Strafrecht

Fahrerlaubnisentzug – Keine Ausschlussfrist für die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens

Aktenzeichen  Au 7 S 16.744

Datum:
21.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
FeV FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Fahrerlaubnisbehörde darf die Fahrerlaubnis nach Ablauf der sog. verfahrensrechtlichen 1-Jahresfrist nicht ohne vorherige Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens entziehen (Anschluss BayVGH, Beschl. v. 20.09.2006 – 11 Cs 05.2143); der Ablauf der Jahresfrist bedeutet aber weder eine Ausschlussfrist für die Gutachtensanordnung, noch begründet dies eine Beweislastumkehr. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller war seit 19. Juli 2012 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S. Am 24. September 2012 wurde seine Fahrerlaubnis um die Klasse BE erweitert.
Bereits vor der Ersterteilung der Fahrerlaubnis wurde vom Antragsteller die Überprüfung seiner Fahreignung mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert. Der Anordnung lag eine frühere Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zugrunde. Im MPU-Gutachten der … vom 14. Oktober 2011 wurde angeführt, dass der Antragsteller bei seiner Drogenanamnese angegeben habe, seit 1997 Amphetamin konsumiert zu haben, zunächst alle zwei bis drei Wochen, später zeitweise täglich, zuletzt 2005. Weiterhin wurde in der Beantwortung der Fragestellung zur Fahreignung eine stabile Drogenabstinenz bestätigt und die Fahreignung des Antragstellers bejaht.
Am 6. Dezember 2013 erhielt die Fahrerlaubnisbehörde von der Staatsanwaltschaft … die Mitteilung, dass der Antragsteller durch Urteil des Amtsgerichts … vom 4. Juli 2013, rechtskräftig seit 9. September 2013, wegen unerlaubten Erwerbs von Cannabis im Zeitraum zwischen Mitte Juni und Anfang Juli 2012 zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt wurde.
Vom Kriminalfachdezernat … in … wurde die Fahrerlaubnisbehörde am 10. Januar 2014 darüber informiert, dass der Antragsteller am 27. April 2013 um 1:51 Uhr in …, …, Diskothek „…“, einer Einlasskontrolle unterzogen wurde. Hierbei wurde vom Türsteher ein Papierbriefchen mit weißem Pulver bei ihm aufgefunden und anwesenden Polizeibeamten vor Ort übergeben. Der Antragsteller wurde festgenommen und nach Abschluss der Ermittlungen wieder entlassen. Er machte keine Angaben zur Sache, äußerte lediglich, dass er sich zum Besuch des Clubs von einem Bekannten eine Hose ausgeliehen hätte und dieser das Papiertütchen wohl noch in der Hose gehabt hätte.
Die analytische Untersuchung beim kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes am 2. September 2013 ergab den Stoff „MDMA“ (Methylendioxymetamfetamin).
Aus der am 15. Juli 2015 von der Fahrerlaubnisbehörde angeforderten Strafakte ging hervor, dass bereits durch Verfügung vom 3. Januar 2014 von einem Verfahren gegen den Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen wurde. Begründet wurde die Einstellung damit, dass bereits wegen einer anderen Tat eine Strafe ausgesprochen wurde. Die Strafe, die wegen der angezeigten Tat verhängt werden könne, fiele daneben voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht. Bei dieser anderen Strafe handelte es sich um die oben genannte Verurteilung des Amtsgerichts … vom 4. Juli 2013 wegen vorsätzlichem unerlaubten Erwerbs von Cannabis.
Wegen des Vorfalls, der der Verfahrenseinstellung zugrunde lag, wurde der Antragsteller jedoch mit Schreiben vom 2. September 2015 aufgefordert, bis zum 13. November 2015 zur Klärung des Drogenkonsums ein fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle beizubringen. In der entsprechenden Anordnung wurde er darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfe, wenn das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt werde.
Am 9. September 2015 sprach der Antragsteller persönlich bei der Führerscheinstelle vor und behauptete, dass er am 27. April 2013 nicht in … gewesen sei und von Polizei und Staatsanwaltschaft bezüglich einer Anzeige und Einstellung des Strafverfahrens noch nie etwas gehört habe. Er könne sich nicht erklären, dass seine Ausweisdaten damals von der Polizei erfasst worden seien. Bei der Vorsprache wurde er aufgefordert seinen Ausweis vorzulegen. Die Überprüfung ergab, dass die Nummer und die Ausstellungsdaten mit den polizeilichen Angaben von damals übereinstimmten. Der Antragsteller äußerte gegen die Anzeige vorgehen zu wollen. Er wurde gebeten, binnen 14 Tagen einen Nachweis darüber vorzulegen. Dies geschah nicht.
Mit Schreiben vom 24. September 2015 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten ausführen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anforderung eines fachärztlichen Gutachtens unter gleichzeitiger Mitwirkung des Antragstellers nicht gegeben seien. Es wurde die Einstellung des Fahreignungsüberprüfungsverfahrens beantragt. Ein fachärztliches Gutachten wurde nicht vorgelegt.
Der Antragsteller wurde am 23. November 2015 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Nichtvorlage des angeordneten fachärztlichen Gutachtens angehört. Ihm wurde die Möglichkeit der schriftlichen oder mündlichen Äußerung oder der kostenfreien Abgabe seines Führerscheins bis zum 9. Dezember 2015 eingeräumt. Eine Rückmeldung erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2015, zugegangen am 4. Januar 2016, wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1). Gleichzeitig wurde angeordnet, dass der betreffende Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch fünf Tage nach Zustellung des Bescheides, beim Landratsamt … abgeliefert werden muss (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 3). Für den Fall, dass der Führerschein nicht fristgerecht abgeliefert wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht (Ziffer 4).
Am 4. Januar hat Antragsteller seinen Führerschein beim Landratsamt … abgegeben.
Gegen den Bescheid vom 28. Dezember 2015 ließ der Antragsteller mit Telefax vom 4. Januar 2016 durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch einlegen und beantragte mit Schreiben vom 11. Mai 2016,
die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels in der Hauptsache – hier des Widerspruchs vom 4. Januar 2016 – gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Dezember 2015, zugestellt am 4. Januar 2016, wiederherzustellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2016, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 12. Mai 2016 zugegangen, wurde der Widerspruch vom 4. Januar 2016 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 stellte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers den Antrag vom 11. Mai 2016 um und beantragte,
die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels in der Hauptsache – hier des Widerspruchs vom 4. Januar 2016 – gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von … vom 4. Mai 2016, zugestellt am 12. Mai 2016 wiederherzustellen.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2016 erhob die Antragstellerseite beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 4. Mai 2016, zugestellt am 12. Mai 2016. Die Klage wird bei Gericht unter dem Aktenzeichen Au 7 K 16.825 geführt.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2016 stellte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in Ergänzung des Schriftsatzes vom 23. Juni 2016 den ursprünglichen Antrag erneut um und beantragte,
die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels in der Hauptsache – nunmehr: der Anfechtungsklage vom 27. Mai 2016 – gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 4. Mai 2016, zugestellt am 12. Mai 2016, Aktenzeichen Au 7 K 16.825 (Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg) wiederherzustellen.
Die Voraussetzungen für die Anforderung eines fachärztlichen Gutachtens hätten nicht vorgelegen, da unter Berücksichtigung der Regelungen der Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung eine Beweislastumkehr dahingehend festzustellen sei, dass nach Ablauf der verfahrensrechtlichen 1-Jahresfrist für den Betroffenen die Vermutung der Wiederherstellung bzw. des Fortbestands der Kraftfahreignung spreche (BayVGH, B. v. 20.9.2006 – 11 Cs 05.2143). Insbesondere würden die vom Antragsgegner im Schreiben vom 2. September 2015 zitierten Anknüpfungstatsachen mehr als drei bzw. mehr als zwei Jahre zurückliegen. Daher seien keinerlei Anhaltspunkte mehr gegeben, die auf einen aktuellen Betäubungsmittelkonsum hingewiesen hätten. Auch der Vorfall vom 27. April 2013 habe keinerlei Hinweise dafür ergeben, dass die Einlassung des Antragstellers hätte widerlegt werden können, weshalb das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren am 3. Januar 2014 auch hätte eingestellt werden können. Wäre anlässlich der Verhaftung des Antragstellers am 27. April 2013 der Verdacht vorhanden gewesen, er habe vor dem Hintergrund des Betäubungsmittelbesitzes auch solche konsumiert, sei es der Behörde freigestanden zur Beweissicherung entsprechende Maßnahmen – Urinprobe, Schweißtest, Blutprobe – anzuordnen um insoweit entsprechende Beweise sichern zu können. Die Nichtvornahme dieser Beweiserhebungen könne nun nicht mehr als 2 Jahre später – wie auch immer geartete – tatsächliche und/oder rechtliche Nachteile begründen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 30. Mai 2016,
den Antrag auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 28. Dezember 2015 in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von … vom 4. Mai 2016 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Die Fahrerlaubnis des Antragstellers sei zu Recht entzogen worden, da er ein von der Fahrerlaubnisbehörde angeordnetes fachärztliches Gutachten zur Abklärung eines eventuell vorliegenden Betäubungsmittelkonsums nicht fristgerecht vorgelegt habe und deshalb auf seine Nichteignung habe geschlossen werden können (§ 11 Abs. 8 FeV). Auch hätten die Voraussetzungen für die Anordnung des fachärztlichen Gutachtens hier vorgelegen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Anlage 4 Nr. 9.1 fehle es bei Einnahme von Betäubungsmitteln (außer Cannabis) an der Kraftfahreignung. Nach § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV habe das fachärztliche Gutachten angeordnet werden dürfen, da sich am 27. April 2013 im Rahmen einer polizeilichen Überprüfung vor einer Diskothek herausgestellt habe, dass der Antragsteller im Besitz der „harten“ Droge MDMA gewesen sei.
Unerheblich sei, dass das wegen des Vorfalls am 27. April 2013 eingeleitete Strafverfahren eingestellt worden sei. Entscheidend sei lediglich, dass der Antragsteller in der Nacht vom 27. April 2013 ein Briefchen mit MDMA mit sich geführt habe. Auch ohne Relevanz sei, dass die Polizei am besagten Abend keinen Drogentest gemacht habe, da die Gutachtensanordnung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV allein auf den Besitz von MDMA abgestellt habe. Weiterhin gäbe es bei der Überprüfung der Fahreignung keine Ausschlussfristen, weshalb es keine Rolle spielen könne, dass die Fahrerlaubnisbehörde das fachärztliche Gutachten vom 2. September 2015 erst zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall vom 27. April 2013 angeordnet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nach § 122 Abs. 1, § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 28. Dezember 2015 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO wiederherzustellen ist, da die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung der in den Ziffern 1 und 2 getroffenen Verfügungen in Ziffer 3 des Bescheids angeordnet hat. Hinsichtlich der bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Ziffer 4 des Bescheids (Zwangsgeldandrohung, vgl. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes/BayVwZVG) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO nicht gewollt war. Dies ergibt sich daraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nur die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 28. Dezember 2015 hinsichtlich der „Entziehungsverfügung“ angreift und zum anderen daraus, dass der Antragsteller seinen Führerschein am 4. Januar 2016 beim Landratsamt … abgegeben hat. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung würde damit ins Leere gehen.
Der insoweit zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht begründet.
1) Der Antragsgegner hat bei der Anordnung des Sofortvollzugs den in § 80 Abs. 3 VwGO normierten Begründungsanforderungen noch in ausreichender Weise Rechnung getragen. Er hat insbesondere auf die drohende Gefahr hingewiesen, dass der Antragsteller weiterhin am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt und bei Kontrollen einen Führerschein vorzeigt, aus welchem die fehlende Fahrberechtigung für die Bundesrepublik Deutschland nicht hervorgeht. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt. Der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorliegt (BayVGH vom 10.3.2008, Az. 11 CS 07.3453 m. w. N.).
2) Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Hierbei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs ausschlaggebend. Der Bürger kann kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Andererseits kann am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend.
Die erhobene Anfechtungsklage erweist sich nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als unbegründet, da die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen, sowie die Verpflichtung, seinen Führerschein beim Landratsamt … abzuliefern, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sind und den Antragsteller nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die in Ziffer 1 des Bescheids vom 28. Dezember 2015 getroffene Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen ist rechtmäßig.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711, juris). Damit ist hier auf den Zugang des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2016 – dies war der 12. Mai 2016 – abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2015 (BGBl S. 186) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl. S. 2213), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis – ohne Ermessensspielraum – zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel u. a. nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt die Fahreignung bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis). Die Behörde hat hier zu Recht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers geschlossen, weil dieser das angeforderte fachärztliche Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Abklärung eines eventuell vorliegenden Betäubungsmittelkonsums nicht fristgerecht vorgelegt hat.
Insbesondere wurde das fachärztliche Gutachten seitens des Antragsgegners zu Recht angeordnet (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 9.1 Anlage 4 zur FeV). Denn im Rahmen der polizeilichen Überprüfung vom 27. April 2013 wurde beim Antragsteller ein Papierbriefchen mit MDMA gefunden. Damit war der Antragsteller widerrechtlich im Besitz von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV kann in diesem Fall ein fachärztliches Gutachten angeordnet werden. Für Ermessensfehler seitens der Behörde liegen keine Anhaltspunkte vor. Ein hinreichender Grund zur Nichtvorlage des Gutachtens bestand nicht. Daher konnte und musste der Antragsgegner nach § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen, worauf in der Gutachtensaufforderung auch hingewiesen worden war (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).
Das Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Insbesondere ist die Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, dass nach Ablauf einer verfahrensrechtlichen 1-Jahresfrist eine Beweislastumkehr zugunsten des Beteiligten eintrete und die Wiedererlangung bzw. der Fortbestand der Kraftfahreignung vermutet werde, nicht korrekt. Die Antragstellerseite will dies aus einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. September 2006 (Az. 11 Cs 05.2143) ableiten. Dies konnte das erkennende Gericht allerdings nicht überzeugen. Denn aus dem besagten Urteil ist lediglich der Orientierungssatz zu entnehmen, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis nach Ablauf einer verfahrensrechtlichen 1-Jahresfrist nicht ohne vorherige Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens entziehen darf. Diese Anforderung hat der Antragsgegner hier aber gerade durch die Gutachtensanordnung vom 2. September 2015 eingehalten. In dem Urteil ist keine Rede von einer Beweislastumkehr zugunsten des jeweiligen Beteiligten nach Ablauf einer verfahrensrechtlichen 1-Jahresfrist.
Dass die Gutachtensanordnung vom 2. September 2015 erst zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall vom 27. April 2013, bei welchem der Antragsteller in Besitz von „MDMA“ angetroffen wurde, erfolgte, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung und der darauf gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis vom 28. Dezember 2015. Denn weder im Gesetz noch durch die Rechtsprechung sind in dieser Hinsicht Ausschlussfristen definiert. Es ist rechtlich unbedenklich die Fahreignung ca. zweieinhalb Jahre nach einem Vorfall, der die Fahreignung in Frage stellt, überprüfen zu lassen. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Fahrerlaubnisbehörde erst am 10. Januar 2014 vom Vorfall am 27. April 2013 in der Diskothek „…“ in … erfuhr. Insoweit muss der Behörde zugute gehalten werden, dass diese jedenfalls nicht vor der Informationsübermittlung durch das Kriminalfachdezernat … in … rechtlich reagieren konnte.
Letztlich führt es auch nicht zur Rechtswidrigkeit der Entziehungsverfügung, dass am 27. April 2013 kein Drogentest beim Antragsteller durchgeführt oder dass das entsprechende Strafverfahren eingestellt wurde. Denn entscheidend im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV ist allein der Besitz eines Betäubungsmittels im Sinne von Nr. 9.1 Anlage 4 zur FeV. Insbesondere wurde das Strafverfahren wegen Besitzes von „MDMA“ nach § 154 StPO eingestellt, weil die Tat im Vergleich zu einer anderen Straftat des Antragstellers wegen unerlaubten Erwerbs von Cannabis im Zeitraum zwischen Mitte Juni und Anfang Juli 2012 nicht beträchtlich ins Gewicht fiel. Diese Verfahrenseinstellung ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Antragsteller am 27. April 2013 im Besitz einer „harten“ Droge im Sinne von Nr. 9.1 Anlage 4 FeV war. Allein darauf stellt die Gutachtensanordnung nach § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV ab.
b) Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid vom 28. Dezember 2015 hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
3) Die von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt hier zu dem Ergebnis, dass dem öffentlichen Interesse daran, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr weiterhin zu unterbinden, ein größeres Gewicht einzuräumen ist, als dem Interesse des Antragstellers, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit eines auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Entziehungsbescheids die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
4) Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
5) Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, Nummern 1.5 und 46.3; im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wurde die Hälfte des im Hauptsacheverfahren in Betracht kommenden Streitwertes angesetzt.


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