Strafrecht

Kein Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen rechtmäßig ergangener Ausweisungsverfügung

Aktenzeichen  19 CS 16.2376

Datum:
24.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1, § 55 Abs. 2 Nr. 2, 3, § 81 Abs. 4, § 84 Abs. 1 Nr. 1
GG GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 6 Abs. 1, Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 S. 1
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
StGB StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Wird der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Sperrwirkung einer gleichzeitig verfügten Ausweisung abgelehnt, ist es angesichts der Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unerlässlich, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Versagung der Aufenthaltserlaubnis die Ausweisungsverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Bestehen eines schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 AufenthG kommt es auf den tatsächlichen Besitz des jeweiligen Aufenthaltstitels an; eine wegen eines Verlängerungsantrags erteilte Fiktionsbescheinigung reicht nicht aus. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 S 16.73 2016-11-07 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, gegen die Abschiebungsanordnung aus der Haft heraus und gegen die Abschiebungsandrohung (Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2015) nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist nicht begründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Der Antragsteller rügt mit seiner Beschwerde, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die im Bescheid vom 18. Dezember 2015 ebenfalls verfügte, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inzident zu prüfende Ausweisung rechtmäßig erfolgt und die begehrte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis deshalb nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu versagen sei, denn die Vorbelastungen des Antragstellers rechtfertigten die Ausweisung nicht; er sei vielfach wegen Straftaten im Bagatellbereich verurteilt worden. Die verbüßte Freiheitsstrafe habe nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Er habe weiterhin Kontakt zu seinen deutschen Kindern, so dass ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG anzuerkennen sei. Auch sei ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 gegeben, da er über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge und sich seit mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik aufhalte.
Diese Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner inzident vorgenommenen Prüfung der Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung (a) zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass diese nicht zu beanstanden sein wird (b).
a) Da für die Auslösung der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AufenthG bereits die Wirksamkeit der Ausweisung ausreicht, hat das Verwaltungsgericht im Rahmen des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis eine Überprüfung der Ausweisungsverfügung vorgenommen. Wird der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG einer gleichzeitig verfügten Ausweisung abgelehnt, so hat dies zur Folge, dass aufgrund des Entfallens der aufschiebenden Wirkung nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG insoweit auch die Ausweisungsverfügung mittelbar vollzogen wird. Unerlässlich ist es deshalb, um den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu genügen, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Versagung der Aufenthaltserlaubnis die Ausweisungsverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2015 – 10 CS 14.2656 – juris Rn. 22 m.w.N.).
b) Das Beschwerdevorbringen, mit dem der Antragsteller geltend macht, die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis sei rechtswidrig, weil wegen der Fehlerhaftigkeit der Ausweisung § 11 Abs. 1 AufenthG nicht anwendbar sei, rechtfertigt nicht die Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
aa) Das Verwaltungsgericht hat mit überzeugender Begründung festgestellt, dass die nach § 53 Abs. 1 AufenthG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Neufassung (des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl I S. 1886, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 11.3.2016, BGBl I S. 394) vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beim Antragsteller auch aktuell noch gegeben ist, weil die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er weiterhin schwerwiegende, vor allem (auch) gegen die körperliche Unversehrtheit und damit ein besonders bedeutsames Schutzgut (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gerichtete Straftaten begehen wird. Das Verwaltungsgericht hat bei dieser Prognose die besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Umstände der Begehung der Straftaten, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt berücksichtigt.
Der Antragsteller hat während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik seit 2004 zahlreiche, vielfältige und wiederholt nicht nur geringfügige Straftaten bei hoher Rückfallgeschwindigkeit begangen, dabei auch die körperliche Unversehrtheit anderer Personen, insbesondere die seines entwicklungsverzögerten Sohnes und somit Schutzbefohlenen, vorsätzlich verletzt und ist insoweit auch als Wiederholungstäter und Bewährungsversager anzusehen. Am 19. Februar 2004 wurde er wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 15 Euro verurteilt; dem schloss sich am 22. Juli 2005 eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 30 Euro wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis an. Am 21. Februar 2006 wurde er wegen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (als Bewährungszeit sind 3 Jahre festgesetzt worden, die im weiteren Verlauf verlängert worden sind, bis schließlich die Strafaussetzung widerrufen werden und der Antragsteller vom 3.12.2008 bis 14.1.2009 in Haft genommen werden musste; der Verurteilung lagen Faustschläge und zugefügte Bissverletzungen zugrunde). Am 22. August 2006 folgte eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu 25 Euro wegen Erschleichens von Leistungen. Am 25. Januar 2007 wurde der Antragsteller wegen Freiheitsberaubung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 20 Euro verurteilt; nachträglich wurde am 27. Februar 2008 mit der Entscheidung vom 22. August 2006 eine Gesamtstrafe von 105 Tagessätzen zu 20 Euro gebildet. Am 12. Juni 2008 wurde der Antragsteller wegen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt; der Strafrest wurde nach Verbüßung von zwei Dritteln am 25. Oktober 2011 zur Bewährung ausgesetzt. Dem folgte am 1. Dezember 2008 eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 Euro und am 25. Mai 2009 eine Verurteilung wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Nach einer weiteren Verurteilung am 19. April 2010 wegen Erschleichens von Leistungen folgte am 5. Februar 2013 die Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung des Sohnes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Am 19. Februar 2014 wurde der Antragsteller wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt; der Verurteilung lag ein Faustschlag ins Gesicht im Rahmen einer zunächst verbalen Auseinandersetzung mit dem Geschädigten (Hausmeister der Mietwohnung des Antragstellers) zugrunde. Eine Strafaussetzung zur Bewährung kam ausweislich des Urteils wegen deutlich negativer Sozialprognose und Bewährungsversagens nicht in Betracht. Der Antragsteller befand sich vom 12. März 2014 bis zum 7. März 2016 erneut in Strafhaft. Während der Strafhaft hat sich der Antragsteller gegenüber einem Mitgefangenen wegen Beleidigung durch Anspucken strafbar gemacht, abgeurteilt am 23. März 2016 mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 10 Euro.
Der Antragsteller ist damit seit 2004 fortlaufend strafrechtlich in Erscheinung getreten, und zwar nicht nur – wie in der Beschwerde vorgetragen – mit Straftaten im Bagatellbereich, sondern vor allem wiederholt mit vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten. Bereits mit der am 19. Februar 2014 abgeurteilten Straftat hat der Antragsteller ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und – nach der seit dem 17. März 2016 geltenden Rechtslage (vgl. G.v. 11.3.2016, BGBl 2016 I, S. 394) – auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG begründet. Der Vollzug vorangegangener Freiheitsstrafen oder eine laufende Bewährung haben ihn nicht von der Begehung weiterer Körperverletzungsdelikte abhalten können. Das ungehemmte Aggressionspotential des Antragstellers belegt, dass der Antragsteller dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), das innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes einen besonderen Platz einnimmt, nicht die erforderliche Bedeutung beimisst.
Der Antragsteller trägt vor, er habe seit der Haftentlassung vom März 2016 keine Straftaten mehr begangen und sich gewandelt. Dies ist nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu widerlegen. Dass ihn entgegen des Beschwerdevorbringens auch die letzte Strafhaft nicht nachhaltig beeindruckt oder geläutert hat, belegt zunächst die erneute Straffälligkeit wegen Beleidigung gegen Ende der Haftzeit. Hinzu kommt, dass der Antragsteller seine Strafe voll verbüßen musste. Wäre dem Kläger eine Aussetzung eines Strafrests gewährt worden, hätte dies zumindest bedeutet, dass im Rahmen der Strafvollstreckung von einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ eines Resozialisierungserfolgs in der Bewährungszeit ausgegangen worden ist. Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung kann die Aussetzung des Strafrestes „verantwortet werden“ im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit, eine „reale Chance“ für den Erfolg spricht; eine Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung, also eine Unwahrscheinlichkeit neuer Straftaten muss demgegenüber nicht unbedingt gegeben sein vgl. BGH, U.v. 28.06.2000 – 3 StR 156/00 – NStZ-RR 2001,15, juris Rn. 18 sowie BayObLG, U.v. 05.09.2002 – 5 St RR 224/2002 – NStZ-RR 2003, 105, juris Rn. 9 ff.; eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ der Bewährung in Freiheit wird nicht gefordert, vgl. Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 57 Rn. 14 ff. und Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 57 Rn. 14). Nachdem der Antragsteller eine solche Strafaussetzung nicht erhalten hat, ist im Rahmen der Strafvollstreckung weder von einer Wahrscheinlichkeit der Resozialisierung noch von einer diesbezüglichen realen Chance ausgegangen worden.
Schließlich ist nicht zu verkennen, dass der Antragsteller auch nach der Haftentlassung unter dem Druck des noch offenen Ausweisungsverfahrens steht. Eine drohende Ausweisung erzeugt im allgemeinen und insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht. Dies entspricht nicht nur der Erfahrung des Senats. In Fällen, in denen therapeutische/psychologische Stellungnahmen zur Rückfall-Thematik vorliegen, wird häufig die erhebliche Beeindruckung durch eine bevorstehende Ausweisung beschrieben (vgl. beispielsweise S. 26 des Senatsbeschlusses vom 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris). Hierzu trägt auch der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist noch nicht ergangen, so dass der Antragsteller deswegen auch jetzt noch unter einem besonderen Legalbewährungsdruck steht. Demzufolge ist das Legalverhalten des Antragstellers nach der Haftentlassung für die ausweisungsrechtliche Prognose zwar heranzuziehen, jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil es nicht ohne weiteres auf ein straffreies Leben nach dem Abschluss des Ausweisungsverfahren schließen lässt. Insgesamt liegen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Antragsteller mit seiner erheblichen kriminellen Vergangenheit tatsächlich ernsthaft auseinandersetzt und es bei ihm nach Verbüßung der Freiheitsstrafe zu einem ernsthaften und nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist. In der Gesamtschau kommt den günstigen Prognoseaspekten lediglich ein geringes, die negativen Prognosekriterien nicht überwiegendes Gewicht zu.
bb) Soweit sich der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wegen seiner beiden deutschen Kinder beruft, bleibt der Vortrag betreffend Kontakte zu seinen Kindern unsubstantiiert und pauschal. Es kann somit nicht von einer gelebten Wahrnehmung der Personensorge und eines Umgangsrechtes ausgegangen werden. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der Antragsteller zum älteren Sohn, der Opfer des 2013 abgeurteilten Körperverletzungsdelikts war, keinen Umgangskontakt hat und zu dem jüngeren Sohn, bei dem eine Vaterschaftsanfechtung seitens der Kindsmutter angekündigt wurde, keinen Kontakt hat, sind nicht in Zweifel gezogen. Dementsprechend widerspricht es nicht dem Wohl der Kinder und ist es dem Antragsteller zuzumuten, den Kontakt künftig von dem Heimatland aus, in dem der Antragsteller seine wesentliche Prägung erfahren hat, durch Briefe oder digitale Medien aufrecht zu erhalten.
Es kommt hinzu, dass selbst bei Vorliegen eines schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sich unter Berücksichtigung der Vielzahl an Straftaten, der Rückfallgeschwindigkeit und des Bewährungsversagens des Antragstellers die Ausweisung auch im Licht von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK als verhältnismäßig erweisen würde. Durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Belange setzen sich bei der einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers auch dann nicht zwangsläufig durch, wenn sie gewichtig sind (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.4.2015 – 10 ZB 14.2534 – juris Rn. 9 m.w.N.). Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nämlich nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Vorliegend käme dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse das höhere Gewicht gegenüber einem schwerwiegenden Bleibeinteresse zu.
Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse ist auch nicht aus § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ableitbar. Der Antragsteller vermag nicht mit seinem Beschwerdevorbringen durchzudringen, er sei aufgrund der am 24. Juli 2006 beantragten Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wegen der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und halte sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet auf. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG fordert den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Eine im Hinblick auf den Verlängerungsantrag eines Aufenthaltstitels erteilte Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AufenthG steht dem nicht gleich (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2011 – 19 B 10.1631 – juris Rn. 40 ff.; U.v. 4.2.2009 – 19 B 08.2774 – juris Rn. 41; OVG Saarl, B.v. 27.8.2014 – 2 D 282/14 – juris Rn. 5; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 55 AufenthG, Rn. 6; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 55 AufenthG, Rn. 30, dessen Meinung, der in § 55 Abs. 3 AufenthG enthaltene Verweis auf Absatz 2 sei als Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu werten, vgl. § 55 AufenthG Rn. 41 nicht überzeugt). Sinn und Zweck der Fiktionswirkung sowie die erforderliche Differenzierung zwischen Rechtmäßigkeit eines Aufenthalts und Titelbesitz sprechen dafür, dass der Fiktionswirkung nur eine besitzstandswahrende, aber nicht eine rechtsbegründende Wirkung zukommen soll (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C-6/09 –, BVerwGE 136, 211 bis 222, Rn. 21). Für das Bestehen eines schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 AufenthG kommt es danach auf den tatsächlichen Besitz des jeweiligen Aufenthaltstitels an. Der Senat hat diese Frage im Hinblick auf einen Ausweisungsschutz in mehreren Entscheidungen in dem Sinne beantwortet, dass die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG dem tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleich steht (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2011, a.a.O., U.v. 4.2.2009, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert wird.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG.


Ähnliche Artikel


Nach oben