Strafrecht

Strafzumessung und Bildung der Gesamtstrafe

Aktenzeichen  3 OLG 7 Ss 130/15

Datum:
21.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV – 2016, 574
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB StGB § 46a Nr. 2, § 47, § 54 Abs 1 S. 3
StPO StPO § 267 Abs. 3 S. 1, S. 2 Hs. 2

 

Leitsatz

1. Die Bemessung der Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB stellt einen eigenständigen Strafzumessungsakt dar, bei dem die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind. Die bloße Bezugnahme auf Gesichtspunkte zur Bemessung der Einzelstrafen ohne eine an gesamtstrafenspezifischen Gesichtspunkten orientierte besondere Begründung gerade für die Bemessung der Gesamtstrafe genügt diesen Anforderungen deshalb grundsätzlich nicht (u. a. Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.12.2013 – 4 StR 261/13 [bei juris]). (amtlicher Leitsatz)
2. Bei der Bemessung der Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB ist im Rahmen der gebotenen Gesamtschau vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen (Anschluss an BGH a. a. O.). (amtlicher Leitsatz)
3. Die Erhöhung der Einsatzstrafe hat in der Regel niedriger auszufallen, wenn zwischen gleichartigen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht (Anschluss an BGH a. a. O.). (amtlicher Leitsatz)
4. Wird aus Einzelfreiheitsstrafen, die für sich genommen jeweils aussetzungsfähig wären, eine Gesamtfreiheitsstrafe in einer Höhe gebildet, die eine Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausschließt, muss der Tatrichter diesen Umstand in seine Erwägungen einbeziehen. (amtlicher Leitsatz)
5. Eine Pflicht zur Begründung dafür, dass Freiheitsstrafen statt Geldstrafen verhängt wurden, sieht das Gesetz in Fällen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 StGB nicht vor (vgl. auch § 267 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 StPO). (redaktioneller Leitsatz)
6. Deutlich überdurchschnittliche Vermögensverhältnisse können die Voraussetzungen der Schadenswiedergutmachung nach § 46a Nr. 2 StGB von vornherein entfallen lassen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 9. Oktober 2015 im Ausspruch über die Gesamtstrafe unter Aufrechterhaltung der zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.
II.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

I. Das Rechtsmittel führt lediglich zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe. Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden, durchgreifenden Rechtsfehler weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird insoweit auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 14.12.2015 Bezug genommen.
Ergänzend bemerkt der Senat im Hinblick auf die Gegenerklärung der Verteidigung:
1. Der Schuldspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat das Landgericht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2003, 1198), die auch durch die von der Revision zitierte Rspr. des Bundesverfassungsgerichts nicht infrage gestellt wird, rechtsfehlerfrei einen Vermögensschaden bejaht.
2. Ausweislich der Urteilsgründe war sich das Landgericht der Möglichkeit, auch Geldstrafen zu verhängen, durchaus bewusst. Eine Pflicht zur Begründung dafür, dass Freiheitsstrafen statt Geldstrafen verhängt wurden, sieht das Gesetz in Fällen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 StGB nicht vor (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 2. Halbs. 2 StPO).
3. Die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB, der im Falle der Wiedergutmachung materieller Schäden in Betracht kommt, liegen angesichts der vom Landgericht festgestellten, deutlich überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse des Angeklagten von vornherein nicht vor.
4. Die in der Gegenerklärung thematisierte Frage der angeblichen Rechtswidrigkeit des Entzugs der zahnärztlichen Kassenzulassung ist zum einen urteilsfremd; denn die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit durch das nicht rechtskräftig gewordene Urteil des Sozialgerichts belegt noch nicht, dass der Entzug auch rechtswidrig war. Zum anderen würde selbst die Rechtswidrigkeit des Entzugs weder für die Tatbestandserfüllung noch für die Strafzumessung von Bedeutung sein, weil die Zulassung durch den vor dem Landessozialgericht geschlossenen Vergleich erloschen ist.
II. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat hingegen keinen Bestand.
1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht im Wesentlichen lediglich auf die Gesichtspunkte zur Bemessung der Einzelstrafen Bezug genommen hat. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stellt indes die Bemessung der Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB einen eigenständigen Strafzumessungsakt dar, bei dem die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtschau vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2013 – 4 StR 261/13 [bei juris] m. w. N.). Die Erhöhung der Einsatzstrafe hat in der Regel niedriger auszufallen, wenn zwischen gleichartigen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht; wird sie erheblich erhöht, bedarf dies näherer Begründung (BGH a. a. O. m. w. N.).
2. Diesen Vorgaben wird das angefochtene Berufungsurteil nicht gerecht.
a) Es unterbleibt eine an gesamtstrafenspezifischen Gesichtspunkten orientierte besondere Begründung für die Bemessung der Gesamtstrafe. Insbesondere der enge örtliche, zeitliche und situative Zusammenhang der Einzeltaten findet schon keine Erwähnung und hätte im vorliegenden Fall Anlass zu der Überlegung geben müssen, ob die Einsatzstrafe maßvoller zu erhöhen gewesen wäre, als dies die Berufungskammer getan hat.
b) Darüber hinaus wurden weitere wesentliche Gesichtspunkte, die für die Gesamtstrafenbemessung von ausschlaggebender Bedeutung sind, gleichfalls nicht erörtert.
aa) Das Landgericht hat insbesondere außer Acht gelassen, dass es sich bei dem Angeklagten um eine Person handelt, die bislang sozial eingeordnet gelebt hat und deswegen und auch wegen ihres mittlerweile fortgeschrittenen Alters besonders strafempfindlich ist.
bb) Soweit das Landgericht die Vorstrafe bei der Bemessung der Gesamtstrafe als „prägend“ darstellt, ist dies bereits aus den erwähnten Gründen rechtlich bedenklich, weil zu besorgen ist, dass diesem Umstand gegenüber den sonst noch relevanten Gesichtspunkten ein zu großes Gewicht beigemessen wurde. Ungeachtet dessen hat das Landgericht dabei außer Acht gelassen, dass die Taten, derentwegen die Vorverurteilung erfolgte, schon gehörige Zeit zurücklagen.
cc) Ferner ist auch bei der Bemessung der Gesamtstrafe dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der angerichtete Gesamtschaden vollständig wieder gut gemacht wurde.
dd) Schließlich hätte es besonders sorgfältiger Überlegung bedurft, wenn – wie hier – aus jeweils für sich genommen aussetzungsfähigen Einzelstrafen eine Gesamtstrafe in einer Höhe gebildet wird, die die Strafaussetzung zur Bewährung ausschließt (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. Rn. 1219).
3. Hieraus erschließt sich zugleich, dass die Höhe der vom Landgericht gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe auf diesem Begründungsdefizit beruht im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO. Bei einer wertenden Gesamtschau der genannten Gesichtspunkte sind eine geringere Erhöhung der Einsatzstrafe und eine Bemessung der Gesamtstrafe in einer Höhe, welche eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnte, keineswegs fernliegend.
III. Der Gesamtstrafausspruch bedarf deshalb erneuter Überprüfung. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die tatsächlichen Feststellungen bestehen bleiben; sie dürfen um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10.03.2015 – 5 StR 22/15 [bei juris] m. w. N.). Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).


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