Strafrecht

Fortdauer sehr langer Untersuchungshaft bei vorübergehender Überlastung der Strafkammer

Aktenzeichen  2 Ws 1108/20 H

Datum:
28.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40921
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 121 Abs. 1, Abs. 2, § 122 Abs. 4

 

Leitsatz

Auch wenn seit der nach fast sechs Monaten Untersuchungshaft erfolgten Anklageerhebung nach weiteren vier Monaten über die Eröffnung des Haupt-verfahrens noch nicht entschieden worden ist und der für den Fall der Eröffnung vorgesehene Beginn der Hauptverhandlung mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Untersuchungshaft liegen wird, kann deren Fortdauer gleichwohl angesichts einer einmaligen und vorübergehenden Überlastung der Strafkammer gerechtfertigt sein (Beschluss später aufgehoben durch Beschluss des BVerfG vom 03.02.2021 = BeckRS 2021, 1240). (Rn. 6 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeschuldigten S… D… wird angeordnet.
II. Die Haftprufung für die nächsten drei Monate wird dem Landgericht München II – 1. Strafkammer – übertragen.

Gründe

Der Senat hat erneut gemäß §§ 121, 122 Abs. 4 StPO zu prüfen, ob die Untersuchungshaft gegen den Angeschuldigten weiter vollzogen werden darf. Denn seit der letzten Uberprufungsentscheidung des Senats vom 16.07.2020, Az. 2 Ws 769/20 H, befindet sich der Angeschuldigte nunmehr seit 16.10.2020 über weitere drei Monate hinaus in Untersuchungshaft. Auf die Haftdaten und die Fristberechnung in dem vorgenannten Senatsbeschluss wird Bezug genommen. Darüber hinaus hat das Landgericht München II mit Beschluss vom 08.09.2020 nach Haftprufungsantrag des Angeschuldigten mit Schriftsatz des Verteidigers vom 27.08.2020 die Haftfortdauer angeordnet.
Die Prüfung des Senats hat ergeben, dass die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gerechtfertigt ist, weil auch seit der letzten Haftprüfungsentscheidung des Senats ein Urteil noch nicht ergehen konnte, der dringende Tatverdacht und der Haftgrund der Fluchtgefahr unverändert fortbestehen und weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO nach wie vor nicht in Betracht kommen. Die Voraussetzungen des § 112 StPO sind hinsichtlich des Angeschuldigten weiterhin gegeben.
Zum dringenden Tatverdacht und dem Haftgrund der Fluchtgefahr nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 16.07.2020, die weiter gelten.
Die Haftfortdauer steht bei dem Angeschuldigten nach wie vor nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe und der Bedeutung der Sache Für die dem Angeschuldigten vorgeworfene Tat der besonders schweren Brandstiftung sieht das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vor.
Haftverschonende Maßnahmen nach § 116 StPO kommen auch jetzt nicht in Betracht.
Gegen das in Haftsachen besonders zu beachtende Beschleunigungsgebot (Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 HS 2 MRK, § 121 Abs. 1 StPO) wurde weiterhin nicht verstoßen. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Angeschuldigten, der sich nunmehr weitere 3 Monate in Untersuchungshaft befindet, ohne dass ein Urteil ergangen ist, mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates vergrößert hat und daher die Anforderungen an die Zugigkeit der Bearbeitung des Verfahrens nunmehr strenger sind als bei der vorangegangenen Haftprüfung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.09.2001, NJW 2002, 207), ist die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft weiterhin gerechtfertigt.
Das Verfahren wurde seit der letzten Entscheidung des Senats angemessen gefordert. Die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Nachermittlungen gingen am 07.07.2020 und das toxikologische Gutachten vom 06.07.2020 am 09.07.2020 bei der Staatsanwaltschaft ein. Ab dem 29.07.2020 versuchte das Gericht Terminsabsprachen mit den Verteidigern und dem psychiatrischen Gutachter zu treffen Vollständige Ruckmeldungen erhielt es bis zum 10.08.2020 Mit Schreiben vom selben Tag bat es um Reservierung von Terminen für eine mögliche Hauptverhandlung im Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens ab dem 17.02.2021 Schließlich entschied das Gericht am 08.09.2020 über den Antrag des Angeschuldigten auf Haftprufung und ordnete Haftfortdauer an. Weitere Entscheidungen betrafen die Anhaltung und Beschlagnahme von Briefen des Angeschuldigten und die Pflichtverteidigung.
Zwar übersteigen der Zeitraum, in dem die Kammer nunmehr die Eröffnung der Hauptverhandlung prüft und der avisierte Zeitpunkt der Hauptverhandlung ab dem 17.02.2021 den üblichen vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig für ausreichend erachteten Zeitraum seit Anklageerhebung für die Prüfung und Verhandlung einer Strafsache Diese Verzögerung ergibt sich jedoch aus der einmaligen und vorübergehenden Belastung der 2. Strafkammer des Landgerichts München II mit einem Großverfahren, das diese seit dem 16.09.2020 und im gesamten 4 Quartal 2020 – dem Zeitpunkt, in dem vorbehaltlich der Eröffnung des Hauptverfahrens die vorliegende Sache voraussichtlich hatte verhandelt werden können – in enger Terminsdichte verhandelt Die hierdurch entstandene Überlastung stellt einen anderen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO dar. Sie wurde von der Kammer am 28.09.2020 dem Präsidium des Landgerichts München II angezeigt und durch Präsidiumsbeschluss vom 20.10.2020 festgestellt. Um dieser Überlastung entgegenzuwirken, wurden die vier ältesten nicht eröffneten und nicht terminierten Haftsachen der 2 Strafkammer auf andere Strafkammern des Landgerichts München II umverteilt Hiervon betroffen ist auch vorliegendes Verfahren Die nunmehr zustandige 1. Strafkammer des Landgerichts München II wird nunmehr über die Eröffnung und Terminierung zu entscheiden haben.
Von einem zugigen Fortgang des Verfahrens und dessen zeitnahem Abschluss kann daher ausgegangen werden.
Die Übertragung der weiteren Haftprüfung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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