Strafrecht

Nichtannahmebeschluss: Zu Umfang und Grenzen des Auskunftsverweigerungsrechts eines Zeugen im Strafprozess (§ 55 StPO) im Hinblick auf die Reichweite seiner Selbstbelastungsfreiheit aus Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG

Aktenzeichen  2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08

Datum:
21.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100421.2bvr050408
Normen:
Art 1 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
§ 152 Abs 2 StPO
§ 55 Abs 1 StPO
Spruchkörper:
2. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 26. Februar 2008, Az: 3 Ws 77/08, Beschlussvorgehend LG Bielefeld, 1. Februar 2008, Az: 9 KLs 6 Js 141/03, Beschlussvorgehend LG Bielefeld, 29. Januar 2008, Az: 9 KLs 6 Js 141/03, Beschlussvorgehend OLG Hamm, 6. Mai 2008, Az: 2 Ws 182/08, Beschlussvorgehend LG Bielefeld, 8. April 2008, Az: 9 KLs 6 Js 141/03, Beschlussvorgehend LG Bielefeld, 3. April 2008, Az: 9 KLs 6 Js 141/03, Beschluss

Gründe

A.
1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit und die Reichweite des Auskunftsverweigerungsrechts
aus § 55 Abs. 1 StPO.

I.
2
1. Der Beschwerdeführer – ein Immobiliensachverständiger – war vor dem Landgericht Krefeld angeklagt, sich in den Jahren 1998
und 1999 an Betrugstaten seines Mitangeklagten S… beteiligt zu haben. Nach dem Anklagevorwurf hatte S… die V…-Versicherung
unter anderem durch die Vorlage unzutreffender, vom Beschwerdeführer erstellter Wertgutachten über Immobilien in Krefeld und
Umgebung zur Auskehrung überhöhter Darlehensbeträge veranlasst. Das Landgericht hatte das Hauptverfahren eröffnet.

3
2. Der vor dem Landgericht Krefeld mitangeklagte S… war auch vor dem Landgericht Bielefeld angeklagt. Ihm lag dort ein weiterer
Betrug zum Nachteil der V…-Versicherung zur Last, in diesem Falle im Zusammenhang mit einer Immobilienfinanzierung in S…
im Jahre 1998. Auch gegen den Beschwerdeführer war in diesem Komplex ermittelt worden, ohne dass es indes zu einer Anklageerhebung
gekommen war.

4
3. Das Landgericht Bielefeld lud den Beschwerdeführer in dem dortigen Strafverfahren gegen den Angeklagten S… als Zeugen.
In der Hauptverhandlung vom 7. Januar 2008 wurde dem Beschwerdeführer einleitend erläutert, seine Vernehmung solle Fragen
zur Begutachtung einer Immobilie des Angeklagten S… und der V…-Versicherung in S… zum Gegenstand haben. Daraufhin machte
der Beschwerdeführer lediglich Angaben zur Person, verweigerte jedoch unter Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß
§ 55 Abs. 1 StPO alle Angaben zur Sache. Die Staatsanwaltschaft vertrat die Auffassung, dass dem Beschwerdeführer ein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht zustehe. Die Vernehmung wurde abgebrochen und der Beschwerdeführer erneut zur Hauptverhandlung
am 29. Januar 2008 als Zeuge geladen.

5
4. Auch in der Hauptverhandlung vom 29. Januar 2008 verweigerte der Beschwerdeführer alle Angaben zur Sache, nachdem ihn der
Vorsitzende gefragt hatte, ob er eine Immobilienbegutachtung in S… vorgenommen habe. Die Kammer verhängte daraufhin ein
Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft gegen den Beschwerdeführer. Außerdem wurden dem Beschwerdeführer
die durch seine Auskunftsverweigerung verursachten Kosten auferlegt.

6
5. Der hiergegen erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers half das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2008 nicht ab.
Dem Beschwerdeführer stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO nicht zu, da hierfür Voraussetzung
sei, dass der Zeuge “bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht
i.S. des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden”. Im Hinblick auf den Komplex S…, der in Bielefeld allein Gegenstand des Verfahrens
sei, habe bereits die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussvermerk einen Anfangsverdacht verneint und auch nach dem bisherigen
Ergebnis der Hauptverhandlung bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich in dem Komplex S…
strafbar gemacht haben könnte. Auch im Hinblick auf die Immobilienfinanzierungen, wegen derer in Krefeld gegen den Beschwerdeführer
verhandelt werde, komme jedenfalls ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht in Betracht. Zwar könne nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO auch im Hinblick auf solche Fragen bestehen, deren Beantwortung
geeignet sei, mittelbar einen Tatverdacht gegen den Zeugen zu begründen, sei es auch nur “als Teilstück in einem mosaikartig
zusammengesetzten Beweisgebäude”. Indes bestünden nach der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Beurteilung der Kammer keine
konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich mit Aussagen zum Komplex S… der Gefahr der strafrechtlichen
Verfolgung wegen der Immobilienbewertung in Krefeld aussetzen könnte.

7
6. Mit Beschluss vom 26. Februar 2008 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers im
Wesentlichen aus den Gründen der landgerichtlichen Nichtabhilfeentscheidung als unbegründet.

8
7. Gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld vom 29. Januar und 1. Februar 2008 und den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts
Hamm vom 26. Februar 2008 hat der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 504/08 Verfassungsbeschwerde erhoben. Darüber hinaus
hat er beantragt, die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 29. Januar 2008 im Wege einer einstweiligen
Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Später hat er darum gebeten, die Entscheidung über
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis auf weiteres zurückzustellen.

II.
9
1. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde wurde der Beschwerdeführer in dem Strafverfahren vor dem Landgericht Bielefeld
erneut zeugenschaftlich vernommen. Wiederum verweigerte der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 55 Abs. 1 StPO alle Angaben
zur Sache. Daraufhin wurden ihm mit Beschluss vom 3. April 2008 auch die durch diese Aussageverweigerung verursachten Kosten
auferlegt.

10
2. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers half das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 8. April 2008
nicht ab. Von der Anordnung einer Beugehaft sah das Gericht indes aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab.

11
3. Das Oberlandesgericht Hamm verwarf die Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 6. Mai 2008 als unbegründet.

12
4. Gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld vom 3. und 8. April 2008 und den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts
Hamm vom 6. Mai 2008 hat der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1193/08 Verfassungsbeschwerde erhoben.

III.
13
1. Der Beschwerdeführer rügt Verstöße gegen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG. Er sei gemäß § 55 Abs. 1 StPO zur umfassenden Verweigerung des Zeugnisses zu seinem Verhältnis zu dem
Angeklagten S… und namentlich zu seiner Tätigkeit als Gutachter im Komplex S… berechtigt gewesen. Denn durch jede Angabe
zu dieser Sache setze er sich der Gefahr aus, ein “Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude” zu seiner eigenen Verurteilung
in dem Strafverfahren vor dem Landgericht Krefeld zu liefern. In dem Verfahren vor dem Landgericht Krefeld müsse gerade noch
aufgeklärt werden, ob er – der Beschwerdeführer – den in Bielefeld angeklagten S… kenne und von ihm beauftragt worden sei,
Immobilien zu bewerten. Daher sei es ihm unzumutbar, in einem Strafverfahren Angaben zur Sache zu machen, in dem ein in vielerlei
Hinsicht paralleler Tatvorwurf in Rede stehe.

14
2. Die Kammer hat dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs und dem Angeklagten
S… in dem Verfahren 2 BvR 504/08 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.
I.
15
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen
des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

16
1. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Fragen in
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind (vgl. etwa BVerfGE 38, 105 ; 55, 144 ; 56,
37 ; BVerfG-K NJW 1999, S. 779; StV 2001, S. 257 f.; NJW 2002, S. 1411).

17
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt.
Die Verfassungsbeschwerden haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; sie sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen
verstoßen nicht gegen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1
GG.

18
a) Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), gehört zu
den anerkannten Prinzipien des deutschen Strafverfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 ; 55, 144 ; 56, 37 ; BGHSt 14,
358 ; 38, 214 mit weiteren Nachweisen). Als Folge dieses rechtsstaatlichen Grundsatzes gewährt § 55 Abs. 1 StPO
dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem Angehörigen die
Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (vgl. BVerfGE 38, 105 ;
BVerfG-K StV 2001, 257 ; NJW 2002, S. 1411 ).

19
Eine Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn eine Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen
Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 152 StPO) oder auch zur
Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts veranlassen könnte (vgl. Ignor/Bertheau, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Band
2, 26. Aufl. 2008, § 55 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 55 Rn. 7). Hierfür genügt es bereits, wenn der Zeuge
bestimmte Tatsachen angeben müsste, die mittelbar den Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründen. Dies ist
zum Beispiel dann der Fall, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen
könnte, jedoch “als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude” zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte (vgl. BVerfG-K,
NJW 2002, S. 1411 ; BGH, NJW 1999, S. 1413). Für die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung muss es konkrete tatsächliche
Anhaltspunkte geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus (BGH NJW 1994, S. 2839 ;
BGH NStZ 1999, S. 415 ). Ob eine Verfolgungsgefahr besteht, unterliegt der tatsächlichen Beurteilung durch den Tatrichter,
dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. BVerfG-K, NJW 1999, S. 779; BGH, Beschluss vom 6. August 2002 – 5 StR
314/02 – juris). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGHSt 1, 39 ; 10, 104 ; Meyer-Goßner, StPO,
52. Aufl. 2009, § 55 Rn. 10).

20
Ist danach von einer Verfolgungsgefahr auszugehen, so ist der Zeuge gemäß § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt, die
Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Nur ausnahmsweise ist er zu einer umfassenden Verweigerung der Auskunft befugt,
wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten in so
engem Zusammenhang steht, dass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr
der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (vgl. BGH, NStZ 2002, S. 607; NStZ-RR
2005, S. 316).

21
b) Hiervon ausgehend begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Auffassung der
Gerichte, dem Beschwerdeführer stehe im Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht
aus § 55 Abs. 1 StPO zu, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

22
aa) Die Gerichte haben die dargelegten Maßstäbe zu § 55 Abs. 1 StPO zutreffend erkannt. Das Landgericht Bielefeld hat in seinem
Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 zutreffend festgestellt, dass es nach § 55 StPO für das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts
darauf ankomme, ob der Beschwerdeführer bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die einen prozessual
ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden. Des Weiteren hat das Landgericht Bielefeld
unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass zur Begründung
eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO zwar auch eine mittelbare Selbstbelastungsgefahr ausreiche, es für die Gefahr
strafgerichtlicher Verfolgung indes konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben müsse, was der tatsächlichen Beurteilung durch
das Tatgericht unterliege. Hiervon ausgehend hat das Landgericht Bielefeld angenommen, dass die Verweigerung der Aussage durch
den Beschwerdeführer kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht begründe, sondern der Kammer nur verbiete, weitere Fragen
zu stellen, bei deren Beantwortung die Verfolgungsgefahr nicht ausgeschlossen sei. Hiermit hat das Gericht deutlich zum Ausdruck
gebracht, dass es die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers den Vorgaben des § 55 Abs. 1 StPO
entsprechend respektiert.

23
bb) Auch die tatsächliche Würdigung der Verfolgungsgefahr durch die Fachgerichte begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

24
Das Landgericht Bielefeld ist in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 davon ausgegangen, dass im Hinblick auf
den Komplex S…, zu dem der Beschwerdeführer vor dem Landgericht Bielefeld befragt werden sollte, keine Selbstbelastungsgefahr
bestehe, da die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf diesen Komplex schon in
der Abschlussverfügung verneint habe und auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung keinerlei Anhaltspunkte
für eine Straftatbegehung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung S… bestünden.

25
Der Beschwerdeführer ist dieser tatsächlichen Würdigung nicht entgegengetreten. Er befürchtet vielmehr, dass er sich mit wahrheitsgemäßen
Aussagen zu dem vor dem Landgericht Bielefeld anhängigen Komplex S… – mittelbar – im Hinblick auf diejenigen Taten, die
vor dem Landgericht Krefeld verhandelt werden, (weiter) belasten könnte.

26
Auch insoweit hat das Landgericht Bielefeld in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 eine Selbstbelastungsgefahr
indes in vertretbarer Weise verneint. Zwar macht der Beschwerdeführer zu Recht geltend, zwischen dem Komplex S… und den
vor dem Landgericht Krefeld verhandelten Taten bestehe ein sachlicher, persönlicher und zeitlicher Zusammenhang. Dennoch mussten
die Gerichte nicht davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht
aus § 55 Abs. 1 StPO zusteht. Denn es sind durchaus Fragen zum Komplex S… denkbar, deren wahrheitsgemäße Beantwortung durch
den Beschwerdeführer nicht notwendigerweise zu einer Verstärkung des gegen ihn bestehenden Tatverdachts wegen der Immobilienbewertungen
in Krefeld und Umgebung führen muss.

27
So ist zum Beispiel nicht ersichtlich, dass eine wahrheitsgemäße Beantwortung der vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung
vom 29. Januar 2008 gestellten Frage, ob der Beschwerdeführer eine Immobilienbegutachtung in S… vorgenommen habe, den wegen
der Immobilienbewertungen in Krefeld bestehenden Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer hätte verstärken können. Dem Landgericht
Bielefeld lag ein vom Beschwerdeführer erstelltes, schriftliches Wertgutachten über die Immobilien in S… bereits vor. Der
Umstand, dass der Beschwerdeführer eine Immobilienbegutachtung in S… vorgenommen hatte, dürfte daher wohl auch ohne eine
Aussage des Beschwerdeführers hierzu klar auf der Hand gelegen haben. Vor diesem Hintergrund durfte es den Gerichten als rein
denktheoretische Möglichkeit erscheinen, dass der Beschwerdeführer sich durch eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage
des Vorsitzenden zur Vornahme einer Begutachtung in S… im Hinblick auf die Immobilienbewertungen in Krefeld weiter belasten
könnte. Auch der Beschwerdeführer selbst hat nicht substantiiert aufgezeigt, inwieweit die Beantwortung der Frage des Vorsitzenden
den gegen ihn bestehenden Tatverdacht wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld hätte verstärken können.

28
Auch im Übrigen erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer Fragen zum Komplex S… wahrheitsgemäß
beantworten kann, ohne sich hierdurch wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld zu belasten. Insbesondere ist nicht ersichtlich,
inwieweit etwa Angaben des Beschwerdeführers zum Zustand der Immobilien in S… oder auch zum Ablauf der Begutachtung notwendigerweise
zu einer Verstärkung des Tatverdachts wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld führen müssten.

29
Insgesamt ist der Zusammenhang zwischen dem Komplex S… und den Immobilienbewertungen in Krefeld nicht derart eng, dass die
Fachgerichte ausnahmsweise von einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO hätten ausgehen müssen.
Vielmehr ist es mit Blick auf die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit nicht zu beanstanden, dass die Gerichte den
Beschwerdeführer – der Regelungskonzeption des § 55 Abs. 1 StPO entsprechend – auf die Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts
gegenüber einzelnen Fragen verwiesen und ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht abgelehnt haben.

II.
30
Durch die Nichtannahmeentscheidung wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs.
3 GOBVerfG).

31
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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