Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht beigebrachten Fahreignungsgutachtens, gelegentlicher Cannabiskonsum, Verstoß gegen das Trennungsgebot

Aktenzeichen  11 CS 22.362

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4424
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1
FeV Nr. 9.2.2 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 10 S 21.2044 2022-01-10 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm am 19. Juni 2020 erteilten Fahrerlaubnis.
Am 9. Juni 2021 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass die Polizei bei einer Verkehrskontrolle am Dienstag, den 4. Mai 2021, um 17:00 Uhr beim Antragsteller drogentypische Auffälligkeiten festgestellt hatte. Nach anfänglichem Bestreiten räumte er während des Urintests ein, er habe vor zwei Tagen bzw. am „letzten Freitag“ einen Joint geraucht. In einem Telefonat mit der Polizei am 4. Juni 2021 gab der Antragsteller an, er habe drei Tage vor der Kontrolle einen Joint geraucht. Die um 17:45 Uhr entnommene Blutprobe enthielt nach dem forensisch-toxikologischen Gutachten der MVZ L. K. GbR vom 19. Mai 2021 3,9 ng/ml THC, 2,8 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 33 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH). Der Antragsteller sei im Sinne von § 24a StVG unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln gefahren.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2021 ordnete die Antragsgegnerin gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis 31. Oktober 2021 zu der Frage an, ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder dessen Nebenwirkungen führen werde.
Der Antragsteller legte in der Folge kein Gutachten vor, sondern ließ mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 15. November 2021 vortragen, es habe sich um einen erstmaligen Probierkonsum gehandelt, der nicht die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertige. Eine namentlich nicht näher bekannte Person habe ihn bei einem zufälligen Zusammentreffen zum Rauchen eines Joints verleitet. Er sei kein gelegentlicher Konsument. Unterhalb von 100 ng/ml ließen toxikologische Erkenntnisse keinen pauschalen Rückschluss auf mehr als einen einmaligen Konsum zu.
Mit Bescheid vom 16. November 2021 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse B mit Einschlussklassen und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheids, abzuliefern. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 23. November 2021 ließ der Antragsteller Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben, über die nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen.
Am 29. November 2021 stellte die Polizei auf Ersuchen der Antragsgegnerin hin seinen Führerschein sicher.
Mit Beschluss vom 10. Januar 2022 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ab, den es dahin auslegte, dass er sich nicht auf die zwischenzeitlich erledigte Zwangsgeldandrohung beziehe. Die Begründung des Sofortvollzugs entspreche den formalen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin habe zu Recht ein medizinisch-psychologisches Gutachten angeordnet und – nachdem dieses nicht beigebracht worden sei – gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf eine fehlende Fahreignung des Antragstellers schließen dürfen. Der Antragsteller sei als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen. Er müsse einige Stunden vor der Verkehrskontrolle am 4. Mai 2021 Cannabis konsumiert haben, weil THC im Blutserum nach einem Einzelkonsum nur sechs bis zwölf Stunden nachweisbar sei. Der Antragsteller habe den in der Anhörung erstmals geltend gemachten einmaligen Probierkonsum nicht substantiiert dargelegt. Der vage Vortrag hierzu genüge nicht den Anforderungen an eine plausible und nachvollziehbare Darstellung. Nicht entscheidungserheblich sei, dass auch der aktenkundige Vorfall vom 12. Februar 2019 es wenig wahrscheinlich erscheinen lasse, dass er erstmals im Mai 2021 mit Cannabis in Kontakt gekommen sei und ein experimenteller Erstkonsum stattgefunden habe. Ferner sei nicht entscheidungserheblich, ob der eingeräumte Cannabiskonsum drei Tage vor der Verkehrskontrolle einen zusätzlichen Konsumakt darstelle oder als Schutzbehauptung zu werten sei. Durch die Fahrt unter Cannabiseinfluss habe der Antragsteller gegen das in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV geregelte Trennungsgebot verstoßen. Die Beibringungsanordnung habe auch den rechtlichen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV genügt. Die Fragestellung sei anlassbezogen und verhältnismäßig.
Mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, er sei entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht als gelegentlicher Cannabiskonsument einzustufen. Es handle sich um einen erstmaligen Probierkonsum. Dies zeige sich schon daran, dass er bisher nicht einschlägig in Erscheinung getreten sei. Dies gelte auch im Hinblick auf den Vorfall vom 12. Februar 2019. Dem Antragsteller habe zum damaligen Zeitpunkt kein Konsum nachgewiesen werden können. Zudem liege der Vorfall derart weit zurück, dass daran nicht mehr angeknüpft werden könne. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts habe er auch in ausreichendem Maß dargelegt, dass er von einer ihm namentlich nicht näher bekannten Person bei einem zufälligen Zusammentreffen am 1. Mai 2021 in Ansbach zum Rauchen eines Joints verleitet worden sei. Da er weder vor noch nach der Einnahme des genannten Probierkonsums nochmals Cannabis oder ähnliches konsumiert habe und dies im Rahmen der Beweiswürdigung gerade dazu führe, dass von einem gelegentlichen Konsum nicht ausgegangen werden dürfe und müsse, sei antragsgemäß zu entscheiden. Dass es sich beim Antragsteller um keinen gelegentlichen Cannabiskonsumenten handle, zeige sich auch daran, dass er am 9. Oktober 2021 um 2:30 Uhr in Ansbach und am 10. Oktober 2021 um 17:30 Uhr in eine allgemeine Polizeikontrolle geraten und der ihm bei der Kontrolle am 9. Oktober 2021 grundlos abverlangte Urintest negativ ausgefallen sei. Damit sei die Beibringungsanordnung rechtlich nicht begründet. Die Antragsgegnerin habe außerdem die Gelegentlichkeit des Konsums nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Da es einer weiteren aktiven Verteidigung durch den Antragsteller nicht bedürfe, müsse daher von einem einmaligen Probierkonsum ausgegangen werden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung gegeben, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Begründen weitere Tatsachen, wie ein Verstoß gegen das Trennungsgebot, Zweifel an der Eignung, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 = juris Rn. 19 m.w.N.).
Dies ist hier der Fall. Insbesondere lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor. Insofern richten sich die Einwände des Antragstellers ausschließlich gegen die gerichtliche Wertung seiner Behauptung, es habe sich um einen erstmaligen Probierkonsum gehandelt. Hiermit kann der Antragsteller indes nicht durchdringen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und anderer Oberverwaltungsgerichte obliegt es dem Betroffenen, plausibel darzulegen, dass er erstmals im Rahmen eines Probierkonsums Cannabis zu sich genommen hat oder frühere Konsumakte derart weit zurückliegen, dass daran nicht mehr angeknüpft werden kann und er aus besonderen Umständen heraus einmalig Cannabis eingenommen hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2021 – 11 CS 21.2536 – juris Rn. 14 f.; OVG NW, U.v. 15.3.2017 – 16 A 432/17 – Blutalkohol 54, 328 = juris Rn. 47 ff. jeweils m.w.N.). Zwar trägt die Fahrerlaubnisbehörde die materielle Beweislast für das Tatbestandsmerkmal einer gelegentlichen Cannabiseinnahme (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV), sodass es zu ihren Lasten geht, wenn diese nicht erweislich ist. Allerdings ist – vor dem Hintergrund des äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch von der Polizei kontrolliert wird – im Rahmen der Beweiswürdigung die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte und plausible Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss (BayVGH, B.v. 12.11.2021 a.a.O. Rn. 14).
Wie das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin zutreffend angenommen haben, ist der Vortrag des Antragstellers zu dem angeblichen Probierkonsum weder substantiiert noch plausibel. Denn er hat hierzu keinerlei (nachprüfbare) Einzelheiten angegeben, nicht zu der Person, die ihn angeblich zu dem Cannabiskonsum verleitet hat, oder zum Ort des Treffens und etwaigen sonstigen Teilnehmern, der Motivation der ihm angeblich namentlich nicht bekannten Person, mit ihm einen Joint zu teilen, oder zu seiner Motivation als angeblich mit Cannabis völlig Unerfahrener, von einer ihm namentlich nicht bekannten Person, der er zufällig begegnet ist, einen Joint entgegenzunehmen. Darüber hinaus hat der Antragsteller zunächst widersprüchliche Angaben zum Zeitpunkt des letzten Drogenkonsums gemacht (zwei oder drei Tage vor der Fahrt unter Cannabiseinfluss, „am letzten Freitag“), bevor er mehr als ein halbes Jahr danach mit anwaltlichem Schreiben vom 15. November 2021 erstmals behaupten ließ, es habe sich um einen einmaligen Probierkonsum gehandelt, ohne insoweit einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Dieser Vortrag ist also erst erfolgt, nachdem ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. Juli 2021 auf den entscheidenden Gesichtspunkt des Probierkonsums hingewiesen hatte. Auch dies spricht gegen dessen Glaubhaftigkeit.
Zudem folgt aus dem Vortrag zur Begründung der Beschwerde, dieser Probierkonsum habe am 1. Mai 2021, also am Samstag vor der Drogenfahrt, stattgefunden, implizit, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert. Denn ein Konsum etwa drei Tage vor Fahrtantritt kann nicht die Ursache für die rechtsmedizinisch festgestellten Werte von Cannabis und dessen Metaboliten gewesen sein, wenn der Antragsteller kein regelmäßiger Cannabiskonsument war, weil die im Blut feststellbaren THC-Werte innerhalb von Stunden auf Konzentrationen im Bereich der bzw. unter die Nachweisgrenze absinken (Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 177, 188, 234; Skopp/Graw/Mußhoff, Blutalkohol 2022, S. 5/7 f./15 f.). Anders ist dies bei Dauerkonsumenten, bei denen sich nachweisbare Werte bis zu 48 Stunden halten können (Möller, a.a.O. Rn. 209; Skopp/Graw/Mußhoff, a.a.O., S. 5/8). Mit diesen Erkenntnissen, die das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt und die ein Mitarbeiter des rechtsmedizinischen Labors der Antragsgegnerin in einem Telefonat am 16. Februar 2022 nochmals bestätigt hat, hat sich die Beschwerde überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin sind damit zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller gelegentlich, also mindestens zweimal Cannabis konsumiert hat, nämlich einige Stunden vor der Fahrt am 4. Mai 2021, was zu dem rechtsmedizinisch festgestellten THC-Wert von 3,9 ng/ml im Blutserum 45 Minuten nach dem Ende der Fahrt geführt hat, und nach seiner Einlassung angeblich am 1. Mai 2021.
Gegen dieses Ergebnis spricht nicht, dass der Antragsteller ansonsten nicht durch den Konsum von Betäubungsmitteln aufgefallen ist und die Polizei bei ihm im Oktober 2021 keinen Konsum feststellen konnte. Welche Schlüsse aus dem Vorfall vom 12. Februar 2019 zu ziehen sind, ist – wovon das Verwaltungsgericht ebenfalls ausgegangen ist -nicht entscheidungserheblich.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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