Strafrecht

Kein Erfordernis zur Pflichtverteidigerbestellung bei unmittelbar folgender Einstellung des Verfahrens

Aktenzeichen  22 Ds 13 Js 16532/20

Datum:
8.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1044
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 141 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 154 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Wird ein Verfahren – entsprechend den Anträgen der Staatsanwaltschaft und des Wahlverteidigers – gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, bedarf es der zugleich beantragten Beiordnung des Verteidigers als Pflichtverteidiger nicht, da das Recht zur Verteidigung des Angeschuldigten durch den Freiheitsentzug nicht beschnitten wird und auch keine weiteren Untersuchungshandlungen vorzunehmen sind. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick darauf, dass § 141 Abs. 1 StPO von einem unverteidigten inhaftierten Beschuldigten ausgeht, liegt ein solcher Fall hier nicht vor, wobei es dahinstehen kann, ob der Angeschuldigte überhaupt unverteidigt im Sinne dieser Norm ist, da eine ausdrückliche Erklärung der Niederlegung des Wahlmandats im Falle einer Pflichtverteidigerbestellung im Antrag fehlt, oder ob diese Erklärung konkludent im Antrag enthalten ist (Beschluss auf Beschwerde aufgehoben durch Beschluss des LG Passau – BeckRS 2021, 868). (Rn. 2 – 4) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag des Rechtsanwalts W., ihn als Pflichtverteidiger für den Angeschuldigten zu bestellen, wird abgelehnt.
2. Das Verfahren wird hinsichtlich des Angeschuldigten … auf Antrag der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die rechtskräftige Strafe im Verfahren 5 Ls 13 Js 3326/20 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Der Angeschuldigte hat seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen.

Gründe

1. Der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung des RA … ist gem. § 141 Abs. 2 S. 3 StPO abzulehnen, da das Verfahren alsbald nach Antragstellung auf Anregung des Verteidigers und Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt wird und keinerlei weitere Untersuchungshandlungen vorgenommen wurden. Insofern wird das Recht zur Verteidigung des Angeschuldigten durch den Freiheitsentzug nicht beschnitten.
Es wird nicht verkannt, dass § 141 Abs. 2 S. 3 StPO seinem Wortlaut und seiner Systematik nach nicht auf die Fälle des § 141 Abs. 1 StPO anzuwenden ist, doch liegt ein solcher Fall nicht vor. § 141 Abs. 1 StPO geht davon aus, dass ein unverteidigter Beschuldigter einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung stellt. Insofern soll die Norm eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten, die durch einen Haftaufenthalt entstehen, entgegenwirken und nicht der Sicherung finanzieller Interessen dienen.
Hier liegt aber ausdrücklich ein Antrag des Rechtsanwalts in eigener Sache und nicht stellvertretend für bzw. im Namen des Angeschuldigten vor, den die Regelungswirkung des § 141 Abs. 1 StPO weder vom Wortlaut noch vom Regelungszweck umfasst.
Insofern kann sodann die Frage offen bleiben, ob der Angeschuldigte überhaupt unverteidigt im Sinne der Norm ist, da eine ausdrückliche Erklärung der Niederlegung des Wahlmandats im Falle einer Pflichtverteidigerbestellung im Antrag fehlt, oder ob diese konkludent im Antrag auf Bestellung enthalten ist.
2. Eine Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO war aus Sicht des Gerichts angezeigt, da die in diesem Verfahren zu erwartende Ahndung neben der im Verfahren 5 Ls 13 Js 3326/20 des Amtsgerichts Passau rechtskräftigen verhängten Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 4 StPO.


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