Strafrecht

Hinreichender Tatverdacht

Aktenzeichen  302 Js 122579/18

Datum:
18.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5252
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Dillingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 203, § 204 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der zur Annahme eines hinreichenden Tatverdachts erforderliche Grad an Wahrscheinlichkeit entspricht nicht einer „Sicherheit“ oder „weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit“, sondern lediglich einer „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ der Verurteilung im Sinne von „51% oder mehr“. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht eine „konstante Beweislage“ zu unterstellen, also zu prüfen, wie eine mutmaßliche Hauptverhandlung ausgehen würde, wenn die in der Akte befindlichen Beweismittel (insbesondere Zeugen, sofern vorhanden) sich nicht weiter verändern. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich Ziffer 1. der Anklageschrift vom 20.12.2018 wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.
2. Die insoweit ausscheidbaren Kosten des Verfahrens notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Im Übrigen wird die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 20.12.2018 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren insoweit vor dem Amtsgericht Dillingen an der Donau – Strafrichter – eröffnet.

Gründe

I.
Mit der Anklageschrift vom 20.12.2018 (Bl. 102/105 d.A.) legt die Staatsanwaltschaft Augsburg dem Angeschuldigten zwei Taten zur Last. Unter Ziffer 1. die Bestellung von 64,40 Gramm Amphetamin und 10,16 Gramm MDMA zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 02.03.2018 über das sogenannte Darknet, in der Absicht, durch den späteren Verkauf dieser Betäubungsmittel Gewinn zu erzielen.
Unter Ziffer 2. der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten vor, im Rahmen einer Durchsuchung seiner Wohnung am 20.07.2018 diverse Kleinmengen verschiedener Betäubungsmittel (Haschisch, Marihuana, Amphetamin, Ecstasy und LSD) unerlaubt besessen zu haben – ebenfalls in der Absicht, durch den späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.
II.
Hinsichtlich des ersten der beiden Tatvorwürfe war die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, da insoweit ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht.
1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich nach § 203 StPO. Das Gericht eröffnet das Hauptverfahren, wenn der Angeschuldigte der ihm zur Last gelegten Tat „hinreichend verdächtig“ ist. Der Grad an Wahrscheinlichkeit entspricht hierbei nicht einer „Sicherheit“ oder
„weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit“, sondern lediglich einer „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ der Verurteilung – im Sinne von „51% oder mehr“ (streitig, so wohl aber herrschende Meinung; zum Sachstand KK-StPO, § 203, Rn. 4 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Im Rahmen der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht eine „konstante Beweislage“ zu unterstellen, also zu prüfen, wie eine mutmaßliche Hauptverhandlung ausgehen würde, wenn die in der Akte befindlichen Beweismittel (insbesondere Zeugen, sofern vorhanden) sich nicht weiter verändern.
2. An diesen Maßstäben orientiert besteht kein hinreichender Tatverdacht, dass der Angeschuldigte die ihm unter Ziffer 1. der Anklageschrift vom 20.12.2018 zur Last gelegte Tat tatsächlich selbst begangen hat. Er selbst bestreitet dies.
a) Der Nachweis eines persönlichen Kontakts zwischen dem Angeschuldigten und dem Versender der abgefangenen Postsendung ergibt sich aus der Akte nicht. Dies ist Betäubungsmittelgeschäften via Darknet in der Regel immanent, ändert jedoch nichts daran, dass insoweit keine Beweismittel aufgefunden wurden. Insbesondere die Auswertung des Telefons des Angeschuldigten ergab keinerlei Hinweise auf den Besuch des Darknets – ja nicht einmal über das Vorhandensein der hierfür notwendigen Software (z.B. TOR-Browser).
Im kriminellen Milieu allgemein und im Rahmen von Betäubungsmitteldelikten im Speziellen ist die Verwendung vom Fremd- und Aliaspersonalien und hierzu gehöriger Adressen keinesfalls unüblich. Auf die Idee, Paketsendungen entsprechend zu bestellen und dann „abzufangen“ kommen entsprechende „Kunden“ häufiger. (siehe hierzu sehr instruktiv etwa Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 09.05.2017 im Verfahren 307 Ls 303 Js 101523/16)
b) Im Rahmen der Durchsuchung bei dem Angeschuldigten wurden auch keinerlei sonstige Dokumente oder Anhaltspunkte dafür aufgefunden, die eine entsprechende Bestellung belegen könnten. Soweit in seiner Wohnung eine „Auflistung mit Bitcoinwährungen“ entdeckt worden sein soll, ist auf zweierlei hinzuweisen:
Zum einen hätte es sich wohl angeboten, diese Auflistung auch sicherzustellen, wenn man sie denn aus ermittlungstaktischer Sicht schon für erwähnenswert hält. Bei der Akte befindet sie sich weder im Original noch in Kopie.
Zum anderen legt die Existenz einer entsprechenden Auflistung keinesfalls Betäubungsmittelgeschäfte nahe. Es sind zahlreiche andere mögliche – legale – Verwendungen denkbar.
Kryptowährungen – zu denen z.B. auch „Bitcoin“ gehört – unterlagen im fraglichen Zeitraum einem regelrechten „Boom“ oder „Goldrausch“. Die Kurse entsprechender Währungen überboten sich binnen kürzester Zeit regelmäßig selbst in immer fantastischere (unrealistische) Höhen, bis es Ende 2018 zum „Crash“ entsprechender Kurse kam. Kryptowährungen können wie Aktien gehandelt werden, aber auch selbst durch Betreiben entsprechender „Mining-Programme“ mittels komplexer Rechenaufgaben, zu deren Lösung man „Arbeitszeit“ eigener Computer zur Verfügung stellen konnte, generiert werden (vergleiche hierzu etwa: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Wertverlustbei-Kryptowaehrungen-Bitcoin-Absturzse tztsichfort-4225809.html)
Viele Online-Dienstleister vom Versandhandel bis zum Softwaremarkt akzeptieren und akzeptierten diverse Kryptowährungen als legales Zahlungsmittel.
c) Auch die Vorahndungen des Angeschuldigten sprechen für sich genommen nicht für eine
Tatbeteiligung. Der Angeschuldigte hat zuletzt wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Bewährungsstrafe erhalten. Die Bewährungszeit hat er allerdings durchstanden, die Strafe wurde erlassen. Allein der Umstand, in der Vergangenheit entsprechende Taten begangen zu haben, lässt nicht den Schluss zu, dass er dies auch erneut tun würde.
d) Auch der ausgewertete Chatverkehr mit der Zeugin G. u.a. lässt nicht den Schluss zu, dass der Angeschuldigte die entsprechende Bestellung getätigt hat.
Insoweit ist zwar zu sehen, dass zwischen dem 27.02.2018 und dem Datum des Abfangs der Betäubungsmittellieferung durch die Kreispolizei Borken ein gewisser zeitlicher Zusammenhang besteht.
Allerdings ist zu beachten, dass der Angeschuldigte (oder jedenfalls irgendjemand über das von ihm genutzte Mobiltelefon) am 02.03.2018 seinerseits an die Zeugin G. schrieb: „Wie ist der Stand eigentlich? Bei mir wird´s langsam janzschön dünne“. Diese Formulierung legt eher nah, dass – wenn überhaupt – der Angeschuldigte seinerseits „etwas“ benötigt haben könnte; auf seine Qualität als potentieller Verkäufer – von was auch immer – lässt der Chatverkehr eher nicht schließen.
Die Zeugin wurde vernommen und bestritt irgendeinen Zusammenhang mit
Betäubungsmittelgeschäften. Sie verweist darauf, dass der Angeschuldigte ihr ab und an Aquaristikbedarf aus dem Internet bestellt habe und sie deshalb in Kontakt standen. Das mag man für eine Schutzbehauptung halten, jedenfalls wurden aber im Rahmen der Durchsuchung in der Wohnung des Angeschuldigten diverse Aquarien nebst Zubehör aufgefunden (siehe Lichtbilder). Dass die Zeugin die Lichtbilder kannte und ihre Aussage hieran ausgerichtet haben könnte, ist nicht ersichtlich. Ihre Angaben insoweit sind daher schwerlich zu widerlegen.
e) Die Eröffnung des Hauptverfahrens bezüglich Ziffer 1. der Anklageschrift war daher gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abzulehnen, da nicht zu erwarten steht, dass insoweit im Rahmen der Hauptverhandlung eine Verurteilung erfolgen würde.
III.
Im übrigen (Ziffer 2. der Anklageschrift) besteht nach Aktenlage zwar ein hinreichender Tatverdacht – auch wenn dieser hinsichtlich einer etwaigen Gewinnerzielungsabsicht nicht unproblematisch ist, da nur verhältnismäßig geringe Mengen Betäubungsmittel gefunden wurde und der Angeschuldigte einräumt, selbst Konsument zu sein. Andererseits wurde eine Feinwaage aufgefunden. Die abschließende Würdigung insoweit muss jedoch der Hauptverhandlung und dem dann hierfür zuständigen Richter vorbehalten bleiben.
Denn über die unter Ziffer 2. der Anklage geschilderte Tat zu befinden hat nicht das angerufene Schöffengericht, §§ 24, 28 GVG. Es liegt kein Verbrechenstatbestand vor. Eine Straferwartung von mehr als zwei Jahren ist offenkundig – selbst unter Berücksichtigung etwaiger Vorahndungen – nicht gegeben.
Insoweit war daher das Hauptverfahren vor dem Strafrichter zu eröffnen, § 25 Nr. 2 GVG, § 209 Abs. 1 StPO.
IV.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 467 StPO.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Augsburg wurde mit Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 19.03.2019 (Az: 1 Qs 118/19) unter vollständiger Bezugnahme auf obige Ausführungen als unbegründet zurückgewiesen.
Das Urteil des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Dillingen vom 09.05.2017 im Verfahren 307 Ls 303 Js 101523/16 liegt ebenfalls in anonymisierter Form bei (hier Seite 7 – 11).


Ähnliche Artikel


Nach oben