Strafrecht

Erfolglose Klage eines Somaliers gegen Ausweisungsverfügung mit Annexentscheidungen

Aktenzeichen  AN 11 K 17.02351

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3258
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11, § 25 Abs. 3, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 9, § 58, § 59
AufenthV § 5 Abs. 1
StGB § 38 Abs. 2, § 249
JGG § 88
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Die Ausweisungsentscheidung kann grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, wenn nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt (BT-Drs. 18/4097, S. 49).  (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der von den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbes. die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Abschiebungsandrohung ohne konkrete Zielstaatsbezeichnung besitzt keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen unverbindlichen Hinweis dar; vor der Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung (nachfolgend unter Ziffer 1) sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 7 Jahre (nachfolgend unter Ziffer 2) sind ebenso wenig zu beanstanden wie die Ablehnung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels (nachfolgend unter Ziffer 3), die Ablehnung der Neuausstellung eines Reiseausweises für Ausländer (nachfolgend unter Ziffer 4) sowie die ausländerrechtlichen Annexentscheidungen (nachfolgend unter Ziffer 5).
Das Gericht folgt der ausführlichen Begründung des Bescheides der Beklagten vom 11. Oktober 2017 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 117 Abs. 5 VwGO ab. Lediglich ergänzend wird wie folgt ausgeführt:
1. Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Ausweisung stellt eine Maßnahme auf dem Gebiet des Polizei- und Ordnungsrechts dar. Sie hat nicht den Zweck, ein bestimmtes menschliches Verhalten zu ahnden, sondern eine künftige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorzubeugen. Hieraus folgt: Liegen keine Tatsachen vor, durch welche die Erforderlichkeit der Maßnahme dargetan wird, entspricht die Ausweisung nicht dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Die Ausweisung kann gerechtfertigt sein, wenn auf Grund des bisherigen – strafrechtlich geahndeten – Verhaltens des Ausländers damit gerechnet werden muss, dass durch seine weitere Anwesenheit im Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden (BVerwG, U.v. 16.6.1970 – 1 C 47.69 – juris Rn. 9 f.).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37).
Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Auf den Privilegierungstatbestand des § 53 Abs. 3 AufenthG kann sich der Kläger nicht berufen, da er weder türkischer Staatsangehöriger, noch Inhaber einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU ist.
Die Privilegierungstatbestände des § 53 Abs. 3a und Abs. 3b AufenthG kommen ebenfalls nicht in Betracht, insbesondere genießt der Kläger aufgrund des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamtes vom 24. April 2017 nicht die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten.
Im vorliegenden Fall besteht aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten wegen Raubs ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gemäß des neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse des § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden. Bei dem Straftatbestand des Raubs gemäß § 249 StGB handelt es sich um ein Eigentumsdelikt, das mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird. Das Gesetz sieht somit für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vor (vgl. § 38 Abs. 2 StGB).
Daneben besteht auch ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, da eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften ist.
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass von dem Kläger eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, § 53 Abs. 1 AufenthG, wobei der Prognose die strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse zugrunde gelegt werden durften (BayVGH, B.v. 22.2.2012 – 19 ZB 11.2850 – juris Rn. 19).
Die Beklagte stützte die Ausweisung auf generalpräventive und spezialpräventive Erwägungen.
Nach Auffassung der Kammer sind die generalpräventiven Erwägungen nicht zu beanstanden. Generalpräventive Aspekte sind auch nach neuer Rechtslage Teil des öffentlichen Ausweisungsinteresses. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, dass eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (BT-Drs 18/4097, S. 49). Das Bundesverfassungsgericht hat – schon zu § 10 AuslG 1965 – entschieden, dass die Heranziehung generalpräventiver Gründe bei einer Ausweisungsentscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (BVerfG, B.v. 18.7.1979 -1 BvR 650/77 – juris Rn. 37). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Die Ausweisungsentscheidung kann grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, wenn nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die Beklagte stellt zulässigerweise darauf ab, dass mit der Ausweisung der Zweck verfolgt wird, letztlich andere Ausländer von der Nichteinhaltung der Rechtsvorschriften abzuhalten. Dies ist vorliegend nicht zu beanstanden.
Aber auch die spezialpräventiven Gründe sind nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zu der Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte zur Strafaussetzung sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Bindungswirkung in der Regel wegfällt (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 9). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht. Dies ergibt sich aus den konkreten Tatbegehungen und der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Der Kläger ist wiederholt und in sich steigernder Weise strafrechtlich – insbesondere mit Gewaltdelikten – in Erscheinung getreten. Im Urteil vom 3. Mai 2016 wurden schädliche Neigungen des Klägers sowie die Schwere der Schuld bejaht. Eine günstige Sozialprognose bestehe nicht. Auch im Berufungsverfahren stellte das Landgericht … mit Urteil vom 5. Juli 2016 fest, dass keine günstige Sozialprognose gesehen werde. Zudem wurde festgestellt, dass eine echte Reue und Schuldeinsicht nicht feststellbar seien. Der Kläger habe vielmehr versucht, die Tat mit einer angeblichen Alkoholisierung zu relativieren, die angesichts des konkreten Tatablaufs völlig abwegig sei. Zwar wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 9. Mai 2017 der Rest der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts … vom 3. Mai 2016 zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris). Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB bzw. dem hier einschlägigen § 88 JGG geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Im Bereich des Jugendstrafrechts spielen bei Aussetzungsentscheidungen insbesondere auch erzieherische Gründe eine Rolle, sodass im Zweifel – also wenn gute Gründe sowohl für als auch gegen die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung sprechen – die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (Kilian in BeckOK, JGG, 15. Ed. 1.11.2019, § 88 Rn. 17; Eisenberg in Eisenberg, JGG, 20. Aufl. 2018, § 88 Rn. 16). Bei diesen Aussetzungsentscheidungen stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Maßgeblich ist, ob der Kläger im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris; B.v.10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris; B.v. 6.6.2017 – 10 ZB 17.588 – juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – juris Rn. 20 f.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kammer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Weder Dauerarrest, noch Geldauflagen haben den Kläger davon abhalten können, weitere Straftaten zu begehen. Bei der Tat, die zur Verurteilung wegen Raubs geführt hat, ging der Kläger sehr geplant und skrupellos vor, indem er einen wehrlosen 81-jährigen Mann längere Zeit verfolgte und schließlich durch das Stoßen gegen den Oberkörper in Kauf nahm, dass dieser schwere Verletzungen erleidet. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger bis heute keine Schuldeinsicht gezeigt hat. Er hat die Tat auf eine angebliche Alkoholisierung geschoben und sie damit relativiert. Zwar wurde der Kläger während der laufenden Bewährungszeit bisher nicht erneut strafrechtlich verurteilt, dies hat jedoch wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers) entspricht, dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Strafrestaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck erzeugt (BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 19 ZB 19.326). Zusätzlich wirkt auf das Verhalten des Klägers das laufende Ausweisungsverfahren ein. Im Übrigen ist anzumerken, dass sich der Kläger seit dem 18. Oktober 2019 in Untersuchungshaft befindet. Dem Zwischenbericht des Kriminalfachdezernats … vom 18. Oktober 2019 ist zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft nach Darlegung des Sachverhalts durch die Polizei gegen den Kläger Haftantrag wegen Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr und Schwere der Tat gestellt hat.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, des Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG steht im vorliegenden Fall kein Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG entgegen, insbesondere ist der Kläger nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Er hat keine familiären Beziehungen in Deutschland und besitzt auch nicht mehr die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind keine Bleibeinteressen feststellbar; die Bevollmächtigte des Klägers trug selbst vor, dass derzeit Bleibeinteressen für den Kläger nicht ersichtlich seien. Auch aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Abschlussbericht der Bewährungshelferin vom 9. Mai 2019 wird kein Bleibeinteresse ersichtlich. Der Kläger sei unregelmäßig über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt gewesen, habe die meisten Arbeitsstellen jedoch aufgrund seines unsicheren Aufenthaltsstatus nicht behalten können.
In der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorzunehmenden Gesamtabwägung kam die Beklagte zutreffend zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiegt.
2. Keinen Bedenken begegnet auch die von der Beklagten in Ziffer 2 getroffene Entscheidung, die Wirkung der Ausweisung und einer eventuellen Abschiebung des Klägers auf 7 Jahre, gerechnet vom Tag seiner Ausreise oder Abschiebung an, zu befristen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist dabei vorliegend ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentlichen Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich, § 114 Satz 1 VwGO. Die Beklagte hat das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet. Die Entscheidung der Beklagten, dass aufgrund der bereits dargestellten Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten eine Befristung von 7 Jahren angemessen ist, ist insofern nicht zu beanstanden, zumal mit Blick auf § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gegebenenfalls die Möglichkeit einer Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zur Wahrung schutzwürdiger Belange der Klägers besteht.
3. Die Beklagte hat auch in nicht zu beanstandender Weise die beantragte Verlängerung des Aufenthaltstitels abgelehnt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen, da einem ausgewiesenen Ausländer kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf (§§ 84 Abs. 2, 11 Abs. 1 AufenthG).
4. Ebenso hat die Beklagte zu Recht die Neuausstellung eines Reiseausweises für Ausländer abgelehnt. Gemäß § 5 Abs. 5 AufenthV liegt die Entscheidung im Ermessen der Behörde. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich, § 114 Satz 1 VwGO.
5. Schließlich sind auch die ausländerrechtlichen Annexentscheidungen unter Ziffern V. und VI. des Bescheids, die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist, sind nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 58 und 59 AufenthG.
Zwar enthält die Abschiebungsandrohung entgegen § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG keine konkrete Zielstaatsbezeichnung, dies verletzt den Kläger jedoch nicht in seine Rechten. Die Abschiebungsandrohung besitzt in diesem Fall keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris). Vor einer Durchführung einer Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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