Strafrecht

Entzug der Fahrerlaubnis ohne ausreichende Rechtsgrundlage – Indizien für Betäubungsmittelkonsum bei Besitz

Aktenzeichen  M 26 S 17.1003

Datum:
8.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass „Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt“. Der bloße Besitz von Betäubungsmitteln reicht für diese Annahme aber nicht aus, weil er sich vor allem auch damit begründen könnte, dass der Betroffene mit den Betäubungsmitteln Handel treiben will. (redaktioneller Leitsatz)
2 Gerechtfertigt wäre ein ärztliches Gutachten in einem solchen Fall nur aufgrund der Ermessensvorschrift des § 14 Abs. 1 S. 2 FeV; ein Bescheid, der sich in Ermangelung von Indizien eines Konsums gleichwohl auf § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV stützt, ist daher rechtswidrig und kann vom Gericht nicht unter Hinweis auf die Alternative einer Ermessensentscheidung nach S. 2 aufrechterhalten werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom … Januar 2017 wird wiederhergestellt. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller unverzüglich seinen Führerschein wieder auszuhändigen oder einen Ersatzführerschein auszustellen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Er ist Inhaber einer Fahrerlaubnis u.a. der Klasse B. Die Polizei teilte der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass am … Oktober 2015 die Wohnung des Antragstellers durchsucht worden sei. Dabei seien 0,1 g Metamphetamin und 36,8 g Marihuana sowie eine digitale Feinwaage, ein Druckverschlusstütchen mit kristallinen Anhaftungen und Cannabissamen gefunden worden. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom … März 2016 wurde der Antragsteller wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbes sowie Beihilfe hierzu und Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 6.000 € verurteilt.
Mit Schreiben vom 9. August 2016 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Beibringung eines Gutachtens durch einen Arzt einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zur Klärung seines Betäubungsmittelkonsums bis spätestens 10. Oktober 2016 auf. Als Rechtsgrundlage wurde § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV angegeben. Es bestünden Anhaltspunkte für einen Betäubungsmittelkonsum, nachdem bei der Wohnungsdurchsuchung neben Betäubungsmitteln unter anderem auch die oben genannten Gegenstände aufgefunden worden seien. Die Frist zur Benennung der Begutachtungsstelle wurde auf den 24. August 2016 datiert. Nach verspäteter Benennung der Begutachtungsstelle durch den Antragsteller wurden die Akten am 20. September 2016 an die Begutachtungsstelle versandt. Am … Oktober 2016 reichte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf Fristverlängerung ein, der mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 abgelehnt wurde. Am gleichen Tag forderte die Fahrerlaubnisbehörde bei der Begutachtungsstelle die Akten zurück. Mit Schreiben vom … Oktober 2016 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers ein Gutachten von 13. Oktober 2016 vor, das die Fragestellung „Werden oder wurden Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe eingenommen, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV ausschließen?“ nicht beantwortete, nachdem es innerhalb der dem Antragsteller gesetzten Frist nicht möglich gewesen sei, eine zweite Urinprobe durchzuführen und der Antragsteller im Übrigen widersprüchliche Angaben gemacht habe. Außerdem hätten die erforderlichen Unterlagen nicht mehr vorgelegen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … Januar 2017, zugestellt am 9. Februar 2017, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und forderte ihn zur Ablieferung des Führerscheins auf. Beide Verfügungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Der Antragsteller lieferte seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
Am … März 2017 ließ der Antragsteller Anfechtungsklage erheben und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem sinngemäßen Inhalt stellen,
die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids wiederherzustellen und den Antragsgegner zu verpflichten, den Führerschein wieder auszuhändigen bzw. einen Ersatzführerschein auszustellen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ablehnung der Fristverlängerung sei unverhältnismäßig gewesen. Außerdem habe der Antragsteller im Februar 2017 eine Haarprobe zur toxikologischen Untersuchung auf Drogen abgegeben, die in einem selbst in Auftrag gegebenen Gutachten des MZV … von 13. Februar 2017 untersucht worden sei. Als Ergebnis des Gutachtens sei festgestellt worden, dass der Antragsteller in den letzten sechs Monaten keine Drogen konsumiert habe. Das Gutachten wurde in Kopie vorgelegt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt er vor, die Verzögerung habe allein der Antragsteller zu vertreten. Ein Grund für eine Fristverlängerung sei nicht ersichtlich gewesen. Der vorgelegte Nachweis über die Drogenabstinenz könne allenfalls in einem Neuerteilungsver-fahren berücksichtigt werden.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO führt das Gericht eine eigene Interessenabwägung durch, die sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Hier bestehen überwiegende Hauptsacheerfolgsaussichten zu Gunsten des Antragstellers; außerdem ergibt sich aus dem vorgelegten Gutachten vom … Februar 2017, dass der Antragsteller jedenfalls im letzten halben Jahr keine Betäubungsmittel konsumiert hat, so dass es auch unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache vertretbar erscheint, ihn vorläufig wieder zur Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zuzulassen.
Der streitgegenständliche Entziehungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Fahrerlaubnisbehörde hat einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis u.a. dann zu entziehen, wenn dieser ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ungeeignet ist u.a. derjenige, der harte Drogen konsumiert (vgl. Nr. 9.1 der Anlage 4 der FeV) oder derjenige, der Cannabis entweder regelmäßig oder gelegentlich einnimmt, wobei im letzteren Fall fehlendes Trennungsvermögen zwischen Konsum und Fahren oder Mischkonsum mit Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen hinzu kommen muss (vgl. Nrn. 9.2.1 und 9.2.2 der Anlage 4 der FeV). Steht die Ungeeignetheit nicht fest, bestehen hierfür aber Anhaltspunkte, hat die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt weiter aufzuklären. Im Zusammenhang mit dem Konsum von Betäubungsmitteln ist insoweit § 14 FeV einschlägig. Danach hat bzw. kann die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen auffordern, ein Gutachten betreffend seine Fahreignung vorzulegen. Bringt der Betroffene das Gutachten nicht oder nicht rechtzeitig bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Das gilt jedoch nur dann, wenn die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens selbst rechtmäßig war (BayVGH, B.v. 15.11.2010 – 11 C 10.2329).
Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Beibringungsaufforderung ist unter anderem, dass die Eignungszweifel schriftlich begründet werden (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Wenn die Fahrerlaubnisbehörde zur Begründung der Anforderung eines Fahreig-nungsgutachtens eine Rechtsgrundlage nennt, muss diese zutreffen. Wird eine falsche Rechtsgrundlage angegeben, kann die streitgegenständliche Gutachtensaufforderung im Laufe des Verfahrens auch nicht von der Behörde oder dem Gericht auf eine andere, eigentlich zutreffende Rechtsgrundlage gestützt werden. Im Fall der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens kann dann nicht auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden (BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139).
Der Antragsgegner hat die Beibringungsaufforderung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV gestützt. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass „Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt“. Der bloße Besitz von Betäubungsmitteln reicht für diese Annahme aber nicht aus, weil er sich vor allem auch damit begründen könnte, dass der Betroffene mit den Betäubungsmitteln Handel treiben will (Nomos Kommentar Gesamtes Verkehrsrecht, 2014, § 14 FeV, Rn. 7 m.w.N.). Gerechtfertigt wäre ein ärztliches Gutachten in einem solchen Fall nur aufgrund der Ermessensvorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV, wonach die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werden kann, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Anders kann der Fall liegen, wenn im Einzelfall neben dem Besitz weitere Umstände für eine Einnahme sprechen, beispielsweise aufgefundene typische und eindeutige Konsumutensilien (VG Augsburg, U.v. 19.7.2010 – Au 7 K 09.888 -Blutalkohol 47, 374). Um solche Konsumutensilien handelt es sich bei einer Feinwaage und einem Druckverschlusstütchen mit kristallinen Anhaftungen jedoch nicht zwingend. Vielmehr können diese Gegenstände auch für das „Portionieren“ von Be täubungsmitteln durch Abwiegen und anschließendes Verpacken zur Abgabe an Dritte benötigt werden. Ein einzelnes Druckverschlusstütchen kann für sich genommen auch der bloßen Aufbewahrung von Betäubungsmitteln unabhängig vom Aufbewahrungszweck dienen. Insbesondere wurden beim Antragsteller keine Utensilien gefunden, die unmittelbar dem Konsumvorgang von Marihuana oder Cannabis, beispielsweise Tabak oder eine Bong, dienen. Auch die Menge des aufgefundenen Marihuana geht deutlich über die Menge hinaus, die ein Eigenkonsument üblicherweise aufbewahrt (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 – BayVBl 2002, 667). Hinzu kommt, dass sich auch aus dem Strafbefehl vom … März 2016 und dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll vom … Oktober 2015 keine Anhaltspunkte für einen Konsum des Antragstellers ergeben. Schließlich ist, soweit das Auffinden von Cannabis betroffen ist, zu berücksichtigen, dass der bloße Verdacht auf Cannabiskonsum nicht ausreicht, damit die Fahrerlaubnisbehörde die Vorlage eines ärztlichen Fahreig-nungsgutachtens verlangen darf (BayVGH, B.v. 21.7.2011 – 11 CS 11.1061). Vielmehr hängt die Rechtmäßigkeit dieser bloßen Gefahrerforschungsmaßnahme davon ab, dass zusätzlich Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, der etwaige Cannabisgebrauch könnte mit Beeinträchtigungen der Sicherheit des Straßenverkehrs einhergehen (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 – BayVBl 2002, 667/669). Es müssen also Tatsachen vorliegen, die nicht nur die Annahme begründen, der Betroffene habe Cannabis konsumiert, sondern solche, die die Annahme begründen, der Betroffene könnte wegen etwaigen Konsums von Cannabis fahrungeeignet sein. Fahrungeeignetheit liegt im Zusammenhang mit Cannabis zum einen nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV vor, wenn Cannabis regelmäßig eingenommen wird. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV schließt es die Fahreignung aus, wenn Cannabis (nur) gelegentlich eingenommen wird und keine Trennung von Konsum und Fahren, zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen gegeben ist oder eine Störung der Persönlichkeit oder ein Kontrollverlust vorliegt. Hierzu verhält sich die Beibringungsaufforderung nicht in ausreichender Weise, vielmehr wird aus dem Besitz von Marihuana und Cannabissamen ohne weiteres auf den Verdacht auf regelmäßigen Konsum geschlossen.
Vor diesem Hintergrund kann die streitgegenständliche Entziehungsverfügung nicht auf eine ausreichende Rechtsgrundlage gestützt werden, ohne dass es auf die Verhältnismäßigkeit der Ablehnung der beantragten Fristverlängerung ankommt. Gleiches gilt für die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins, die nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV eine rechtmäßige bzw. vollziehbare Entziehungsverfügung zur Voraussetzung hat. Nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kann das Gericht die Aufhebung eines im Zeitpunkt seiner Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits vollzogenen Verwaltungsakts, hier die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins, anordnen. Dieser Anordnung wird entweder durch die unverzügliche Rückgabe des Führerscheins an den Antragsteller oder für den Fall der Vernichtung oder Unbrauchbarmachung des Führerscheins nach seiner Ablieferung durch die unverzügliche Ausstellung eines Ersatzführerscheins nachgekommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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