Strafrecht

Zur Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch

Aktenzeichen  3 OLG 6 Ss 22/17

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB StGB § 20, § 21, § 56 Abs. 3, § 184b
StPO StPO § 318 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 318 S. 1 StPO) ist unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen im amtsgerichtlichen Urteil unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen oder wenn offen bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (Anschluss an BGH, Urt. v. 02.12.2015 – 2 StR 258/15 [bei juris] sowie Festhaltung u.a. an OLG Bamberg, Beschl. v. 20.12.2012 – 3 Ss 136/12 = OLGSt StPO § 318, Nr. 20 = BA 50 [2013], 88 = VM 2013, Nr. 36 = ZfS 2013, 589; OLG Bamberg, Urt. v. 11.03.2015 – 3 OLG 8 Ss 16/15 = VM 2015, Nr. 21 = DAR 2015, 273 = BA 52 [2015], 217 = OLGSt StPO § 318 Nr. 25 und 25.06.2013 – 3 Ss 36/13 = DAR 2013, 585 = OLGSt StVG § 21 Nr. 10).
2. Hiervon ist u.a. auch dann auszugehen, wenn sich aus dem amtsgerichtlichen Urteil Anhaltspunkte für eine relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 StGB ergeben (hier: Pädophilie, verbunden mit einschlägiger Vorverurteilung, Bewährungsversagen und hoher Rückfallgeschwindigkeit eines ansonsten sozial integrierten Angeklagten), das Amtsgericht aber nähere Feststellungen hierzu nicht trifft.

Gründe

I.
Die zulässige Revision des Angekl. (§§ 333, 341 I, 344, 345 I StPO) hat bereits auf die Sachrüge Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die formellen Rügen nicht mehr bedarf. Das LG ist zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen und hat deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen. Dies hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen zu berücksichtigen.
1. Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung gemäß § 318 S. 1 StPO auf den Rechtsfolgenausspruch ist davon abhängig, ob die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils eine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung bilden. Dies ist dann zu verneinen, wenn die Urteilsfeststellungen des Ausgangsgerichts zum Schuldspruch so weitgehende Lücken aufweisen, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen. Hiervon ist auszugehen, wenn die Tatsachenfeststellungen im Ersturteil unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen (BGH, Urt. v. 02.12.2015 – 2 StR 258/15 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschl. v. 20.12.2012 – 3 Ss 136/12 = OLGSt StPO § 318, Nr. 20 = BA 50 [2013], 88 = VM 2013, Nr. 36 = ZfS 2013, 589; OLG Bamberg, Urt. v. 11.03.2015 – 3 OLG 8 Ss 16/15 = VM 2015, Nr. 21 = DAR 2015, 273 = BA 52 [2015], 217 = OLGSt StPO § 318 Nr. 25 und v. 25.06.2013 – 3 Ss 36/13 = DAR 2013, 585 = OLGSt StVG § 21 Nr. 10, jeweils m.w.N.). Gleiches gilt, wenn nach den getroffenen Feststellungen des Ersturteils offen bleibt, ob sich der Angekl. überhaupt strafbar gemacht hat (BGH a.a.O. m.w.N.).
2. Derartige Darstellungsmängel haften dem amtsgerichtlichen Urteil an, sodass das LG nicht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgehen durfte.
a) Entgegen der Auffassung der Revision […] sind die Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil zur Tatbestandsverwirklichung, insbesondere zur subjektiven Tatseite, allerdings noch ausreichend. Zwar verhält es sich nicht ausdrücklich zum Vorstellungsbild des Angekl., der Vorsatz lässt sich aber zwanglos den weiteren Ausführungen der Urteilsgründe entnehmen, was ausreichend ist (vgl. BGH NJW 2015, 3178 = StraFo 2015, 478 = NStZ 2015, 700 = BGHR StGB § 252 Gewalt 2 = StV 2016, 284). Aus dem Ersturteil ergibt sich, dass am 12.11.2015 auf dem Notebook des Angekl. kinderpornographische Dateien von der Polizei „festgestellt“ wurden. Es teilt weiter mit, dass der Angekl. 9 dieser Dateien am 05.12.2014 auf dem Gerät „abgespeichert hatte“. Schon daraus lässt sich zumindest ansatzweise ableiten, dass er sie auch zur Kenntnis genommen hatte. Im Rahmen der Strafzumessung werden die näheren Umstände der Abspeicherung erläutert, wonach die Einlassung des Angekl., die Bilder seien ihm ohne Aufforderung zugeschickt worden und er habe „dann einfach vergessen“, diese zu löschen, nicht widerlegt werden könne. Da ein ‚Vergessen‘, die Dateien zu löschen, impliziert, dass der Angekl. diese auch gekannt hat und erst zu einem späteren Zeitpunkt löschen wollte, sind die Feststellungen im Urteil des AG zum Besitzwillen des Angekl. an den auf seinem Laptop vorgefundenen Computerdateien noch ausreichend.
b) Indessen leidet das amtsgerichtliche Urteil deshalb an einem Darstellungsmangel, weil sich aus den Urteilsgründen selbst Anhaltspunkte für eine möglicherweise relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 StGB ergeben, eine dahingehende Prüfung durch das AG aber unterblieben ist.
aa) Allerdings sind die Urteilsgründe regelmäßig nicht bereits dann lückenhaft, wenn sich das Ausgangsgericht nicht zur Schuldfrage verhält. Dies ist im Regelfall entbehrlich, weil das Gericht von bestehender Schuldfähigkeit des Angekl. ausgehen darf, wenn keine Besonderheiten ersichtlich sind. Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich aus dem Ersturteil Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ergeben, denen das AG nicht nachgegangen ist (BayObLGSt 1994, 253; NZV 2001, 353 = VRS 100, 354 = BA 38, 290; OLG Köln BA 20, 463; OLG Koblenz VRS 1988 (75), 46; BeckOK/Eschelbach StPO [Stand: 01.01.2017] § 318 Rn. 18; LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 318 Rn. 47).
bb) So verhält es sich hier. Aus den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils ergeben sich deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer Pädophilie (ICD-10: F65.4). Hierfür spricht bereits das Tatbild als solches. Dies wird erheblich verstärkt durch die Vorverurteilung aus dem Jahre 2014 wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Stellen diese Umstände schon für sich deutliche Indizien für eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie dar, so kommt in diesem Zusammenhang auch der Tatsache signifikante Bedeutung zu, dass der ansonsten sozial eingeordnet lebende und anderweitig nicht vorbestrafte Angekl., der einer ordentlichen Beschäftigung als Altenpflegehelfer nachgeht, bereits wenige Tage nach Rechtskraft der Vorverurteilung mit der verfahrensgegenständlichen Tat rückfällig wurde.
cc) Zwar ist das Vorhandensein einer sexuellen Devianz, die freilich noch einer eingehenden sachverständigen Abklärung bedarf, noch nicht ausreichend, um eine relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit annehmen zu können. Allein die Feststellung einer Störung der Sexualpräferenz als solche besagt noch nichts dazu, ob deren Ausprägung derart ist, dass sie einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zuzuordnen und hierdurch auch das Hemmungsvermögen in erheblicher Weise herabgesetzt oder gar aufgehoben ist. Allerdings kann im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit, die auch Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit haben kann, gegeben sein. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt dabei darauf ab, ob die Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen, wobei es darauf ankommt, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, das er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (BGH StV 2017, 29; NStZ-RR 2016, 198). Gerade die hohe Rückfallgeschwindigkeit, verbunden mit dem Bewährungsversagen, hätte Anlass geben müssen, diesen Fragen unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nachzugehen und die entsprechenden Feststellungen in die Urteilsgründe aufzunehmen.
dd) Keine Bedeutung für die Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, dass das LG zu dem Ergebnis gelangt ist, beim Angekl. liege keine Pädophilie vor. Ungeachtet des Umstands, dass bereits offen bleibt, worauf sich diese Einschätzung gründet, die in Anbetracht des beschriebenen Tatbildes und der Vorstrafe überdies eher lebensfern ist, spielt diese Feststellung von vornherein keine Rolle. Denn die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung beurteilt sich […] allein danach, ob die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zur Beurteilung des Strafausspruchs ausreichend sind und hiernach nicht offen bleibt, ob überhaupt eine strafbares Verhalten vorlag. […]
II.
Für die neue Berufungshauptverhandlung wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Die neue Strafkammer hat die Berufung aus den dargelegten Gründen als unbeschränkt zu behandeln.
2. Zur Klärung der Frage, ob beim Angekl. eine Pädophilie vorliegt und diese unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Kriterien Einfluss auf dessen Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 StGB hatte, wird sich die Strafkammer sachverständiger Hilfe bedienen müssen
3. Im Falle einer erneuten Verurteilung wird das Berufungsgericht den Lebenslauf des Angekl., seinen beruflichen Werdegang und die Entwicklung seiner sozialen Beziehungen detaillierter darzustellen haben, als dies im aufgehobenen Urteil der Fall war, zumal dies insbesondere für die Sozialprognose von Bedeutung sein kann.
4. Die Erwägung im angefochtenen Urteil, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete die Vollstreckung der Freiheitsstrafe, weil es „in jedem Falle“ zu verhindern gelte, dass „für derartige kinderpornographische Bilder ein Abnehmerkreis zur Verfügung stehe“, ist rechtsfehlerhaft. Denn diese Begründung lässt erkennen, dass das LG nicht die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, sondern bei solchen Delikten die Aussetzungsmöglichkeit von vornherein versagen möchte. Es entspricht jedoch gefestigter Rechtsprechung, dass der Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 III StGB) nicht dazu führen darf, bestimmte Deliktsgruppen generell von der Möglichkeit der Strafaussetzung auszunehmen (BGH StraFo 2011, 324 = BGHR StGB § 56 Verteidigung 21 m.w.N.).


Ähnliche Artikel


Nach oben