Strafrecht

Kostenentscheidung nach Klagerücknahme unabhängig von materiell-rechtlichem Erstattungsanspruch

Aktenzeichen  16 C 2047/16

Datum:
17.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 269 Abs. 3 S. 2, S. 3
UrhG UrhG § 97a

 

Leitsatz

1 Ein etwaiger materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch rechtfertigt noch keine Entscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO zum Nachteil des Beklagten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die prozessuale Kostenentscheidung steht der gesonderten Geltendmachung eines etwaigen materiell-rechtlichen Kostenanspruchs nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 835,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 30.10.2015 wurde der Beklagte wegen einer angeblich über seinen Internetanschluss begangenen Urheberrechtsverletzung abgemahnt. Nachdem der Beklagte hierauf nicht reagierte hatte, hat die Klagepartei einen Mahnbescheid und im Anschluss einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Gegen diesen Vollstreckungsbescheid hat die Beklagtenpartei mit Anwaltsschriftsatz vom 14.10.2016 Einspruch eingelegt.
Nach Zustellung einer Anspruchsbegründung hat die Beklagtenpartei im Rahmen der Klageerwiderung ausführlich dargelegt, warum der Beklagte nicht als Täter in Betracht komme. Insbesondere wurde vom Beklagten vorgetragen, er habe seinen Wohnsitz bereits mehrere Monaten vor dem Zeitpunkt der angeblichen Rechtsverletzung in die Türkei verlagert. Er wohne in diesem Anwesen nur noch wenn er zu Besuch sei. Bei dem Haus handele es sich um ein Mehrparteienhaus. Hierbei wurde auch genauer zu den Hausbewohnern vorgetragen.
Mit Schriftsatz vom 19.01.2017 hat die Klagepartei die Klage zurückgenommen und beantragt, die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen. Dies wird im wesentlichen darauf gestützt, dass der Beklagte erstmals im Prozess zu den tatsächlichen Umständen der Nutzung des Internetanschlusses Angaben gemacht habe, er dies jedoch auf die Abmahnung hin nicht getan habe. Die Klagepartei sei damit gezwungen gewesen, zunächst den Anschlussinhaber zu verklagen. Der Beklagte habe die für ihn bestehende Antwortpflicht eines Abgemahnten verletzt, da ihm eine Antwort auf die Abmahnung zuzumuten gewesen sei.
Durch die Beklagtenpartei wurde beantragt die Kosten der Klagepartei aufzuerlegen.
II.
Die Entscheidung über die Kostentragung beruht auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Klage ist zurückgenommen worden. Nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO hat grds. der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, sofern kein Ausnahmefall nach § 269 Abs. 3 S. 2 2. Hs ZPO oder § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO vorliegt. Eine solche Ausnahme vom Grundsatz der Kostentragung der Klagepartei ist hier nach Auffassung des Gerichts nicht gerechtfertigt.
1.)
Insbesondere ist hier kein Fall gegeben, nach dem der Beklagte die Kosten aus „einem anderen Grund“ in Sinne des § 269 Abs. 3 S. 2 2. Hs ZPO zu tragen hat. Von Bedeutung sind hierbei grds. nur prozessuale Erstattungsansprüche, insbesondere gesetzliche Spezialregelungen wie z.B. § 344 ZPO (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1662; Bacher in: Beck’scher Online-Kommentar ZPO, VorwerkA/Volf, 23. Edition, Stand: 01.12.2016, § 269 ZPO, Rn. 12 und Rn. 12.1 m.w.N.). Ein etwaiger materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch (z.B. aus Verzug) rechtfertigt dagegen noch keine Entscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO zum Nachteil des Beklagten (vgl. ZöllerAGreger, 31. Auflage 2016, § 269 ZPO, Rn. 18a).
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass in Rspr. und Literatur die Meinung vertreten wird, dass ein abgemahnter Anschlussinhaber verpflichtet ist, auf die Abmahnung zu antworten und darzulegen, warum er sich nicht für verpflichtet hält, eine Unterlassungserklärung mit dem geforderten Inhalt abzugeben (Reber in: Beck’scher Online-Kommentar Urheberrecht, AhlbergAGötting, 15. Edition, Stand: 01.10.2016, § 97a UrhG, Rn. 29, m.w.N.), jedoch würde die Verletzung einer solchen Verpflichtung allenfalls zu einem materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch führen, der im Rahmen des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO unbeachtlich ist (s.o.).
Auch ein Fall des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist hier nicht gegeben und es ist auch weder Raum noch Bedarf für eine analoge Anwendung der Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Für eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO besteht daher nach Auffassung der Gerichts keine Veranlassung.
Der Anlass zur Klageeinreichung ist nicht erst nach nachträglich i.S.d. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO weggefallen, da die Klage bei summarischer Prüfung objektiv gesehen bereits von Beginn an nicht begründet gewesen wäre. Diese dürfte zwar an sich schlüssig, aber von Anfang an tatsächlich unbegründet gewesen sein, wobei dies seitens der Klagepartei erst im Laufe des Prozesses erkannt wurde.
Genauso verhält es sich im Übrigen – entgegen der Ansicht der Klagepartei auch mit der Abmahnung, die nach summarischer Prüfung ebenfalls von Beginn an unberechtigt gewesen sein dürfte, da der Beklagte offenbar weder als Täter noch Störer für die Rechtsverletzung haftet. Hiervon geht die Klagepartei offenbar auch selbst aus, da diese sonst die Klage nicht zurückgenommen hätte und sich damit freiwillig in die Lage des Unterlegenen begeben hat (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1662). Unzutreffend wäre es dabei anzunehmen, dass eine zunächst berechtigte Abmahnung durch die Auskunftserteilung seitens des Beklagten nachträglich unbegründet geworden ist.
Ferner ergibt sich auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben kein Grund für ein abweichendes Ergebnis. Dass sich erst im Laufe eines Verfahren zeigt, dass eine Klage unbegründet ist, ist ein Risiko das mit der Erhebung einer Klage gegen einen Anschlussinhaber in der Regel verbunden ist und rechtfertigt noch keine abweichende prozessuale Kostenentscheidung im Beschlusswege. Die Klagepartei hat zum einen nun die Möglichkeit nach Erteilung der Auskünfte durch den Beklagten, den Täter der Rechtsverletzung zu ermitteln und von diesem die durch dieses Verfahren entstandenen Kosten im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen. Zum anderen steht auch die prozessuale Kostenentscheidung der gesonderten Geltendmachung eines etwaigen materiell-rechtlichen Kostenanspruchs nicht entgegen (vgl. ZöllerAGreger, 31. Auflage 2016, § 269 ZPO, Rn. 18a, m.w.N.).
Darüber hinaus ist auch nicht davon auszugehen, dass hier keine – für eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO erforderliche – planwidrige Regelungslücke besteht. Der Gesetzgeber hatte z.B. für eine in etwa vergleichbare Konstellation bei Unterhaltsansprüchen mit § 93d ZPO (a.F.) eine Regelung getroffen, nach der einer Partei, die zu einem Verfahren, das die gesetzliche Unterhaltspflicht betrifft, dadurch Anlass gegeben hat, dass sie der Verpflichtung, über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist, die Kosten des Verfahrens abweichend von den Vorschriften der §§ 91 bis 93a und 269 Abs. 3 Satz 3 nach billigem Ermessen ganz oder teilweise auferlegt werden konnten. Eine entsprechende Regelung hat der Gesetzgeber für den Bereich des UrhG nicht getroffen, obwohl die Vorschriften des §§ 97 ff UrhG in den letzten Jahren Gegenstand mehrerer Gesetzesänderungen waren.
Die Gründe mit denen das Amtsgericht Potsdam im Rahmen eines von der Klagepartei vorgelegten Beschlusses (Amtsgericht Potsdam, Beschluss vom 20.10.2014, Az.: 21 C 466A13) eine Kostentragung des beklagten Anschlussinhabers bejaht hat, überzeugen aus den vorgenannten Gründen nicht.


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