Verkehrsrecht

Anordnung einer Fahrtenbuchauflage

Aktenzeichen  RN 5 K 17.1256

Datum:
14.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 12782
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVZO § 31a
StVG § 24, § 25
StVO § 49
OWiG § 46 Abs. 1
VwGO § 114

 

Leitsatz

1 Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage ist bereits dann angemessen, wenn der (auch: erstmalige) Verkehrsverstoß wenigstens mit einem Punkt bewertet wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (Anschluss BVerwG BayVBl 1983, 310 u.a.). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt ist.
Nach § 31a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) kann die zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. Die Klägerin war zum für die Anordnung relevanten Zeitpunkt, nämlich dem des Verstoßes gegen die Verkehrsvorschrift, Halterin des betreffenden Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … Dies trug schon der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 11.01.2017 im Verfahren RN 5 K 16.1826 vor und ist im hiesigen Verfahren nicht bestritten.
2. Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in nennenswertem Umfang liegt vor. Der Verkehrsverstoß wäre nach § 49 Straßenverkehrsordnung (StVO), § 24 Straßenverkehrsgesetz (StVG), Nr. 11.3.7 Bußgeldkatalog, mit einer Geldbuße von 160 Euro und 2 Punkten im Fahreignungsregister, sowie einem Fahrverbot von einem Monat zu belegen. Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage bereits dann angemessen, wenn der Verkehrsverstoß wenigstens mit einem Punkt bewertet wird (BVerwG, B.v. 9.9.1999 – 3 B 94/99 – BayVBl 2000, 380). Dann kann bereits bei einem einmaligen Verstoß eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden (BayVGH, B.v. 17.2.2010 – 11 CS 09.2977 – juris Rn. 17). Der vorliegende Verstoß liegt deutlich über dieser Grenze, zumal er mit 2 Punkten und einem Monat Fahrverbot zu belegen wäre und sich seit der Begründung dieser Rechtsprechung die Schwere eines Verkehrsverstoßes, für den 1 Punkt vergeben wird, noch erhöht hat.
3. Die Feststellung des Fahrzeugführers innerhalb der Verjährungsfrist war nicht möglich. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310; BVerwG, B.v. 21.10.1987 – 7 B 162/87; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 17).
a) Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört zunächst eine umgehende Benachrichtigung des Halters vom Verkehrsverstoß, i.d.R. innerhalb von 2 Wochen. Vorliegend datiert das Anhörungsschreiben des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte zwar erst vom 27.04.2016, also ca. 2,5 Wochen nach der Verkehrsordnungswidrigkeit. Dabei ist das Zwei-Wochen-Kriterium aber kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal und auch keine starre Grenze (VG München, GB v. 19.7.2007 – M 23 K 07.2195 – juris Rn. 23). Es beruht vielmehr auf dem Erfahrungssatz, wonach Personen Vorgänge nur einen begrenzten Zeitraum erinnerbar oder noch rekonstruierbar sind. Die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist ist daher unschädlich in den Fällen, in denen wegen vom Regelfall abweichender Fallgestaltung auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt oder die Überschreitung des Zeitrahmens nicht ursächlich gewesen sein konnte für die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers (VG München, GB v. 19.7.2007 – M 23 K 07.2195 – juris Rn. 23). Eine verzögerte Anhörung ist für die unterbliebene Feststellung des Fahrers etwa dann nicht ursächlich, wenn ein zur Identifizierung ausreichendes Fahrerfoto – wie hier durch Eröffnung einer online-Einsichtmöglichkeit – existiert, da eine Identifizierung des verantwortlichen Fahrzeuglenkers anhand des Fotos keine Anforderungen an das Erinnerungs-, sondern an das Erkenntnisvermögen des Fahrzeughalters stellt (VGH Baden-Württemberg, NZV 1999, 224 und NZV 1999, 396; VG München, GB v. 19.7.2007 – M 23 K 07.2195 – juris Rn. 23). Das vorliegende Foto genügt, um eine der Klägerin bzw. den für sie handelnden natürlichen Personen bekannte Person zu identifizieren. Die Erfolglosigkeit beruht also nicht auf durch die etwas späte Anhörung begünstigten Erinnerungslücken.
b) Auch im Übrigen ist der ermittelnden Behörde kein Ermittlungsdefizit bei der Ermittlung des Fahrers vorzuwerfen. Die Klägerin hätte wenigstens den Kreis der möglichen Fahrer einschränken und bezeichnen müssen (OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 4.8.2015 – 7B 10540/15 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 14.5.1997 – 3 B 28,97 – juris), zumal auch noch die beiden Vornamen A… und B… im Raum standen. Allein diese Unterlassung führt dazu, dass weitere Ermittlungen in der Regel nicht erforderlich sind und eine Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt ist (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 11 CS 15.6 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 8.3.2013 – 11 CS 13.187 – juris Rn. 19; VG Neustadt, B. v. 5.11.2015 – 3 L 967/15.NW – juris Rn. 13) Ob dies nun als unkooperativ zu bezeichnen ist, oder nicht, ist für das Vorliegen der Voraussetzungen unerheblich. Daher kommt es auf ein angebotenes Zeugnis der Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin nicht an.
Nachdem die Ermittlungsbemühungen der Behörde in der Sache ohne Erfolg waren, konnte die ermittelnde Behörde unter Berücksichtigung eines sachgemäßen und rationellen Einsatzes ihrer Mittel nach pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens auf weitere Ermittlungen verzichten. Entscheidend ist dabei allein, dass der Fahrzeugführer ohne vorwerfbares Ermittlungsdefizit der ermittelnden Behörde nicht ermittelt werden konnte. Auf ein Verschulden oder einen Pflichtverstoß des Fahrzeughalters kommt es dabei nicht an. Die Fahrtenbuchauflage soll nicht den Fahrzeughalter bestrafen, sondern sie hat vielmehr präventive Funktion. Mit ihr soll zum einen ermöglicht werden, dass künftig bei Verstößen eine Grundlage zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers vorliegt. Zum anderen sollen künftige Verkehrsverstöße durch die zu erwartende Selbstdisziplinierung von Fahrern unterbunden werden, denen durch das Fahrtenbuch deutlich gemacht wird, dass sie im Falle eines Verstoßes als Täter ermittelt und mit Sanktionen belegt werden können (VG Düsseldorf, U.v. 5.3.2015 – 6 K 7123/13 – juris Rn. 35; VG München, GB v. 19.7.2007 – M 23 K 07.2195 – juris Rn. 27).
c) Darüber hinaus kommt es auch nicht, wie von Klägerseite argumentiert, zu einer formellen Rechtswidrigkeit durch Anhörungsfehler oder Falschbezeichnung des Halters im Vorfeld des Bescheidserlasses. Durch die von dem Klägervertreter in seiner Argumentation übersehene erneute Anhörung der klagenden GmbH vom 19.05.2017 ist dieser Pflicht zweifelsohne nachgekommen worden. Außerdem spricht manches dafür, dass selbst die Anhörung des Geschäftsführers der GmbH statt der GmbH selbst das Anhörungserfordernis erfüllt hätte, da letztlich der gleichen natürlichen Person die Möglichkeit zur Stellungnahme zu bestimmten tatsächlichen Vorgängen gegeben wurde (jedenfalls zu diesem Ergebnis gelangend: BeckOK VwVfG/Herrmann VwVfG § 28 Rn. 14.1, beck-online). Auch eine Anhörung der GmbH als Zeugin begegnet wohl keinen durchgreifenden Zweifeln, da sich eine juristische Person, letztlich ein bloßes Gedankenkonstrukt, freilich natürlicher Personen zu ihrem Tätigwerden bedienen muss. Letzten Endes müssen diese Fragen dank der Nachholung der Anhörung nicht entschieden werden. Dass der Bescheid gegenüber dem richtigen Adressaten (hier: Fahrzeughalter) ergehen muss und nunmehr richtigerweise gegen die GmbH ergangen ist, wird demgegenüber freilich dadurch nicht in Zweifel gezogen. Schließlich soll mit der aus dem Bescheid erwachsenden Handlungspflicht, ein Fahrtenbuch zu führen, der Gefahr entgegengewirkt werden, dass auch künftige Fahrzeugführer, die von der Halterin das Fahrzeug oder ein an seine Stelle tretendes überlassen bekommen, nicht zu ermitteln wären. Wie im Verfahren RN 5 K 16.1826 festgestellt, würde die Auferlegung dieser Pflicht zulasten des Geschäftsführers dem nicht genügen, da ein Geschäftsführer aus der GmbH ausscheiden kann, die GmbH aber weiterhin Halterin bliebe.
d) Weiter ist die Anordnung der Fahrtenbuchauflage nicht wegen eines Ermessensfehlers zu beanstanden, soweit das Gericht dies innerhalb der Grenzen des § 114 VwGO überprüfen kann. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, da der Anordnung ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht zugrunde liegt, der mit der Eintragung von 2 Punkten und einem Monat Fahrverbot sanktioniert werden würde. Auch die vorliegend angeordnete Dauer von sechs Monaten ist nicht unverhältnismäßig. Dies muss im Hinblick auf den Anlass der Anordnung und den mit ihr verfolgten Zweck im Einzelfall beurteilt werden. Als Kriterium für die zeitliche Bemessung ist vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung heranzuziehen (BayVGH, B.v. 24.06.2013 – 11 CS 13.1079 – juris Rn. 14). Damit die Auflage die Verfolgung von zukünftigen Verkehrsverstößen ermöglichen und auch ihre Disziplinierungsfunktion erfüllen kann, muss sie auch zutreffend eine gewisse Dauer erreichen. Besondere Umstände, die vorliegend gegen eine Dauer von sechs Monaten sprechen, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
Ziffern 2, 3 und 4 des angegriffenen Bescheids geben lediglich Vorschriften der StVZO wieder. Zuletzt bewegt sich auch die getroffene Kostenregelung in Ziffer 5 im unteren Rahmen, der sich aus §§ 1 bis 4 und Nr. 252 GebOStV, sodass keine Ansätze für rechtliche Bedenken hiergegen gesehen werden.
Die Klage war somit abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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