Strafrecht

Überprüfung einer Sperrerklärung gegenüber dem Strafgericht

Aktenzeichen  M 7 K 16.3827

Datum:
31.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 96

 

Leitsatz

1 Für einen Streit um die Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung nach § 96 StPO ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet. Da es sich bei einer Sperrerklärung nicht um einen Verwaltungsakt handelt (Anschluss an HessVGH BeckRS 2013, 57210), stellt dabei die Leistungsklage die statthafte Klageart dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wann im Einzelfall die Versagung einer Auskunft und eine dadurch ausgelöste Beeinträchtigung der Beweiserhebung rechtsstaatlich nicht zu beanstanden ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen (Bezugnahme auf BVerfG BeckRS 9998, 103659). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Überprüft werden kann nur, ob die Sperrerklärung formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, ob die oberste Dienstbehörde ihrer Entscheidung einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt und alle nach diesem Maßstab erkennbar erheblichen Umstände bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat, und ob die Sperrerklärung auch im Übrigen angesichts der bekannten Umstände des Einzelfalls nach ihrem Inhalt und ihrem Erklärungswert den Anforderungen des § 96 StPO genügt (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 164297). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4 Besonders zu berücksichtigten sind einerseits die Schwere der zur Aburteilung anstehenden Straftat und das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile sowie andererseits das Gewicht der einer bestmöglichen Aufklärung entgegenstehenden Umstände, insbesondere der Schutz von Vertrauenspersonen vor Gefahren für Leib und Leben und die Geheimhaltung der polizeilichen Arbeitsweise. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
5 Die audiovisuelle Vernehmung führt als gangbare Alternative zur vollständigen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz (Anschluss an BGH BeckRS 2007, 05546). Eine solche eingeschränkte Sperrerklärung ist auch mit Blick auf Art. 6 EMRK und das strafprozessuale Konfrontationsrecht nicht zu beanstanden (Anschluss an HessVGH BeckRS 2013, 52799). (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, nachdem die Beklagte die ursprünglich vollumfängliche Sperrklärung abgeändert und einer Zeugeneinvernahme der VPen unter bestimmten, näher bezeichneten Bedingungen zugestimmt hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Verfahrensgegenständlich ist damit (nur) die eingeschränkte Sperrerklärung in der Fassung des Schreibens des Beklagten vom 26. September 2016. Die hiergegen gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Für einen Streit um die Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung nach § 96 StPO ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet (nunmehr einhellige Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage 2007, § 96 – Rn 14; BVerwG, U.v. 19.8.1986, 1 C 7/85 – juris – Rn. 39). Bei einer Sperrerklärung handelt es sich um eine interne Weisung der obersten Dienstbehörde an die aktenführende Behörde und keinen Verwaltungsakt (HessVGH, B.v. 3.6.2013, 8 B 1001/13 – juris – Rn. 19, offengelassen noch BVerwG, a.a.O. – Rn. 42 ff.). Somit stellt eine Leistungsklage die statthafte Klageart dar und ist das nach Änderung des Klageantrags formulierte Begehren, dass der Beklagte verpflichtet werde, der uneingeschränkten Vernehmung der genannten VPen zuzustimmen, zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Sperrerklärung vom 26. September 2016 mit den dort dargestellten Bedingungen für eine Zeugeneinvernahme der beiden VPen, insbesondere hinsichtlich akustischer und optischer Verfremdung, ist rechtmäßig und begegnet auch vor dem Hintergrund von Art. 6 EMRK keinen Bedenken. Sie hält sich im Rahmen der von der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgezeigten Vorgaben.
Wann im Einzelfall die Versagung einer Auskunft und eine dadurch ausgelöste Beeinträchtigung der Beweiserhebung rechtsstaatlich nicht zu beanstanden ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen (BVerfG, B.v. 26.5.1981, 2 BvR 215/81 – juris – Rn. 80). Für die Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung kommt es darauf an, ob Gründe geltend gemacht und im Rahmen des Möglichen belegt sind, die die Feststellung zulassen, dass die Verweigerung der Aktenvorlage aus in einem § 96 StPO aufgeführten Hinderungsgrund unumgänglich ist. Hierbei ist erforderlich und ausreichend, dass die oberste Dienstbehörde ihre Wertung der Tatsachen als geheimhaltungspflichtig so einleuchtend darlegt, dass das Gericht diese Wertung unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Belange noch als triftig anerkennen kann (BVerwG, a.a.O. juris Leits. 3). Die Erklärung der obersten Dienstbehörde kann dabei durch die Verwaltungsgerichte nur beschränkt überprüft werden, weil der Inhalt der von der Sperrerklärung betroffenen Akten unbekannt ist und deshalb nicht anhand dieser Akten festgestellt kann, ob die von der Behörde geltend gemachten Gründe die Zurückhaltung der Akten rechtfertigen (BVerwG, a.a.O., Rn. 58). Überprüft werden kann nur, ob die Sperrerklärung formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, ob die oberste Dienstbehörde ihrer Entscheidung einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt und alle nach diesem Maßstab erkennbar erheblichen Umstände bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat, und ob die Sperrerklärung auch im Übrigen angesichts der bekannten Umstände des Einzelfalls nach ihrem Inhalt und ihrem Erklärungswert den Anforderungen des § 96 StPO genügt (BVerwG, a.a.O., Rn. 58).
Die für diese Prüfung maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG a.a.O.) weitgehend geklärt (s. a. HessVGH B.v. 29.5.2013, 8 B 1905/13 – juris – und OVG Lüneburg B.v. 4.4.2000, 11 M 1239/00 – juris). Danach bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der im Spannungsfeld stehenden Rechtsgüter und einer entsprechenden Würdigung des gesamten Sachverhalts. Besonders zu berücksichtigten sind dabei einerseits die Schwere der zur Aburteilung anstehenden Straftat und das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile sowie das Gewicht der einer bestmöglichen Aufklärung entgegenstehenden Umstände, insbesondere der Schutz der VPen vor Gefahren für Leib und Leben, die Geheimhaltung der polizeilichen Arbeitsweise sowie der Umstand, dass im Fall der Offenlegung ihrer Identität von dieser VPen zukünftig keine entsprechenden Hinweise mehr erfolgen werden und die Gewinnung weiterer Vertrauenspersonen erschwert wird (BVerfG a.a.O., BVerwG a.a.O., HessVGH a.a.O.).
Eine Offenlegung der Identitäten der VPen aus den in der Sperrerklärung – für das Gericht überzeugend – dargelegten Gründen kommt somit nicht in Betracht (vgl. auch HessVGH B.v. 3.6.2013, 8 B 1001/13 – juris Rn 27). Dies ergibt sich einerseits aus der kriminalpolizeilichen Notwendigkeit des Einsatzes von VPen im Bereich der Bekämpfung der erheblich sozialschädlichen Betäubungsmitteldelikte an sich verbunden mit der entsprechenden Zusage den VPen gegenüber im Vorfeld und der Gefahr des Ausbleibens zukünftigter VPen, falls diese eine Offenlegung ihrer Identität im Nachgang befürchten müssen (vgl. BVerfG, B.v. 8.10.2009, 2 BvR 547/08, juris Rn 23,25; VGH Ba-Wü, B.v. 28.8.2012, 1 S 1517/12, juris – Rn 4f.; OVG NRW, B.v. 19.11.2014, 5 B 1276/14 – juris Rn 11). Die Geheimhaltungsbedürftigkeit gründet sich zudem im konkret erforderlichen Schutz der eingesetzten – und sich nach Angaben der Beklagten bewährten – VPen für ihre weitere Verwendung als VPen ebenso wie zu deren Schutz vor Gefahren für Leib und Leben. Entgegen der klägerischen Auffassung bedarf es keiner über das erfolgte Maß hinausgehender konkreter Anhaltpunkte für die Gefährdung der VPen. Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er die VPen kennen müsse, da er sie nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen getroffen hätte, bedeutet dies nicht, dass er den Namen oder Wohnort der Personen kennt oder auch nur ein näheres Bild von Ihnen hat. Das hat der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Dieser gebotenen Geheimhaltungsbedürftigkeit der konkreten Identitäten der VPen wird gerade durch die – nunmehr nur noch – eingeschränkte Sperrerklärung mit einer angemessenen Konkordanz mit den strafrechtlichen Verfahrensrechten des Klägers, insbesondere dem Konfrontationsrecht, Rechnung getragen (vgl. auch BGH, B.v. 7.3.2007, 1 StR 646/06, juris – Rn. 8). Die audiovisuelle Vernehmung führt als gangbare Alternative zur vollständigen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz (BGH a.a.O.).
Unter den vorgegebenen eingeschränkten Bedingungen der Zeugeneinvernahme ist die Befragung der VPen durch den Verteidiger und sogar den Kläger, der nach dem Schreiben des StMIBV vom 26. September 2016 anwesend sein darf, durchaus möglich. Die eingeschränkte Sperrerklärung ist daher auch mit Blick auf Art. 6 EMRK und dem strafprozessualen Konfrontationsrecht nicht zu beanstanden (vgl. auch HessVGH, B.v. 29.5.2013, 8 B 1005/13 u.a., juris – Rn. 23 a.E und OVG Lüneburg B.v. 4.4.2000, 11 M 1239/00, Rn. 9).
Im Rahmen der gebotenen Abwägung ist zwar von Bedeutung, dass dem Kläger eine erhebliche Straftat nach der vom Gericht beigezogenen Anklageschrift mit einem von der Staatsanwaltschaft erwarteten Strafmaß von über 4 Jahren zur Last gelegt wird. Nach Angaben des StMIBV stehen jedoch weitere objektive Beweismittel wie z.B. Erkenntnisse aus der TK-Überwachung, das sichergestellte Kokain, Angaben eines eingesetzten noeP als unmittelbarer Zeuge und der VP-Führer als Zeuge vom Hörensagen zur Verfügung.
Die erhobenen Einwände gegen die weiteren vom Beklagten formulierten Bedingungen der Zeugeneinvernahme, die im Wesentlichen den Auflagen des Hess.VGH in seiner Entscheidung vom 29. Mai 2013 entsprechen, sind im Übrigen nicht überzeugend. Insbesondere bestehen keinerlei Bedenken gegen die Anwesenheit eines Führungsbeamten bei der Zeugeneinvernahme. Schließlich gibt die StPO Zeugen die Möglichkeit eines Zeugenbeistands.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154, 155 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Soweit die ursprünglich vollumfängliche Sperrerklärung vom Beklagten geändert wurde, hätte der Kläger im Verfahren voraussichtlich obsiegt, so dass es billigem Ermessen entspräche, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Im Übrigen, weit überwiegenden Teil, unterliegt der Kläger jedoch. Mangels Teilbarkeit des vorliegenden Streitwerts ist es im Rahmen der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung daher angemessen, die Kosten insgesamt gegeneinander aufzuheben.


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