Verkehrsrecht

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsachverfahren (verneint), Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, Sonstige Tatsachen für die Annahme von Alkoholmissbrauch, Vorangegangene strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt mit BAK von 1,12 Promille, Zusatztatsachen, Nähere Prüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten

Aktenzeichen  11 CE 22.375

Datum:
3.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13350
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, 13 S. 1 Nr. 2 Buchst a Alt. 2, 20 Abs. 1, 22 Abs. 2
Anl. 4 Nr. 8.1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 1 E 22.29 2022-01-25 VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E und CE ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung vorläufig wieder zu erteilen.
Nach einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt am 2. April 2021 verurteilte das Amtsgericht Tirschenreuth den Antragsteller zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist von drei Monaten für deren Wiedererteilung an. Nach den Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls vom 22. September 2021 führte der Antragsteller am 2. April 2021 gegen 22:49 Uhr auf der * … bei E* … ein Kraftfahrzeug. Die am 3. April 2021 um 00:15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,12 Promille. Im Polizeibericht heißt es, der Antragsteller habe die * … in nördlicher Richtung befahren und sei auf der Höhe der Einmündung zur Staatsstraße … einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Dabei sei deutlicher Atemalkoholgeruch wahrgenommen worden. Ein um 22:55 Uhr freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest habe einen Wert von 0,52 mg/l ergeben. Zum Vorliegen oder Fehlen von Ausfallerscheinungen schweigt der Einsatzbericht. In dem ärztlichen Bericht zur Blutentnahme ist zum Untersuchungsbefund folgendes angegeben: Gang (geradeaus), Finger-Finger-Prüfung und Finger-Nasen-Prüfung sicher, Drehnystagmus feinschlägig, Sprache deutlich, Pupillen unauffällig, Pupillenlichtreaktion prompt, Bewusstsein klar, Denkablauf geordnet, Verhalten beherrscht, Stimmung gereizt, äußerlicher Anschein des Einflusses von Alkohol leicht bemerkbar. Der Antragsteller selbst hatte gegenüber der Polizei angegeben, gegen 22:30 Uhr daheim zwei Halbe Bier getrunken zu haben.
Unter dem 23. September 2021 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt Bayreuth die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis.
Mit Schreiben vom 9. November 2021 forderte das Landratsamt den Antragsteller unter Verweis auf den vorgenannten Sachverhalt auf, bis zum 11. Februar 2022 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Zu klären sei, ob bei dem Antragsteller körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorlägen, die mit einem missbräuchlichen Konsum von Alkohol in Verbindung gebracht werden könnten, und ob zu erwarten sei, dass er das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher trennen könne. Die Fahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit und das Fehlen von Ausfallerscheinungen stellten sonstige Tatsachen im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FeV dar, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten.
Nachdem der Antragsteller erklären ließ, er halte die Anordnung für rechtswidrig und werde kein Gutachten vorlegen, lehnte das Landratsamt den Neuerteilungsantrag mit Bescheid vom 13. Dezember 2021 ab. Aus der Verweigerung der Begutachtung sei auf mangelnde Fahreignung zu schließen.
Am 12. Januar 2022 ließ der Antragsteller Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht Bayreuth erheben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich stellte er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2022 ablehnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne bei einer einmaligen Fahrt unter Alkoholeinfluss mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille, aber 1,1 Promille oder mehr zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert werden, wenn keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt worden seien. Davon ausgehend habe der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dass die Klage auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein werde, lasse sich im Eilverfahren nicht feststellen. Zwar liege die Blutalkoholkonzentration eher im unteren Bereich. Der Polizeikontrolle sei jedoch kein Fahrfehler vorausgegangen, der gegen eine relevante Alkoholgewöhnung sprechen könne. Außerdem habe der die Blutabnahme durchführende Arzt im Wesentlichen festgehalten, dass der Antragsteller keine Ausfallerscheinungen zeige und äußerlich nur leicht unter Alkoholeinfluss zu stehen scheine. Die Berechtigung des Einwands, die fehlenden Ausfallerscheinungen seien einer besonderen Konzentrationsanstrengung geschuldet, könne im Eilverfahren nicht geklärt werden. Zudem sei die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gerade zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend dargelegt. Der Antragsteller sei offensichtlich bislang in der Lage, sowohl seiner Betätigung als Nebenerwerbslandwirt als auch seiner hauptberuflichen Tätigkeit nachzugehen.
Zur Begründung seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht hinreichende Zusatztatsachen bejaht, die die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne begründeten. Wenn es sich darauf stütze, der Verkehrskontrolle sei kein Fahrfehler vorausgegangen, sei bereits nicht ersichtlich, ob und über welche Fahrstrecke die Polizeibeamten den Antragsteller beobachtet hätten. Bei einer – wie hier – nur unwesentlichen Überschreitung der Grenze von 1,1 Promille müssten die Zusatztatsachen umso größeres Gewicht haben, um die Begutachtungsanordnung rechtfertigen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht sehe Anzeichen für eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung unter anderem darin, dass die Alkoholfahrt unfallfrei oder unauffällig über eine längere Fahrstrecke erfolgt sei. Eine solche sei hier nicht erwiesen. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Feststellungen in dem ärztlichen Bericht abhebe, ziehe es daraus die falschen Schlüsse. Dort sei angegeben, äußerlich sei der Einfluss von Alkohol leicht bemerkbar gewesen. Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung könne Alkoholmissbrauch nach einer einmaligen Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration jedoch nur angenommen werden, wenn keine weiteren Anzeichen einer Alkoholeinwirkung vorlägen. Dies sei hier nach dem ärztlichen Bericht jedoch gerade der Fall gewesen. Zudem habe das Verwaltungsgericht sich nicht hinreichend mit den Begleitumständen des begangenen Alkoholmissbrauchs auseinander setzt. Die Trunkenheitsfahrt habe sich um 22:49 Uhr ereignet und erlaube keinen Rückschluss auf ein unkontrolliertes „gesellschaftliches Trinkverhalten“ des Antragstellers. Gesellschaftliche Feiern sowie Alkoholkonsum in der Gastronomie seien zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Einschränkungen während der Corona-Pandemie unmöglich gewesen. Der Antragsteller habe am besagten Abend überhaupt nicht mehr vorgehabt, seinen Pkw zu nutzen. Die Fahrt habe er nur deshalb durchgeführt, um den noch nicht volljährigen Freund der ebenfalls noch nicht volljährigen Tochter, der keinen Zug mehr habe erreichen können, nach Hause zu bringen. Mit Schriftsatz vom 14. März 2022 brachte der Antragsteller ergänzend vor, der Erhalt seines Arbeitsplatzes hänge von einer gültigen Fahrerlaubnis ab.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, bleibt ohne Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 = juris Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 20 FeV Rn. 6).
2. Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht hier zutreffend verneint. Dabei kann dahinstehen, ob die Beschwerde sich fristgerecht hinreichend mit dem Gesichtspunkt des Anordnungsgrundes auseinandersetzt. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass dem Antragsteller mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens zustünde.
a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch die zum Teil zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch das zum 1. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht daher zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 31; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei einem solchen Alkoholmissbrauch kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV). Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist danach eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille (anders als im Wiederholungsfall, vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV) nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 3 C 24.15 – DAR 2017, 533 = juris Rn. 16; U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – DAR 2021, 527 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 11 ZB 19.448 – juris Rn. 11). Als eine solche Zusatztatsache kommt etwa das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017; a.a.O. Rn. 28; U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 18, 24). Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 24, 40, 43; s. dazu auch Wagner, NZV 2022, 110). Ebenfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten können eine Alkoholfahrt bereits in den Tagesstunden oder über eine längere Fahrstrecke ohne größere Auffälligkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2019, a.a.O. Rn. 13; BVerwG, U.v. 20.2.1987 – 7 C 87.84 – BVerwGE 77, 40 = juris Rn. 12; s. auch Eignungsrichtlinien i.d.F.v. 30.10.1989 [Vkbl 1989 S. 786], Fn. 7 zum Mängelkatalog). Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 46).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber formell rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012, a.a.O. Rn. 32, 66).
b) Hier lag zwar einerseits die beim Antragsteller festgestellte Alkoholkonzentration bei 1,12 Promille und damit erheblich unter dem in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille.
Andererseits konnte der Arzt anlässlich der Blutentnahme weder in der Gemütsverfassung und Disposition des Antragstellers – die als gereizt empfundene Stimmung ließe sich ohne Weiteres mit fehlendem Verständnis gegenüber dem Einschreiten der Polizei erklären – noch bei den durchgeführten Bewegungs- und Konzentrationstests alkoholbedingte Auffälligkeiten feststellen. Dass der äußerliche Anschein des Einflusses von Alkohol nach dem Eindruck des Arztes leicht bemerkbar war, besagt entgegen der Auffassung des Antragstellers noch nicht, dass eine hohe Giftfestigkeit verneint werden müsste. Maßgeblich für die Annahme hoher Alkoholgewöhnung ist das Gesamtbild, wofür ausreichen kann, dass keine signifikanten Ausfallerscheinungen festzustellen sind (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – DAR 2021, 527 = juris Rn. 16 zum Eindruck leichter Trunkenheit [siehe die Ausgangsentscheidung des VG Kassel, U.v. 12.11.2018 – 2 K 1637/18.KS – BeckRS 2018, 55529 Rn. 30]; BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 11 ZB 19.448 – juris Rn. 13; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – Blutalkohol 58, 111 = juris Rn. 19; VG Leipzig, U.v. 31.3.2021 – 1 K 352/20 – DAR 2022, 286 = juris Rn. 30; vgl. auch Wagner, NZV 2022, 110/111 – „nur gering ausgeprägte alkoholtypische Ausfallerscheinungen“ – und Eignungsrichtlinien, a.a.O. – „Fehlen gravierender alkoholtypischer Ausfallerscheinungen“). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Antragsteller ins Feld geführten Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der Fassung vom 28. Oktober 2019 (Vkbl S. 775). Der Klammerzusatz zu der dort unter Nr. 3.13 angeführten zweiten Fallgruppe für Alkoholmissbrauch – „nach einmaliger Fahrt unter hoher Alkoholwirkung (ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung)“ – soll allein deutlich machen, dass das Erreichen oder Überschreiten des nach der derzeitigen Rechtslage in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Blutalkoholwertes von 1,6 Promille für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in jedem Fall für das Vorliegen einer auch bei Trinkgewohnten ungewöhnlich hohen Blutalkoholkonzentration und damit für Alkoholmissbrauch im Sinne der Begutachtungsleitlinien spricht, ohne dass es darauf ankommt, ob außerdem noch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen fehlen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 45 unter Verweis auf Stephan/Hartmann-Brenner in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 251). Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen relevante alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zu verneinen sind, gibt der Klammerzusatz damit keinen Aufschluss.
Darüber hinaus ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Antragsteller nicht – mit seiner minderjährigen Tochter und deren minderjährigem Freund als Mitfahrern – selbst gefahren ist. Auch wenn er mit der Strecke gut vertraut sein sollte, könnte der Umstand, dass er ersichtlich gut 20 Kilometer trotz seiner hohen Alkoholisierung und bei Dunkelheit unfallfrei zurücklegen konnte, gleichfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten.
In Anbetracht dessen ist es nicht zu beanstanden, dass sich das Verwaltungsgericht eine nähere Prüfung der Gesamtumstände, auch des Vorbringens des Antragstellers, das Fehlen von Ausfallerscheinungen sei einer besonderen Konzentrationsanstrengung geschuldet, sowie der Frage, ob den vorliegenden Zusatztatsachen hinreichendes Gewicht zukommt, für das Hauptsacheverfahren vorbehalten hat.
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3, 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die ursprüngliche Fahrerlaubnis der Führerscheinklasse CE war mit der Schlüsselzahl 79 (C1E > 12 000 kg, L ≤ 3) versehen, so dass sich deren begehrte Neuerteilung nicht streitwerterhöhend auswirkt (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 24).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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