Strafrecht

Internationale Rechtshilfe: Erlass eines weiteren (ohne Auflagen außer Vollzug zu setzenden) Haftbefehls gegen ausgelieferte Person trotz zu beachtenden Grundsatzes der Spezialität möglich

Aktenzeichen  1 Ws 475/19

Datum:
24.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41178
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EuAuslfÜbk Art. 12 Abs. 2 lit. a, Art. 14 Abs. 1 lit. a
IRG § 83h
StPO § 116 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Nr. 2, § 310 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Der im Anwendungsbereich des EuAlÜbk nach Auslieferung eines Beschuldigten an die deutschen Behörden in anderer Sache von diesen zu beachtende Grundsatz der Spezialität nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk steht dem Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten nicht entgegen. Der Haftbefehl ist allerdings gemäß § 116 Abs. 1 StPO ohne Auflagen außer Vollzug zu setzen (Anschluss an OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.03.2015 – 2 Ws 14/15 = StV 2015, 361 = OLGSt IRG § 83h Nr. 3). (Rn. 6 – 9)

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25.07.2019 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 02.01.2019 außer Vollzug gesetzt wird.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.
Am 02.01.2019 hat das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls erlassen. Mit Schriftsätzen seines Verteidigers vom 21.06.2019, 24.06.2019 und 22.07.2019 legte er Beschwerde gegen den Haftbefehl ein und begründete diese. Mit Beschluss vom 25.07.2019 hat das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 02.01.2019 als unbegründet verworfen. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer mit Anwaltsschreiben vom 19.08.2019 „Beschwerde zum zuständigen OLG“ eingelegt. Er bringt im Wesentlichen vor, dass kein dringender Tatverdacht bestünde, weil ein ihn belastendes DNA-Gutachten nicht verwertet werden dürfe, dass keine Fluchtgefahr bestehe, weil er bei seinem Bruder wohnen könne und dass das Amtsgericht mit dem Erlass des Haftbefehls gegen den Grundsatz der Spezialität verstoßen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 21.06.2019, 24.06.2019, 22.07.2019 und 19.08.2019 verwiesen.
Der Beschwerdeführer wurde am 10.11.2017 – unter der Bedingung der Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität – in einem weiteren Ermittlungsverfahren von den albanischen Behörden an die Staatsanwaltschaft überstellt. Er hat hierbei weder auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet, noch haben die zuständigen Behörden der Republik Albanien (bislang) ihre nachträgliche Zustimmung zur Verfolgung der Tat, die dem Haftbefehl vom 02.01.2019 zugrunde liegt, erteilt. Ein entsprechendes Verfahren zur Erteilung der nachträglichen Zustimmung ist eingeleitet aber noch nicht abgeschlossen. Ein Ersuchen der deutschen Behörden um nachträgliche Zustimmung zur Vollstreckung einer durch das Landgericht C. (in einem dritten Verfahren) verhängten Haftstrafe von 3 Jahren wurde vom zuständigen albanischen Gericht mit Entscheidung vom 23.04.2019 abgelehnt. Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit in der JVA L. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 7 Monaten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls und versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls in 2 Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung aus dem Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – vom 03.05.2018, rechtskräftig seit 15.05.2018. Das Ende der Strafhaft ist für den 06.02.2020 vorgemerkt. Für das vorliegende Verfahren ist keine Überhaft notiert. Zum Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 06.09.2019, in dem diese beantragte, die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25.07.2019 als unbegründet zu verwerfen, äußerte sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.09.2019.
II.
Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist als weitere Haftbeschwerde gemäß §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1, 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässig und hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
1. Allerdings ist der Beschwerdeführer des im Haftbefehl des Amtsgerichts vom 02.01.2019 beschriebenen Wohnungseinbruchsdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) vom 10.02.2016 dringend tatverdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der dringende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer ergibt sich insbesondere aus der am Tatort gesicherten DNA-Spur, welche mit der Wahrscheinlichkeit von 1:728 Milliarden dem Beschwerdeführer als Mitverursacher zuzurechnen ist. Die molekulargenetische Untersuchung dessen Körperzellen wurde durch Beschluss des Amtsgerichts vom 22.01.2018 in dem Verfahren angeordnet, in dem die Überstellung des Beschwerdeführers erfolgt ist. Ein Verwertungsverbot der im dortigen Verfahren erlangten Erkenntnisse für ein weiteres Strafverfahren ist nicht ersichtlich.
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat im Falle seiner Verurteilung, ausgehend von einem Regelstrafrahmen, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht (§ 244 Abs. 1 StGB), mit einer empfindlichen Haftstrafe zu rechnen. Dies gilt auch dann, wenn ihm nach Vollverbüßung der Strafe aus dem Verfahren, in dem seine Überstellung erfolgt ist, wegen der dann nicht mehr möglichen Bildung einer Gesamtstrafe, nach § 55 StGB ein Härteausgleich gewährt werden müsste. Dem aus der erheblichen Straferwartung erwachsenen Fluchtanreiz stehen keine erkennbaren Bindungen gegenüber. Der Beschwerdeführer ist kosovarischer Staatsangehöriger, hat im Inland keinen Lebensmittelpunkt und verfügt – ungeachtet der Frage, ob er überhaupt bei seinem Bruder Wohnung nehmen könnte – über keine sonstigen sozialen Bindungen. Des Weiteren ist er bestandskräftig ausreisepflichtig. Bei Würdigung der genannten Umstände besteht die naheliegende Gefahr, dass er sich dem Strafverfahren insbesondere durch Flucht in sein Heimatland entziehen wird.
3. Der Grundsatz der Spezialität steht dem Erlass eines Haftbefehls nicht entgegen.
a) Allerdings folgt dies nicht aus den vom Landgericht in Bezug genommenen Vorschriften (Art. 27 Abs. 2 RbEuHB; § 83h IRG) und den hierzu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. § 83h IRG, der Art. 27 Abs. 2 RbEuHB in nationales Recht transferiert, ist von vorneherein nur auf die Fälle anwendbar, in denen eine Person von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurde. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da es sich bei der Republik Albanien nicht um ein Mitglied der Europäischen Union handelt. Im Verhältnis zur Republik Albanien ist vielmehr das EuAuslfÜbk (BGBl. II 1964, 1369) die für Auslieferungen maßgebliche Rechtsgrundlage (BGBl II 1998, 2749).
b) Allerdings ergibt sich direkt aus Art. 14, 12 EuAuslfÜbk, dass der Grundsatz der Spezialität dem Erlass eines Haftbefehls nicht entgegensteht. Nach Art. 14 Abs. 1 EuAuslfÜbk darf der Ausgelieferte wegen einer anderen, vor der Übergabe begangen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur verfolgt oder einer Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden, wenn der Staat, welcher ihn ausgeliefert hat, zustimmt. Zur Erlangung der Zustimmung ist an diesen Staat ein Ersuchen unter Beifügung der in Art. 12 EuAuslfÜbk erwähnten Unterlagen beizufügen (Art. 14 Abs. 1 lit a EuAuslfÜbk), also u.a. die Urschrift oder beglaubigte Abschrift eines vollstreckbaren verurteilenden Erkenntnisses, eines Haftbefehls oder jeder anderen nach den Formvorschriften des ersuchenden Staates ausgestellten Urkunde mit gleicher Rechtswirkung (Art. 12 Abs. 2 lit a) EuAuslfÜbk). Liegt – wie hier – noch kein rechtskräftig verurteilendes Erkenntnis vor, ist der Erlass eines Haftbefehls somit zwingende Voraussetzung für die Erteilung der Zustimmung des ersuchten Staats zur Verfolgung der wegen anderer Straftaten ausgelieferten Person. Sollen die Vorschriften der Art. 12, 14 Abs. 1 lit a) EuAuslfÜbk, wonach auch nachträglich die Zustimmung des ersuchten Staats zur Strafverfolgung erteilt werden kann, nicht ihren Sinn verlieren, ist aus ihrem Zusammenspiel zu folgern, dass staatliche Maßnahmen, die auf die Herbeiführung der Zustimmung gerichtet sind, nicht ihrerseits eine unzulässige Strafverfolgungsmaßnahme darstellen können.
4. Der Haftbefehl ist allerdings zwingend (und ohne Auflagen) außer Vollzug zu setzen (§ 116 Abs. 1 StPO), da bis zur Erteilung der Zustimmung des ersuchten Staates sein einzig legitimer Zweck, nämlich Grundlage eines Ersuchens nach Art. 12, 14 EuAuslfÜbk zu sein, bereits durch seine bloße Existenz erreicht wird. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung darf ein Haftbefehl nicht vollstreckt und es dürfen keine sonstigen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen auf seiner Grundlage durchgeführt werden, solange die Zustimmung des ersuchten Staates zur Strafverfolgung nicht vorliegt. Eine unzulässige Strafverfolgung wäre jede Vollstreckung des Haftbefehls, auch in Form der Überhaft, da diese nicht nur die Anordnung von Haftvollzug unter einer aufschiebenden Bedingung beinhaltet, sondern diese schon als solche mit Grundrechtseinschränkungen verbunden ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.03.2015 – 2 Ws 14/15 m.w.N. = StV 2015, 361 = OLGSt IRG § 83h Nr 3). Derjenige, der Strafhaft unter den Bedingungen der Notierung von Überhaft verbüßt, unterliegt regelmäßig der Gefahr zusätzlicher Freiheitsbeschränkungen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert und die beim Vollzug der Strafhaft nicht zulässig wären (OLG Stuttgart a.a.O.). Nur durch die Außervollzugsetzung des Haftbefehls kann somit dem aus Art. 14 Abs. 1 EuAuslfÜbk folgenden Verbot der Strafverfolgung oder der Beschränkung der persönlichen Freiheit entsprochen werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Trotz des geringfügigen Teilerfolgs des Beschwerdeführers erscheint es – insbesondere angesichts des Umstands, dass der Haftbefehl faktisch schon bisher nicht vollzogen wurde – nicht unbillig, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).


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