Strafrecht

Vorführung bei einem abgelehnten Richter

Aktenzeichen  2 Qs 24/20

Datum:
19.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV – 2020, 460
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 29 Abs. 1, § 115, § 309 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine von einem abgelehnten Richter vorgenommene unaufschiebbare Prozesshandlung (hier: Entscheidung nach Vorführung gem. § 115 StPO) ist, wenn sich der Befangenheitsantrag danach als begründet erweist, nicht unwirksam, aber fehlerhaft und damit anfechtbar. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein wirksamer Beschluss mit einem zulässigen Rechtsmittel angefochten, weil er von einem zu Recht abgelehnten Richter erlassen wurde, ist er aufzuheben und trotz § 309 Abs. 2 StPO an die untere Instanz zurückzuverweisen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten Ya. Mu. Al. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 24.02.2020 wird dieser aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Eröffnung und Invollzugsetzung des Haftbefehls an das Amtsgericht Ingolstadt zurückverwiesen.

Gründe

I.
Bei der Staatsanwaltschaft Ingolstadt ist gegen den Beschuldigten Mu. Al. Ya. ein Ermittlungsverfahren anhängig. Der Beschuldigte wurde am 30.10.2019 festgenommen und befand sich seither bis zur Haftentlassung am 17.12.2019 in dieser Sache in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25.10.2019, Gz. 1 Gs 2523/19 (Bl. 38/40 d. A.), in welchem ihm Totschlag in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen gem. §§ 212 Abs. 1, 315 d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5, 52 StGB zur Last gelegt und der Haftgrund auf §§ 112 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StPO gestützt wurde.
Mit Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 13.12.2019 wurde auf die Beschwerde des Beschuldigten hin der Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 11.11.2019 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25.10.2019, Gz. 1 Gs 2523/19, dahingehend abgeändert, dass der Beschuldigte des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung gem. §§ 315 d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5, 222 StGB dringend verdächtig ist. Darüber hinaus wurde der Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Der Beschuldigte wurde daraufhin am 17.12.2019 aus der Haft entlassen. Wegen der Gründe wird inhaltlich Bezug genommen auf den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 13.12.2019 (Bl. 763/771 d.A.).
Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt unter dem 18.12.2019, eingegangen bei Gericht am 19.12.2019, Beschwerde ein und beantragte, den Haftbefehl wie am 25.10.2019 beantragt, aufrechtzuerhalten und in Vollzug zu belassen. Wegen der Gründe wird inhaltlich Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Ingolstadt vom 18.12.2019 (Bl. 806/808 d.A.). Mit Beschluss vom 02.01.2020 half das Landgericht Ingolstadt der Beschwerde nicht ab.
Mit Beschluss vom 20.01.2020 verwarf das Oberlandesgericht München, Az. 4d Ws 6/20, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ingolstadt hinsichtlich des Tatvorwurfs als „derzeit unbegründet“. Im Übrigen setzte das Oberlandesgericht München den Haftbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25.10.2019, Gz. 1 Gs 2523/19, mit der Maßgabe wieder in Vollzug, dass der Beschuldigte des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung gem. §§ 315 d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 5, 222, 52 StGB dringend verdächtig ist, der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht und der Haftgrund nach § 112 Abs. 3 StPO entfällt. Das Oberlandesgericht München ordnete den erneuten Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Ingolstadt 25.10.2019 an. Wegen der Einzelheiten wird inhaltlich Bezug genommen auf den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 20.01.2020 (Bl. 924/929 d.A.).
Der Beschuldigte wurde daraufhin am 22.01.2020 erneut festgenommen.
Mit Schriftsatz vom 22.01.2020, eingegangen bei Gericht am 22.01.2020 um 14:08 Uhr, lehnte der Verteidiger des Beschuldigten, RA Dr. Ah. den Ermittlungsrichter RiAG F. wegen der Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des auf 14:30 Uhr anberaumten Termins zur Haftvorführung ab. Im Vorfeld gab es zur Terminsabstimmung ein Telefonat zwischen Ermittlungsrichter RiAG F. und der Kanzlei des Verteidigers RA Dr. Ro., in welchem RiAG F. sinngemäß äußerte, der Haftbefehl werde ohnehin vollzogen.
Zur Begründung des Befangenheitsantrags nahm der Verteidiger RA Dr. Ah. auf dieses Telefonat Bezug und führte aus, dass sich hieraus bereits die Voreingenommenheit des Ermittlungsrichters RiAG F. ergebe. Der Erlass des Haftbefehls sei sachfremd und diskriminierend.
Im Übrigen beantragte der Verteidiger RA Dr. Ah., die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters i.S.d. § 26 Abs. 3 StPO sowie die zur Entscheidung über diesen Ablehnungsantrag berufenen Richter jeweils mit ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zur diesseitigen Kenntnis zu bringen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 22.01.2020 (Bl. 1070/1075 d.A.)
Unter Hinweis auf den Befangenheitsantrag führte der Ermittlungsrichter RiAG F. um 14:30 Uhr die Haftvorführung durch und erließ den Beschluss, dass der Haftbefehl nach Maßgabe der Gründe des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 20.01.2020 aufrechterhalten bleibt und wieder in Vollzug gesetzt wird.
Der Beschuldigte befindet sich seither wieder in der JVA A.-G. in Untersuchungshaft.
Die unter dem 22.01.2020 abgegebene dienstliche Stellungnahme des Ermittlungsrichters RiAG Fh (Bl. 1082 d.A.) wurde mit Verfügung vom 24.01.2020 dem Verteidiger RA Dr. Ah. mit einer Äußerungsfrist von einer Woche zugeleitet. Mit Verfügung vom 03.02.2020 wurde dem Verteidiger darüber hinaus mitgeteilt, dass nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Ri’in AG Schh zuständig ist. Eine Stellungnahme ging hierauf nicht ein.
Mit Beschluss vom 10.02.2020 erachtete das Amtsgericht Ingolstadt durch Ri’inAG Sc. das Ablehnungsgesuch gegen den Ermittlungsrichter RiAG F. wegen Besorgnis der Befangenheit als begründet. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts Ingolstadt vom 10.02.2020 (Bl. 1087/1090 d.A.).
Daraufhin beantragte der Verteidiger des Beschuldigten, RA Dr. Ah. mit Schreiben vom 18.02.2020, festzustellen, dass die am 22.01.2020 angeordnete Vollziehung des Haftbefehls durch den abgelehnten RiAG F. und damit die seither vollzogene Ingewahrsamnahme rechtswidrig ist sowie den Beschuldigten sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen, mithin den Beschluss des RiAG F. vom 22.01.2020 unverzüglich aufzuheben.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass infolge der Ablehnung des Ermittlungsrichters RiAG F. eine unverzügliche Vorführung vor dem zuständigen Richter nicht erfolgt sei. Der Beschuldigte befinde sich daher aufgrund eines von einem befangenen Richter ergangenen Beschlusses in Untersuchungshaft, was rechtswidrig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18.02.2020 (Bl. 1093/1095 d.A.) inhaltlich Bezug genommen.
Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, wie der Antrag auszulegen sei, reagierte der Verteidiger RA Dr. Ro. mit Schriftsatz vom 21.02.2020 (Bl. 1098/1099 d.A.) und wies ausdrücklich nochmals darauf hin, dass der am 22.01.2020 durch den befangenen Ermittlungsrichter RiAG F. wieder in Vollzug gesetzte Haftbefehl rechtswidrig sei. Dementsprechend sei auch seit Erlass des Beschlusses am 10.02.2020 die Inhaftierung des Beschuldigten rechtswidrig.
Ebenso reagierte der Verteidiger RA Dr. Ah. hierauf mit ergänzenden Ausführungen. Insoweit wird auf den Schriftsatz vom 24.02.2020 (Bl. 1101/1105 d.A.) Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 24.02.2020 verbeschied das Amtsgericht Ingolstadt den Antrag des Verteidigers Dr. Ah. vom 18.02.2020 im Tenor wie folgt: Der Haftbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt vom 25.10.2019 mit dem Aktenzeichen 1 Gs 2523/19 für Ya. Mu. Al., geb. …1997 bleibt nach Maßgabe des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 20.01.2020 aufrechterhalten, der weitere Vollzug dieses Haftbefehls wird angeordnet und der Feststellungsantrag vom 18.02.2020 wird als unzulässig zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses vom 24.02.2020 Bezug genommen (Bl. 1106/1109 d.A.).
Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde vom 07.03.2020, eingegangen bei Gericht ebenfalls am 07.03.2020. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Amtsgericht Ingolstadt nicht selbst mit den Gründen, die zu einer Fluchtgefahr führen, auseinandergesetzt habe, sondern lediglich vollumfänglich auf die Argumentation des Oberlandesgerichts München verweise. Das Amtsgericht verkenne zudem die gesetzliche Wertung des § 112 StPO und bestätige einen Beschluss, an dem ein befangener Richter mitgewirkt habe, und halte ebendiesen Umstand für unerheblich. In diesem Zusammenhang wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, das Ablehnungsgesuch um 14:30 Uhr einem anderen Richter am Amtsgericht vorzulegen und hierüber unverzüglich zu entscheiden. Zudem sei es möglich gewesen, den Beschuldigten bis zum Ablauf des nächsten Tages auch ohne Haftentscheidung festzuhalten, so dass auch aus diesem Grund die Haftentscheidung nicht unaufschiebbar i.S.d. § 29 StPO gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht wird im Übrigen darauf verwiesen, dass § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB derzeit höchst umstritten und wohl verfassungswidrig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung mit Schriftsatz vom 07.03.2020 (Bl. 1122/1130 d.A.) verwiesen.
Das Amtsgericht Ingolstadt hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 10.03.2020, Bl. 1131 d.A.) und dem Landgericht Ingolstadt zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde hat vorläufig Erfolg.
Nach § 29 Abs. 1 StPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Unaufschiebbar sind Handlungen, die wegen ihrer Dringlichkeit nicht anstehen können, bis ein Ersatzrichter eintreten kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Auflage 2017, § 29 Rn. 4). 2 Qs 24/20 – Seite 5 – Nach § 115 Abs. 1 StPO ist der Beschuldigte unverzüglich dem zuständigen Gericht vorzuführen, wenn der Beschuldigte aufgrund eines Haftbefehls ergriffen wird. Am Tage nach der Ergreifung darf der Beschuldigte nur dann vorgeführt werden, wenn eine frühere Vorführung nicht möglich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Auflage 2017, § 115 Rn. 5). Innerhalb dieser zeitlichen Vorgaben war die Haftvorführung des Beschuldigten nach seiner Festnahme aufgrund bestehenden Haftbefehls am 22.01.2020 unaufschiebbar. Eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag war innerhalb dieser Frist nicht möglich, da der Verteidiger die Übermittlung der dienstlichen Äußerung des Richters mit ausreichend Gelegenheit zu Stellungnahme beantragt hatte.
Unter dem 10.02.2020 wurde jedoch der zuständige Ermittlungsrichter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Nimmt der abgelehnte Richter eine unaufschiebbare Handlung vor, bleibt diese auch dann wirksam, wenn die Ablehnung für begründet erklärt wird (MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 1. Aufl. 2014, StPO § 29 Rn. 15).
Aber: Erweist sich der Befangenheitsantrag nach Vornahme einer unaufschiebbaren Handlung als begründet, ist die Handlung zwar nicht unwirksam, aber fehlerhaft, d.h. sie muss angefochten bzw. gerügt werden (BeckOK StPO/Cirener, 36. Edition 01.01.2020, StPO § 29 Rn. 5).
Beschlüsse entfalten zunächst Wirkung, werden sie allerdings mit einem zulässigen Rechtsmittel angefochten, sind sie aufzuheben und trotz § 309 Abs. 2 ausnahmsweise an die untere Instanz zurückzuverweisen (BeckOK StPO/Cirener, 36. Edition 01.01.2020, StPO § 22 Rn. 10).
Die durch den abgelehnten Richter vorgenommene unaufschiebbare Prozesshandlung ist durch den nunmehr geschäftsplanmäßig zuständigen Richter in entsprechender Anwendung des § 29 Abs. 4 S. 1 StPO zu wiederholen. Anschließend hat der Richter eine neue Entscheidung zu treffen.
Der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 24.02.2020 war daher aufzuheben und zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.


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