Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Amphetaminkonsums, Ausreichende Gelegenheit zur Äußerung, Erneuter Antrag auf Akteneinsicht nach Wechsel des Bevollmächtigten

Aktenzeichen  11 CS 21.556

Datum:
7.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12507
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, § 45 Abs. 1 und 2, § 46 , Anlage 4 Nr. 9.1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 10 S 20.2642 2021-01-29 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S. 2
Am 6. September 2020 unterzog die Polizeiinspektion T. den Antragsteller einer Verkehrskontrolle und bemerkte dabei drogentypische Auffälligkeiten. In der entnommenen Blutprobe wurde dem ärztlichen Befundbericht der MVZ L2. K. GbR vom 22. September 2020 zufolge ein Wert von 476 ng/ml Amphetamin festgestellt.
Mit Schreiben vom 28. September 2020 hörte das Landratsamt W.-G. den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Daraufhin bestellten sich die seinerzeit Bevollmächtigten und erhielten am 6. Oktober 2020 Akteneinsicht. Am 20. Oktober 2020 verlängerte das Landratsamt die Äußerungsfrist auf Antrag bis zum 29. Oktober 2020. Am 23. Oktober 2020 zeigten die nunmehr Bevollmächtigten die Vertretung des Antragstellers an und beantragten Akteneinsicht. Das Landratsamt bat daraufhin um Vorlage einer Vollmacht, die am 3. November 2020 um 16:13 Uhr beim Landratsamt einging.
Mit Bescheid vom 3. November 2020, der nach Aktenvermerk am Vormittag desselben Tages zur Post gegeben wurde, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs sowie Androhung unmittelbaren Zwangs auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Tagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Zum Verfahren heißt es dort, die nunmehr Bevollmächtigten hätten bislang keine Vollmacht vorgelegt, so dass diesen keine Akteneinsicht gewährt worden sei. In der verlängerten Anhörungsfrist sei keine Stellungnahme eingegangen.
Am 4. Dezember 2020 erhob der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach und stellte zugleich einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit der Begründung, der wegen des Vorfalls vom 6. September 2020 erlassene Bußgeldbescheid vom 13. Oktober 2020 sei angefochten und somit noch nicht rechtskräftig. Zudem habe das Landratsamt den Antragsteller nicht ordnungsgemäß angehört. Den nunmehr Bevollmächtigten sei erst nach Bescheiderlass Akteneinsicht gewährt worden, eine „Anhörung nach Akteneinsicht durch die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vor Erlass des Bescheids“ habe daher nicht mehr stattfinden können.
Mit Beschluss vom 29. Januar 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Der Antragsteller habe ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Die verlängerte Anhörungsfrist sei bereits abgelaufen und das Landratsamt nicht verpflichtet gewesen, den nunmehr Bevollmächtigten ohne Vorlage der Vollmacht vor Bescheiderlass Akteneinsicht zu gewähren sowie weitergehende Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Die rechtzeitige Vorlage der Vollmacht liege allein in der Verantwortung der Bevollmächtigten. Im Übrigen wäre ein etwaiger Verfahrensfehler jedenfalls im gerichtlichen Verfahren geheilt worden. In materieller Hinsicht habe das Landratsamt den Antragsteller zu Recht nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV wegen des Konsums von Amphetamin als ungeeignet angesehen. Auf die Rechtskraft des wegen der Fahrt vom 6. September 2020 erlassenen Bußgeldbescheids komme es nicht an, sondern allein darauf, dass die Einnahme harter Drogen durch das Ergebnis der Blutuntersuchung nachgewiesen sei.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, der vorgenannte Bußgeldbescheid sei nach wie vor nicht rechtskräftig. In formeller Hinsicht hätte das Landratsamt den nunmehr Bevollmächtigten Gelegenheit zur Äußerung nach Akteneinsicht, aber vor Bescheiderlass geben müssen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung sich hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und insoweit den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Selbst wenn man von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch das zum Teil zum 1. Oktober 2020 in Kraft getretenen Gesetz vom 29. Juni 2020 (BGBl I S. 1528), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch das zum Teil zum 1. Juni 2020 in Kraft getretene Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – Blutalkohol 55, 264 = juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 4.6.2019 – 11 CS 19.669 – juris Rn. 11 f.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11).
2. Gemessen daran begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken.
a) Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Untersuchung der Blutprobe vom 6. September 2020 zutreffend angenommen, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen war, weil er Amphetamin eingenommen hat.
Der Einwand des Antragstellers, der wegen der Fahrt vom 6. September 2020 erlassene Bußgeldbescheid sei noch nicht rechtskräftig, ist unerheblich. Ein Verbot zur Berücksichtigung eines Sachverhalts, der Gegenstand eines anhängigen Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist, sieht das Gesetz – anders als im Falle eines anhängigen Strafverfahrens, in dem die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG) – nicht vor. Denn in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren kommt die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nicht in Betracht, so dass auch keine widersprechenden Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörde und Strafgericht drohen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 3 StVG Rn. 45; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 19.04.2021, § 3 StVG Rn. 26, 30; BayVGH, B.v. 15.9.2015 – 11 CS 15.1682 – Blutalkohol 52, 426 = juris Rn. 17; B.v. 7.9.2007 – 11 CS 07.898 – Blutalkohol 45, 84 = juris Rn. 18; OVG NW, U.v. 1.8.2014 – 16 A 2806/13 – NZV 2015, 206 = juris Rn. 19).
b) Einen beachtlicher Anhörungsfehler hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint.
aa) Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Bei der Bemessung der Äußerungsfrist bzw. des Zeitraums, den die Behörde bei Verzicht auf eine Fristsetzung abwarten muss, hat sie das Gebot einer zügigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens (Art. 10 Satz 2 BayVwVfG) mit dem Gebot einer substantiellen Anhörung in Ausgleich zu bringen. Letzteres verlangt, dass dem Anzuhörenden hinreichend Zeit bleibt, sich mit dem Verfahrensgegenstand ggf. unter Einsichtnahme in die Akten und Beiziehung eines Beistands vertraut zu machen und seine Stellungnahme vorzubereiten (vgl. Schneider in Schoch/Schneider VwVfG, Stand Juli 2020, § 28 VwVfG Rn. 48). Nach Ablauf einer angemessenen Frist oder eindeutigem Verzicht auf Äußerung kann die Behörde ihre Entscheidung auch ohne eine Stellungnahme der Beteiligten treffen (Schneider a.a.O. Rn. 43).
bb) Hier hat das Landratsamt dem Antragsteller mit Schreiben vom 28. September 2020 Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt. Innerhalb der gesetzten bzw. bis zum 29. Oktober 2020 verlängerten Frist, die angemessen war, ist keine Stellungnahme abgegeben worden. Soweit der Antragsteller sinngemäß meint, er hätte sein Anhörungsrecht ohne die am 23. Oktober 2020 von den nunmehr Bevollmächtigten beantragte Akteneinsicht nicht effektiv wahrnehmen können, dringt er damit nicht durch. Das Landratsamt hatte ihm bereits unter dem 6. Oktober 2020 – durch Übersendung des bis dahin angefallenen Verwaltungsvorgangs an die ihn seinerzeit vertretenden (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) Bevollmächtigten – Akteneinsicht gewährt. Dass der Antragsteller keine hinreichende Kenntnis von dem Sachverhalt hatte, um seine rechtlichen Interessen zu verteidigen, ist damit bereits nicht ersichtlich (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1996 – 11 VR 2.96 – NVwZ 1997, 993 = juris Rn. 12; U.v. 3.11.1987 – 9 C 235.86 – NJW 1980, 1280 = juris Rn. 13). Einen Antrag auf Verlängerung der Äußerungsfrist, den das Landratsamt vor der Entscheidung in der Sache zur Ermöglichung einer abschließenden Stellungnahme hätte bescheiden müssen (vgl. dazu Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 43; BVerwG, B.v. 2.7.1998 – 9 B 535.98 – DVBl. 1999, 97 = juris Rn. 2), haben die nunmehr Bevollmächtigten mit ihrem Antrag auf Akteneinsicht nicht gestellt, auch nicht sinngemäß – eine Stellungnahme wurde noch nicht einmal angekündigt. Ob diese Kenntnis von den bereits überlassenen Verwaltungsvorgängen und der gesetzten Frist hatten, lag allein in der Sphäre des Antragstellers und kann daher dahinstehen. Dass das Landratsamt bei Vorlage einer Vollmacht innerhalb der gesetzten Frist offenbar bereit gewesen wäre, dem Antragsteller eine weitere Zeitspanne zur Äußerung nach erneuter Akteneinsicht einzuräumen, mag einer vornehmen Pflicht („nobile officium“) entsprechen, aber jedenfalls keiner rechtlichen.
cc) Abgesehen davon wäre ein etwaiger Anhörungsmangel aber auch unbeachtlich.
Eine Heilung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens dürfte zwar nicht eingetreten sein. Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach Art. 44 nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; nach Absatz 2 können Handlungen nach Absatz 1 bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Eine Heilung tritt aber nur ein, soweit die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird.
Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Anforderungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2017 – 9 VR 2.17 – NVwZ 2018, 268 = juris Rn. 10; Schneider in Schoch/Schneider, VwVfG, § 45 Rn. 93; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 86 f.).
Ein etwaiger Anhörungsfehler wäre jedoch nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, da hier eine rechtmäßige gebundene Entscheidung vorliegt und somit offensichtlich ist, dass die gerügte Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. dazu Sachs a.a.O. Rn. 90; Schneider a.a.O. Rn. 51).
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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