Strafrecht

Fertigung nachträglicher Urteilsgründe nach nichtrichterlich angeordneter Protokollzustellung

Aktenzeichen  3 Ss OWi 896/17

Datum:
23.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 25 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1 S. 1, § 36 abs. 1 S. 1, § 41, § 275 Abs. 1 S. 2, § 338 Nr. 7
OWiG OWiG § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 1 Nr. 2
BKatV BKatV § 4 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Eine die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen sperrende Bekanntgabe durch Hinausgabe eines sog. ‚Protokollurteils’ liegt wegen des Fehlens einer gemäß § 36 I 1 StPO richterlich angeordneten und deshalb unwirksamen Zustellung nicht vor, wenn das ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommene Urteil von der Geschäftsstelle ohne Anordnung des Richters bekannt gegeben worden ist. (Rn. 4)

Gründe

Die gem. § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben.
1. Soweit mit der Verfahrensrüge die Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. des rechtlichen Gehörs beanstandet wird, ist die Rüge unbegründet, wobei dahin stehen kann, ob mit dem Antrag „zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hat und allenfalls mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren ist“, auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung mangels einer bestimmten Beweisbehauptung in Gestalt des von der Verteidigung erhofften Beweisziels überhaupt von einem wirksamen Beweisantrag oder nur von einem sog. Beweisermittlungsantrag auszugehen ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24.01.2017 – 2 StR 509/16 = NStZ 2017, 300; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.03.2017 – 3 Ss OWi 264/17 = StraFo 2017, 156 m. Anm. Rinklin, jurisPR-StrafR 9/2017 Anm. 4 und zuletzt v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17, jeweils m.w.N.). Denn durch die im Einzelfall nicht ausschließbare bauartbedingte Berücksichtigung von Messpunkten und die hierdurch bedingte Generierung von Rohmessdaten mit außerhalb des Messbereichs liegenden Ortskoordinaten bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScanSpeed wird die (unveränderte) Gültigkeit der innerstaatlichen Bauartzulassung zur Eichung und damit die Einordnung des vorgenannten Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts als sog. ‚standardisiertes‘ Messverfahren i.S.d. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291; 43/277; vgl. u.a. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/13 = DAR 2014, 38 = OLGSt StPO § 261 Nr. 21) nicht in Frage gestellt (vgl. u.a. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.01.2017 – 1 OWi 1 Ss BS 53/16 = ZfS 2017, 172 = DAR 2017, 211 und 21.04.2017 – 1 OWi 2 SsBs 18/17 = ZfS 2017, 350; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 21.04.2017 – Ss Rs 13/2017 [bei juris]; KG, Beschluss vom 21.06.2017 – 162 Ss 90/17 [bei juris]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2017 – 1 Ss [OWi] 115/17 [bei juris]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2017 – 8 Ss 246/17 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschluss vom vom 24.07.2017 – 3 Ss OWi 976/17 [bei juris]).
2. Aber auch die Überprüfung des Urteils auf die (unausgeführte) Sachrüge deckt weder im Schuldspruch noch im Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf. Die Feststellungen des AG tragen sowohl den Schuldspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht als auch die daran anknüpfende Rechtsfolgenbemessung.
a) Mangels einer gemäß § 36 I 1 StPO aktenkundigen richterlich verfügten und deshalb ohne weiteres unwirksamen förmlichen Zustellung i.S.v. § 41 StPO (vgl. nur BGH, Beschluss vom 06.03.2014 – 4 StR 553/13 = NJW 2014, 1686 = wistra 2014, 277 = BGHR StPO § 36 I S. 1 Anordnung 2 = StV 2015, 738 und schon BGH NStZ 1986, 230; ferner Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 36 Rn. 2, 7, jeweils m.w.N.) hat […] insbesondere kein sog ‚Protokollurteil‘ den inneren Dienstbereich mit der Folge verlassen, dass die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen als unzulässig anzusehen wäre. Vielmehr erfolgte die unter dem 08.03.2017 verfügte und am 10.03.2017 ‚bewirkte‘ Aktenzustellung „gem. § 41 StPO“ an die StA durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und gerade nicht durch die erkennende Richterin, weshalb nicht von einer vorbehaltlosen urschriftlichen Bekanntgabe im Wege der Zustellung eines entgegen § 71 I OWiG i.V.m. § 267 StPO ohne Urteilsgründe abgefassten ‚Protokollurteils’ auszugehen ist (zur Frage der Zulässigkeit eines sog. ‚Protokollurteils‘ rechtsgrundsätzlich neben BGH, Beschluss vom 08.05.2013 – 4 StR 336/12 = BGHSt 58, 243 = DAR 2013, 477 = NJW 2013, 2837 = NZV 2013, 557 = NStZ 2013, 730 schon OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2008 – 3 Ss OWi 1060/08 [bei Juris] = BeckRS 2009, 3920 = ZfS 2009, 175 ff.; ferner u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.01.2009 – 3 Ss OWi 1610/08 = ZfS 2009, 448; 27.12.2011 – 3 Ss OWi 1550/11; 22.02.2012 – 3 Ss OWi 200/12; 26.06.2013 – 3 Ss OWi 754/13; 02.07.2014 – 2 Ss OWi 625/14; 03.07.2015 – 3 Ss OWi 774/15; 08.01.2016 – 3 Ss OWi 1546/2015 und 06.06.2016 – 3 Ss OWi 646/16 = StraFo 2016, 385, jeweils m.w.N.; siehe auch OLG Saarbrücken, Beschluss vom 06.09.2016 – Ss Bs 53/16 [bei juris]). Mangels Zustellung durften deshalb nach Eingang der Rechtsbeschwerde des Betr. am 13.03.2017 gem. § 275 I StPO i.V.m. §§ 46 I, 71 I OWiG die schriftlichen Urteilsgründe nachträglich zu den Akten gebracht werden. Eine ggf. notwendige verfahrensrechtliche Beanstandung der verspäteten Urteilsabsetzung gem. §§ 338 Nr. 7, 275 I Satz 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG (zu den Begründungsanforderungen vgl. u.a. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.03.2014 – Ss [B] 18/14 = VRS 126 [2014], 203 m.w.N.) ist von der Rechtsbeschwerde nicht erhoben worden.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern. In Übereinstimmung mit der st.Rspr. des Rechtsbeschwerdegerichts hat das AG mit zutreffender Begründung neben der Verdoppelung der Regelgeldbuße die Notwendigkeit des Fahrverbots mit einem beharrlichen Pflichtenverstoß in einem Regelfall im Sinne von § 25 I Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 II 2 BKatV begründet (vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 [bei juris] m.w.N.) und keine Veranlassung gesehen, etwa mit Blick auf das rechtsstaatliche Übermaßverbot (zu den insoweit bestehenden Anforderungen an die Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung des Gerichts einerseits und die Substantiierungsobliegenheiten des Betr. bzw. seiner Verteidigung andererseits vgl. neben OLG Bamberg, Beschluss vom 22.04.2013 – 2 Ss OWi 339/13 = OLGSt StVG § 25 Nr. 55 = NZV 2014, 98 = VRR 2013, 310 [Deutscher] u.a. OLG Koblenz, Beschluss vom 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14 = BA 51 [2014], 353 und 26.06.2015 – 2 OWi 3 SsBs 32/15 [bei juris] sowie KG, Beschluss vom 12.03.2012 – 162 Ss 310/11 = VRS 123 [2012], 64, jew. m.w.N.), von dem verwirkten Fahrverbot abzusehen. […]


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