Aktenzeichen 4 StR 586/09
§ 67b Abs 1 S 1 StGB
§ 68b StGB
§ 1896 BGB
§§ 1896ff BGB
Verfahrensgang
vorgehend LG Berlin, 21. Juli 2009, Az: (503) 95 Js 1961/08 KLs (7/09), Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2009 im Rechtsfolgenausspruch
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
b) dahin ergänzt, dass der Führerschein des Beschuldigten eingezogen wird.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, der versuchten gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und – neben einer Maßregel nach §§ 69, 69a StGB – seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte im Vorfeld des Besuchs des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Barak Obama in Berlin “durch eine medienwirksame Aktion ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu setzen und hierdurch die Politiker aufzurütteln“. Hierzu brachte er im Kofferraum seines Pkws einen Verschluss an, den er vom Fahrersitz aus öffnen konnte, kaufte 70 Liter rote Farbe und füllte diese – mit Wasser verdünnt – in den Kofferraum. Anschließend fuhr er in Richtung „Großer Stern“ in Berlin. In dessen Nähe umfuhr der Angeklagte eine Absperrung auf dem Fußweg und fuhr mit 50 km/h auf den Zeugen G. zu, dessen Aufgabe es war, an einer weiteren Absperrung berechtigte Fahrzeuge durchzulassen. Der Zeuge wich „schnell“ zur Seite aus und der Angeklagte durchbrach in einem Abstand von zehn Zentimetern zu dem Zeugen die Absperrung, wobei er dessen Verletzung als ein „notwendiges Opfer … für das von ihm verfolgte höhere Ziel“ billigend in Kauf nahm. Anschließend öffnete der Angeklagte – während der Fahrt – den im Kofferraum seines Fahrzeugs angebrachten Verschluss und verteilte im Kreis fahrend die Farbe auf der Straße. Sodann hielt er an und ließ sich widerstandslos festnehmen.
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Der Angeklagte befand sich während der Vorbereitung und Ausführung der Tat – wie die sachverständig beratene Strafkammer festgestellt hat – in einer noch andauernden akuten manischen Phase seiner bipolaren affektiven Störung, aufgrund derer sein Steuerungsvermögen jedenfalls erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar aber auch aufgehoben war. Die Strafkammer bewertete das Verhalten des Angeklagten als versuchte gefährliche Körperverletzung, vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung.
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2. Dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Die Anordnung der Maßregel selbst weist allerdings keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind die jedenfalls erheblich verminderte, möglicherweise auch aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes hinreichend belegt. Auch handelt es sich bei den – ohne medizinische Behandlung – zu erwartenden „ähnlichen Delikten“ jedenfalls insofern um erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB, als sie der im angefochtenen Urteil festgestellten (versuchten) gefährlichen Körperverletzung oder dem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr entsprechen.
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Jedoch ist nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht allein herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeigt und sich weigert, die Medikamente einzunehmen, die eine „schnelle Linderung der krankheitsbedingten Symptome“ herbeiführen würden. Jedoch hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH, Urt. vom 23. Mai 2000 – 1 StR 56/00, NStZ 2000, 470, 471) und/oder durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB; vgl. dazu BGH, Beschl. vom 25. April 2001 – 1 StR 68/01 – und Urteile vom 11. Juni 1987 – 4 StR 227/87 – und vom 12. Juni 2001 – 1 StR 574/00) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Beschuldigten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen (vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2001 – 1 StR 574/00 – und Urt. vom 27. März 2007 – 1 StR 48/07, NStZ 2007, 465 jeweils m.w.N.). Hierzu bestand vorliegend schon deshalb Anlass, weil – was die Strafkammer ebenfalls nicht erörtert – sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten zunächst auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 4 StR 148/09 m.w.N.).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer