Strafrecht

Entzug der Fahrerlaubnis regelmäßiger Cannabiskonsum

Aktenzeichen  AN 10 S 21.01574

Datum:
11.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51666
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV
FeV § 47 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Eilantrag gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2 und B mit Einschlussklassen.
Mit polizeilicher Mitteilung vom 8. März 2021 erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis davon, dass der Antragsteller am 9. Februar 2021 um 15:45 Uhr unter Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führte. Im Laufe der Kontrolle seien drogentypische Auffälligkeiten festgestellt worden. Die am 9. Februar 2021 um 16:22 Uhr entnommene Blutprobe ergab Werte von 19,7 ng/ml THC und ca. 507 ng/ml THC-COOH.
Unter Bezugnahme auf diesen Vorfall wurde dem Antragsteller eine Stellungnahmefrist bis zum 19. März 2021 gewährt. Der Bevollmächtigte des Antragstellers zeigte sich innerhalb der Stellungnahmefrist bei der Antragsgegnerin an und führte aus, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis unverhältnismäßig und übertrieben sei. Der Vorfall vom 9. Februar 2021 sei eher im unteren Bereich. Er beantragte zudem Akteneinsicht. Nach Vorlage der Vollmacht durch den Bevollmächtigten des Antragstellers wurde diesem Akteneinsicht gewährt. Eine weitere Stellungnahme erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 22. März 2021 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2 und B mit Einschlussklassen (Ziffer 1) und verpflichtete ihn, unter Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 4), den Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Ziffer 2). Der Sofortvollzug der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3). Im Wesentlichen wurde der Bescheid damit begründet, dass angesichts der im Blut beim Antragsteller festgestellten THC-Carbonsäure-Konzentration von 507 ng/ml davon auszugehen sei, dass der Antragsteller jedenfalls zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle am 9. Februar 2021 regelmäßiger Konsument von Cannabis gewesen sei. Der Antragsteller habe die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Folge des regelmäßigen Konsums von Cannabis verloren und bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids auch nicht wiedererlangt.
Der Antragsteller gab seinen Führerschein bei der Antragsgegnerin ab.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers legte gegen den streitgegenständlichen Bescheid fristgerecht Widerspruch ein und begründete ihn wie folgt: Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei unverhältnismäßig, nicht geboten und nicht erforderlich, es gebe mildere Mittel wie die Anordnung eines ärztlichen Attestes oder Ähnliches. Der Fall liege ohnehin im unteren Bereich, der Konsum der Kräutermischung im Jahr 2013 sei schon sehr lange zurück. Ergänzend wurden vom Bevollmächtigten des Antragstellers Endbefunde der Labore MVZ Labor … und MVZ Medizinische Labore … vom 14. April 2021 zur zwischenzeitlichen Drogenabstinenz dem Widerspruchsschreiben beigefügt, wonach unauffällige Werte und Befunde vorlägen. Der Antragsteller nehme keine Drogen, ein milderes Mittel sei ausreichend.
Der Widerspruch des Antragstellers wurde durch die Regierung von … mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass aufgrund des hohen THC-COOH-Wertes des Antragstellers die Stadt … von einem regelmäßigen Konsum von Cannabis zum Zeitpunkt des 9. Februar 2021 habe ausgehen dürfen. Eine Fahreignung habe folglich ausgeschlossen werden dürfen, da kein atypischer Umstand vorgetragen worden sei oder sonst aus den Akten ersichtlich sei. Die vorgelegten Befunde seien weder geeignet noch ausreichend, um wieder von der Fahreignung des Antragstellers ausgehen zu können. Ein einmaliges Drogenscreening sei nicht ausreichend, um den Antragsteller eine ausreichend lange Drogenfreiheit bestätigen zu können. Für die Wiedererlangung der Fahreignung sei der Nachweis einer mindestens einjährigen Drogenfreiheit Voraussetzung.
Am 25. August 2021 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage und stellte zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Antragsteller nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden sei. Soweit ersichtlich sei die beantragte Akteneinsicht nicht gewährt worden, wodurch der verfassungsrechtlich verankerte Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Selbst wenn der Antragsteller einmal oder mehrmals unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden haben sollte, so hätte dies die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt. Dies gelte umso mehr, als von einem sehr seltenen Konsum auszugehen sei. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln am Verkehr teilgenommen habe, ohne hierzu in der Lage zu sein. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller zuletzt keine Drogen mehr genommen habe. Auch sei davon auszugehen, dass entsprechende (weitere) Abstinenznachweise vorgelegt werden können. Zudem sei der Antragsteller nicht drogenabhängig. Die Fahrerlaubnisentziehung stelle für den Antragsteller eine nicht zumutbare Härte dar. Die Antragsgegnerin habe auch ihren Entscheidungsspielraum verkannt, sodass ein fehlerhafter Ermessensnichtgebrauch gegeben sei. Eine erwiesene Nichteignung des Antragstellers müsste die Behörde nicht annehmen, und eine solche dürfte sie auch nicht annehmen. Ausweislich der Vorbemerkung zur Anlage 4 sollen die Bewertungen nur für den Regelfall gelten. Dass ein solcher vorläge, sei jedoch nicht hinreichend dargelegt. Zudem genüge die Begründung der sofortigen Vollziehung nicht.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß):
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Stadt … vom 22. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von … vom 27. Juli 2021 wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag. Auf den Antrag des Antragstellers wurde unter anderem erwidert, dass ein Ermessensfehl- bzw. -nichtgebrauch von der Hand zu weisen sei, da im Entzugsbescheid deutlich werde, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei feststehender Ungeeignetheit kein Ermessen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller begehrt nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablieferungspflicht seines Führerscheins gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 VwGO (vgl. sogleich unter 2.). Der Antrag wird weiter dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die nach Art. 21a BayVwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Zwangsmittelandrohung begehrt (vgl. sogleich unter 1.).
Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist zum Teil bereits unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.
1. Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Einziehung des Führerscheins durch die Polizei angedroht hat, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsmittelandrohung unzulässig. Die Androhung der Einziehung des Führerscheins hat sich mit der Abgabe des Führerscheins bei der Behörde erledigt. Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, da kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass nach Abgabe des Führerscheins noch die Anwendung des Zwangsmittels drohen könnte. 2.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablieferungspflicht des Führerscheins ist unbegründet.
a. Entgegen der Auffassung des Antragstellers entspricht die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug sowohl bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis als auch bezüglich der Abgabeverpflichtung in ausreichender Form begründet wurde. So hat die Antragsgegnerin u.a. ausgeführt, dass ein besonderes öffentliches Interesse vorliege, den Antragsteller sofort von der Führung von Kraftfahrzeugen auszuschließen, da bei Weiterbelassung der Fahrerlaubnis eine Gefahr für die Verkehrssicherheit mit Grund zu befürchten sei. Es könne deshalb nicht zugelassen werden, dass Fahrer von Kraftfahrzeugen, die durch ihre Nichteignung eine erhebliche Gefahrenquelle für andere Verkehrsteilnehmer darstellen können, bis zur Unanfechtbarkeit des Entziehungsbescheides im Besitz der Fahrerlaubnis bleiben. Leben und Gesundheit seien so hochwertige Rechtsgüter, dass auch die Möglichkeit einer Gefährdung oder Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden müsse. Das besondere öffentliche Interesse verlange, dass zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignete Personen sofort von der Teilnahme am Straßenverkehr gehindert werden. Dies sei nur möglich, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis mit der Zustellung des Bescheides wirksam wird und eine möglichst kurze Frist zur Ablieferung des Führerscheins bestimmt wird. Bezüglich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wurde ausgeführt, dass es im Hinblick auf die sofortige Vollziehung der Entziehung konsequent sei, dass der Antragsteller auch unverzüglich das entsprechende Dokument (Führerschein) abliefere. Ansonsten bestehe die nicht auszuschließende Gefahr des Missbrauchs des Führerscheins durch dessen Vorzeigen bei evtl. Verkehrskontrollen. Dies ist nicht zu beanstanden. Da es sich beim Fahrerlaubnisrecht um einen besonderen Teil des Sicherheitsrechts handelt, entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass es für die Anordnungsbehörde ausreicht, die typische Interessenlage dieser Fallgruppe aufzuzeigen und auszuführen, dass im Falle möglicherweise ungeeigneter Fahrzeugführer ein Ausschluss an der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr wegen der davon ausgehenden akuten Gefahr schnellstmöglich anzuordnen ist.
b. Der streitgegenständliche Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise dann wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erhebliche Bedeutung. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
aa. Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Insbesondere wurde der Antragsteller vor Bescheiderlass zum beabsichtigten Fahrerlaubnisentzug angehört. Dem Antragsteller wurde mithin rechtliches Gehör gewährt. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers wurde diesem nach Vorlage einer schriftlichen Vollmacht i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG die Akteneinsicht gewährt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Bescheid am 22. März 2021 erlassen hat, ohne nach Zusendung der Akten an den Bevollmächtigten des Antragstellers eine weitere Stellungnahme von diesem abzuwarten. Zu diesem Zeitpunkt war die Anhörungsfrist zumal bereits abgelaufen. Zudem erfolgte die Vollmachtsvorlage erst einen Tag vor Ablauf der Stellungnahmefrist, obwohl die Vollmacht bereits am 14. März 2021 vom Antragsteller unterzeichnet wurde. Auch hätte der Bevollmächtigte des Antragstellers die behauptete Nichtgewährung der Akteneinsicht im Vorverfahren geltend machen können.
Ob eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG eingetreten ist, kann vorliegend dahinstehen, da ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich wäre. Hier liegt eine rechtmäßige gebundene Entscheidung vor und mithin ist offensichtlich, dass die gerügte Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. dazu Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs/ Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 90).
bb. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Nach der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV vor.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Da ein Widerspruchsbescheid bereits ergangen ist, ist hier auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2021 – dies war der 30. Juli 2021 – abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV ist eine Fahrerlaubnis dann zu entziehen, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ein Ermessensspielraum kommt der Fahrerlaubnisbehörde entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zu. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist insbesondere von einer Nichteignung auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. In Rede steht hier Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, wonach eine Fahreignung bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis ungeachtet der Frage des Trennungsvermögens zwischen Konsum und Führen eines Kraftfahrzeugs zu verneinen ist.
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, § 46 Abs. 3 FeV. Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.
Im vorliegenden Fall sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 7 FeV erfüllt und weitere Aufklärungsmaßnahmen durch die Antragsgegnerin waren entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht veranlasst.
Nach Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist derjenige ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, der regelmäßig Cannabis zu sich nimmt. Ein regelmäßiger Konsum im Rechtssinn liegt nur bei täglicher oder nahezu täglicher Einnahme vor. Nur bei einer solchen Konsumintensität treten Langzeit- und Gewöhnungseffekte ein, die sich so negativ auf fahrleistungsrelevante Eigenschaften auswirken, dass dadurch die Fahreignung durch den Konsum als solchen ausgeschlossen ist. Nach Auffassung der Rechtsprechung lässt bei konsumnaher Blutentnahme ein THC-COOH-Wert oberhalb von 100 ng/ml einen sicheren Rückschluss auf gelegentlichen Cannabiskonsum zu, ab einem Wert von 150 ng/ml für THC-COOH ist von einem regelmäßigen Konsum auszugehen (zuletzt BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 11 CS 18.2605; so bereits BayVGH, B.v. 14.10.2003 – 11 CS 03.2433, juris mit Hinweis auf Daldrup/Käferstein/Köhler/Maier/Musshoff, Blutalkohol Vol. 37/2000, S. 39/44; so auch HessVGH, B.v. 15.9.2016 – 2 B 2335/16, juris; OVG NRW, B.v. 5.2.2015 – 16 B 8/15, juris, m.w.N.; OVG Lüneburg, B.v. 11.7.2003 – 12 ME 287/03, juris; vgl. auch MüKoStVR/Hahn/Kalus, 1. Aufl. 2016, FeV § 14 Rn. 27). Diese Erkenntnis beruht auf toxikologischen Studien. Die Abbausubstanz Tetrahydrocannabiol(THC)-Carbonsäure (kurz: THC-COOH) lässt sich nur bei häufiger Einnahme des Wirkstoffs THC in einer bestimmten Konzentration nachweisen. Die Studien gehen davon aus, dass bei einem Wert für THC-COOH ab 75 ng/ml von einem regelmäßigen Konsum auszugehen sei. Dieser Wert beruht aber auf der Voraussetzung, dass zwischen der Ankündigung und der Blutentnahme bis zu acht Tage liegen. Das bedeutet, dass sich durch Abstinenz in dieser Zeit der Wert abbauen kann, da der Proband mit der Blutentnahme rechnen muss. Wird eine Blutentnahme zur Bestimmung von Betäubungsmittelkonsum unmittelbar nach einer Verkehrskontrolle genommen, so ist es sachgerecht, wegen der Halbwertszeit von ca. sechs Tagen für die Substanz THC-COOH den Wert für die Annahme regelmäßigen Konsums zu verdoppeln (vgl. VG Augsburg, U.v. 17.1.2006 – Au 3 K 05.1913, juris). Dies entspricht auch den Erkenntnissen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München, das erst THC-COOH-Konzentrationen, die über 100 ng/ml liegen, als Hinweis und bei Überschreitung von 150 ng/ml als Beweis für einen häufigeren Konsum von Cannabis ansehen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2006 – 11 CS 05.1559, juris mit Hinweis auf die Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 23.8.2005; ebenso BayVGH, B.v. 16.8.2006 – 11 CS 05.3394, juris). Diese Aussage bezieht sich auf Blutentnahmen, die anlassbezogen durchgeführt wurden und bei denen zwischen dem Vorfall (d.h. der Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss) und der Blutentnahme Zeiträume verstrichen sind, die in der Regel zwischen einer halben und zwei Stunden liegen.
Nach diesen Maßgaben ist beim Antragsteller von regelmäßigem Cannabiskonsum auszugehen. Der Antragsteller trägt nichts vor, was diese in medizinischen Studien und Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse in Frage stellt. Im Rahmen der am 9. Februar 2021 entnommenen Blutprobe wurde beim Antragsteller ein Wert des wirkungsfreien Stoffwechselprodukts THCCOOH, das beim Abbau des Cannabis-Wirkstoffs THC entsteht, in einer Konzentration von ca. 507 ng/ml festgestellt. Dies übersteigt die Konzentration von 150 ng/ml erheblich, ab dem von einem regelmäßigen Konsum der Droge Cannabis ausgegangen wird. Es handelt sich hier auch um eine spontan durch die Polizei angeordnete Blutprobe. Der Antragsteller wurde am 9. Februar 2021 gegen 15:45 Uhr kontrolliert, um 16:22 Uhr erfolgte die Blutentnahme.
Aufgrund des Wertes von ca. 507 ng/ml für THC-Carbonsäure steht der regelmäßige Konsum von Cannabis durch den Antragsteller fest. Die Ungeeignetheit folgt damit aus den festgestellten Tatsachen. Eine weitere Sachaufklärung durch die Fahrerlaubnisbehörde war daher nach § 11 Abs. 7 FeV nicht erforderlich.
Ebenso wenig sind Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalls nach Nummer 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 FeV ersichtlich.
Nach Satz 1 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV gelten die Bewertungen für den Regelfall. Dadurch wird dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch den Verordnungsgeber Genüge getan. Ausnahmen von den Regelvermutungen der Anlage 4 zur FeV sind nur im Einzelfall anzuerkennen. Beispielhaft sind in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2008 – 11 CS 07.2671 – juris). Da es vorliegend um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier regelmäßige Einnahme von Cannabis) gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV geht, müssten sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf die Fahreignung des Antragstellers beziehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2019 – 11 CS 19.1432 – juris Rn. 10).
In dieser Richtung wurde vom Antragsteller aber nichts vorgetragen. Zwar wendet der Bevollmächtigte des Antragstellers ein, der Antragsteller habe zuletzt keine Drogen mehr genommen und weitere Abstinenznachweise könnten vorgelegt werden. Der behauptete Konsumverzicht seit dem Vorfall vom 9. Februar ist für die Frage, ob ein Regelfall im Sinne von Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV vorliegt, jedenfalls nicht entscheidend. Im Übrigen ist ein vorfallsinduzierter Konsumverzicht auch nur begrenzt aussagekräftig, weil eine strafrechtliche Ahndung bzw. ein auf die Fahrerlaubnisentziehung gerichtetes Behördenverfahren nicht selten den hiervon Betroffenen zumindest vorübergehend zu einem zielgerichteten Wohlverhalten veranlassen. Der Behauptung der Abstinenz seit dem streitgegenständlichen Vorfall kommt erst bei der noch zu erörternden Frage entscheidende Bedeutung zu, ob der Antragsteller die verlorene Fahreignung inzwischen wieder erlangt hat (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 23.4.2008 – 11 CS 07.2671 – juris Rn. 12).
Aufgrund der festgestellten Nichteignung war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis verpflichtet. Der Fahrerlaubnisbehörde war für diese Entscheidung keinerlei Ermessen eingeräumt. Steht die Nichteignung fest, so ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Billigkeitserwägungen wie das Angewiesensein auf den Führerschein – auch zur Berufsausübung – können nicht entgegengebracht werden.
Bei feststehender Ungeeignetheit kommt auch die Einholung eines Gutachtens im Rahmen des Entziehungsverfahrens nicht in Betracht.
Dem Antragsteller steht die Möglichkeit offen, gemäß Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV durch den Nachweis einjähriger Abstinenz und eines tiefgreifenden Einstellungswandels die Wiedererlangung seiner Fahreignung zu belegen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2009 – 11 CS 09.85; VG Regensburg, U.v. 20.1.2011 – RN 8 S 11.33, jeweils juris). Demnach reichen die vorgelegten Befunde vom 14. April 2021 bei Weitem nicht aus, um wieder von der Fahreignung des Antragstellers ausgehen zu können.
Nach alledem ist die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22. März 2021 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis damit rechtmäßig.
Dies hat zur Folge, dass auch die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Vorlageverpflichtung bezüglich des Führerscheins als Annexentscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV zu Recht ergangen ist.
Aufgrund der insgesamt negativen Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Klage überwiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung des Jahres 2013.


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