Strafrecht

Verletzung des Postgeheimnisses im Beamtenverhältnis – Zurückstufung

Aktenzeichen  16b D 15.2416

Datum:
29.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 9
StGB StGB § 206

 

Leitsatz

Der Bindungswirkung im Disziplinarverfahren unterliegen auch negative Feststellungen des Strafgerichts, auf denen beruhend der Beamte von Beschuldigungen freigestellt wird. Eine Lösung von den strafrechtlichen Feststellungen ist nur möglich, wenn diese widersprüchlich oder offenkundig unrichtig sind; allein die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs reicht hierfür nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Die Bemessung des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten begangene Straftat hervorgerufen wird, richtet sich nach dem Strafrahmen der verletzten Strafvorschrift. Reicht der Strafrahmen bei einer Verletzung des Postgeheimnisses (§ 206 StGB) bis zu fünf Jahren, kann eine Entfernung aus dem Dienst als Disziplinarmaßnahme angemessen sein. Bei einer Bagatellverurteilung – Geldstrafe von 30 Tagessätzen – und dem Vorliegen des Milderungsgrundes eines erst- und einmaligen Fehlverhaltens mit einem Schaden unter 200,- Euro kommt aber nur eine Zurückstufung in Betracht, auch wenn ein Postbeamter mit der Öffnung von Postsendungen seine Kernpflichten verletzt.   (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19B DK 15.1856 2015-09-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung (§ 9 BDG) in das Eingangsamt erkannt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf, solche sind vom Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht worden. Gegenstand der Disziplinarklage ist ausschließlich der dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg zugrunde liegende Sachverhalt, also das Ansichnehmen des Smartphones Samsung Galaxy Ace am 21. März 2013. Verdachtsmomenten in Bezug auf das im Rahmen der Hausdurchsuchung beim Beklagten aufgefundene, ebenfalls bei einem Zustellstützpunkt der Post abhanden gekommene Gerät Sony Ericsson, dass der Beklagte nach seinen Angaben als Gebrauchtgerät in einem Ladengeschäft erworben hat, war nicht nachzugehen, weil die Klageschrift die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darlegen muss. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe müssen nachvollziehbar beschrieben werden. Nur eine derartige Konkretisierung der disziplinarischen Vorwürfe ermöglicht dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung (BVerwG, B. v. 9.10.2014 – 2 B 60/14 – juris Rn. 14, 17).
2. Nach § 57 Abs. 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 22. April 2014 verweist hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts auf den Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 24. Oktober 2013, wonach der Beklagte als Zusteller der Deutschen Post AG zu einem unbekannten Zeitpunkt, vermutlich am 21. März 2013 nach 4:20 Uhr im Zustellstützpunkt W…, ein Paket, welches ein Mobiltelefon der Marke Samsung Galaxy S5830 Ace (IMEI Nr. …) enthielt, entwendete, um dieses Paket samt Mobiltelefon im Wert von 180,00 Euro dauerhaft ohne Berechtigung für sich zu behalten, mit der Maßgabe, dass die Verfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf die Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses beschränkt wurde. Damit fehlen tatsächliche Feststellungen zum Vorliegen einer Zueignungsabsicht. Diese erforderte eine dauerhafte Enteignungsabsicht in Bezug auf den Eigentümer und hätte, falls eine Enteignungsabsicht nicht schon bei Tatbegehung, sondern erst später vorgelegen hätte, statt zu einer Verurteilung wegen Diebstahls zu einer Verurteilung wegen Unterschlagung geführt. Wegen der dem Beklagten bereits im Strafverfahren nicht widerlegbaren Behauptung, er habe das Smartphone nach dem Ausprobieren am 23. März und 4. April 2013 an die für beschädigte Postsendungen zuständige Stelle weitergeleitet, stand insoweit eine bloße Gebrauchsanmaßung fremder Güter im Raum, die nur im Rahmen der §§ 248b, 290 StGB bei Kraftfahrzeugen und Pfandsachen strafbewehrt ist (Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 242 Rn. 51). Deshalb ist der Beklagte vom Amtsgericht ausschließlich wegen der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (in Form der Postunterdrückung nach § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB) verurteilt worden. Auch solche negativen Feststellungen, auf denen beruhend das Strafgericht – ohne insoweit zu einem Freispruch im Sinn des § 14 Abs. 2 BDG zu gelangen – Beamte von Beschuldigungen teilweise freistellt und nur wegen weiterer Tatsachen verurteilt, unterliegen der Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 BDG (Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, 6. Auflage 2016, § 57 Rn. 6). Verbleibende Zweifel daran, ob es sich bei dem Vortrag, der Beklagte habe das Smartphone später an die für beschädigte Postsendungen zuständige Stelle geschickt, nicht um eine bloße Schutzbehauptung handelt, weil dieser Vortrag auch in der mündlichen Verhandlung detailarm geblieben ist, ermöglichen es dem Senat auch vor dem Hintergrund, dass die eplus SIM-Karten, mit denen das Smartphone ausprobiert wurde, bezüglich der gespeicherten Vertragsdaten merkwürdige Namensverdrehungen des Nachnamens des Beklagten aufweisen, nicht, sich von den strafrechtlichen Feststellungen gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG zu lösen. Diese sind frei von Widersprüchen und enthalten keine offenkundigen Unrichtigkeiten. Die bloße Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs reicht grundsätzlich für einen Lösungsbeschluss nicht aus (Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, a. a. O., § 57 Rn. 10).
Insgesamt betrachtet hat der Beklagte mit der Postunterdrückung ein schweres Dienstvergehen begangen. Er hat – wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – schuldhaft und in schwerwiegender Weise die ihm obliegenden Pflichten aus § 77 Abs. 1 BBG verletzt. Er hat gegen seine beamtenrechtliche Pflicht, die Gesetze zu beachten und sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten, verstoßen.
3. Nach § 13 Abs. 1 BDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – NVwZ 2016, 772/773 m. w. N.).
Da die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 BDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 Abs. 1 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z. B. Kern- oder Nebenpflichtverletzung, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z. B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – NVwZ 2016, 772/773 m. w. N.).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, ist nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die die Judikatur zum Zugriffsdelikt aufgeben will, sowohl bei außerdienstlichen wie auch bei innerdienstlich begangenen Dienstvergehen auf den Strafrahmen der verletzten Strafvorschriften zurückzugreifen. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren – hier sind es bei der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (§ 206 StGB) bis zu fünf Jahre – vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafdrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt indes nur in Betracht, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht. Ist von den Strafgerichten nur auf eine Geldstrafe erkannt oder das Strafverfahren eingestellt worden und sind die Strafverfolgungsorgane damit nicht von einer besonderen Schwere der individuellen Schuld ausgegangen (vgl. § 153a StPO), bedarf der Ausspruch einer statusberührenden Disziplinarmaßnahme daher einer besonderen Begründung der Disziplinargerichte zur Schwere der Verfehlung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommt hier nur ausnahmsweise und bei Vorliegen disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstände in Betracht (BVerwG, U.v.18.6.2015 – 2 C 9/14 – BVerwGE 152, 228/240).
Dass die Strafverfolgungsorgane hier nicht von einer besonderen Schwere der individuellen Schuld ausgegangen sind, ergibt sich schon daraus, dass das Strafgericht eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen verhängt hat und damit am untersten Rand des Strafrahmens geblieben ist. Die der Geldstrafe zugrunde liegende Zahl der Tagessätze unterschreitet damit auch deutlich die Bagatellgrenze des § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG (vgl. Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, 5. Aufl. 2015, § 32 Rn. 28; Hase, Bundeszentralregistergesetz, 2. Aufl. 2014, § 32 Rn. 9). Nach dieser Bestimmung werden Geldstrafen von nicht mehr als neunzig Tagessätzen nicht in das Führungszeugnis aufgenommen, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist.
Gleichwohl liegt mit der Verletzung des Postgeheimnisses durchaus ein disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstand vor, denn von einem Postbeamten muss erwartet werden, dass er dieses grundrechtlich durch Art. 10 GG und einfachrechtlich durch § 39 PostG und § 206 StGB geschützte Rechtsgut achtet und mit besonderer Sorgfalt respektiert. In der schuldhaften Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbeamte liegt deshalb ein Dienstvergehen im Bereich der Kernpflichten des Postbeamten, das geeignet ist, die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören, zumal dann, wenn das Postgeheimnis – wie hier – mit dem Ziel verletzt wird, Zugang zu aneignungsfähigen Inhalten zu erlangen. Dieser Gesichtspunkt ist indes auch strafrechtlich bereits dadurch berücksichtigt ist, dass für Postboten wie den Beklagten die deutlich schärfere Strafnorm des § 206 StGB gilt, während sonstige nicht zur Postbeförderung bestellte Personen insoweit nur der Strafdrohung des § 202 StGB unterliegen (Verletzung des Briefgeheimnisses, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist), so dass eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei einer Bagatellverurteilung jedenfalls dann ausscheidet, wenn ein anerkannter Milderungsgrund oder mildernde Umstände vorliegen, die in ihrer Gesamtheit von insgesamt vergleichbarem Gewicht sind.
4. In der Rechtsprechung „anerkannte“ (klassische) Milderungsgründe, die typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des betroffenen Beamten erfassen, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben, greifen nicht zugunsten des Beklagten ein.
a) Der Milderungsgrund der persönlichkeitsfremden und einmaligen Augenblickstat, der durch das Versagen des Beamten in einer spezifischen Versuchungssituation gekennzeichnet wird, ist vorliegend zu verneinen.
Dieser Milderungsgrund liegt vor, wenn ein Beamter im Zuge einer plötzlich entstandenen, besonderen Versuchungssituation einmalig und persönlichkeitsfremd gehandelt und dabei ein gewisses Maß an Kopflosigkeit, Unüberlegtheit und Spontanität gezeigt hat (BVerwG, U.v. 4.7.2000 – 1 D 33/99 – juris; U.v. 15.4.1994 – 1 D 19.93 – juris). Er kommt nur in Betracht, wenn der Beamte unter dem Einfluss eines von außen auf die Willensbildung einwirkenden Ereignisses in Versuchung geraten ist, sich in der vorgeworfenen Weise eigennützig zu verhalten (BVerwG, U.v. 11.6.2002 – 1 D 31/01 – juris Rn. 19).
Für den Beklagten als Postzusteller fehlte es bereits an einer besonderen Versuchungssituation, denn beschädigte Postsendungen stellen für ihn eine Alltagssituation dar. Dass er zur Tatzeit ein Smartphone für seine Tochter erwerben wollte, und dass das unterdrückte Postpaket bereits aufgeplatzt war, rechtfertigen ebenfalls keine andere Beurteilung, weil das in dem aufgeplatzten Postpaket enthaltene Smartphone überall in Smartphones führenden Handelsgeschäften hätte ausprobiert werden können.
b) Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit der Sache kommt beim Beklagten ebenfalls nicht zum Tragen. Ausgehend von der Rechtsprechung der Strafgerichte zu § 248a StGB ist die Grenze der Geringwertigkeit bei etwa 50 Euro anzusetzen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – NVwZ 2016, 772/774 m. w. N.).
5. Es liegen aber mildernde Umstände von insgesamt vergleichbarem Gewicht vor. Bei dem hier zugrunde zu legenden erst- und einmaligen Fehlverhalten mit einem Schaden von weniger als 200 Euro konnte hier von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden (BVerwG, B.v. 6.6.2013 -2 B 50/12 – juris Rn. 8; B.v. 23.2.2012 – 2 B 143/11 – juris Rn. 13), zumal der Beklagte – wenn auch nicht vor Entdeckung der Tat – den Schaden wieder gutgemacht hat.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO).


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