Strafrecht

In Vollzugssachen keine wirksame Zustellung an Verteidiger bei fehlender Vollmacht

Aktenzeichen  204 StObWs 547/20

Datum:
13.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3001
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG § 118 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 2, § 138 Abs. 3
StPO § 35, § 37 Abs. 2, § 145a Abs. 1

 

Leitsatz

Eine im Maßregel- oder Strafvollzugsverfahren nach § 35 Abs. 2 StPO, §§ 120 Abs. 1 Satz 2, 138 Abs. 3 StVollzG zu bewirkende Zustellung an den Verteidiger ist gemäß § 145a Abs. 1 StPO, §§ 120 Abs. 1 Satz 2, 138 Abs. 3 StVollzG nur dann wirksam, wenn sich dessen (Empfangs-)Vollmacht bei den Akten befindet. (Rn. 10 – 21)

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Untergebrachten D B gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 4. November 2020 wird als offensichtlich unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 13.8.2020 zeigte Rechtsanwalt S in dem Maßregelvollzugsverfahren des Antragstellers gegen das Bezirkskrankenhaus Straubing die anwaltliche Vertretung des Antragstellers an und beantragte, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.8.2020 aufzuheben und diese zu verpflichten, dem Antragsteller die entnommene „Playstation 2“ wieder zum Besitz in seinem Zimmer auszuhändigen.
Eine vom Antragsteller unterzeichnete Vollmacht legte der Verfahrensbevollmächtigte nicht vor.
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat mit Beschluss vom 4.11.2020 diesen Antrag zurückgewiesen und diesen Beschluss dem Untergebrachten formlos übermittelt sowie seinem Verfahrensbevollmächtigten unter Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung:mit Empfangsbekenntnis am 10.11.2020 zugestellt, wobei jeweils mitgeteilt worden ist, dass „Ihr Verteidiger“ bzw. „Ihr Mandant“ den Beschluss mit gleicher Post erhält.
Der Untergebrachte bat mit handschriftlichem Schreiben vom 9.11.2020, eingegangen beim Amtsgericht Straubing am 11.11.2020, die Strafvollstreckungskammer, ihren Beschluss noch einmal zu überdenken. Die Strafvollstreckungskammer wies mit Verfügung vom 11.11.2020 darauf hin, dass dieses Schreiben als Rechtsbeschwerde ausgelegt werde und beabsichtigt sei, diese dem Rechtsbeschwerdegericht vorzulegen. Andernfalls werde um Klarstellung ersucht.
Daraufhin teilte der Beschwerdeführer mit handschriftlichem Schreiben vom 12.11.2020 mit, dass er hiermit Rechtsbeschwerde einlege.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schreiben vom 14.12.2020, die Rechtsbeschwerde als unzulässig kostenfällig zu verwerfen.
Der Untergebrachte teilte daraufhin mit Schreiben vom 29.12.2020 mit, er habe nicht gewusst, dass nur ein Rechtsanwalt die Möglichkeit habe, Rechtsbeschwerde einzulegen. Und warum soll er noch bestraft (Geld!) werden, wenn ihm dies nicht von Seiten des Gerichts mit einer Rechtsbelehrung erklärt worden sei.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers beantragte mit Schreiben vom 5.1.2021 eingegangen am selben Tag, dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 112 StVollzG zu gewähren und legte mit gleichem Schreiben Rechtsbeschwerde ein.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1 StVollzG) in der nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 3 StVollzG vorgeschriebenen Form mittels einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift eingelegt worden.
1. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde begann bislang nicht zu laufen, da der Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht rechtswirksam zugestellt worden ist.
a) Die am 10.11.2020 bewirkte förmliche Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten des Untergebrachten ist unwirksam, da der Verfahrensbevollmächtigte zur Empfangnahme nicht berechtigt war.
aa) Die Zustellung von Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer im Maßregelvollzugsverfahren richtet sich gemäß § 138 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften der Strafprozessordnung, also nach §§ 35 ff. StPO, sofern diese im Einzelfall passen (vgl. BeckOK-Strafvollzug Bund/Euler, 18. Ed. 1.8.2020, § 120 Rn. 4).
Dies sind zunächst § 35 und auch § 37 Abs. 2 StPO (vgl. KG, StraFo 2006, 431, juris Rn. 9; NStZ 2004, 612, Nr. 30 bei Matzke; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 120 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., § 120 Rn. 4; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kap., Abschn. O – § 120 – Rn. 10; Spaniol, in: Fest/Lesting/Lindemann, 7. Aufl., § 120 StVollzG Rn. 3), so dass der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 4.11.2020 gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO zuzustellen war, wobei sich gemäß § 37 Abs. 2 StPO dann, wenn die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt wird, die Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung richtet.
bb) Die förmliche Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten war nicht geeignet, die Rechtsbeschwerdefrist in Gang zu setzen.
(1.) Allerdings gilt gemäß § 145a Abs. 1 StPO der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, als ermächtigt, Zustellungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen. Wird eine Entscheidung gemäß § 145a Abs. 1 StPO dem Verteidiger zugestellt, so wird gemäß § 145a Abs. 3 StPO der Beschuldigte hiervon unterrichtet; zugleich erhält er formlos eine Abschrift der Entscheidung.
(1.1.) Nach der wohl überwiegend vertretenen Ansicht ist diese Vorschrift über die Verweisung in § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG – jedenfalls, soweit es die Zustellung gerichtlicher Entscheidungen betrifft – auch in Strafvollzugssachen anwendbar (vgl. OLG Celle, NStZ 1990, 428, Nr. 61 bei Bungert; Arloth/Krä, a.a.O., § 120 Rn. 3; Spaniol, in: Fest/Lesting/Lindemann, a.a.O., § 118 StVollzG Rn. 1; so wohl auch OLG Frankfurt, NStZ-RR 2002, 351, juris Rn. 13) und gilt somit über § 138 Abs. 3 StVollzG auch in Maßregelvollzugssachen.
(1.2.) Ein Teil der Kommentarliteratur verhält sich zu dieser Frage überhaupt nicht (vgl. Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. P Rn. 133 f.; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 12. Kap., Abschn. O – § 120 – Rn. 10).
(1.3.) Demgegenüber wird unter Verweis auf die Rechtsprechung des Kammergerichts (BeckRS 2006, 09140) in der Kommentarliteratur vereinzelt die Ansicht vertreten, dass § 145a StPO (Zustellungsvollmacht) im gerichtlichen Verfahren nicht gelte (BeckOK-Strafvollzug Bund/Euler, a.a.O., § 120 Rn. 5). Die dort zitierte Entscheidung des Kammergerichts belegt diese Ansicht aber gerade nicht. Diese Entscheidung verhält sich zunächst zur Frage der Einhaltung der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG für die Anbringung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Anstaltsleiters. Das Kammergericht vertritt die Auffassung, dass die Anstalt den Bescheid anstatt dem Gefangenen allein dessen Verteidigerin zuleiten durfte (mit der Folge, dass die Antragsfrist zwei Wochen nach dem Zugang des Bescheids an die Verteidigerin abgelaufen war). Berechtigter Empfänger eines Bescheids des Anstaltsleiters sei neben dem Gefangenen selbst auch der bevollmächtigte Rechtsanwalt des Gefangenen, der im Vollzugsverfahren die Verteidigerstellung innehat. Hat er sich mit einem Antrag an den Anstaltsleiter gewandt, so genieße er als der sachkundigere Partner, dessen Einschaltung die Waffengleichheit mit der Behörde herstellen soll, im Verwaltungsverfahren den Vorrang. § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO sei bei der Zuleitung eines Bescheids des Anstaltsleiters an den bevollmächtigten Rechtsanwalt des Gefangenen – abgesehen davon, dass es an einer Zustellung fehlt – nicht anwendbar (KG, StraFo 2006, 431 juris Rn. 5 f.). Das Antragsrecht sei verwaltungsprozessual ausgestaltet. § 112 StVollzG sei dem unmittelbar nicht anwendbaren (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG) § 41 VwVfG insoweit nachgebildet, als er die formlose Mitteilung eines Bescheides ausreichen lässt, um eine Frist in Gang zu setzen. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG kann die Bekanntmachung auch gegenüber einem bestellten Bevollmächtigten vorgenommen werden. Der vorrangige Kommunikationspartner der Verwaltungsbehörde sei gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 VwVfG der Bevollmächtigte (KG, StraFo 2006, 431, juris Rn. 7).
Das Kammergericht führte weiter aus, dass es zur Wirksamkeit der Empfangnahme des Bescheids des Anstaltsleiters keiner besonderen schriftlichen Empfangsvollmacht bedurft habe. § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO gehöre ebenfalls nicht zu den nach § 120 Abs. 1 StVollzG entsprechend anwendbaren Vorschriften der Strafprozessordnung, es sei denn die Wirksamkeit einer Zustellung nach § 120 Abs. 1 StVollzG, § 35 Abs. 2, § 37 Abs. 1 StPO stehe in Rede (KG, StraFo 2006, 431, juris Rn. 9).
Das Kammergericht geht somit – jedenfalls obiter dictum – davon aus, dass dann, wenn es – wie vorliegend – auf die Wirksamkeit der Zustellung ankommt, § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO anwendbar ist. Dies entspricht – wie ausgeführt – der wohl überwiegenden Meinung.
(2.) Da sich keine Legitimation der Empfangsbevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers bei den Akten befindet, war die Zustellung an ihn somit nicht geeignet, die Rechtsbeschwerdefrist in Gang zu setzen.
b) Die formlose Übermittlung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer an den Antragsteller persönlich hat den Lauf der Beschwerdefrist ebenfalls nicht ausgelöst. Die Monatsfrist des § 118 Abs. 1 Satz 1 StVollzG beginnt nur zu laufen, wenn eine ordnungsgemäße förmliche Zustellung erfolgt ist (vgl. Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, a.a.O., Abschn. P Rn. 102; Arloth/Krä, a.a.O., § 118 Rn. 3).
c) Mangels förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses hat die Beschwerdefrist somit bislang nicht zu laufen begonnen, so dass sie am 5.1.2021, dem Tag der formgerechten Einlegung der Rechtsbeschwerde durch Anwaltsschreiben auch nicht abgelaufen war.
d) Da die Rechtsbeschwerdefrist nicht versäumt wurde, hat sich der gegen die Versäumung gerichtete Wiedereinsetzungsantrag des Untergebrachten erledigt.
2. Ob die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 138 Abs. 3 i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG) für die Rechtsbeschwerde vorliegen, kann dahinstehen, denn sie ist jedenfalls offensichtlich unbegründet (§ 119 Abs. 3 StVollzG).
a) Allerdings kann der Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dem Beschwerdeführer fehle es an einem Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da er sich mit einem jederzeitigen Widerruf der Genehmigung durch freiwillige Unterschrift einverstanden erklärt habe, nicht gefolgt werden. Auch ein solches Einverständnis nimmt dem Antragsteller nicht das Recht, gegen einen seiner Meinung nach rechtswidrigen Widerruf der Genehmigung um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.
b) Die Strafvollstreckungskammer hat aber rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass sich der Antrag des Beschwerdeführers jedenfalls als unbegründet erweist. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses vom 4.11.2020 Bezug genommen.
Nach Art. 9 Abs. 1 BayMRVG hat die untergebrachte Person das Recht, persönliche Gegenstände im Zimmer aufzubewahren, soweit die Ziele der Unterbringung, die Sicherheit, das geordnete Zusammenleben oder die Übersichtlichkeit des Unterbringungsraums nicht gefährdet werden. Die Einrichtung hat insoweit darauf abgestellt, dass durch den weiteren Besitz der Playstation 2 die Resozialisierung des Untergebrachten gefährdet werde, indem bei ihm ein starker Rückzug in seinem eigenen Zimmer, Ablehnung aller tagesstrukturierenden Angebote und Therapieangebote sowie eine fehlende Bereitschaft zur Integration in die Patientengemeinschaft zu verzeichnen sei. Solange der immer wieder als Begründung herangezogene „chronische Durchfall“ des Patienten sich nicht objektivieren lasse, sehe die Einrichtung keinen Anlass, von der derzeitigen Hausordnung abzuweichen, laut der eine Nutzung einer Playstation in den Patientenzimmern untersagt sei.
Die vom Antragsteller in der ersten Instanz hiergegen vorgebrachten Einwände im Anwaltsschreiben vom 2.11.2020 sind nicht geeignet, diese Begründung der Einrichtung in Frage zu stellen, zumal es dieser unbenommen bleibt, auch nach 17 Jahren Hinnahme eines Rückzugsverhaltens nunmehr einen neuen Versuch zu starten, dem entgegenzuwirken.
Soweit sich der Antragsteller selbst im Schreiben vom 9.11.2020 dezidiert zu seinen gesundheitlichen Beschwerden als Grund für sein Rückzugsverhalten äußert, ist dieses erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer dort eingegangen und konnte somit von dieser nicht mehr berücksichtigt werden. Es bleibt ihm aber unbenommen, erneut bei der Einrichtung einen Antrag auf Aushändigung der Playstation unter Angabe dieser Gründe im Einzelnen zu stellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
Die Entscheidung zum Beschwerdewert beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.


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