Strafrecht

Revision, Schuldspruch, Rechtsmittel, Generalstaatsanwaltschaft, Aufhebung, Anklageschrift, Angeklagte, Sprungrevision, Verurteilung, Angeklagten, Nebenklage, Strafe, Verfahrensrecht, Strafbarkeit

Aktenzeichen  206 StRR 271/21

Datum:
22.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52188
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1015 Ds 468 Js 132256/19 jug 2021-02-03 Urt AGMUENCHEN AG München

Tenor

I. Die Revision des Nebenklägers P. R. gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 3. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 3. Februar 2021 des fahrlässigen Vollrausches für schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen Erziehungsmaßregeln (Weisungen) verhängt.
Gegen dieses Urteil hat der Nebenkläger mit Schreiben vom 10.02.2021, taggleich eingegangen, Rechtsmittel eingelegt, das er mit weiterem Schreiben vom 21. Februar 2021 als Sprungrevision bezeichnete. Der Nebenkläger erhebt die Sachrüge und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit dem Ziel, eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrausches herbeizuführen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Antragsschrift vom 8. Juni 2021, die Revision des Nebenklägers kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die Revision ist unzulässig i.S.d. § 349 Abs. 1 StPO, denn aus der Revisionsrechtfertigung ergibt sich keine Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers i.S.d. § 400 Abs. 1 StPO.
Zur Begründung wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 16. Juni 2021 Bezug genommen, die auch durch die hierzu abgegebene Stellungnahme des Vertreters des Nebenklägers vom 16. Juni 2021 nicht entkräftet werden.
Hierzu führt der Senat ergänzend Folgendes aus:
Die Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers bestimmt sich nach § 400 Abs. 1 StPO. Das im Revisionsvortrag ausdrücklich erklärte alleinige Ziel, eine Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu erwirken, entspricht diesen Anforderungen nicht.
1. Sowohl der Nebenkläger als auch die Generalstaatsanwaltschaft gehen zunächst zutreffend davon aus, dass der Rechtsmittelführer berechtigt war, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen.
a) Dem Angeklagten liegt zur Last, am 16. Februar 2019 neben anderen rechtswidrigen Taten auch Körperverletzungshandlungen zum Nachteil des Nebenklägers, eines Polizeibeamten, begangen zu haben, ihm namentlich einen gezielten Faustschlag ins Gesicht versetzt zu haben, was unter anderem zu einer Orbitabodenfraktur und zu einer Nasenbeinfraktur führte, die operativ behandelt werden mussten. Der Geschädigte litt über ca. 1 Jahr und 9 Monate hinweg unter Verletzungsfolgen. Nach der Anklageschrift wie auch nach den Urteilsfeststellungen lagen aufgrund vorausgegangenen Betäubungsmittelgenusses die Voraussetzungen des § 20 StGB bei dem Angeklagten vor, weshalb eine Verurteilung u.a. wegen Körperverletzung unterblieb. Nach den Gründen des angegriffenen Urteils hat sich der Angeklagte zwar nicht vorsätzlich, aber fahrlässig in den Rauschzustand versetzt, was den Schuldspruch wegen fahrlässigen Vollrausches nach § 323a StGB begründete.
b) Die Befugnis eines Verletzten, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen, bestimmt sich nach § 395 StPO. § 323a StGB ist zwar im Katalog der nebenklagefähigen Delikte des § 395 StPO nicht genannt, es entspricht aber allgemeiner Auffassung, dass die Nebenklage zulässig ist, wenn es sich bei der Rauschtat um eine in § 395 Abs. 1 StPO bezeichnete Tat handelt (s. nur BGH, Beschluss v. 5. Februar 1998, 4 StR 10/98, NStZ-RR 1998, 305; OLG Bamberg, Beschluss v. 27. Juni 1991, Ws 309/91, MDR 1992, 68, 69). Bei dem hier gegenständlichen Delikt der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB ist dies gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO der Fall. Die von der Stellungnahme der Revision hervorgehobene Zulassung als Nebenkläger durch das Erstgericht erfolgte damit zu Recht und ist vom Revisionsgericht, das die Anschlussbefugnis als Verfahrensvoraussetzung für das Rechtsmittelverfahren eigenständig zu überprüfen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 2 StR 155/19, NStZ-RR 2020, 91), nicht zu beanstanden.
2. Die Berechtigung zum Anschluss und diejenige zur Einlegung von Rechtsmitteln sind jedoch getrennt zu betrachten, so dass einerseits ein Nebenkläger zuzulassen, andererseits seine Revision aber als unzulässig zu verwerfen sein kann (BGH, Beschluss v. 1. September 2020, 3 StR 214/20, BGHSt 65, 145 = NJW 2020, 3398 Rn. 8). Die dem Nebenkläger gemäß § 401 Abs. 1 StPO als Verfahrensrecht zustehende Befugnis, Rechtsmittel einzulegen, wird durch § 400 Abs. 1 StPO eingeschränkt. Die Revision begehrt zwar, worauf die Stellungnahme des Nebenklagevertreters zu Recht hinweist, nicht lediglich die Verhängung einer anderen – höheren – Strafe, sondern eine Änderung des Schuldspruchs von fahrlässigem in vorsätzlichen Vollrausch. Dieses Ziel verschafft ihm jedoch keine Rechtsmittelbefugnis (s. auch BGH, Beschluss v. 16. Juli 2019, 4 StR 131/19, NStZ-RR 2019, 353, juris Rn. 2).
a) Der Nebenkläger nimmt die Feststellungen dazu, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe, hin. Einen Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB, was eine Rechtsmittelbefugnis nach §§ 400 Abs. 1, 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO begründen könnte, erstrebt er nicht.
b) Die Revision macht auch nicht geltend, dass eine andere rechtswidrige Rauschtat, die für sich genommen eine Befugnis zur Nebenklage begründen würde, verwirklicht sei, so dass der Senat nicht zu entscheiden hat, ob dies eine Rechtsmittelbefugnis vermitteln würde (dagegen BGH NStZ-RR 2019, 353; juris Rn. 2).
c) Der Tatbestand des Vollrausches gemäß § 323a StGB hingegen, dessen Änderung erstrebt wird, ist für sich keine zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Tat (BGH NStZ-RR 2019, 353, juris Rn. 2; s. auch BayObLG, Beschluss v. 27. Januar 1986, RReg 2 St 292/85, BayObLGSt 1986, 8, 9, zur Rechtslage vor der am 1. April 1987 in Kraft getretenen Neufassung des § 395 StPO).
aa) Der Gesetzgeber bewertet in § 323a StGB das Sich-Berauschen im Grundsatz als selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht (BGH, Beschluss v. 24. Juli 2017, GSSt 3/17, NJW 2018, 1180, Rn. 52, 53). Die Strafbarkeit wird zwar davon abhängig gemacht, ob bzw. in welchem Umfang sich die gesteigerte Gefahr tatsächlich in einer der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat niedergeschlagen hat. Ein „folgenloser“ Rausch zieht keine Sanktion nach sich. Lediglich derjenige wird bestraft, der im Zustand der Berauschung in rechtswidriger Weise einen Straftatbestand verwirklicht und hierfür deshalb nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Gleichwohl ist Rechtsgut des § 323a StGB in erster Linie die Sicherheit der Allgemeinheit vor den von Berauschten erfahrungsgemäß ausgehenden Gefahren (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 323a Rn. 2; BayObLGSt 1986, 8, 9), während der Katalog der Nebenklagedelikte in § 395 Abs. 1 StPO nur Tatbestände aufweist, die persönliche Rechtsgüter schützen. Da § 323a StGB nicht primär auf den Schutz von Einzelrechtsgütern gerichtet, die Rauschtat vielmehr nur als Bedingung der Strafbarkeit wegen des Unrechts des Sich-Berauschens ausgestaltet ist, kann die Norm als solche und die Frage, welche Tatbestandsalternative (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) verwirklicht ist, nicht die Rechtsmittelbefugnis eines durch die Rauschtat Verletzten begründen. Dieser ist in seinen persönlichen Rechten durch die im Rausch begangene rechtswidrige Tat, nicht durch den Vollrausch verletzt (s. BGH NStZ-RR 2019, 353, juris Rn. 2).
bb) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der dargelegten Befugnis des Verletzten, sich als Nebenkläger dann anzuschließen, wenn die Rauschtat für sich den Anschluss nach § 395 StPO rechtfertigen würde. Diese Befugnis wird daraus gefolgert, dass der Wortlaut des § 395 StPO auf das Vorliegen einer „rechtswidrigen Tat“ abstellt (BGH NStZ-RR 1998, 305). Die vor dieser Gesetzesfassung, die durch das am 1.4.1986 in Kraft getretene Opferschutzgesetz geschaffen wurde (BGBl I, 2496), vertretene abweichende Meinung (vgl. BayObLGSt 1986, 8, 9) ist damit überholt. Die Anschlussbefugnis in diesen Fällen rechtfertigt sich gerade auch aus den Zielen des Opferschutzgesetzes, die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren umfassend zu verbessern (BGH aaO.). Nicht zuletzt wird eine endgültige Klärung, ob der Täter zur Tatzeit schuldunfähig war, häufig erst die Hauptverhandlung erbringen können (vgl. OLG Bamberg, MDR 1992, 68, 69). Der Schutz des Verletzten gebietet es, an der Aufklärung des Hergangs der Rauschtat und der Frage der Schuldfähigkeit durch Wahrnehmung der Verfahrensrechte des § 397 StPO mitwirken zu können.
Die Anschlussbefugnis, wenn dem Angeklagten ein Delikt nach § 323a StGB zur Last liegt, rechtfertigt sich nach diesen Grundsätzen allein als Reflex aus der in Frage stehenden Rauschtat. Die Verfahrensrechte des Nebenklägers werden, wie ausgeführt, für das Rechtsmittelverfahren durch die Sondernorm des § 400 Abs. 1 StPO eingeschränkt. Richtet sich das Ziel seines Rechtsmittels gerade nicht auf einen Schuldspruch wegen des individualschützenden Tatbestandes der Rauschtat, die die Anschlussbefugnis erst begründet, sondern auf eine Änderung im Schuldspruch wegen des die Allgemeinheit schützenden Gefährdungsdelikts, ist das Rechtsmittel nicht zulässig.
cc) Mit dem vom Nebenkläger vorgetragenen – nachvollziehbaren – Interesse an der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat, darunter Aspekte einer Genugtuung und einer möglich zivilrechtlichen Durchsetzbarkeit von Schadensersatzforderungen, kann er nach § 400 Abs. 1 2. Alt. StPO nicht gehört werden. Das Rechtsmittel ist nach § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
Die Unzulässigkeit der Revision hat zur Folge, dass dem Revisionsgericht eine inhaltliche Überprüfung der Ausgangsentscheidung und damit des eigentlichen Tatvorwurfs auf seine Richtigkeit hin aus rechtlichen Gründen verwehrt ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 StPO.


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