Strafrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen Entziehung der Fahrerlaubnis mangels sicherem Nachweis über Konsum harter Drogen

Aktenzeichen  M 26 S 16.3570

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 7

 

Leitsatz

Der (einmalige) Konsum harter Drogen, der einen Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigen kann, ergibt sich nicht hinreichend sicher aus einem Telefonat, zu welchem ein Gesprächsvermerk der Ermittler lediglich wiedergibt: “Beide besprechen die letzten Wochen und dass sie unter der Woche zu viel konsumiert haben. Beide wollen das ändern weil es offenbar außer Kontrolle gerät. Das Problem ist offenbar, dass sie (die Antragstellerin) nicht Nein sagen könne und sie sich freut wenn er etwas mitbringt.”. Hieraus ergibt sich auch dann nicht zwingend ein Konsum (harter) Drogen, wenn der Telefonpartner wegen Handeltreibens mit Kokain verurteilt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2016 wird wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
IV.
Der Antragstellerin wird für dieses Verfahren und für das Hauptsacheverfahren M 26 K 16.3569 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin A… bewilligt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis.
Sie ist Inhaberin einer Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B. Mit Bescheid vom 7. Juli 2016 entzog ihr die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids), forderte sie zur Ablieferung des Führerscheins auf (Nr. 2 des Bescheids), drohte ein Zwangsgeld für die nicht fristgerechte Ablieferung des Führerscheins an (Nr. 3 des Bescheids), legte die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin auf (Nr. 5 des Bescheids) und setzte die Kosten fest (Nr. 6 des Bescheids). Die Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 4 des Bescheids).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Bescheid aus, es stehe fest, dass die Antragstellerin harte Drogen konsumiert habe. Dies ergebe sich aus dem Ergebnis der gerichtlich angeordneten Telefonüberwachung in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren betreffend eine dritte Person, die auch mit der Antragstellerin telefoniert habe. Bereits der einmalige Konsum harter Drogen führe zum Verlust der Fahreignung.
Die Antragstellerin ließ Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben. Gleichzeitig beantragte ihre Bevollmächtigte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 1 wiederherzustellen und gegen die Nrn. 3 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
Außerdem wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Konsum harter Drogen stehe nicht mit hinreichender Sicherheit fest.
Die Antragsgegnerin verteidigt den streitgegenständlichen Bescheid.
Die Verwaltungsstreitsache wurde mit Beschluss vom heutigen Tag auf den Einzelrichter übertragen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der weitgehend zulässige Antrag hat teilweise Erfolg.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich gegen die kraft Gesetzes ergebende sofortige Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. Art. 21a BayVwZVG) richtet. Die Beteiligten haben übereinstimmend vorgetragen, dass die Antragstellerin ihren Führerschein abgeliefert hat. Die Anwendung eines Zwangsmittels ist einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt (Art. 37 Abs. 4 Satz 1 BayVwZVG). Ein Fall einer Duldungs- oder Unterlassungspflicht im Sinne von Art. 37 Abs. 4 Satz 2 BayVwZVG liegt nicht vor. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das angedrohte Zwangsgeld (noch) beitreiben wollte. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt, so dass sie nicht mehr Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann mit der Folge, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft ist. Ebenfalls unzulässig ist der Antrag, als er sich gegen die Kostenfestsetzung in der Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids richtet. Wenn – wie hier – die Kostenentscheidung gleichzeitig mit der Sachentscheidung getroffen wird, teilt die Kostenentscheidung in Bezug auf ihre sofortige Vollziehbarkeit das rechtliche Schicksal der Sachentscheidung. Ein Fall von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO liegt insoweit nicht vor, so dass sich die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs gegen die Kostenentscheidung bereits daraus ergibt, dass diese in Bezug auf die Sachentscheidung selbst angeordnet oder wiederhergestellt wird (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80, Rn. 62 m. w. N.). Es kann deshalb offenbleiben, ob der Antrag auch bereits deshalb unzulässig ist, weil sich das angestrebte Rechtsschutzziel nicht allein dem Angriff gegen die (vermeintlich) sofort vollziehbare Entscheidung über die Kostenhöhe erreichen lässt.
2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet.
Maßgebliches Kriterium für die Entscheidung des Gerichts im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO sind, soweit bereits überschaubar, die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. Art. 11 ff. FeV und der Anlage 4 zur FeV liegen nicht mit der hinreichenden Sicherheit vor, so dass eine Entziehung ohne weitere Sachverhaltsaufklärung (§ 11 Abs. 7 FeV) ausscheidet.
Bereits der einmalige Konsum harter Drogen führt zum Verlust der Fahreignung (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist, finden die §§ 11 ff. FeV entsprechende Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV). Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbar. Der (einmalige) Konsum harter Drogen durch die Antragstellerin ergibt sich jedoch aus den dem Gericht vorgelegten Behördenakten nicht mit ausreichender Sicherheit. Die Wortprotokolle des Mitschnitts der Telefonate zwischen der Antragstellerin und der dritten Person, gegenüber der die Telefonüberwachung angeordnet wurde, sind in den Akten nicht vorhanden. Stattdessen findet sich ein Zwischenbericht über gegenüber der Antragstellerin infolge der Telefonüberwachung aufgenommene Ermittlungen (Bl. 75 ff. der Behördenakten). In diesem Zwischenbericht sind einzelne Telefongespräche zusammengefasst. Die Antragsgegnerin bezieht sich im streitgegenständlichen Bescheid insbesondere auf ein Gespräch am … Juli 2015 um a… Uhr, dessen Inhalt wie folgt zusammengefasst ist: „Beide besprechen die letzten Wochen und dass sie unter der Woche zu viel konsumiert haben. Beide wollen das ändern weil es offenbar außer Kontrolle gerät. Das Problem ist offenbar, dass sie (die Antragstellerin) nicht Nein sagen könne und sie sich freut wenn er etwas mitbringt.“ Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegenüber der Antragstellerin wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ein Verwertungsverbot nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehe.
Zwar mag das strafrechtliche Verwertungsverbot im sicherheitsrechtlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht durchschlagen. Jedoch steht die Tatsache des wenigstens einmaligen Konsums harter Drogen auch unter Berücksichtigung der Zusammenfassung des Mitschnitts der geführten Telefongespräche nicht unzweifelhaft fest. Tatsachen im Rechtsinn sind sinnlich wahrnehmbare oder feststellbare Zustände oder Umstände (Eyermann/Geiger, VwGO, 14. Auflage 2014, § 86, Rn. 7). Hierzu zählen auch eigene Angaben des Betroffenen bzw. dritter Personen. Eine bloße Zusammenfassung von solchen Angaben ist jedoch bereits naturgemäß weniger geeignet als die wörtliche Wiedergabe einer getätigten Äußerung, um den tatsächlichen Inhalt der Angabe selbst und ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Darüber hinaus ergibt sich aus der Zusammenfassung kein Hinweis auf die Art der konsumierten Substanz. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die dritte Person wegen Handeltreibens mit Kokain verurteilt wurde. Auch in einer der dritten Person im Strafverfahren entnommenen Haarprobe wurden nur MDMA- und Kokainabbauprodukte, jedoch kein Cannabisabbauprodukt nachgewiesen. Hieraus ergibt sich jedoch nicht zwingend, dass die Antragstellerin zusammen mit der dritten Person notwendig ebenfalls harte Drogen konsumiert hat. Es ist allgemein bekannt, dass Konsumenten harter Drogen häufig auch Cannabis konsumieren, ohne dass die Nachweisgrenze hierfür in einer Haarprobe zwingend überschritten werden muss. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin „nur“ Cannabis konsumiert hat. Insoweit kommt es für die in Bezug auf die Fahreignung zu ziehenden Schlussfolgerungen auf die Häufigkeit des Konsums an (vgl. Nrn. 9.2 und 9.3 der Anlage 4 zur FeV). Belastbare Angaben hierzu fehlen jedoch vollkommen. Ebenso ist es denkbar, dass die Antragstellerin zusammen mit der dritten Person ausschließlich Alkohol konsumiert hat.
3. Vor diesem Hintergrund ist die in Nr. 2 verfügte Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ebenfalls rechtswidrig (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FeV). Im Gegensatz zur Ansicht der Bevollmächtigten der Antragstellerin hat sich die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins durch die Inbesitznahme des Führerscheins durch die Antragsgegnerin auch nicht erledigt, da diese über die bloße Ablieferungsverpflichtung hinaus auch einen selbstständigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Führerscheins durch die Antragsgegnerin darstellt. Da die Bevollmächtigte der Antragstellerin insoweit jedoch nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt hat, ist dem Gericht ein solcher Ausspruch versagt, da er über das Begehren der Antragstellerin hinausgehen würde (§ 88 VwGO). Für den Fall des Eintritts der Rechtskraft dieses gerichtlichen Beschlusses wird die Antragsgegnerin jedoch von Amts wegen gehalten sein, die Anordnung des Sofortvollzugs der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben, da sie an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
5. Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe zu gewähren, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach dem Vorstehenden hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ff. ZPO).


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