Aktenzeichen 11 CE 22.262
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, 13 S. 1 Nr. 2 Buchst a Alt. 2, 20 Abs. 1, 22 Abs. 2
Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsatz
Verfahrensgang
RO 8 E 21.2160 2021-12-21 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2021 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr die Fahrerlaubnis der Klasse B ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung vorläufig wieder zu erteilen.
Nach einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt am 23. April 2018 verurteilte das Amtsgericht Regensburg die Antragstellerin mit Strafurteil vom 22. August 2018 zu einer Geldstrafe, entzog ihr die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist von sieben Monaten für deren Wiedererteilung an. Nach den Feststellungen des Strafbefehls vom 29. Juni 2018, der hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftig wurde, fuhr die Antragstellerin am 23. April 2018 zwischen 12:27 Uhr und 12:57 Uhr mit dem Pkw von der Anschrift Im Gewerbepark C78 in Regensburg zur Polizeiinspektion Regensburg Nord, die im Stadtteil Stadtamhof liegt. Die am selben Tag um 14:05 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,22 Promille. Im Polizeibericht heißt es, die Antragstellerin habe der Einsatzzentrale eine Kollision mit einem anderen Pkw, der sich entfernt habe, mitgeteilt, und sei gebeten worden, sich zur Unfallaufnahme zur Polizeiinspektion Regensburg Nord zu begeben. Dort sei Alkoholgeruch bemerkt worden. Ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest habe 0,71 mg/l ergeben. Auffällig sei, dass die Alkoholisierung während der gesamten Anzeigenaufnahme nur aufgrund des Geruchs zu bemerken gewesen sei. Die Ausdrucksweise der Antragstellerin sei klar und schlüssig gewesen; weitere alkoholtypische Ausfallerscheinungen hätten gänzlich gefehlt. Im ärztlichen Bericht zur Blutentnahme ist zum Untersuchungsbefund Folgendes angegeben: Gang (geradeaus), Finger-Finger-Prüfung und Finger-Nasen-Prüfung sicher, Sprache deutlich, Pupillen unauffällig, Pupillenlichtreaktion prompt, Bewusstsein klar, Denkablauf geordnet, Verhalten beherrscht, Stimmung unauffällig, äußerlicher Anschein des Einflusses von Alkohol deutlich bemerkbar. Die Antragstellerin selbst hatte gegenüber der Polizei angegeben, zwischen 17 Uhr am 22. April 2018 und 1 Uhr nachts am 23. April 2018 daheim Wein und Wodka getrunken zu haben.
Am 28. Juli 2020 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt Regensburg die Neuerteilung ihrer Fahrerlaubnis.
Mit Schreiben vom 17. August 2020 forderte das Landratsamt die Antragstellerin unter Verweis auf den vorgenannten Sachverhalt auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Zu klären sei, ob sie ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass sie auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Gestützt wurde die Anordnung auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a Alt. 2 FeV. Die Fahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit und das Fehlen von Ausfallerscheinungen stellten sonstige Tatsachen im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV dar, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Zudem habe die Antragstellerin ihren Angaben nach zuletzt 13 Stunden vor der Blutentnahme Alkohol konsumiert, was ein massives Alkoholproblem nahelege.
Am 20. Oktober 2020 ließ die Antragstellerin Verpflichtungsklage (RO 8 K 20.2537) beim Verwaltungsgericht Regensburg erheben, über die noch nicht entschieden ist.
Am 30. Oktober 2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 ablehnte. Unabhängig davon, dass die begehrte vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis möglicherweise auf eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache abziele, sei bereits nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin einen vorläufig zu sichernden Anspruch auf Neuerteilung geltend machen könne. Das Landratsamt habe zu Recht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert, welches bislang nicht vorgelegt worden sei. Das Landratsamt habe zutreffend angenommen, dass zu der einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,22 Promille zusätzliche aussagekräftige Umstände hinzuträten, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Trotz des verhältnismäßig hohen Alkoholgehalts sei in den Ermittlungsunterlagen vermerkt, dass während der gesamten Unfallaufnahme die Alkoholisierung der Antragstellerin nur durch den von ihr ausgehenden Geruch feststellbar gewesen sei. Ihre Ausdrucksweise dagegen sei klar schlüssig gewesen; weitere alkoholtypische Ausfallerscheinungen hätten gänzlich gefehlt. Damit korrespondierend ergebe sich das Fehlen alkoholtypischer Ausfallerscheinungen auch aus den Angaben des die Blutentnahme durchführenden Arztes. Dieser habe in seinem Bericht unter anderem angegeben, der Gang der Antragstellerin geradeaus sei sicher, ihre Sprache deutlich und der Denkablauf geordnet gewesen. Sie sei bei klarem Bewusstsein gewesen und habe die Finger-Fingersowie die Finger-Nasen-Prüfung erfolgreich absolviert. Ihr Verhalten sei beherrscht und die Stimmung unauffällig gewesen, auch wenn der äußerliche Anschein des Einflusses von Alkohol deutlich erkennbar gewesen sei
Zur Begründung ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Zusatztatsachen im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV angenommen, die eine medizinisch-psychologische Untersuchung rechtfertigten. Dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 17. März 2021 entschiedenen Fall (3 C 3.20) habe eine höhere Alkoholisierung zu Grunde gelegen. Zudem sei das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen dort beweissicher festgestellt worden. Hier behaupte die Polizei lediglich, die Ausdrucksweise der Antragstellerin am 23. April 2018 sei klar und schlüssig gewesen sei und es hätten weitere typische Ausfallerscheinungen gefehlt. Dies stelle eine laienhafte Meinungsäußerung ohne medizinischen Wert und belastbare Aussagekraft dar.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und trägt insbesondere vor, es sei ohne weiteres davon auszugehen, dass Polizeibeamte aufgrund ihrer speziellen Ausbildung, Schulung und Erfahrung im Dienst das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen feststellen könnten.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung fristgerecht eingereicht worden ist und den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Selbst wenn man von einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen wäre.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 = juris Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 20 FeV Rn. 6).
2. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Gutachtensanordnung vom 17. August 2020 rechtmäßig ist, so dass der Antragstellerin ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens kein Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zusteht. Bei einem Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit einer Sachentscheidung wäre das Landratsamt, das bislang noch keinen Bescheid erlassen hat, daher gehalten, aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Eignung zu schließen und den Antrag auf Wiederteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen.
a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch die zum Teil zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch das zum 1. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht daher zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 31; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei einem solchen Alkoholmissbrauch kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV). Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist danach eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille (anders als im Wiederholungsfall, vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV) nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 3 C 24.15 – DAR 2017, 533 = juris Rn. 16; U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – DAR 2021, 527 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 11 ZB 19.448 – juris Rn. 11). Als eine solche Zusatztatsache kommt etwa das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017; a.a.O. Rn. 28; U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 18, 24). Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 24, 40, 43; s. dazu auch Wagner, NZV 2022, 110). Ebenfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten können eine Alkoholfahrt bereits in den Tagesstunden oder über eine längere Fahrstrecke ohne größere Auffälligkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2019, a.a.O. Rn. 13; BVerwG, U.v. 20.2.1987 – 7 C 87.84 – BVerwGE 77, 40 = juris Rn. 12; s. auch Eignungsrichtlinien i.d.F.v. 30.10.1989 [Vkbl 1989 S. 786], Fn. 7 zum Mängelkatalog). Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 46).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber formell rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012, a.a.O. Rn. 32, 66).
b) Daran gemessen hat das Landratsamt hier zutreffend ausreichend gewichtige Zusatztatsachen angenommen, die die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zur Abklärung eines etwaigen Alkoholmissbrauchs rechtfertigen.
aa) Es ist hinreichend dokumentiert, dass die Antragstellerin trotz einer hohen Blutalkoholkonzentration von 1,22 Promille keine signifikanten Ausfallerscheinungen zeigte. Im Polizeibericht heißt es, dass die Alkoholisierung während der gesamten Aufnahme der Anzeige nur durch Alkoholgeruch feststellbar gewesen sei. Dies deckt sich weitgehend mit dem anlässlich der Blutentnahme erhobenen Untersuchungsbefund des Arztes, der weder in der Disposition der Antragstellerin noch bei den durchgeführten Bewegungs- und Konzentrationstests Auffälligkeiten feststellen konnte. Die dagegen gerichteten Einwände der Antragstellerin, auch in ihrem nachgereichten Schriftsatz vom 1. Juni 2022, greifen nicht durch. Im Strafrecht wird Beobachtungen der Polizei wie auch des Blutentnahmearztes zum „klinischen Befund“ zwar mit Zurückhaltung begegnet, da Trunkenheit nur schwer feststellbar sei und zahlreiche Probanden sich für die begrenzte Zeit der Prüfung „äußerlich zusammenreißen“ könnten (vgl. König in LK-StGB, 12. Aufl. 2008, § 316 Rn. 119, 121 ff; ders. in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 316 StGB Rn. 70 ff.; Hentschel, NJW 2003, 716/725). Gleichwohl wird ihnen bereits im Strafrecht nicht jegliche Bedeutung abgesprochen (vgl. König, LK-StGB, a.a.O. Rn. 121a; ders. in Hentschel/König/Dauer, a.a.O. Rn. 70; Hentschel a.a.O.). Dies muss für das Fahrerlaubnisrecht als Gefahrenabwehrrecht (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 = juris Rn. 35) umso mehr gelten. Im Rahmen von § 13 FeV geht es noch nicht um die Entscheidung über die Erteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis, sondern um eine vorbereitende Aufklärungsmaßnahme, für die sachlich fundierte Zweifel an der Fahreignung genügen (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 23). Solche können sich ohne Weiteres auch aus dokumentierten Beobachtungen der Polizei sowie des Blutentnahmearztes ergeben (vgl. nur BVerwG, a.a.O. Rn. 47; BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 11 ZB 19.448 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 591 = juris Rn. 46; OVG LSA, B.v. 22.4.2020 – 3 M 30/20 – NJW 2020, 2129 = juris Rn. 7; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – Blutalkohol 58, 111 = juris Rn. 19; VG Leipzig, U.v. 31.3.2021 – 1 K 352/20 – DAR 2022, 286 = juris Rn. 30; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 9.12.2021, § 13 FeV Rn. 50 m.w.N.). Insoweit verweist der Antragsgegner überzeugend auf die spezielle Ausbildung, Schulung und Erfahrung von Polizeibeamten (vgl. zur Schulung der Polizei zur Drogenerkennung im Straßenverkehr auch König, LK-StGB, a.a.O. Rn. 163) sowie auf die Kompetenz des examinierten Arztes, der sich seine Überzeugung aufgrund standardisierter Testverfahren bildet (vgl. VGH BW, a.a.O. Rn. 46).
bb) Ein weiterer gewichtiger Hinweis auf eine hohe Alkoholgewöhnung ergibt sich aus der hohen Alkoholisierung bereits zur Mittagszeit. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin „vor Fahrtantritt“ in Kenntnis der noch bevorstehenden Autofahrt zu ihrer Arbeitsstelle Alkohol konsumierte. Dies deutet auf Konsum in der ersten Tageshälfte und eine hohe Alkoholgewöhnung hin. Mit Blick auf die Erklärung der Antragstellerin gegenüber der Polizei, sie habe (zuletzt) 13 Stunden vor der Blutentnahme Wein und Wodka getrunken, geht die festgestellte BAK-Konzentration möglicherweise zugleich auf Restalkohol nach einem sehr hohen Alkoholgehalt in der vorangegangenen Nacht zurück.
cc) Für eine hohe Giftfestigkeit spricht schließlich, selbst wenn die Antragstellerin mit den örtlichen Verhältnissen gut vertraut sein sollte, dass sie den Pkw trotz der hohen Alkoholisierung unfallfrei über mehrere Kilometer durch den innerstädtischen Verkehr führen konnte.
dd) Dies genügt unter den gegebenen Umständen den vorgenannten Anforderungen. Dass im ärztlichen Bericht als zusammenfassende Einschätzung vermerkt ist, der äußerliche Anschein des Einflusses von Alkohol sei deutlich bemerkbar, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht, zumal nicht ersichtlich ist, wie sich dieser Eindruck zusammensetzt. Maßgeblich für die Annahme hoher Alkoholgewöhnung ist das Gesamtbild, wofür ausreichen kann, dass keine signifikanten Ausfallerscheinungen festzustellen sind (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn.16 zum Eindruck leichter Trunkenheit [siehe die Ausgangsentscheidung des VG Kassel, U.v. 12.11.2018 – 2 K 1637/18.KS – BeckRS 2018, 55529 Rn. 30]; BayVGH, B.v. 11.3.2019, a.a.O. Rn. 13; ThürOVG, B.v. 15.1.2021, a.a.O. Rn. 19; VG Leipzig, U.v. 31.3.2021, a.a.O. Rn. 30; vgl. auch Wagner, NZV 2022, 110/111 – „nur gering ausgeprägte alkoholtypische Ausfallerscheinungen“ – und Eignungsrichtlinien, a.a.O. – „Fehlen gravierender alkoholtypischer Ausfallerscheinungen“).
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach dem in der Akte befindlichen Führerschein verfügte die Antragstellerin allein über die Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L. Dementsprechend hat sie beim Landratsamt die Erteilung der Klasse B beantragt, so dass im Eilverfahren vernünftigerweise auch nur die Wiedererteilung dieser Klasse (mit Unterklassen) in Rede stehen kann. Wenn der Bevollmächtigte in die im Eilverfahren wörtlich gestellten Anträge auch die Fahrerlaubnisklassen A und A1 aufgenommen hat, ist das ersichtlich deren Nennung in der Beibringungsanordnung geschuldet, die nach der vorgenannten Aktenlage auf einem Versehen beruht. Die Befugnis zur Änderung des Streitwerts in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).