Strafrecht

Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  203 StRR 66/20

Datum:
4.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12149
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 257, § 258
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Kein Besitz im Sinne des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BtMG ist eine Sachherrschaft, die sich auf keine nennenswerte Dauer erstreckt, auch nicht erstrecken soll, und zugunsten eines anderen in dessen Beisein ausgeübt wird (im Anschluss an BayObLGSt. 1982, 132). (Rn. 5 – 8)
2. Wer lediglich eine solche Sachherrschaft an einem Betäubungsmittel erlangt, verschafft es sich auch nicht im Sinne des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BtMG. (Rn. 9)
3. Sicherungsabsicht im Sinne des § 257 StGB fehlt, wenn die Vorteilssicherung aus Sicht des Handelnden lediglich eine unausweichliche Nebenfolge seines Tuns ist, die er also nicht mindestens gleichrangig anstrebt, sondern nur als – wenn auch angenehmen – Nebeneffekt in Kauf nimmt. (Rn. 11 – 12)
4. Im Sinne des § 258 Absatz 5 StGB kann auch derjenige zur Vereitelung eigener Strafverfolgung handeln, dem objektiv keine Strafverfolgung droht, sei es aus Rechts- oder aus tatsächlichen Gründen. (Rn. 13 – 14)

Verfahrensgang

3 Ds 359 Js 4179/19 jug (2) 2019-10-07 Urt AGHERSBRUCK AG Hersbruck

Tenor

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Jugendrichter – Hersbruck vom 7. Oktober 2019 in seinem Schuldund seinem Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hersbruck – Jugendrichter – zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Hersbruck – Jugendrichter – sprach den Angeklagten am 7. Oktober 2019 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig (§ 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BtMG) und erteilte ihm die Auflage, bis zum 1. November 2019 einen Geldbetrag von 900,00 Euro an Justus e. V. zu bezahlen. Zudem erlegte es dem Angeklagten die Verfahrenskosten auf.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Angeklagten. Sie erhebt die allgemeine Sachrüge und führt aus, dass die Feststellungen des angefochtenen Urteils weder den äußeren noch den inneren Tatbestand eines unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erfüllten. Der Angeklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Absatz 2 StPO als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen. Die Verteidigung hat hierzu Stellung genommen und die Revisionsbegründung aufrechterhalten.
II.
Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Absatz 1, § 344 Absatz 1, § 345 StPO) und begründet (§ 353 Absatz 1 StPO). Die Feststellungen sind zwar frei von Rechtsfehlern, tragen aber keinen Schuldspruch wegen eines täterschaftlich begangenen Delikts nach dem Betäubungsmittelgesetz (unten 1. und 2.). Die Feststellungen begründen zudem keinen Schuldspruch wegen Begünstigung nach § 257 Abs. 1 StGB (unten 3.) oder versuchter Strafvereitelung nach §§ 22, 23, 258 StGB (unten 4.). Eine Schuldspruchberichtigung wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gem. § 27 StGB, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Variante 3 BtMG war mangels hinreichender Feststellungen nicht möglich (unten 5.).
1. Die Feststellungen tragen keinen Schuldspruch gemäß § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BtMG, denn zugunsten des Angeklagten ist anzunehmen, dass die Sachherrschaft, die er an den Betäubungsmitteln kurzfristig begründete, kein Besitz im Sinne jener Strafvorschrift war.
a) Besitz im Sinne des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BtMG verlangt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, das von Herrschaftswillen getragen wird. Eine ganz kurzfristige Hilfstätigkeit genügt nicht, das heißt eine Sachherrschaft, die sich auf keine nennenswerte Dauer erstreckt, auch nicht erstrecken soll, und zugunsten eines anderen in dessen Beisein ausgeübt wird (BGHSt. 26, 117 [f.]; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2; BayObLGSt. 1982, 132 [f.] OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. März 1994, 1 Ss 16/94 – 2 -). In der Rechtsprechung ist eine solche Hilfstätigkeit etwa angenommen worden für einen Angeklagten, der Haschisch im Beisein des Eigentümers 20 Meter weit trug (BGHSt. 26, 117 [f.]), sowie für einen Angeklagten, der als Kaufinteressent in Anwesenheit der prospektiven Verkäufer in einem Hotelzimmer Beutel mit Heroin in einem Blumenkübel versteckt, um sie vor der Polizei zu verstecken, die das Hotel bereits betreten hat und kurz davor steht, das Zimmer und die Beteiligten zu durchsuchen (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2). Am nächsten kommt vorliegendem Fall der Sachverhalt aus BayObLGSt. 1982, 132. Dort hatte der Angeklagte während einer Polizeikontrolle einem anderen dessen Filmdose mit Haschisch aus der Hand genommen – vermeintlich unbemerkt – und in die eigene Jackentasche gesteckt, um zu verhindern, dass die Polizei das Rauschgift auffände und (auch) er selbst in den Verdacht geriete, Haschisch zu besitzen und zu rauchen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts saß der Angeklagte mit dem anderweitig verfolgten Rauschgiftdealer K. auf einer Parkbank und war lediglich anwesend – ohne Kaufoder Konsumabsicht -, während K. Rauschgift (jedenfalls Amphetamin und Methamphetamin) in kleine Plastiktüten umpackte. Als sich Polizisten näherten und der Angeklagte fürchtete, K. allein werde das Rauschgift nicht mehr rechtzeitig in seiner Kleidung verstecken können, nahm der Angeklagte ebenfalls Rauschgift an sich und steckte es in seine Unterhose, „um dem anderweitig verfolgten K. zu helfen, aber auch, um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, dass ihm das Rauschgift gehören könnte“ (UA S. 3). Die polizeiliche Kontrolle dauerte insgesamt, also einschließlich des Auffindens des Rauschgifts, 10 bis 15 Minuten.
Diese Feststellungen belegen lediglich, dass der Angeklagte eine Sachherrschaft über das Rauschgift nur während kurzer Dauer hatte und auch nicht länger haben wollte; und zwar nicht länger, als die polizeiliche Kontrolle dauern würde. Dabei übte er diese Sachherrschaft nur insoweit im eigenen Interesse aus, wie sie verhindern sollte, dass sich ein Tatverdacht wegen eines Rauschgiftdelikts auch gegen ihn richtete. Was aber den Erhalt der Sachsubstanz und den Sachwert betraf, handelte der Angeklagte fremdnützig zugunsten des K., der während dieser Handlung anwesend war und sie ausdrücklich oder mutmaßlich billigte. Daher handelte es sich bei der Sachherrschaft des Angeklagten um eine bloß sehr kurzfristige und zugunsten eines anderen sowie in dessen Beisein ausgeübte Hilfstätigkeit und mithin nicht um einen Besitz im Sinne des § 29 BtMG. Aus diesem Grund war der Schuldspruch gemäß § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BtMG aufzuheben.
2. a) Eine Schuldspruchberichtigung zu einem unerlaubten Sichverschaffen von Betäubungsmitteln nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 letzte Variante war nicht möglich. Insoweit kann nichts anderes gelten als für den unerlaubten Besitz. Ein Sichverschaffen setzt voraus, dass der Täter tatsächliche und – zumindest auch – eigene Verfügungsgewalt erlangt, das heißt nach den Absprachen der Beteiligten (auch) selbst befugt sein soll, mit dem Rauschgift gemäß eigenen Willensentschlüssen umzugehen (BGH Beschluss vom 22. Februar 2006, 3 StR 19/06, in juris Rn. 3; Weber Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, Kommentar, 4. Auflage, § 29 Rn. 1238 mit weiteren Nachweisen). Daran fehlt es schon, wenn jemand Rauschgift lediglich zur Verwahrung erhält (BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2). Erst recht muss dies gelten, wenn jemand wie hier eine Sachherrschaft nur kurzfristig, fremdnützig und in Gegenwart desjenigen erlangt, der befugt bleiben soll, mit der Sache nach seinem Belieben umzugehen.
b) Keine Schuldspruchberichtigung war ferner möglich zu einem täterschaftlichen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 dritte Variante. Zwar kann schon das bloße Erlangen von Sachherrschaft über ein Betäubungsmittel ein Handeltreiben mit ihm sein. Dann muss der Täter aber in der Absicht handeln, das Rauschgift gewinnbringend zu verwerten oder auf sonstige Weise für sich einen persönlichen Vorteil zu erlangen (BGHSt. 30, 359 [360 f.]; BGH NStZ 1993, 44 [45]). Das belegen die Feststellungen nicht.
3. Die Feststellungen begründen zudem keinen Schuldspruch wegen Begünstigung nach § 257 Absatz 1 StGB. Begünstigung bedingt die Absicht des Täters, einem anderen die Vorteile aus einer Vortat zu sichern, sogenannte Sicherungsabsicht. An ihr fehlt es, wenn die Vorteilssicherung aus Sicht des Handelnden lediglich eine unausweichliche Nebenfolge seines Tuns ist, die er also nicht mindestens gleichrangig anstrebt, sondern nur als – wenn auch angenehmen – Nebeneffekt in Kauf nimmt (BGH NStZ 2000, 31 [ebd.]; 1992, 540 [541]; T. Walter Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, § 257 Rn. 78). Hauptfall ist jemand, der in erster Linie eine Strafverfolgung vereiteln will, während ihm vergleichsweise unbedeutende Vorteile aus der Anlasstat einerlei sind (T. Walter am angegebenen Ort).
So liegen die Dinge auch hier. Der Angeklagte wollte vor allem verhindern, dass es zu einer Strafverfolgung des K. und seiner selbst käme. Dazu musste er verhindern, dass die Polizisten das Rauschgift fanden. Insoweit die Feststellungen davon sprechen, der Angeklagte habe K. „helfen“ wollen, ist damit jedenfalls eine Strafvereitelungshilfe gemeint. Zwar wäre denkbar, dass der Angeklagte zugleich mit der Absicht handelte, K. den Besitz des Rauschgifts zu sichern. Das hat das Amtsgericht aber weder klar noch sicher festgestellt. Ohne sie hat man zugunsten des Angeklagten anzunehmen, dass sein vorrangiges Handlungsziel die Strafvereitelung zugunsten des K. und das Vermeiden eigener Unannehmlichkeiten gewesen ist; dass er also, hätte er im kritischen Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt, die polizeiliche Nachforschung durch ein Vernichten des Rauschgifts sicher zu unterbinden, diese Chance genutzt haben würde.
4. Der Angeklagte kann auf der Grundlage der Feststellungen des Amtsgerichts auch nicht nach §§ 22, 258 StGB schuldig gesprochen werden. Denn er handelte jedenfalls auch, um die eigene Strafverfolgung zu verhindern, § 258 Absatz 5 StGB. Dass ihm eine solche womöglich gar nicht drohte, weil er sich tatsächlich nicht strafbar gemacht hatte, ist ohne Belang.
Entsprechendes gilt selbst dann, wenn jemand positiv weiß, dass er sich nicht strafbar gemacht hat, aber verhindern will, dass gegen ihn ermittelt wird, wenn und weil die Polizei sonst von Umständen Kenntnis erlangte, die einen Anfangsverdacht gegen ihn begründeten (BGHR StGB § 258 Abs. 5 Vorsatz 2; T. Walter Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, § 258 Rn. 127).
5. Die Feststellungen zum objektiven Sachverhalt legen allerdings einen Schuldspruch wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gem. § 27 StGB, § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3. Variante BtMG nahe, denn bereits das Umpacken von Betäubungsmitteln kann den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen (Weber Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, Kommentar, 4. Auflage, § 29 Rn. 485 mit weiteren Nachweisen). Das gilt auch für die Feststellungen des Amtsgerichts zur Motivation des Angeklagten („um dem anderweitig verfolgten K. zu helfen“).
III.
Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil in seinem Schuldund seinem Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und ist die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hersbruck – Jugendrichter – zurückzuverweisen (§ 353 Absatz 1, § 354 Absatz 2 Satz 1 StPO). Die Feststellungen bleiben bestehen, weitere Feststellungen sind möglich.


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