Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verletzung des Trennungsgebots durch einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis

Aktenzeichen  3 C 2/18

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:110419U3C2.18.0
Normen:
§ 3 Abs 1 S 1 StVG
§ 11 Abs 7 FeV 2010
§ 11 Abs 8 FeV 2010
§ 13 FeV 2010
§ 14 Abs 1 S 3 FeV 2010
§ 14 Abs 2 Nr 3 FeV 2010
Art 3 Abs 1 GG
§ 141 S 1 VwGO
§ 125 Abs 1 VwGO
§ 101 Abs 2 VwGO
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden (Teilweise Aufgabe von BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13).
2. Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trennt den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung, wenn wegen des Cannabiskonsums die Möglichkeit einer Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit besteht. Von einer solchen Möglichkeit kann auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 nach wie vor ausgegangen werden, wenn eine Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC) von 1 ng/ml oder mehr im Blutserum des Betroffenen festgestellt wird (Bestätigung von BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13).

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 13. Dezember 2017, Az: 11 BV 17.1876, Urteilvorgehend VG München, 7. August 2017, Az: M 26 K 16.5301

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis.
2
Die Klägerin wurde am 12. Mai 2016 um 10:30 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen. In der bei ihr um 10:55 Uhr entnommenen Blutprobe stellte das Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Konzentration des psychoaktiven Cannabiswirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) von 1,0 ng/ml, ca. 0,62 ng/ml 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) und ca. 7,6 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH) im Blutserum fest.
3
Mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid vom 12. September 2016 wurden gegen die Klägerin wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 StVG eine Geldbuße in Höhe von 500 € und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
4
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 entzog das Landratsamt Berchtesgadener Land der Klägerin unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und forderte sie auf, ihren Führerschein unverzüglich abzugeben. Sie sei nach § 11 Abs. 7 FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da sie gelegentliche Konsumentin von Cannabis sei und, wie die Fahrt vom 12. Mai 2016 gezeigt habe, nicht nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 4) zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen könne.
5
Auf ihre Klage hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben. Ein gelegentlicher Cannabiskonsument könne nach der ersten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen als fahrungeeignet angesehen werden. Zur Begründung werde auf die neuere Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verwiesen. Deshalb könne dahinstehen, ob die Klägerin gelegentliche Cannabiskonsumentin sei.
6
Die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin sei gelegentliche Cannabiskonsumentin. Aufgrund des rechtsmedizinischen Gutachtens stehe fest, dass sie vor der Polizeikontrolle am 12. Mai 2016 Cannabis konsumiert habe. Ohne gegenteilige substanziierte Darlegung könne nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden. Die Klägerin habe einmal gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 verstoßen. Bei den vom Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität bei ihr festgestellten Werten sei eine durch Drogeneinfluss bedingte Beeinträchtigung ihrer Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen. Die Feststellungen im rechtskräftig abgeschlossenen Bußgeldverfahren müsse die Klägerin gegen sich gelten lassen. Damit stehe jedoch nicht im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV fest, dass sie ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Das Landratsamt sei nicht berechtigt gewesen, der Klägerin ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Es hätte im Ermessenswege darüber entscheiden müssen, ob es nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordne. Für die Anwendbarkeit von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV spreche neben dem Wortlaut der Regelung und der amtlichen Überschrift die Entstehungsgeschichte von § 14 FeV. Nach der Verordnungsbegründung seien die §§ 13 und 14 FeV Spezialvorschriften zu § 11 FeV und dienten der Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik und im Hinblick auf den Konsum von Betäubungs- und Arzneimitteln. Der Verordnungsgeber habe damit verbindlich festlegen wollen, welche Aufklärungsmaßnahmen in welchen Fällen zu ergreifen seien. Nach der Begründung zu § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV könnten weitere Umstände im Sinne dieser Regelung u.a. dann gegeben sein, wenn der gelegentliche Cannabiskonsum im Zusammenhang mit dem Fahren erfolge. Die Begründung gebe keinen Anhalt dafür, dass der Verordnungsgeber § 11 Abs. 7 FeV bereits bei der ersten Verkehrsordnungswidrigkeit unter Cannabiseinfluss für anwendbar gehalten habe. Für die Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV spreche auch die Systematik der §§ 11, 13 und 14 FeV i.V.m. der Anlage 4. Bei der Klärung der Eignungszweifel nach § 13 Satz 1 Nr. 2 und § 14 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 FeV sei anhand des bekannt gewordenen Verhaltens des Betroffenen prognostisch zu untersuchen, ob Wiederholungsgefahr bestehe. Aus der Anlage 4 ergebe sich nichts anderes. Deren Nr. 9.2.2 und 8.1 legten keine Grenzwerte fest, bei denen automatisch von Ungeeignetheit wegen fehlenden Trennungsvermögens auszugehen sei. Es bedürfe stets einer psychologischen Beurteilung, ob nach dem bekannt gewordenen Verhalten die Prognose zu stellen sei, dass auch in Zukunft keine Trennungsbereitschaft bestehe. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 bestimme nicht, dass bereits ein einmaliger Verstoß zur Ungeeignetheit führe; das ergebe sich auch nicht aus der gegenüber der Nr. 8.1 der Anlage 4 unterschiedlichen Formulierung. Auch bei diesem Normverständnis verbleibe für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ein sinnvoller Anwendungsbereich, etwa wenn zwei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a Abs. 2 StVG unter Cannabiseinfluss oder je eine unter Alkohol- und Cannabiseinfluss begangen worden seien. Der Verordnungsgeber habe mit § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV eine Gleichbehandlung von Alkohol- und Drogenkonsumenten erreichen wollen. Bei fehlendem Trennungsvermögen habe er sie durch die Vorgabe hergestellt, beim zweiten Verstoß zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Auch der Sinn und Zweck von § 14 FeV, Eignungszweifel zu klären und die Sicherheit des Straßenverkehrs zu wahren, lege die dargestellte Auslegung nahe. Es sei nicht ersichtlich, dass gelegentliche Cannabiskonsumenten, die erstmals das Trennungsgebot verletzt hätten, eine größere Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellten als Alkoholkonsumenten, die das Trennungsgebot gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis d FeV nicht beachtet hätten und sich danach “nur” einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterziehen müssten. Außerdem sehe die Fahrerlaubnis-Verordnung bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1, Abs. 3 StVG anders als § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV bei gelegentlichem Cannabiskonsum nicht die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung vor. Ein solches Verständnis von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV füge sich außerdem sinnvoll in das ordnungs- und sicherheitsrechtliche Maßnahmensystem ein. Der Normgeber nehme hin, dass Verkehrsteilnehmer in gewissem Umfang Verkehrsordnungswidrigkeiten begingen, ohne dass ihnen sofort die Fahrerlaubnis entzogen werde. Gemäß § 25 StVG komme bei Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24, 24a StVG nur die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht. Nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem des § 4 StVG sei regelmäßig erst bei Erreichen von acht Punkten zwingend von mangelnder Fahreignung auszugehen und die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die erstmalige, gegebenenfalls nur fahrlässige Übertretung ordnungsrechtlicher Vorschriften trage nicht zwingend eine Wiederholungsgefahr in sich, die ohne weitere Aufklärung die Annahme der Ungeeignetheit nach § 11 Abs. 7 FeV rechtfertige. Der Bußgeldkatalog sehe für den ersten Verstoß gegen § 24a Abs. 1 oder 2 StVG ein Bußgeld in Höhe von 500 € und ein einmonatiges Fahrverbot vor. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das zur Warnung reiche und eine Verhaltensänderung hervorrufe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Fahrten unmittelbar nach dem Konsum von Cannabis mit einer sehr hohen THC-Konzentration ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Straftat nach den §§ 315c, 316 StGB seien und deshalb eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB nicht in Betracht komme. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grenzwerte für relative und absolute Fahrunsicherheit bei Alkoholkonsum fänden keine Entsprechung für Fahrten unter Cannabiseinfluss. Das könne nicht dazu führen, dass entgegen der abschließenden Festlegung der Anlässe für eine medizinisch-psychologische Untersuchung in § 14 FeV Grenzwerte definiert würden, die bei einem ordnungswidrigen Verhalten zur Fahrerlaubnisentziehung führten.
7
Zur Begründung seiner Revision macht der Beklagte geltend: Die angegriffene Fahrerlaubnisentziehung sei rechtmäßig. Aufgrund der Fahrt der Klägerin am 12. Mai 2016 stehe gemäß § 11 Abs. 7 FeV fest, dass sie ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Sie habe gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum nicht vom Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Die Argumentation des Berufungsgerichts mit dem Wortlaut von § 14 FeV beruhe auf einem Zirkelschluss. Der Überschrift “Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel” lasse sich nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten solche Eignungszweifel bestünden. Auch der Wortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV sage nichts darüber aus, ob die Fahrt eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten unter dem Einfluss einer fahrsicherheitsrelevanten THC-Konzentration lediglich Zweifel an seiner Fahreignung begründe oder sie zwingend ausschließe. Mit der Entstehungsgeschichte von § 14 FeV könne das Berufungsgericht seine Auffassung ebenfalls nicht begründen. Die Erwägungen des Verordnungsgebers ließen nicht den Schluss zu, die Regelungen zum Alkohol- und zum Cannabiskonsum hätten einander pauschal und vollständig angeglichen werden sollen. Ebenso wenig ergäben sich aus der Systematik der §§ 11, 13 und 14 FeV i.V.m. der Anlage 4 Anhaltspunkte für eine Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Der Wortlaut von Nr. 9.2.2 der Anlage 4, wonach die Fahreignung nur bei Trennung von Konsum und Fahren zu bejahen sei, stehe der Auslegung des Berufungsgerichts entgegen.
8
Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verteidigt das Urteil des Berufungsgerichts.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der Auffassung, der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot genüge nicht, um gemäß § 11 Abs. 7 FeV fehlende Fahreignung anzunehmen. Ein solcher Verstoß begründe nur Zweifel an der Fahreignung, aufgrund derer die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV im Ermessenswege die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen könne. “Trennen-Können” im Sinne der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei im Unterschied zur “Trennung” nach Anlage 4 die Fähigkeit, dauerhaft Konsum und Fahren zu trennen. Das setze eine Prognose voraus. Damit sie zugunsten des Betroffenen ausfalle, müsse er darlegen, dass er ein angemessenes Problembewusstsein hinsichtlich seines Cannabiskonsums habe, und nachweisen, dass er über das notwendige Wissen über die Wirkungsweise, die Wirkdauer und die damit verbundenen Gefahren von Cannabis verfüge. Aus einem einmaligen Verstoß könne für die Prognose weder die Überzeugung der Nichteignung im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV noch ein sittlich-charakterlicher Mangel hergeleitet werden. Es gebe keinen Grund, gelegentliche Cannabiskonsumenten bei einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot von der Gefährlichkeit her auf dieselbe Stufe zu stellen wie Personen, die schweren Drogenmissbrauch betrieben oder drogenabhängig seien.


Ähnliche Artikel


Nach oben