Strafrecht

Kollektive Beleidigung einer Polizeidienststelle

Aktenzeichen  206 St RR 220/20

Datum:
7.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35544
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 185, § 193, § 194 Abs. 3 S. 2
StPO § 267 Abs. 1, § 354 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zur kollektiven Beleidigungsfähigkeit einer Polizeidienststelle. (Rn. 17, 22, 23 und 25 – 28)
2. Zum Verhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, wenn in einem Schreiben, in dem einer Polizeidienststelle vorgeworfen wird, gegen einen mutmaßlichen Straftäter nicht ausreichend zu ermitteln, die betreffende Dienststelle als “Dreckspack” bezeichnet wird, auf die “scharf geschossen” gehöre.     (Rn. 2, 8, 9 und 16 – 18)
1. Im Falle eines Schuldspruchs nach § 185 StGB wegen einer beleidigenden Äußerung müssen die Urteilsfeststellungen über den Wortlaut der betreffenden Äußerung hinaus alle Umstände mitteilen, die für die Beurteilung der Strafbarkeit, auch im Hinblick auf das Grundecht nach Art. 5 Abs. 1 GG, erforderlich sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die schriftlichen Urteilsgründe bilden eine Einheit, sodass ihre tatsächlichen Angaben in jedem Zusammenhang berücksichtigt werden müssen, wo immer auch sie niedergeschrieben sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine solche liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Diffamierung der Person, nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, im Vordergrund steht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Um eine Formalbeleidigung handelt es sich bei besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern, die nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung, sondern mit Vorbedacht verwendet wurden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

844 Cs 237 Js 160901/19 2020-02-06 Urt AGMUENCHEN AG München

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 6. Februar 2020 wird mit folgender Maßgabe als unbegründet verworfen:
Der Schuldspruch wird dahin berichtigt, dass der Angeklagte der Beleidigung schuldig ist. Der Zusatz „in 98 Fällen“ entfällt.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der mit der zulässigen Sprungrevision erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Feststellungen zum Sachverhalt sind zwar knapp, aber gerade noch ausreichend, um dem Revisionsgericht die Überprüfung des Schuldspruchs in materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Der Schuldspruch ist insoweit rechtsfehlerhaft, als eine Beleidigung „in 98 Fällen“ ausgesprochen wird. Der Senat kann dies jedoch selbst korrigieren und im Übrigen ausschließen, dass die Rechtsfolgenbestimmung auf dem Fehler beruht.
1. Die Frage, ob eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung vorliegt, bedarf regelmäßig einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und der persönlichen Ehre des Betroffenen anhand der Umstände des Einzelfalles. Wird die Menschenwürde eines anderen angetastet, liegt eine Schmähung oder Formalbeleidigung vor, gebührt hingegen dem Ehrenschutz regelmäßig ohne weitere Abwägung der Vorrang (zuletzt BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622 Rn. 15; st. Rspr. des BVerfG). Eine Befassung mit diesen rechtlichen Vorgaben erfolgt im Ausgangsurteil zwar nur unzureichend, dem Senat ist es jedoch unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfrei festgestellten objektiven wie subjektiven Umstände möglich, die erforderliche Würdigung selbst zu treffen.
a) Die tatrichterlichen Feststellungen müssen nach § 267 Abs. 1 StPO so beschaffen sein, dass das Revisionsgericht rechtlich überprüfen kann, ob die gesetzlichen Merkmale der Straftat, auf die im Schuldspruch erkannt wurde, in objektiver wie subjektiver Hinsicht vorliegen. Die Darstellung muss sowohl zur äußeren als auch zur inneren Tatseite so vollständig sein, dass der Rechtskundige in den konkret angeführten Tatsachen den gesetzlichen Tatbestand erkennen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 267 Rn. 5; vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2007, 4 StR 386/07, NStZ-RR 2008, 83 f.). Im Falle eines Schuldspruchs wegen Beleidigung nach § 185 StGB müssen die Urteilsfeststellungen aus diesen Gründen über den Wortlaut der betreffenden Äußerung hinaus alle Umstände mitteilen, die für die Beurteilung der Strafbarkeit nach vorgenannten Grundsätzen erforderlich sind.
b) Diesen Anforderungen werden die Feststellungen des Ausgangsgerichtsgerichts gerade noch gerecht. Zwar ist der unter Abschnitt II der Urteilsgründe mitgeteilte Sachverhalt so unvollständig, dass er eine ausreichende revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs nicht erlauben würde. Die schriftlichen Urteilsgründe bilden jedoch eine Einheit, deren tatsächliche Angaben berücksichtigt werden müssen, wo immer sie niedergeschrieben sind (BGH, Urteil vom 30. April 1976, 5 StR 481/75, zitiert nach juris, Rn. 31). Der Urteilsurkunde lassen sich neben dem in Abschnitt II nur auszugsweise mitgeteilten Inhalt des verfahrensgegenständlichen Schreibens weitere Textpassagen entnehmen, aus denen ersichtlich wird, in welchem kontextualen Zusammenhang die inkriminierten Äußerungen gefallen sind. Außerdem weisen die Urteilsgründe auch auf die Motivation des Angeklagten für sein Handeln hin. Diese weiteren Feststellungen bieten dem Senat eine hinreichende Grundlage für die aufgezeigte verfassungsrechtlich gebotene Würdigung.
c) Diese ergibt, dass die festgestellte Äußerung des Inhalts, auf „die Polizei“ in Giesing gehöre „scharf geschossen“, und man „bei diesem Dreckspack nicht mehr von Polizei reden“ könne, die Ehre der Betroffenen (dazu näher nachfolgend unter 2.) vorsätzlich herabwürdigt und zwar keine Schmähung, aber eine Formalbeleidigung darstellt, jedenfalls aber nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB bzw. durch die Berufung auf die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG zu rechtfertigen ist, und deshalb nach § 185 StGB als Beleidigung strafbar ist.
aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst, dass das Amtsgericht die Äußerung als „objektiv beleidigend“ einordnet (UA S. 4), womit erkennbar gemeint ist, dass es sich um eine ehrverletzende Äußerung der Missachtung handelt. Dies steht außer Zweifel und bedarf keiner weiteren Erörterung, ebensowenig wie der Umstand, dass keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil, welches grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt, artikuliert wurde.
bb) Soweit das Gericht annimmt – den Urteilsgründen lässt sich dies nicht mit Klar-heit entnehmen -, dass jede weitere Prüfung des Kontextes schon deshalb entbehrlich sei, weil im unmittelbaren Textzusammenhang mit der zitierten Äuße-rung „nicht wenigstens irgendein Sachbezug zu wahrgenommenen berechtigten Interessen“ bestehe (UA S. 4), greift dies zu kurz. Der im Abschnitt der Feststellun-gen isoliert zitierte Satz, der das Schimpfwort „Dreckspack“ enthält, kann nicht ohne Berücksichtigung des weiteren Inhalts des Schreibens und der sonstigen Um-stände gewertet werden.
(1) Die Gerichte haben die vom Bundesverfassungsgericht zur Strafbarkeit nach § 185 StGB unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG aufgestellten Grundsätze zu beachten, auch wenn diese zu einer deutlichen Einschränkung des Ehrenschutzes führen mögen und deswegen auch massiver Kritik in der Literatur und auch mancher Gerichtsentscheidungen unterliegen (Nachweise bei Fischer, StGB, Kommentar, 67. Aufl. 2020, § 193 Rn. 25 ff. m.w.N.; pointiert die Entscheidungsanmerkung von Schäfer, JR 2020, 29).
(2) Nach diesen Grundsätzen gibt zunächst Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Dass eine Aussage verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht von vorneherein dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfG a.a.O.; st. Rspr.). Das Grundrecht selbst findet indessen nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 185 StGB zählt (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995, 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 u. 1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303). Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen eines ehrverletzenden Werturteils setzt im Regelfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen voraus, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 362/18, NJW 2020, 2636 Rn. 14; st. Rspr.). Die Meinungsfreiheit tritt jedoch hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es noch einer Einzelfallabwägung bedarf, wenn die herabsetzende Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet oder sich als Schmähung oder Formalbeleidigung darstellt (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 15; NJW 2020, 2636 Rn. 14 und st. Rspr.).
(3) Soweit das Amtsgericht, das in den Urteilsgründen auf jegliche Abwägung verzichtet, vom Vorliegen einer Schmähkritik ausgegangen sein sollte – ohne dies ausdrücklich zu kennzeichnen -, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Charakter einer Äußerung als Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn folgt nämlich nicht bereits aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung. Selbst überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine solche liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Diffamierung der Person, nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, im Vordergrund steht (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 18; NJW 2020, 2636 Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2019, 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2601 Rn. 18; kritisch Gostomzyk, Urteilsanmerkung, NJW 2019, 2601; Schäfer a.a.O.).
Diese engen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war Anlass des vom Angeklagten an die Staatsanwaltschaft München I gerichteten Schreibens seine Beanstandung, die zuständige Polizeidienststelle (München Giesing), ebenso wie Staatsanwaltschaft und Gerichte, gingen nicht in ausreichendem Maße gegen fortdauernde Straftaten seines bereits erheblich vorbestraften Nachbarn vor. Ferner wird festgestellt, dass der Angeklagte im Hinblick auf diesen Nachbarn deutlich angespannt und verzweifelt war (UA S. 6). Daraus, ebenso wie aus der Formulierung im Schreiben des Angeklagten, nämlich dass „die Polizei“ in Giesing, ohne dass Polizeibeamte individuell benannt werden, Gegenstand seiner verbalen Angriffen waren, wird hinreichend ersichtlich, dass es ihm mit seinen Äußerungen nicht allein oder auch nur vorrangig darum ging, bestimmte Personen persönlich zu diffamieren, sondern dass sich seine, wenn auch aggressive und völlig überzogene Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung darstellt. Damit handelt es sich nicht um Schmähkritik.
(4) Der Senat folgt jedoch der in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft im Vorlageschreiben vom 3. Mai 2020 geäußerten Rechtsauffassung, dass es sich bei der Bezeichnung der Polizei als „Dreckspack“ um eine Formalbeleidigung handelt, bei der ebenfalls ohne weitere Gewichtung die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurücktritt.
Um eine Formalbeleidigung handelt es sich bei besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern, die nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung, sondern mit Vorbedacht verwendet wurden (BVerfG NJW 2020, 2622, Rn. 21; NJW 2020, 2636, Rn. 20). Das maßgebliche Kriterium ist in diesem Fall nicht der fehlende Sachbezug einer Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung.
Bereits das Schimpfwort „Dreckspack“ ist eine Bezeichnung, die unabhängig von einem etwaigen sachlichen Anliegen des Angeklagten, die Angehörigen der „Polizei Giesing“ als Personen herabsetzt und verächtlich macht und für sich gesehen über eine auch überzogene oder polemische Kritik an dienstlichem Verhalten weit hinausgeht. Der Ausdruck ist nicht im Zuge einer hitzigen mündlichen Auseinandersetzung gefallen, sondern in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft München und daher ersichtlich mit Bedacht gewählt. Verstärkt wird die Wirkung des als bereits für sich besonders krass abwertenden Schimpfwortes durch die im selben Satz unmittelbar vorangestellte Äußerung, den Deutschen fehle ein „erneuter Vernichtungskrieg“ und auf die Polizei Giesing gehöre „scharf geschossen“. Damit gibt der Angeklagte kund, dass aus seiner Sicht die Beamten der Polizeidienststelle Giesing getötet oder schwer verletzt werden sollten. Er spricht ihnen damit das Lebensrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit ab, was sie in der allen Menschen, unabhängig von ihrer beruflichen Tätigkeit, gleichermaßen zukommenden Menschenwürde betrifft. Verstärkt wird die besonders grobe und aggressive Beschimpfung noch dadurch, dass nach den Feststellungen an anderer Stelle desselben Schreibens die Polizei als (antisemitischer) „Abschaum“ bezeichnet wird. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung einer Gruppe von Menschen als zu erschießendes, mithin nicht lebenswertes „Dreckspack“ und als unwerter „Abschaum“ gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist schlechterdings nicht denkbar.
(5) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – auch hilfsweise – (vgl. hierzu BVerfG NJW 2020, 2636 Rn. 24) – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen auf der Grundlage der im Urteil noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.
(i) Als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes fällt zum einen bereits der soeben dargestellte, als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerungen beträchtlich ins Gewicht. Diese weisen inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu der vom Angeklagten behaupteten dienstlichen Untätigkeit auf, sondern trifft die der Polizeibehörde angehörenden Beamten als Personen.
(ii) Zu berücksichtigen ist unter diesem zuletzt genannten Aspekt zwar einschränkend, dass der Angeklagte mit der Bezeichnung der „Polizei Giesing“ nicht einzelne Polizeibeamte individualisiert, sondern die Dienststelle gleichsam als Kollektiv angesprochen hat. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich eine herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern aus der Sicht des sich Äußernden um einen Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie damit verbundene Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht (BVerfG NJW 1995, 3303, 3306). Nach den Urteilsfeststellungen war, wenn auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 6. Februar 2020 und nicht bezogen auf den Tatzeitpunkt am 17. Juni 2019, die Polizeiinspektion Giesing (PI 23) mit 98 Polizeibeamten besetzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Anzahl zum Tatzeitpunkt sich nicht erheblich davon unterschied. Damit wies die angesprochene Polizeibehörde eine so überschaubare Zahl von Personen auf, dass von deren auch persönlicher Betroffenheit durch die Verächtlichmachung seitens des Angeklagten auszugehen ist.
(iii) Die Berücksichtigung des Umstandes, dass zumindest der Anlass des Schreibens des Angeklagten ein sachliches Anliegen war, nämlich auf polizeiliche Ermittlungen gegen seinen Nachbarn hinzuwirken, der nach seinen Angaben „Rauschgifthandel“ betreibt, streitet vorliegend ebenfalls nicht für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Zwar ist davon auszugehen, dass deren Schutz gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist (BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 30). Das Recht des Bürgers, Maßnahmen, bzw. wie hier, behauptetes pflichtwidriges Unterlassen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600, Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816). Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG (BVerfG NJW 1992, 2815, 2816). Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (BVerfG, Beschluss vom 29. Februar 2012, 1 BvR 2883/11, NJW-RR 2012, 1002 Rn. 16). Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622, Rn. 32). Im konkreten Fall ist zu berücksichtigen, dass die Verfolgung von – mutmaßlichen – Straftätern zwar ein berechtigtes Anliegen jedes Staatsbürgers ist, nicht aber ein subjektives Recht des Angeklagten jedenfalls bei Straftaten, die ihn nicht selbst als Tatopfer betreffen, wofür bei dem behaupteten Rauschgifthandel kein Anhaltspunkt besteht. Ferner bewegt sich der Angeklagte mit seinen ins Persönliche gehenden groben und das Lebensrecht angreifenden Äußerungen so weit von seinem Sachanliegen weg, dass die Herabwürdigung der Personen bei der Abwägung in den Vordergrund tritt.
(6) Die Würdigung der verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Angeklagten als gemäß § 185 StGB strafbare Beleidigung weist damit im Ergebnis keinen Rechtsfehler auf.
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es jedoch, dass der Schuldspruch des angegriffenen Urteils auf Beleidigung „in 98 Fällen“ lautet. Der Senat korrigiert den Schuldspruch wie aus dem Beschlusstenor ersichtlich.
a) Fehlerhaft ist der Ausspruch bereits insoweit, als die Formulierung „in 98 Fällen“ Tatmehrheit zum Ausdruck bringt, während ausweislich der Urteilsgründe ersichtlich tateinheitliche Verwirklichung gemeint war. Die konkret bezifferte Zahl wird zudem von den Urteilsfeststellungen nicht getragen, weil lediglich festgestellt ist, wie viele Polizeibeamte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bei der Polizeiinspektion Giesing beschäftig waren, nicht aber die Zahl zum Tatzeitpunkt.
b) Der Senat nimmt darüber hinaus auf der Grundlage der mitgeteilten Feststellungen eine rechtliche Würdigung dahin vor, dass nicht die einzelnen Polizeibeamten der PI 23 unter der Kollektivbezeichnung „Polizei Giesing“ individuell beleidigt wurden, sondern die Personengemeinschaft der Polizeiinspektion Giesing.
(aa) Zutreffend ist zunächst der, wenngleich in rechtlicher Hinsicht nicht näher ausgeführte, so doch erkennbare Ansatzpunkt des Ausgangsgerichts, dass dann, wenn Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung, wie hier „die Polizei Giesing“, ausgesprochen werden, sich der Angriff gegen die individuelle Ehre bestimmter einzelner oder aller Mitglieder des Kollektivs richten kann (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 2016, 1 BvR 2150/14, NJW 2016, 2643 Rn. 16; BVerfG NJW 1995, 3303, 3306; Hilgendorf in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl. 2009, vor § 185 Rn. 28 ff.; Valerius in: BeckOK StGB, 46. Ed., Stand 1. Mai 2020, § 185 Rn. 8 f.; Geppert, NStZ 2013, 553, 557;), wenn der Personenkreis deutlich aus der Allgemeinheit heraustritt, klar abgrenzbar und überschaubar ist und sich die Mitglieder zweifelsfrei bestimmen lassen (Valerius a.a.O.). Zutreffend ist auch, dass im Falle der Beleidigung mehrerer konkretisierbarer Personen durch eine einheitliche Handlung regelmäßig von gleichartiger Idealkonkurrenz auszugehen ist (Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 185 Rn. 20), zumal das geschützte Rechtsgut höchstpersönlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1992, 1 StR 148/92, MDR (Holtz) 1992, 932; Sternberg-Lieben/Bosch in: Schönke/Schröder § 52 Rn. 25/26).
(bb) Bei der Prüfung des festgestellten Sachverhalts durch den Senat haben sich jedoch weder objektiv noch subjektiv ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die beleidigenden Äußerungen des Angeklagten einen Angriff auf die individuelle Ehre jedes einzelnen individualisierbaren Polizeibeamten der PI Giesing beinhalten. Das Schreiben ist, insoweit auch vom Tatvorsatz getragenen, vielmehr dahin zu verstehen, dass ein Angriff auf die „Giesinger Polizei“, konkretisiert auf die PI 23 (München) Giesing, und die in ihr verbundenen Mehrheit von Personen als Kollektiv vorliegt.
(i) Die Frage, ob auch Personengemeinschaften beleidigt werden können, ist zwar nicht unumstritten, aber in ständiger Rechtsprechung und weitgehend auch in der Literatur anerkannt (RG, Urteil vom 12. März 1936, 3D 939/35, RGSt 70, 140; BGH, Urteil vom 8. Januar 1954, 1 StR 260/53, BGHSt 6, 186, zit. nach juris Rn. 18 f.; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1981, 3 StR 302/81 (S), StV 1982, 222: Beleidigung der „Nürnberger Polizei“ lediglich aus tatsächlichen Gründen verneint; OLG Frankfurt, Urteil vom 23. November 1976, 2 Ss 549/76, zit. nach juris Rn. 19: Beleidigung „der Polizei“ Mannheim; Geppert, NStZ 2013, 553, 557; Hilgendorf a.a.O., Rn. 27; Specht-Riemenschneider in: BeckOGK-BGB, Stand 1. Mai 2020, § 823 Rn. 1127; jedenfalls für Behörden bejahend auch Regge/Pegel in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, Vorbem. zu § 185 Rn. 48 f.; kritisch Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, vor §§ 185-200, Rn. 12), vorausgesetzt, dass es sich um eine Personengemeinschaft handelt, die rechtlich anerkannte soziale Aufgaben erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann (BGHSt 6, 186, juris Rn. 19). Verlangt wird außerdem, dass der Kreis der beteiligten Einzelpersonen deutlich umgrenzt ist (BayObLG, Urteil vom 30. Juni 1989, RReg. 3 St 66/89, NJW 1990, 921, 922 m.w.N.).
Für die „deutsche Polizei“ als Institution ist zwar anerkannt, dass diese mangels einheitlicher Willensbildung keine beleidigungsfähige Personenmehrheit darstellt (BGH StV 1982, 222, 223; BayObLG a.a.O.) Der Senat schließt sich, ohne dass es einer weitergehenden Festlegung bedürfte, jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem sich die Angriffe gegen eine individuell bezeichnete, von „der Polizei“ als solcher als Untergliederung deutlich abgrenzbare, zudem nach der Zahl ihrer Mitglieder überschaubare Polizeiinspektion richten, der Auffassung an, dass diese als Kollektiv beleidigungsfähig ist. Dies ergibt sich für diesen Fall nämlich bereits aus der gesetzlichen Wertung des § 194 Abs. 3 Satz 2 StGB, wonach sich eine Beleidigung auch „gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt“, richten kann (vgl. dazu BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; Geppert a.a.O.; Hilgendorf a.a.O. Rn. 27; Regge/Pegel a.a.O. Rn. 48). Bei der gegenständlichen PI 23 Giesing handelt es sich um eine Behörde. Diese ist mit einer Zahl in der Größenordnung von ca. 98 Polizeibeamten besetzt und weist daher auch einen deutlich abgrenzbaren Personenkreis als Mitglieder auf.
(ii) Nach den Feststellungen ergeben sich weder bei objektiver Auslegung noch in subjektiver Hinsicht tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seine herabwürdigenden Angriffe gegen individuell identifizierbare einzelne oder alle Beamte der PI Giesing gerichtet hat. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte stets „die Polizei“ (in Giesing) (UA S. 3) bzw. die „sogenannte Polizei“ (UA S. 5) als Gegenstand seiner Anwürfe bezeichnet. Er hat weder konkrete Beamte benannt noch sonst erkennbare Konkretisierungen bezüglich der gemeinten Personen vorgenommen. Der Wortlaut spricht dafür, dass die Polizeiinspektion Giesing wegen behaupteten kollektiven Untätigbleibens bezüglich polizeilicher Ermittlungsaufgaben als Kollektiv angesprochen wurde. Die Äußerungen erfolgten auch nicht, z.B. mündlich, gegenüber konkreten Beamten als identifizierbaren Adressaten, sondern schriftlich an die Staatsanwaltschaft, die ihrerseits als Empfängerin nach dem Inhalt des Schreibens, wie es in den Feststellungen mitgeteilt wurde, keine konkreten Anhaltspunkte dafür haben konnte, ob bzw. welche einzelnen Beamten gemeint sein sollten.
Einer solchen Auslegung, die nicht den einzelnen Beamten in den Vordergrund stellt, steht nicht entgegen, dass die Äußerungen u.a. zum Inhalt haben, dass auf die Polizei „scharf geschossen“ gehöre, was zwar im Ergebnis den das Kollektiv bildenden Beamten als Personen das Lebensrecht abspricht und sie in ihrer Menschenwürde betrifft. Es liegt auf der Hand, dass sich eine Personenmehrheit, soweit sie als solche als beleidigungsfähig angesehen wird, aus einzelnen Personen zusammensetzt. Eine Polizeidienstelle hat keine eigene Rechtspersönlichkeit. Ihre Angehörigen werden durch die herabsetzenden Äußerungen, die sich gegen die Personenmehrheit richten, (mittelbar) getroffen.
(iii) Da eine weitere Aufklärung des Sachverhalts in dieser Hinsicht nicht zu erwarten ist, bedarf es insoweit keiner Zurückverweisung der Sache nach § 354 Abs. 2 StPO. Die durch den Senat selbst vorgenommene Auslegung und Abänderung des Schuldspruchs beschwert den Angeklagten nicht. Statt eines Schuldspruchs wegen Beleidigung in 98 tateinheitlichen Fällen lautet dieser nunmehr lediglich auf (einen Fall der) Beleidigung. Der Angeklagte hätte sich zudem gegen diesen abgeänderten Schuldvorwurf nicht anders verteidigen können als geschehen.
3. Die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft im Vorlageschreiben vom 3. Mai 2020 wird Bezug genommen. Auch die Gegenerklärung der Revision vom 27. Mai 2020 hat keinen Rechtsfehler aufgezeigt.
Ergänzend ist festzustellen, dass die Höhe der verhängten Geldstrafe nicht auf dem zum Schuldspruch festgestellten Rechtsfehler beruht. Es ist auszuschließen, dass die verhängte sehr moderate Geldstrafe im Hinblick auf den geänderten Schuldspruch noch milder hätte ausfallen können.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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