsteller das Fahrzeug am Tattag überhaupt bewegt habe.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2019 hob das Landratsamt seinen Bescheid vom 8. März 2017 im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019 auf. Das Verwaltungsgericht stellte das wieder aufgenommene Klageverfahren mit Beschluss vom 16. August 2019 aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen ein.
Mit Schreiben vom 5. August 2019 forderte das Landratsamt den Antragsteller gestützt auf den Vorfall vom 19. August 2016 und das ärztliche Gutachten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 auf, bis 31. Oktober 2019 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Wegen eines längeren Auslandsaufenthalts des Antragstellers hob es seine Anordnung mit Schreiben vom 21. August 2019 wieder auf.
Mit Schreiben vom 18. März 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller erneut zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf und setzte hierfür eine Frist bis 18. Mai 2020. Mit Bescheid vom 17. September 2020 entzog es ihm unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins. Er habe gelegentlich Cannabis konsumiert und sei am 19. August 2016 unter Verstoß gegen das Trennungsgebot mit seinem Fahrzeug gefahren. Ob die Gefahr weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss bestehe, könne nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden. Dieses Gutachten habe er trotz Aufforderung nicht fristgerecht beigebracht.
Über die hiergegen erhobene Klage (Az.: RN 8 K 20.2516) hat das Verwaltungsgericht Regensburg noch nicht entschieden. Mit Beschluss vom 19. Februar 2021 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung fehle dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller seine Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins erfüllt habe. Im Übrigen sei der Antrag zulässig und begründet. Die Anordnung des Landratsamts zur Beibringung des Gutachtens sei rechtswidrig. Angesichts der am 18. März 2020 vergangenen Zeit von über drei Jahren seit der ärztlichen Begutachtung und von ca. dreieinhalb Jahren seit dem letzten feststehenden Konsum habe das Landratsamt in diesem Zeitpunkt, auf den für die Frage der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung abzustellen sei, nicht mehr gesichert davon ausgehen können, dass gelegentlicher Cannabiskonsum des Antragstellers feststehe. Die Erkenntnisse und Anknüpfungstatsachen müssten hinreichend aktuell sein. Maßgebend hierfür seien die Umstände des Einzelfalls. Die im Rahmen des ärztlichen Gutachtens vom 8. Februar 2017 durchgeführte Haaranalyse habe keine Hinweise auf die Einnahme von Suchtstoffen innerhalb der letzten sechs Monate ergeben. Auch ein regelmäßiger Cannabiskonsum sei damals ausgeschlossen worden. Gegen einen noch hinreichend gesicherten gelegentlichen Cannabiskonsum bei Erlass der Begutachtungsanordnung sprächen auch das vom Antragsteller geschilderte Konsumverhalten über einen nicht sehr langen Zeitraum und der Umstand, dass er seit dem 18. August 2016 nicht mehr durch Drogenkonsum auffällig geworden sei. Seit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den damaligen Entzugsbescheid habe er unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt, führt der Antragsgegner aus, der Antragsteller habe am 19. August 2016 unter dem Einfluss von Cannabis und somit unter Verstoß gegen das Trennungsgebot ein Kraftfahrzeug geführt. Das noch verwertbare ärztliche Gutachten vom 8. Februar 2017 belege einen gelegentlichen Cannabiskonsum. Das aufgrund dieses Vorfalls zuletzt mit Schreiben vom 18. März 2020 geforderte medizinisch-psychologische Gutachten habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Das Landratsamt habe bei der Begutachtungsanordnung weiterhin von gelegentlichem Cannabiskonsum ausgehen dürfen und ihm die Fahrerlaubnis daher zu Recht entzogen. Die seit der Fahrt vergangene Zeit stehe dem nicht entgegen. Erforderlich sei insoweit eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung aller relevanten Umstände. Maßgeblich sei, ob noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Betroffene noch Cannabis einnehme oder jedenfalls rückfallgefährdet sei. Die Umstände am 19. August 2016, insbesondere auch die bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Utensilien, würden auf einen ausgeprägten Cannabiskonsum des Antragstellers und dessen feste Einbindung in das Drogenmilieu hinweisen. Aufgrund seiner Angaben im Rahmen der ärztlichen Begutachtung stehe fest, dass sich bei ihm ein für Gelegenheitskonsumenten typisches und verfestigtes Konsummuster herausgebildet habe. Das Ergebnis der Haaranalyse decke lediglich einen Zeitraum von sechs Monaten ab und stelle keinen Nachweis dafür dar, dass der Antragsteller über das erforderliche Trennungsvermögen verfüge. Hierfür bedürfe es einer positiven Prognose im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung. Wegen der hohen Dunkelziffer und eines möglichen Wohlverhaltens unter dem Druck des Verfahrens entlaste den Antragsteller auch nicht, dass er seit August 2016 nicht nochmals als Cannabiskonsument aufgefallen sei, zumal er sich über geraume Zeit auch nicht in Deutschland aufgehalten habe. Die Zweifel an seiner Fahreignung seien hierdurch nicht ausgeräumt. Die Verfahrensdauer sei nicht dem Landratsamt anzulasten, sondern habe sich durch die Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2019 und den Auslandsaufenthalt des Antragstellers in den Jahren 2019 und 2020 ergeben. Der Antragsteller habe gewusst, dass das Landratsamt von ihm nach seiner Rückkehr erneut ein medizinisch-psychologisches Gutachten fordern werde. Auch die Interessenabwägung falle angesichts des Gefahrenpotenzials und der hohen Dunkelziffer bei Drogenfahrten zu seinen Lasten aus.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen wäre.
1. a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2020 (BGBl I S. 1653), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer gelegentlich Cannabis konsumiert und entweder den Konsum und das Fahren nicht trennt oder zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert oder wenn eine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung des Konsumverhaltens an, dass ein ärztliches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass der Betreffende Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) einnimmt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen (sog. Zusatztatsachen). Bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zwingend anzuordnen (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
b) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beibringungsanordnung vom 18. März 2020 rechtswidrig und das Landratsamt daher nicht berechtigt war, aus der Nichtvorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen und ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Zum einen bestand im Zeitpunkt der Beibringungsanordnung, in dem der gelegentliche Cannabiskonsum des Antragstellers bereits länger zurücklag, keine hinreichende Wahrscheinlichkeit mehr dafür, dass der Antragsteller noch Cannabis einnimmt oder rückfallgefährdet ist. Zum anderen leiden auch die Ermessenserwägungen in der Beibringungsanordnung an einem Begründungsmangel.
aa) Zu Recht ist das Landratsamt allerdings davon ausgegangen, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert und am 19. August 2016 gegen das Trennungsgebot (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) verstoßen hat.
(1) Gelegentlichen Cannabiskonsum hat der Antragsteller im Zusammenhang mit der ärztlichen Begutachtung am 12. Januar 2017 zur Klärung seines Konsumverhaltens ausdrücklich eingeräumt. Gegenüber dem Gutachter hat er sich dahingehend eingelassen, er habe seit Beginn des Jahres 2016 „meist nur am Wochenende“ Marihuana geraucht und zuletzt am 18. August 2016 konsumiert. „Einmal am Donnerstag in der Nacht um ca. 23:00 Uhr und am Freitag um 1:30 Uhr“, so das Gutachten, habe er konsumiert. Damit hat er einen Konsum sowohl am 18. als auch am 19. August 2016 zugestanden.
Die Angaben in dem vom Antragsteller mit Schreiben vom 10. Februar 2017 vorgelegten Gutachten sind verwertbar. Gelegentlicher Cannabiskonsum liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 14). Zutreffend geht daher auch das vorgelegte ärztliche Gutachten von gelegentlichem Cannabiskonsum aus.
(2) Der Antragsteller hat am Morgen des 19. August 2016 auch versucht, das am Vortag im Kies festgefahrene Fahrzeug frei zu bekommen. Damit hat er gegen das Trennungsgebot verstoßen. Nach dem Gutachten des Forensisch-Toxikologischen Centrums GmbH (FTC) vom 5. September 2019 ergab die Blutuntersuchung eine Konzentration von 1,3 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC), 1,1 ng/ml 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) und 43,1 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH). Somit hat der Antragsteller den maßgeblichen Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml THC überschritten; eine durch den Drogeneinfluss bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit war daher nicht auszuschließen (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 a.a.O. Rn. 15-33). Seine Einlassung, lediglich am Vorabend bzw. zuletzt um 1:30 Uhr Cannabis konsumiert und dann im Auto übernachtet zu haben, ohne am nächsten Morgen einen weiteren Startversuch unternommen zu haben, erweist sich als unglaubwürdige Schutzbehauptung. Sie widerspricht seiner ersten spontanen Äußerung gegenüber den Polizeibeamten, die ihn am 19. August 2016 aufgegriffen haben. Dem Polizeibericht zufolge hat er angegeben, nach dem Aufwachen versucht zu haben, das Fahrzeug aus der Kiesgrube zu fahren, was ihm nicht gelungen sei. Bei der Nachschau durch die Polizei sei der Motor des Fahrzeugs noch warm gewesen. Damit ist ein Verlassen des Fahrzeugs ohne nochmaligen Startversuch nicht in Einklang zu bringen.
Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Amtsgericht Deggendorf das gegen ihn eröffnete Bußgeldverfahren mit Beschluss vom 10. Juli 2017 gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt hat, weil es eine Ahndung nicht für erforderlich hielt. Bußgeldentscheidungen binden die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 StVG nur, soweit sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen. Das Amtsgericht Deggendorf hat zur Begründung seines Einstellungsbeschlusses ausgeführt, es sei fraglich, ob der Antragsteller das Fahrzeug am Tattag überhaupt bewegt habe. Damit ist jedoch nicht bindend festgestellt, dass der Antragsteller nicht mehr mit dem Fahrzeug gefahren ist. Vielmehr lässt die Bußgeldentscheidung diese Frage offen und verneint lediglich den für eine Ahndung erforderlichen Nachweis. Hierdurch war das Landratsamt aber nicht gehindert, aufgrund eigener Ermittlungen zu dem Ergebnis zu kommen, dass ein Verstoß gegen das Trennungsgebot vorlag.
bb) Gleichwohl waren im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 a.a.O. Rn. 14) angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen für weitere Aufklärungsmaßnahmen durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nicht mehr gegeben.
Zwar kann über die Frage, ob nach einem Verstoß gegen das Trennungsgebot der erforderliche stabile Einstellungswandel vorliegt, grundsätzlich nur auf der Grundlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entschieden werden (BayVGH, B.v. 24.9.2020 – 11 CS 20.1234 – juris Rn. 21). Inwieweit allerdings Konsumakte, die wie hier keine Eintragung im Fahreignungsregister nach sich gezogen haben, nach mehreren Jahren noch als Grundlage für die Annahme eines gelegentlichen Konsums herangezogen werden können, beurteilt sich nach einer Einzelfallbetrachtung. Maßgeblich ist zum einen, ob bei Einbeziehung aller relevanten Umstände, insbesondere Art und Ausmaß des früheren Drogenkonsums, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne eines Gefahrenverdachts besteht, dass der Betroffene noch Cannabis einnimmt oder jedenfalls rückfallgefährdet ist. Zum anderen müsste sich, da das Merkmal der „Gelegentlichkeit“ insoweit der Abgrenzung zum einmaligen (experimentellen) Probierkonsum dient, ein erneuter Konsum auch nach innerem Zusammenhang sowie unter zeitlichen Gesichtspunkten als Fortsetzung des früheren Konsummusters darstellen (BayVGH, B.v. 24.9.2020 a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).
Dass der Antragsteller im Jahr 2016 gelegentlich Cannabis konsumiert hat, steht – wie bereits ausgeführt – aufgrund des von ihm vorgelegten ärztlichen Gutachtens fest. Aus diesem Gutachten ergibt sich aber auch, dass er seinen Konsum nach dem Vorfall am 19. August 2016 eingestellt hat und dass er jedenfalls bis zur Begutachtung abstinent geblieben ist. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass der Antragsteller sich am Untersuchungstag (12.1.2017) einer Haaranalyse unterzogen hat, die bei einer entnommenen Haarlänge von 6 cm für sämtliche untersuchten Betäubungsmittel einen negativen Befund ergeben hat. Auch wenn damit ein einmaliger oder seltener Konsum nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist das Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, der Antragsteller sei „derzeit“ (also Anfang 2017) drogenfrei.
Die Haaranalyse ist zwar kein Beweis für Abstinenz, deckt aber im Unterschied zu punktuellen Urinanalysen einen deutlich längeren Zeitraum ab und wird daher als besonders geeignet zur Überprüfung einer Abstinenzbehauptung angesehen (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Auflage 2018, S. 304). Das negative Ergebnis einer Analyse von Kopfhaaren ist bei Cannabinoiden bei einer Bestimmungsgrenze von 0,02 ng/ml als Abstinenzbeleg ausreichend (Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, 3. Auflage 2013, S. 255, 257). Diese Bestimmungsgrenze ist hier eingehalten (vgl. das vorgelegte ärztliche Gutachten, S. 7).
Zwar entfallen die Eignungszweifel bei feststehendem gelegentlichen Cannabiskonsum und Verstoß gegen das Trennungsgebot weder allein durch den Nachweis einer mindestens halbjährigen (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw a.a.O. S. 304 f.) Abstinenz noch durch den Umstand, dass seit dem letzten bekannten Konsum bis zur Beibringungsanordnung mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Aus der seit der Vorlage des ärztlichen Gutachtens verstrichenen Zeit ergibt sich nicht, dass die gebotene hinreichend stabile Änderung des damaligen, durch den Vorfall am 19. August 2016 belegten problematischen Konsum- und Fahrverhaltens des Antragstellers vorläge. Es ist nicht auszuschließen, dass er nur unter dem Druck des noch nicht abgeschlossenen fahrerlaubnisrechtlichen Verfahrens die Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung von Cannabis unterlassen hat oder durch Zufall nicht mehr aufgefallen ist.
Dennoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Bundesverwaltungsgericht die Befugnis zur Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV als Instrument für eine „rasche Klärung“ der Eignungszweifel ansieht, um entweder gestützt auf das Fahreignungsgutachten oder aber im Fall einer nicht fristgerechten Beibringung auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV „zeitnah“ die Entscheidung über eine Fahrerlaubnisentziehung zu treffen (BVerwG, U.v. 11.4.2019 a.a.O. Rn. 36). Zwar beruht der Zeitablauf hier auf dem Abwarten der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in ähnlich gelagerten Fällen. Dem Landratsamt ist daher keine Untätigkeit vorzuwerfen. Gleichwohl war bei Erlass der Beibringungsanordnung im Hinblick auf Art und Ausmaß des früheren Drogenkonsums des Antragstellers keine hinreichende Wahrscheinlichkeit mehr dafür anzunehmen, dass er noch Cannabis einnimmt oder jedenfalls rückfallgefährdet ist. Der Antragsteller hat vor seiner nachgewiesenen Abstinenz etwa ein halbes Jahr lang ausschließlich Cannabis konsumiert. Es handelt sich damit um einen Konsum im jugendlichen Alter in überschaubarem Umfang und für einen begrenzten Zeitraum. Gegenteiliges ist jedenfalls nicht bekannt. Insbesondere sind entgegen der Auffassung des Antragsgegners keine Anhaltspunkte für eine „feste Einbindung in das Drogenmilieu“ oder für eine Wiederaufnahme des Konsums ersichtlich. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden keine Mengen gefunden, die für eine Vorratshaltung im Sinne eines regelmäßigen Konsums sprächen (vgl. DGVP/DGVM, Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 192 [Kriterium D 4.1 N Nr. 5]). Vielmehr bewahrte der Antragsteller außer zwei kleinen Plastikboxen mit Marihuanaanhaftungen, zwei Druckverschlusstüten mit Marihuanaanhaftungen und insgesamt fünf Cannabissamen sowie einem Zerkleinerer für Marihuanapflanzen mit Anhaftungen lediglich 6,5 g Marihuana (netto) und damit einen Vorrat für wenige Konsumeinheiten (vgl. DGVP/DGVM, Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 192 [Kriterium D 4.1 N Nr. 4]) bei sich zu Hause auf. Auch die bei der Blutuntersuchung festgestellte THC-Carbonsäure-Konzentration von 43,1 ng/ml deutet nicht auf die Bildung eines erheblichen Depots und damit nicht auf einen häufigen oder regelmäßigen Konsum hin (vgl. DGVP/DGVM, Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 192 [Kriterium D 4.1 N Nr. 6]). Weitere Betäubungsmittel wurden weder im Fahrzeug noch im Zimmer des Antragstellers aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen ihn hinsichtlich des Vorwurfs unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes gemäß § 31a Abs. 1 BtMG frühzeitig eingestellt.
In der Gesamtbetrachtung hat das Verwaltungsgericht damit den erforderlichen Gefahrenverdacht für weitere Aufklärungsmaßnahmen hier zu Recht verneint.
cc) Es kommt hinzu, dass auch die Ausführungen zur Ermessensausübung in der Beibringungsanordnung vom 18. März 2020 nicht erkennen lassen, dass das Landratsamt dem Umstand, dass der Verstoß gegen das Trennungsgebot bereits mehrere Jahre zurücklag, hinreichend Rechnung getragen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss die Ermessensbegründung bei länger zurückliegenden, aber noch verwertbaren Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften auch darauf eingehen, ob die Verstöße nach wie vor die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen (BVerwG, U.v. 17.11.2016 a.a.O. Rn. 36). Gleiches ist für die Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik (§ 13 FeV) oder im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel (§ 14 FeV) anzunehmen, wenn die entsprechenden Vorkommnisse oder Erkenntnisse bereits längere Zeit zurückliegen und der Fahrerlaubnisbehörde für Aufklärungsmaßnahmen ein Ermessen eingeräumt ist. Auch wenn nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV bei Verstößen gegen das Trennungsgebot in der Regel eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt ist (BVerwG, U.v. 11.4.2019 a.a.O. Rn. 34, 37), folgt daraus nicht, dass nach mehreren Jahren ohne weitere Vorkommnisse stets eine Wiederholungsgefahr oder noch Aufklärungsbedarf bestünde. Dem Zeitablauf und den besonderen Umständen des Einzelfalls muss die Fahrerlaubnisbehörde deshalb bei ihrer Ermessensausübung Rechnung tragen und dies in ihrer Begründung auch zum Ausdruck bringen. Zwar mögen bei einer Beibringungsanordnung in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Trennungsgebot besondere Ausführungen insoweit entbehrlich sein. Mit zunehmendem Zeitablauf muss die Fahrerlaubnisbehörde jedoch in ihren Ermessenserwägungen offenlegen, aus welchen Gründen sie die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens noch für geboten hält.
Diesen Anforderungen wird die Ermessensbegründung in der Beibringungsanordnung vom 18. März 2020 nicht gerecht. Das Landratsamt hat zwar ausgeführt, nach der Rückkehr des Antragstellers aus dem Ausland müsse an einem Eignungsüberprüfungsverfahren festgehalten werden, da noch immer Zweifel an der Fahreignung bestünden. Es ist jedoch auf den Zeitablauf seit dem letzten Konsumakt und der Fahrt unter Cannabiseinfluss am 19. August 2016 und damit auf einen für die Ermessensausübung wesentlichen Umstand nicht eingegangen.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Maßgeblich ist nur die Fahrerlaubnisklasse B, die die Klassen AM und L einschließt (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV).
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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