Strafrecht

Strafbarkeit wegen Volksverhetzung

Aktenzeichen  205 StRR 240/20

Datum:
25.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52510
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 130 Abs. 3
VStGB § 6 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Meinungen sind von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt und unterliegen nach Art. 5 Abs. 2 GG den sich aus den allgemeinen Gesetzen ergebenden Schranken. Das bedeutet, dass sich die Gesetze nicht gegen bestimmte Meinungen richten. Eine Ausnahme gilt für Gesetze, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zielen (vgl. BVerfG BeckRS 2018, 17064).  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eingriffe in die Meinungsfreiheit dürfen sich nicht gegen die rein geistigen Wirkungen einer Meinung richten, sondern müssen anerkannte Rechtsgüter schützen, zB eine Gefährdung des öffentlichen Friedens verhindern. Bei einem auf dem Gelände des AfD-Bundesparteitags emporgehobenen und bei Twitter veröffentlichten Plakat, welches suggeriert, dass eine mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden im dritten Reich vergleichbare Hetze ggü. der AfD betrieben werde, handelt es sich um das Verharmlosen der in § 130 Abs. 3 StGB bezeichneten Völkermordhandlungen, welches eine Gefahr für den öffentlichen Frieden darstellt.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Meinungsfreiheit schlägt auch auf die Deutungsebene einer Meinung durch. Der Sinn der umstrittenen Äußerung muss unter Berücksichtigung der Begleitumstände und des Kontexts zutreffend erfasst werden. Bei einer mehrdeutigen Äußerung müssen die Strafgerichte etwaige andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen ausscheiden (vgl. BVerfG BeckRS 2000, 22851).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

14 Ns 101 Js 134200/18 2019-12-09 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 09. Dezember 2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 19. Mai 2020 wird zur Begründung Bezug genommen.
2. Ergänzend ist lediglich auszuführen:
a. Die Revision geht davon aus, schon der objektive Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB sei nicht erfüllt, weil die vom Angeklagten getätigten Äußerungen durch Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes gedeckt, daher zulässig und nicht strafbar seien. Dies trifft jedoch nicht zu.
i. Gegenstand des Schutzbereiches des Artikels 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt Äußerungen, die durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind. Diese fallen stets in den Schutzbereich von Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (BVerfG, 1 BvR 673/18 Rdn 19 in juris) Soweit es sich nach diesen Maßgaben um eine von Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Äußerung handelt, ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Artikel 5 Abs. 2 GG unterliegt dieses Grundrecht insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Eingriffe in die Meinungsfreiheit müssen danach formell auf ein allgemeines, nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtetes Gesetz gestützt sein, und materiell in Blick auf die Meinungsfreiheit als für die demokratische Ordnung grundlegendes Kommunikationsgrundrecht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen. Hinsichtlich des formellen Erfordernisses der Allgemeinheit erkennt das Bundesverfassungsgericht allerdings eine Ausnahme für Gesetze an, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen. Es trägt damit der identitätsprägenden Bedeutung der deutschen Geschichte Rechnung und lässt diese in das Verständnis des Grundgesetzes einfließen (BVerfG, 1 BvR 673/18 Rdn 22f in juris). Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtigHaltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen. Dies ist dann der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (BVerfG, 1 BvR 673/18 Rdn. 24 in juris).
ii. Die Auslegung und Anwendung des § 130 Abs. 3 StGB durch das Landgericht genügen den Anforderungen des Artikels 5 Abs. 1 Satz 1 GG an eine grundrechtskonforme Handhabung dieses Straftatbestands. Insbesondere beachtet das Landgericht das aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG folgende Erfordernis, dass Eingriffe in die Meinungsfreiheit sich nicht gegen die rein geistigen Wirkungen einer Meinung richten dürfen, sondern anerkannte Rechtsgüter schützen müssen. Denn auf Grundlage seiner Feststellungen konnte das Landgericht bei der hier einschlägigen Variante des „Verharmlosens“ im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei von einer Eignung der Tathandlungen des Angeklagten zur Gefährdung des öffentlichen Friedens ausgehen. Das Landgericht hat festgestellt, dass am 30. Juni 2018 im Messezentrum Augsburg der Bundesparteitag der AfD stattfand, wobei bei dieser „von erheblichem medialem Echo und öffentlichem Interesse“ begleitet wurde. Der Angeklagte hielt das von ihm gefertigte Plakat auf dem Gelände des AfD-Bundesparteitags in die Höhe. Nach den Feststellungen des Landgerichts war das Plakat „für alle auf dem und um das Messegelände befindlichen Personen deutlich zu erkennen“. Zusätzlich veröffentlichte der Angeklagte ein mit dem Plakat identisches Bild – im Internet öffentlich einsehbar – auf der Kommunikationsplattform Twitter. Ein derartiges auf Breitenwirkung angelegtes Verharmlosen von nach § 130 Abs. 3 StGB näher bezeichneten Völkermordhandlungen ist zur Vergiftung des politischen Klimas geeignet, weil sie Würde und Ansehen der Überlebenden sowie insbesondere der Ermordeten und ihrer Angehörigen in einem für das ganze Gemeinwesen unerträglichen Maße tangieren. Eine entsprechende Gefährdung des öffentlichen Friedens haftet derartigen in die Öffentlichkeit gebrachten Äußerungen regelmäßig an (BGH, 5 StR 485/01 Rdn. 9 in juris).
b. Die Revision trägt weiter vor, das Landgericht hätte bei seiner strafrechtlichen Beurteilung die dem Angeklagten günstigste Deutungsmöglichkeit der hier relevanten Äußerung zugrunde legen müssen.
i. Auch auf der Deutungsebene haben die Strafgerichte verfassungsrechtliche Anforderungen zu beachten. Voraussetzung der Subsumtion einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB ist, dass die Gerichte den Sinn der umstrittenen Äußerung zutreffend erfassen. Dabei haben sie nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuscheiden (BVerfG, NJW 2001, 61, 62).
ii. Andere Deutungsmöglichkeiten der hier relevanten Äußerung hat das Landgericht geprüft und diese rechtsfehlerfrei ausgeschlossen (UA Seite 4f). Dies gilt insbesondere für den ausdrücklichen Vortrag des Angeklagten, er habe nur auf die öffentliche Hetze gegen Juden, nicht aber auf die gegen sie verübten Verbrechen Bezug nehmen wollen. Die Bewertung des Landgerichts, andere Deutungen der Äußerung seien im konkreten Fall ausgeschlossen, lässt Denkfehler, Widersprüche oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze nicht erkennen und rechtfertigt die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit dem Inhalt seines Plakats und seines Twitterbeitrags die während der Herrschaft des Nationalsozialismus systematisch durchgeführte Verfolgung von Juden und deren konsequente Tötung verharmlost, indem er die Stimmung gegen die AfD und ihre Mitglieder mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden verglichen hat.
c. Die Revision führt weiter aus, der Angeklagte habe objektiv nicht auf den Holocaust Bezug genommen. Dies habe auch das Landgericht auf Seite 3 des Urteils festgestellt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Landgericht die von der Revision behauptete Feststellung gerade nicht getroffen hat. Bei der von der Revision zitierten Passage handelt es sich ausschließlich um die in die Urteilsgründe aufzunehmende zusammenfassende Darstellung der Angaben des Angeklagten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Ähnliche Artikel


Nach oben