Aktenzeichen 11 ZB 17.1145
FeV § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 47 Abs. 2
Leitsatz
Eine europarechtliche Anerkennungspflicht besteht nur für solche in einem Mitgliedstaat neu erworbenen Fahrerlaubnisse, deren Erteilung – auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben – eine Eignungsprüfung des Bewerbers vorangegangen ist (Anschluss BVerwG BeckRS 2012, 54967). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 7 K 16.280 2017-05-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger, der zu keinem Zeitpunkt Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis war, wehrt sich gegen den Bescheid des Landratsamts Neu-Ulm (im Folgenden: Landratsamt) vom 15. Februar 2016, mit dem festgestellt wurde, dass er nicht berechtigt sei, von seiner „in Belgien erworbenen Fahrerlaubnis“ auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1), und mit dem er verpflichtet wurde, seinen belgischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen (Nr. 2).
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 29. Mai 2017 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der in Belgien am 23. Mai 2015 ausgestellte Führerschein verleihe dem Kläger nicht das Recht, Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen. Dem Kläger sei in Belgien keine neue Fahrerlaubnis erteilt worden. Vielmehr habe er seinen ungarischen Führerschein in Belgien zum Umtausch vorgelegt. Das ergebe sich aus dem in Spalte 10 eingetragenen Erteilungsdatum (7.4.2008) und dem in Spalte 12 eingetragenen Code mit der Nummer des ungarischen Führerscheins. Da der Beklagte jedoch dem Kläger bereits mit bestandskräftigem Bescheid vom 14. November 2011 das Recht aberkannt habe, von seiner ungarischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, sei der belgische Führerschein in Deutschland nicht anzuerkennen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Aus der Antragsbegründung ergeben sich keine (sinngemäß geltend gemachten) ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der am 23. Mai 2015 ausgestellte belgische Führerschein den Kläger nicht berechtigt, Fahrzeuge im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen.
a) Unschädlich und vom Kläger auch nicht gerügt ist, dass das Landratsamt seinen Bescheid auf § 28 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl S. 1980), vor Erlass des Bescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl S. 1674), gestützt hat. § 28 FeV regelt nur die Inlandsgültigkeit von EU- oder EWR-Fahrerlaubnissen, deren Inhaber ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Auf Inhaber von EU- oder EWR-Fahrerlaubnissen ohne ordentlichen Wohnsitz im Inland ist dagegen § 29 FeV anzuwenden (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 28 FeV Rn. 19, § 29 FeV Rn. 9). Unstreitig hat der Kläger jedenfalls im Zeitpunkt des Bescheiderlasses seinen Wohnsitz in Belgien gehabt. Die im Wesentlichen inhaltsgleichen Rechtsgrundlagen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV und des für Fahrerlaubnisinhaber ohne Inlandswohnsitz einschlägigen § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FeV sind jedoch austauschbar (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2012 – 11 CS 11.2795 – juris Rn. 25).
b) Der Feststellung der Inlandsungültigkeit des belgischen Führerscheins steht auch nicht die gemeinschaftsrechtliche Anerkennungspflicht entgegen.
aa) Zwar sind die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18) gegenseitig anzuerkennen. Eine Anerkennungspflicht besteht aber nur für solche in einem Mitgliedstaat neu erworbenen Fahrerlaubnisse, deren Erteilung – auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben – eine Eignungsprüfung des Bewerbers vorangegangen ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.9.2011 – 3 B 19.11 – ZfSch 2012, 597; BayVGH, U.v. 21.3.2017 – 11 B 16.2007 – VRS 131, 218 Rn. 35). Es muss daher auf der Grundlage des Art. 7 RL 2006/126/EG eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung durchgeführt und die Einhaltung der gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III der Richtlinie geprüft worden sein. Wird nur die Führerscheinkarte ersetzt oder umgetauscht, bleibt es aber bei der ursprünglichen Fahrerlaubnis und es fehlt regelmäßig an einer Eignungsprüfung.
bb) Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend keine Anerkennungspflicht besteht.
Die belgischen Behörden haben zwar nach den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholten Auskünften eine Gesundheitsprüfung des Klägers durchgeführt. Jedoch hat dieser den Auskünften zufolge darüber hinaus weder eine theoretische noch eine praktische Eignungsprüfung absolviert. Zu einer Fahreignungsprüfung waren die belgischen Behörden im Umtauschverfahren – anders als bei der vollständigen Neuerteilung einer Fahrerlaubnis – nach Gemeinschaftsrecht auch nicht verpflichtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2014 – 11 ZB 14.1193 – BayVBl 2015, 419 Rn. 20 m.w.N.). Dem belgischen Führerschein liegt damit keine vollständige Neuerteilung zu Grunde. Vielmehr beruht er auf der Fahrerlaubnis, die dem Kläger am 7. April 2008 in Ungarn erteilt worden war. Dies ergibt sich aus dem im belgischen Führerschein gemäß Anhang I Nr. 3 zur RL 2006/126/EG eingetragenen Datum der ersten Fahrerlaubniserteilung in Spalte 10, das bei jeder späteren Ersetzung oder jedem späteren Umtausch erneut in dem Führerschein einzutragen ist, sowie aus der in Spalte 12 eingetragenen Nummer des ungarischen Führerscheins (H/CM909888) und dem ebenfalls in dieser Spalte eingetragenen Code 70 für den Umtausch. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es aufgrund des eingetragenen Ersterteilungsdatums (7.4.2008) auch nicht darauf an, welche gesundheitliche Eignungsprüfung die ungarischen Behörden vor der Ausstellung eines neuen Führerscheins am 8. März 2013 durchgeführt haben. Auch dieser Führerschein enthält die Eintragung des Ersterteilungsdatums 7. April 2008. Die Inlandsungültigkeit dieser ungarischen Fahrerlaubnis hat der Beklagte jedoch mit bestandskräftigem Bescheid vom 14. November 2011 für den Kläger bindend festgestellt. Die zehnjährige Tilgungsfrist für diese Maßnahme (§ 29 Abs. 3 Satz 3 FeV, § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung) ist noch nicht abgelaufen. Damit besteht für die am 7. April 2008 erteilte, inlandsungültige ungarische Fahrerlaubnis auch bei späterem Umtausch des Führerscheins und Ausstellung neuer Führerscheindokumente (Art. 11 Abs. 1 RL 2006/126/EG) keine Inlandsfahrberechtigung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, die der Kläger möglicherweise mit seinem Hinweis darauf, das Verfahren sei zur „Fortbildung des Rechts dienlich“, geltend machen will.
Abgesehen davon, dass insoweit bereits die Darlegungsanforderungen des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht erfüllt sind, weil der Kläger keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage formuliert (vgl. zu diesem Erfordernis Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72), ist in der Rechtsprechung hinreichend geklärt, dass die Anerkennungspflicht im Falle eines umgetauschten Führerscheins, der wiederum auf einer nicht anzuerkennenden Fahrerlaubnis beruht, nicht besteht.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anhang zu § 164 Rn. 14).
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).